Aufsätze

Brauchen die deutsche Wirtschaft und der deutsche Kapitalmarkt ein Verbriefungsgesetz?

In den letzten Monaten ist die wichtigste Ressource des Kreditgeschäfts, das Vertrauen, aus bedeutenden Teilen der Finanz- und Kapitalmärkte evaporiert. Kredit heißt aber nun einmal Vertrauen. Wo es fehlt, gibt es keinen ordentlichen Markt mehr. Dieses notwendige Vertrauen hat insbesondere das Geschäftsmodell "Originate to Distribute" (OtD) verloren. Ohne das beherzte Eingreifen der Zentralbanken hätten viele internationale und nationale Banken diesen flächendeckenden Vertrauensverlust nicht überstanden.

"Opaque" ist ein vor allem in der angelsächsischen Welt häufig benutztes Wort zur Beschreibung der Lage im Verbriefungsgeschäft geworden; man muss sich nur die Reden der amerikanischen und englischen Zentralbanker ansehen. "Opaque" heißt aber undurchsichtig. In undurchsichtige Risiken investiert kein seriöser Investor. Oder er tut es nur zu extremen, Vermögen vernichtenden Abschlägen wie "Geierfonds", denn wo ein Aas ist, versammeln sich die Geier, wie schon in der Bibel zu lesen ist.

Wiederherstellung des Marktes

Jetzt geht es um die Wiederherstellung des Marktes. Gefordert sind heute deshalb vor allem Klarheit und Berechenbarkeit. Unklarheit über die Risiken hat zum Austrocknen der Märkte und zu schier unvorstellbaren Vermögensverlusten geführt. Das hat Gerechte und Ungerechte getroffen, weil es an Instrumenten fehlt, die Böcke von den Schafen zu unterscheiden.

Das Rating als Reduktion von Komplexität und als Risikobeherrschungsinstrument hat offenbar dramatisch versagt. Versagt haben aber auch und vor allem diejenigen, die die primären Kreditbeziehungen geschaffen haben. Sie haben Kredite generiert, die im Rahmen eines ordentlichen Bankgeschäftes nicht zustande gekommen wären.

Diejenigen, die Kredite generiert haben, ohne die Standards einzuhalten, haben damit das gesamte Geschäftsmodell in Verruf gebracht. Das Geschäftsmodell "Originate to Distribute" (OtD) scheint für einige Zeit verbrannt zu sein. Wer es revitalisieren, ja, wer selbst die Verbriefung ordentlich vorbereiteter Kredite und deren Risiken retten will, muss das Vertrauen der Märkte wiedergewinnen.

Verbriefung als produktive Innovation

Die Verbriefung von Forderungen und Risiken ist nicht per se problematisch. Das Verbriefungsgeschäft ist vielmehr wichtig. Es verschafft den kleineren und mittleren Unternehmen mittelbar Zugang zum Kapitalmarkt. Es hilft den kleineren und mittleren Banken und Sparkassen in Deutschland, ihre Bilanzen so zu strukturieren, dass sie auch unter dem Regime von Basel II den Eigenkapitalvorschriften gerecht werden und gleichzeitig ein neues Geschäftsfeld und damit neue Erträge erschließen können. Und auf der anderen Seite hilft die Verbriefung den kleineren und mittleren Unternehmen, sich Kapital zu beschaffen, ohne die unternehmerische Entscheidungsmacht aufgeben zu müssen. Das Verbriefungsgeschäft ist eine produktive Innovation auf den Finanzmärkten.

Das Verbriefungsgeschäft darf deshalb nicht an den Folgen von betrügerischen und fahrlässigen Machenschaften, die eine laxe Aufsicht in den USA ermöglicht hat, auf Dauer beeinträchtigt werden. Es gilt daher, wieder Verlässlichkeit und damit Vertrauen zu schaffen.

Klarheit und Vertrauen zurückholen

Mit einem Verbriefungsgesetz kann wieder Klarheit und damit auch Vertrauen in die Märkte zurückgeholt werden. So wie man bei einem Pfandbrief, generiert nach den Vorschriften des Pfandbriefgesetzes, weiß, was man kauft, so muss bei ABS, generiert nach dem zu schaffenden deutschen oder europäischen Verbriefungsgesetz, sichergestellt sein, dass die primäre, der Verbriefung unterliegende Kreditschöpfung ordentlich geleistet worden ist.

Hier kann sich unsere bankenorientierte Kreditvergabepraxis erneut bewähren, denn das angelsächsische "at-arms-lengthbanking" hat sich mit all seinen stochastischen Modellen offenbar nicht bewährt. Ein solches strukturiertes Kreditprodukt darf seine Klarheit nicht durch vielfältige Umverpackungen und angebliche Anreicherungen verlieren. Mit einem Verbriefungsgesetz können standardisierte Finanzprodukte geschaffen werden. Das ist gerade dann wichtig, wenn ABS als von der EZB anerkannte Sicherheiten benutzt werden sollen. Wegen der hohen Individualisierung und damit geringen Standardisierung der Produkte müssen die Wertpapiere heute einzeln geprüft und mit einem erheblichen Personalaufwand analysiert werden, zum Beispiel wegen der inzwischen berühmt-berüchtigten Trigger, die die Entscheider bei der IKB und bei der Sächsischen Landesbank in ihrer Bedeutung unterschätzt oder gar übersehen haben mögen.

Nach den Überraschungen der letzten Monate werden Investoren bei ihren Entscheidungen auf die Qualität der unterliegenden Kreditportfolios, auf Sicherheiten, Verpflichtungen, Credit Enhancements und die dahinterliegenden Strukturen, in denen die Akteure arbeiten, achten. Ein Verbriefungsgesetz kann auf diesen Feldern Klarheit und Sicherheit schaffen. Wer das Geschäftsmodell Verbriefungen erhalten und ausbauen will, muss es mit dem "Eigenkapital" Klarheit und Zuverlässigkeit der Beteiligten ausstatten.

Nur ein strenges Aufsichtsregime wird wieder Vertrauen herstellen! Selbstregulierung der Märkte und Marktdisziplin durch Transparenz waren die Stichworte, unter denen eine strengere Regulierung und Aufsicht in den letzten Jahren abgelehnt worden ist, obwohl es an warnenden Stimmen wie zum Beispiel der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich nicht gefehlt hat. Alle haben feierlich geschworen, dass Moral Hazard nicht belohnt werden würde, bis der englische Finanzminister die Bank of England neu orientiert hat, weil die Folgen der moralisch richtigen Handlungsweise für das gesamte System, also für Gerechte wie für Ungerechte, verheerend geworden wären.

Moral Hazard am Beginn der Wertschöpfungskette

Hätte man vor einem Jahr die Aktionen der Zentralbanken seit dem Sommer 2007 gefordert, wäre man als Fantast und Dilettant charakterisiert worden. Nun ist aber die Vertrauenskrise unter den Banken so groß, dass die Zentralbanken die Geldmärkte geradezu fluten müssen, damit die beteiligten Banken wegen ihres Misstrauens gegeneinander einerseits nicht "verdursten" und andererseits nicht in gehorteter Liquidität "ertrinken". Es werden sogar neue Instrumente zum Einsatz gebracht, weil das Diskontfenster, wiewohl extrem verbilligt, in den Augen der Märkte ein "Geschmäckle" hat. Stolze Banken, berühmt für ihr Risikomanagement, wären in die Gefahr der Illiquidität geraten, hätten die Zentralbanken sie nicht gerettet.

Ob sichere Staatsanleihen als rettende Häfen oder verantwortungsbewusste Zentralbanken - der Staat ist in irgendeiner Form Partner of last Resort, wenn sich die stolzen Beteiligten der Finanzindustrie verzockt haben. Die Folgen dieses von der Finanzindustrie verursachten Crashs trägt natürlich die öffentliche Hand in Form enormer Steuerausfälle mit. Die Zukunft wird es an den Tag bringen, meine These ist es, auf der Grundlage der Jahresberichte der BIS, der GFSR des IMF und der Reports der Fed an den US-Congress heute schon: Die Ursache der Vertrauenskrise war vielen verantwortlich Beteiligten schon lange bekannt, nämlich der Moral Hazard am Beginn der Wertschöpfungskette, wo Kreditvergabestandards nicht mehr galten und Kredite vergeben worden sind, deren Vergabe jeden deutschen Banker den Kopf kosten würde.

Aufsicht nicht mitgewachsen

Aber offenbar geblendet von einigen schönen Jahresergebnissen und im Glauben, die "Savings Glut" würde einen immerwährenden Zuwachs der Assetpreise garantieren, hat man mit leicht erhobenem Finger zugesehen, wo energisches und beherztes Einschreiten geboten gewesen wäre. Die gegenwärtige Krise der Finanzindustrie ist auch eine Folge der Tatsache, dass die Aufsicht mit den neuen Geschäftsfeldern der Finanzindustrie nicht mitgewachsen ist, besser gesagt, nicht mitwachsen durfte, weil mächtige politische Kreise vor allem in der angelsächsischen Welt glaubten und zum Teil immer noch glauben, man dürfe dem Finanzmarktkapitalismus keine "Fesseln" anlegen.

Nun ist der Jammer groß und die Folgen für Unbeteiligte werden immer deutlicher. Auch die so sagenhaft erscheinenden Gewinne vorangegangener Jahre erweisen sich im Strudel der Abschreibungen als flüchtig und nicht nachhaltig. Mit einer breiteren und konsequenteren Aufsicht auf allen Ebenen wäre mindestens das Ausmaß der Krise überschaubarer geblieben.

Es hat sich gezeigt, dass der Search for Yield, brutaler übersetzt, die Gier, die Mechanismen der Selbstkontrolle außer Kraft gesetzt hat. Nichts belegt das deutlicher als das Misstrauen der Banken gegeneinander. Sie kennen ihr eigenes Geschäftsgebaren und scheinen gute Gründe zu haben, warum sie der Marktgegenseite nicht mehr vertrauen. Sie vermuten, dass es auf der Marktgegenseite ähnlich, wenn nicht noch schlimmer zuging. Es gibt keine erwartbaren Maßstäbe, auf die man fest vertrauen könnte, weil sie von der Aufsicht streng auf Anwendung überprüft werden.

Deshalb schreit die derzeitige Situation gerade danach, mit einer strengen Aufsicht wieder sichere Erwartungen und damit Vertrauen durchzusetzen. Ein Verbriefungsgesetz für Deutschland oder besser für Europa müsste deshalb die ganze Wertschöpfungskette der Verbriefungen, vor allem aber deren Anfang, strengen Regeln und einer strengen Aufsicht unterwerfen.

Das gilt auch dann, wenn festgestellt wird, dass deutsche Originators nach ihren eigenen Regeln selber keinen Anlass gegeben haben, ihnen zu misstrauen. Nach allem, was geschehen ist, wird weltweit das Vertrauen in freie Standards oder Zertifikate erst wieder ganz langsam wachsen. Da aber Verbriefungen schon heute und jetzt wichtige Instrumente der Kreditversorgung der kleinen und mittleren Unternehmen sind, muss dieses verloren gegangene Vertrauen möglichst schnell wiederhergestellt werden.

Rolle der Ratingagenturen und des Ratings revidieren

Die Ratingagenturen spielten in der Krise eine verhängnisvolle Rolle, weil die Grenzen der Aussagekraft, zum Beispiel ihres Triple A, bewusst oder unbewusst verdrängt worden sind. Die Ratingagenturen haben die Produkte durch allerlei Beimischungen und Trigger auf AAA gebracht und den Eindruck erweckt, sie seien so sicher und liquide wie Staatsanleihen. Es war ja auch eine wunderbare Reduktion von Komplexität, in strukturierte Papiere je nach Risikoappetit investieren zu können im Vertrauen darauf, dass die Vorarbeit, nämlich die richtige Bearbeitung und Einschätzung der unterliegenden Kredite, erfolgt ist und man vor bösen Überraschungen jenseits der Risikobewertungen bewahrt sei.

Es war indes anders. Von Jahr zu Jahr war die "Vintage" schlechter, weil am Ende Kreditstandards überhaupt keine Rolle mehr spielten. In einem Verbriefungsgesetz müssen deshalb für Produkte, die unter Berufung auf dieses Gesetz beworben werden, strengste Vorschriften für die Prüfung und Haftung der Ratingagentur und des Originators enthalten sein, die die Gewissheit verschaffen, dass normalerweise außerhalb des Risikoprofils nichts passiert.

Transparenz und Offenheit als Grundlage neuen Vertrauens

Es stellt sich auch die Frage, ob nicht für die strukturierten Papiere eine eigene Nomenklatur geschaffen werden muss, weil es sich eben als irreführend erwiesen hat, die klassische Bewertungsnomenklatur heranzuziehen. Es hat sich leider gezeigt, dass das Rating AAA sehr labil sein kann. Andererseits kann die Sicherheit des Urteils und seine Stetigkeit in erster Linie von dem Prozess des Generierens beeinflusst werden. Es wäre also für alle Beteiligten besser, mit einer Nomenklatur zu arbeiten, die die Unterschiede zwischen Staatsanleihen und strukturierten Produkten berücksichtigt.

Ein Verbriefungsgesetz muss Produkte hervorbringen, die nach Einschätzung und Erfahrung aller Beteiligten nicht "opaque", sondern transparent und klar sind. Jeder Investor, der in Produkte, generiert nach dem Verbriefungsgesetz, investiert, muss sich darauf verlassen können, dass die verbrieften Aktiva als verbriefungsfähig nach dem Gesetz bewertet worden sind. Verschachtelungen verschiedener Aktiva, die die Klarheit beeinträchtigen, müssen ausgeschlossen sein. Ob Enhancements zu Zwecken der Ratingverbesserung in Produkten nach dem Verbriefungsgesetz erlaubt werden sollen, muss geprüft werden. Gerade die Enhancements und die damit verbundenen Trigger bei Verschlechterungen einzelner Beimischungsbestandteile haben ja die Risikobeurteilung und damit das Investment in Massenprodukte besonders und bis heute kaum lösbar erschwert.

Das Reporting über den Entstehungsprozess des Produkts und über die laufende Entwicklung des unterliegenden Asset-Portfolios ist eine zentrale Leistung von Originatoren, die verloren gegangenes Vertrauen wieder erwerben wollen. Ähnlich wie es heute schon auf vertraglicher Basis zum Beispiel die TSI-Reportinganforderungen vorsehen, müssen die Investoren klare Informationsrechte und regelmäßige Einsichten bekommen. Die Strukturen und Verantwortlichkeiten der Beteiligten müssen klar ausgewiesen sein.

Als Vorläufer einer europäischen Regelung

In einem Verbriefungsgesetz muss eine Reihe zivil-, insolvenz- und steuerrechtlicher Fragen geklärt werden, deren Bedeutung vor dem Hintergrund des Vertrauensverlustes im Hinblick auf den Originierungsprozess allerdings aktuell etwas in den Hintergrund geraten ist. Ihre Bedeutung wird wieder hervortreten, sobald sich der Markt erholt haben wird. Ein deutsches Verbriefungsgesetz, möglichst im Rahmen einer europäischen Richtlinie oder als Vorläufer einer europäischen Regelung, muss dazu führen, dass die inländischen Finanzstandorte nicht allein wegen des Rechtssystems weniger Chancen haben.

Die schon agierenden Plattformen für Verbriefung zeigen, dass auf der Grundlage des geltenden Rechts Verbriefungen in Deutschland möglich sind, auch wenn sich noch viele lieber dem luxemburgischen Verbriefungsgesetz unterwerfen. Es muss das Ziel der Branche und der Politik sein, deutschen Verbriefungsprodukten dasselbe Vertrauen zu erarbeiten, das sich deutsche Pfandbriefe wegen der besonderen Art der Regulierung erworben haben. Je komplexer die Finanzwelt wird, desto mehr werden auch professionelle Anleger, die täglich riesige Volumina zu bewerten und zu bewegen haben, die Verlässlichkeit solcher unter strengen Kautelen generierter Finanzprodukte schätzen. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Vertrauenskrise auf den Finanzmärkten werden streng regulierte und beaufsichtigte Produkte am ehesten neue Chancen bekommen.

Ziel sollte es sein, allen Marktteilnehmern ein Regelwerk an die Hand zu geben, das wie zum Beispiel das Luxemburger Verbriefungsgesetz sichere und effizient strukturierte Produkte erzeugen und verbreiten hilft. In allen Fällen, in denen ein bestimmter, auch steuerlicher Effekt, durch das Ausweichen auf ausländische oder Off-shore-Standorte erreicht werden kann, ist es besser, im Sinne der inländischen Wertschöpfung und der inländischen Arbeitsplätze Regelungen zu finden, die ein Ausweichen auf nicht inländische Standorte überflüssig machen. Jede Art von erwünschter Verbriefungsaktion sollte auch über inländische Zweckgesellschaften abgewickelt werden können.

Aufbauend auf den Erfahrungen der True Sale International GmbH zum Beispiel kann ein europäisches oder auch vorab ein inländisches Gesetzeswerk geschaffen werden, das dazu beiträgt, wieder Vertrauen und damit Liquidität und Investitionen in den Verbriefungsmarkt zu holen. Sobald der Sturm vielleicht im Herbst oder Ende 2008 abgeklungen ist, werden wieder viele die Freiheit der Märkte einfordern. Diese Freiheit hat in der jüngsten Krise mehr gekostet, als die Beteiligten bisher tragen mussten oder in Zukunft noch zu tragen haben werden. Es war und ist noch das ganze Finanzsystem im Stress.

Mehr Ordnung auf den Finanzmärkten

Zur Rekapitalisierung der verlustreichen Banken müssen die Sovereign Wealth Fonds eingeladen werden. Das wird langfristig enorme Auswirkungen auf die Finanzindustrie und die finanzielle Autonomie der westlichen Gesellschaften haben. Etwas weniger Gier und mehr Ordnung auf den Finanzmärkten wäre uns allen besser bekommen. Aber durch jede Finanzmarktkrise werden wir ja klüger. Hoffentlich!

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