Vermerkt

Bücher - Sparkassen- Betriebswirtschaft

Wenn man das Buch von Bernd Rudolph in den Händen hält, denkt man als noch junger Wissenschaftler zuerst: Endlich! Denn der Titel verspricht einen wohltuenden Kontrast zur aktuellen Entwicklung in der Betriebswirtschaftslehre der Kreditinstitute, bei der immer mehr Bücher zu immer marginaleren Forschungsfragen erscheinen und so den Blick auf das Ganze zunehmend verstellen. Bislang gibt es keine geschlossene, historisch orientierte Arbeit zur Geschichte der Betriebswirtschaft der Kreditinstitute. Daher füllt die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Betriebswirtschaft der Sparkassen - also mit einer der drei "Säulen" der Kreditwirtschaft nicht nur eine große Lücke, sondern stellt zugleich einen willkommenen Beitrag zu einer zentralen kreditwirtschaftlichen Forschungsfrage dar, die das Selbstverständnis des Faches berührt.

Rudolph gliedert sein Buch in sieben Teile. Nach zwei einführenden Kapiteln mit Überblickscharakter geht er in den nachfolgenden Teilen ausführlich auf das externe und interne Rechnungswesen der Sparkassen sowie die Revision im Sparkassensektor ein. Damit spricht das Buch zwar die wesentlichen Funktionenlehren einer Sparkassenbetriebswirtschaft an, lässt aber andere Funktionenlehren wie etwa Marketing, Personal oder Organisation im Schatten des übermächtigen Rechnungs- und Revisionswesens weitgehend unbeachtet zurück. Dass der Titel des Buches dadurch etwas mehr verspricht als der Text hält, kann die Leselust jedoch nicht trüben.

Nach der Einleitung mit einer Definition von Aufgaben und Inhalten einer Geschichte der Sparkassenbetriebswirtschaft in Teil 1 widmet sich Teil 2 den Anfängen und Entwicklungslinien der Sparkassenbetriebswirtschaft. Ausgehend von einer Untersuchung des Begriffs "Sparkassenbetriebswirtschaft" wird die wechselseitige Abhängigkeit von den Entwicklungen in der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre, in der Betriebswirtschaftslehre der Banken und in der Sparkassenpraxis theoretisch fundiert beschrieben.

In Teil 3 geht der Autor auf die Entwicklung der externen Unternehmensrechnung und der Revision im Sparkassensektor ein, indem er eine Linie von den Anfängen des externen Rechnungswesens zu Beginn des 19. Jahrhunderts über die Mühen einer Vereinheitlichung der Rechnungslegung im Spannungsfeld aus Kameralistik und kaufmännischer Buchführung bis hin zur Bankbilanzrichtlinie von 1986 und zur kapitalmarktorientierten Rechnungslegung zieht.

Seine Ausführungen zur Revision beginnen mit dem Revisionswesen in den preußischen Sparkassen und zeichnen den Weg von einer staatlichen Revision hin zu einer Verbandsrevision um die Jahrhundertwende nach. Rudolph zeigt auch, wie neue Geschäftsfelder die Revisionstätigkeit ausdehnten und wie sich Sparkassenrevision und Abschlussprüfung vor und nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten.

Die Teile 4 bis 6 widmen sich dem internen Rechnungswesen im Sparkassensektor, wobei Teil 4 eine Brückenfunktion einnimmt, da er neben den Aufgaben des internen Rechnungswesens und den Anfängen des Controllings die Entwicklungen vor und nach der Bankenkrise der 1930er Jahre untersucht. Auch hier war eine Bankenkrise eine wichtige Zäsur und mündete Jahre später in eine grundlegende konzeptionelle Erkenntnis, nämlich in die gedankliche Zerlegung bankbetrieblicher Leistungsprozesse in den technisch-organisatorischen Bereich (Betriebsbereich) und den liquiditäts-mäßig-finanziellen Bereich (Wertbereich). Diese Aufteilung und deren klassifikatorische Begriffbildung reichen bis in die fünfziger Jahre zurück und dienen seither als Basis für die Analyse sogenannter "wesensgleicher" Zusammenhänge.

Dem folgt auch Rudolph, der in Teil 5 zuerst die Kalkulationsverfahren des tech-nisch-organisatorischen Bereichs bespricht. Seine kenntnisreichen Ausführungen beginnen bei den Anfängen der Voll- und Teilkostenrechnung sowie den Grenzplan- und Standardeinzelkostenrechnungen und reichen bis zu neueren Entwicklungen bei der Prozesskostenrechnung, dem Benchmarking, dem Target und Life Cycle Costing sowie dem Zero-Base-Budgeting und der Balanced Scorecard für Sparkassen. Konsequenterweise beschäftigt sich Teil 6 anschließend mit der Entwicklung der Kalkulationsverfahren des liquiditätsmä-ßig-finanziellen Bereichs, worunter die Gesamtzinsspannenrechnung genauso fällt wie die Pool-, Schichtenbilanz- und Marktzinsmethode. Diese sachkundig vermittelten Inhalte werden noch um Fragen des Risikocontrollings in Kreditinstituten ergänzt, bevor Rudolph mit einem knappen Fazit schließt.

Das Buch zeichnet ein üppiges Literaturverzeichnis aus. Das Stichwortverzeichnis erleichtert einen raschen Zugriff. Aus didaktischer Sicht sind die kurzen informativen Exkurse zu loben. Mit den im Text herausgehobenen Zitaten erschließen sich dem historisch interessierten Ökonomen wahre Fundgruben. An dieser Stelle sollen aber auch noch drei Punkte kritisch angesprochen werden, die dem Rezensenten, der wohlgemerkt kein Historiker ist, am Herzen liegen. So hätte man vor dem Hintergrund des Einzuges der kapitalmarktorientierten Rechnungslegung und der aktuellen Finanzmarktkrise gern mehr erfahren vom Weg der deutschen Rechnungslegung weg vom Investorenschutz und seiner Hinwendung zum Gläubigerschutz als Ergebnis der Bankenkrise 1873.

Der zweite Punkt betrifft die Dualismusthese, in deren Zusammenhang auf Seite 109f. am Beispiel der Überweisung kritiklos das Argument vorgetragen wird, es gäbe "Stückleistungen" ohne "Wertleistungen". Man kann jedoch keine bankbetriebliche Marktleistung, wenn sie in § 1 Abs. 1 oder 1a KWG genannt ist, dazu nutzen, den Dualismus bankbetrieblicher Leistungserstellung in Abrede zu stellen. Denn jedes einzelne in § 1 Abs. 1 oder 1a KWG genannte Bankgeschäft konstituiert nach § 1 Abs. 1b KWG ein Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut mit seinen zahllosen Haftungs- und Eigenkapitalvorschriften.

Die bei der Leistungserstellung anfallenden Haftungs- und Eigenkapitalkosten müssen verursachungsgerecht jeder einzelnen Marktleistung anteilmäßig aufgebürdet werden. Da die Überweisung nach § 1 Abs. 1 Nr. 9 KWG schon immer ein Girogeschäft darstellt, kann sie nur bei Vorhandensein angemessenen Haftungspotenzials, unter Inkaufnahme von Haftungs- und Eigenkapitalkosten und mithin nur unter Beteiligung des liquiditätsmäßig-finanziellen Bereichs erstellt werden.

Drittens hätte man gern einen Schüler Ludwig Mülhaupts, nämlich Hans-Dieter Deppe, im Literaturverzeichnis aufgenommen gesehen. Und das nicht nur wegen seiner kreditwirtschaftlichen Beiträge zu theoretisch-deduktiven Analysen (ZfbF 1966, Seiten 616 bis 648) oder zu Wachstumsanalysen (ZfB 1964, Seiten 353 bis 381; Habilitationsschrift 1969), sondern vor allem deshalb, weil er die beiden, das vorliegende Buch durchziehenden Begriffe "technisch-organisatorisch" und "liquidi-tätsmäßig-finanziell" geprägt und konzeptionell verankert hat (vergleiche Deppes Beitrag in der von ihm herausgegebenen Festschrift für Mülhaupt 1978).

Die Kritikpunkte können und sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier ein ausgesprochen lesenswertes Buch mit Vorbildcharakter vorliegt, dem unter Wissenschaftlern, Praktikern und Studenten eine große Resonanz sowie in jeder anderen "Säule" zumindest ein Nachahmer zu wünschen sind.

Prof. Dr. habil. Jan Körnert, Universität Greifswald

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