Aufsätze

Compliance im Kapitalmarkt: pure Bürokratie oder Chance im Wettbewerb?

Das Jahr 2012 ist angebrochen: Compliance, mit Umsetzung der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie 1995 im WpHG in Deutschland verankert, ist mit seinen 17 Jahren nun nahezu volljährig geworden. Die Entwicklung aufsichtsrechtlich geprägter Compliance-Regularien ist sprunghaft angestiegen. Angefangen von Finanzmarktförderungsgesetzen, Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetzen, Finanzmarktrichtlinienumsetzungsgesetzen, der MaComp und bis hin zu den durch die MiFID II sichtbar werdenden Tendenzen wird die Taktfrequenz bei der Umsetzung compliance-relevanter Vorgaben von Jahr zu Jahr deutlich höher.

Viele kleinere Maßgaben

Dabei stellen die genannten Gesetzeswerke und Schreiben der BaFin nur die großen aufsichtsrechtlichen Initiativen dar. Viele kleinere Maßgaben, zum Beispiel Leerverkaufsverbote diverser europäischer Aufsichtsbehörden haben ebenfalls erheblichen Umsetzungsbedarf nach sich gezogen, zum Teil sehr kurzfristig, teilweise auch innerhalb weniger Stunden (so beispielsweise die BaFin Allgemeinverfügung vom 18. Mai 2010).

In der Praxis gewinnt man zunächst den Eindruck, dass Dokumentationsanforderungen deutlich zugenommen haben. Diese münden in vermehrten Kontrollen durch die Compliance-Funktion auf zweiter Ebene. Bei der Internen Revision auf dritter Ebene und bei den Fachbereichen auf erster Ebene erfolgen ebenfalls Kontrollhandlungen in unterschiedlicher Intensität. Diese, die Fachbereiche, sind nach MaComp AT6.2 für die Umsetzung compliance-relevanter Vorgaben verantwortlich. Zunehmende Kontrolldichten bei Compliance-Funktionen und internen Revisionen scheinen den Bürokratismus zunächst zu verstärken.

Dokumentation alleine ist allerdings nicht der Königsweg bei der Lösung compliancerelevanter Fragestellungen. In der Praxis kristallisiert sich ein klarer Trend heraus. Auch wenn compliance-relevante Regelungen zuzunehmen scheinen, werden gut funktionierende Compliance-Organisationen mittlerweile als erheblicher Wettbewerbsfaktor im Markt wahrgenommen.

Die Compliance-Funktion hat zwar eine Zunahme in der Kontrollfunktion zu verzeichnen, agiert aber weiterhin als adäquater und dauerhafter Berater und Partner der Geschäftseinheiten. Die Prämisse, "Wer besser berät muss weniger kontrollieren" hat zur Folge, dass aufsichtsrechtlich geprägte Geschäftsprozesse die wenig fehlerbehaftet sind, zu Vorteilen im hart umkämpften Wettbewerbsumfeld führen können.

Ein Schutzmechanismus

Es gilt somit festzuhalten: Nicht trotz Compliance erfolgt eine bessere Positionierung im Wettbewerbsumfeld, sondern wegen Compliance! Hierfür gibt es mittlerweile eine Reihe von Beispielen.

Das Anlageberatungsprotokoll: Das Schuldverschreibungsgesetz hat am 1. Januar 2010 aufsichtsrechtlich gefordert, Gespräche im Rahmen der Wertpapierdienstleistung Anlageberatung zu dokumentieren. Der zunächst unter Verbraucherschutzgesichtspunkten diskutierte Antritt des Verbraucherschutzministeriums (Beipackzettel) führte zunächst dazu, dass das Anlageberatungsprotokoll als erhebliche Belastung für den Bankensektor aufgrund erhöhter Dokumentationsanforderungen wahrgenommen wurde.

Mittlerweile hat sich herauskristallisiert, dass bei richtigem und optimalem Einsatz von Anlageberatungsprotokollen nicht nur der Verbraucher geschützt wird, sondern eben und gerade das die Anlageberatung durchführende Institut. Denn es gilt festzuhalten, dass es bei richtigem und vollständigem Ausfüllen des Anlageberatungsprotokolls Anlegern deutlich erschwert wird, gegen Banken wegen Falschberatung im Rahmen der Anlageberatung vorgehen zu können.

Eine auf den ersten Blick somit als Belastung wahrgenommene zusätzliche Dokumentationsanforderung stellt nun bei genauer Betrachtung einen Schutzmechanismus - und das auch auf zivilrechtlicher Ebene - für das jeweilige Kreditinstitut dar. Und hier kommt nun die Compliance-Funktion ins Spiel. Um die Anlageberatungsprozesse optimal zu strukturieren, ist die Compliance-Funktion proaktiv und präventiv dauerhaft mit den jeweiligen Geschäftseinheiten im Gespräch. Dabei werden, beispielsweise in sogenannten Review Teams, Anlageberatungsprotokolle und Anlageberatungssituationen regelmäßig und dauerhaft bewertet. Prozesse werden fortwährend angepasst und verbessert.

Chancen auf Geschäft

Das zum Schutz der Bank gespannte Netz zur Vermeidung aufsichtsrechtlicher Verfehlungen wird durch eine gute Compliance deutlich engmaschiger. Ein enger und gegenseitiger Austausch mit der Internen Revision hinsichtlich des Vorgehens bei der Abarbeitung der Überwachungspläne (durch die Compliance-Funktion) sowie der Prüfpläne (durch die Interne Revision) verstärken diese Tendenz noch. Daraus folgende zivilrechtliche Haftungsansprüche und Reputationsschäden können bei optimalem Einsatz von Compliance-Funktionen somit deutlich vermindert werden. Das der Anlageberatung immanente Compli-ance-Risiko sinkt somit.

Mandatsverhältnisse zwischen Kunden und Kreditinstitut: Nicht nur im internationalen Geschäft, sondern mittlerweile auch im nationalen Geschäft zeigt sich die Tendenz, dass Kunden Compliance-Strukturen hinterfragen, bevor Mandate an die jeweilige Bank vergeben werden. Kunden möchten, bevor sie bestimmte Mandate an Kreditinstitute vergeben, auch detailliert Auskunft über vorhandene Compliance-Strukturen bekommen. Dies kann bei der Vergabe beispielsweise von sogenannten Depotbankmandaten, aber auch bei In-vestmentbanking-Mandaten der Fall sein.

Interessenkonflikt vermeiden

Das Ziel dabei ist, jeweils für den Kunden potenzielle Interessenkonflikte zu seinen Lasten sowie zulasten anderer Kunden zu vermeiden sowie die vertrauliche Behandlung sensitiver (Insider-)Informationen sicherzustellen. Dies bedeutet, dass bei guter Compliance eines Instituts und somit in der Folge einer gut funktionierenden Com-pliance-Organisation eine deutliche Steigerung der Wahrscheinlichkeit für den Zuschlag zu einem Mandat zu erwarten ist. Gute Compliance führt an dieser Stelle somit zu einer möglichen Zunahme von Geschäftsaktivitäten zugunsten des jeweiligen Instituts.

Mögliche Auswirkung auf Ratings: Ratingagenturen achten bei der Vergabe von Ratings auch auf das Risikomanagement in den jeweils bewerteten Unternehmen und beziehen dabei mittlerweile zunehmend Aspekte der Corporate Governance- und Compliance-Strukturen mit ein. Gravierende Mängel in der Corporate Governance inklusive der Compliance-Funktion könnten in einem Worst-Case-Szenario dazu führen, dass, unter Berücksichtigung weiterer Faktoren, die Bewertung des Instituts mit einem Abschlag erfolgen kann.

Günstige Auswirkungen auf das Rating

Ratings haben für das Institut zur Folge, dass die Refinanzierungskosten, also die Kosten, die für das Institut entstehen, um Geld am Kapitalmarkt aufnehmen zu können, bei einem verschlechterten Rating steigen können. Bleibt das Rating hoch oder verbessert es sich - möglicherweise auch unter Mitberücksichtigung von guten Compliance-Strukturen - kann dies dazu führen, dass die Refinanzierungskosten eines Instituts niedrig bleiben. Gute Compli-ance-Strukturen können somit auch einen positiven (Teil-)Beitrag zu niedrigen Refinanzierungskosten leisten.

Die genannten nicht abschließenden Beispiele zeigen, dass Compliance-Funktionen gerade in ihrer jeweiligen Schutz- und Marketingfunktion für das einzelne Unternehmen gerade keinen bloßen Bürokratismus, sondern eine Chance für das Institut im Wettbewerb mit anderen Instituten darstellt.

Diesen deutlich erkennbaren Trend verstärkt insbesondere die derzeit aktuell geführte Diskussion um die Umsetzung der sogenannten MiFID-II-Richtlinie. Hier hat die ESMA ein Konsultationspapier zur Compliance-Funktion veröffentlicht, das sich an die in Deutschland bestehenden Regularien der BaFin zur MaComp (Mindestanforderungen an Compliance) orientiert. Aufgaben und Zuständigkeiten von Compliance-Funktionen werden auch in Zukunft noch weiter zunehmen. Die Wahrnehmbarkeit einer guten Compliance sowohl zugunsten der Kunden eines jeweiligen Instituts als auch zugunsten des Instituts selbst wird somit weiter erhöht.

Zusatznutzen

Compliance leistet folglich einen positiven Wertbeitrag im Rahmen des qualitativen Risikomanagements bei der Vermeidung von Compliance-Risiken. Das Ziel muss es dabei sein, dass Geschäfte gerade unter Einsatz von aktivem Compliance Advisory ermöglicht werden können. Compliance trägt damit als wesentlicher Faktor einen Zusatznutzen zu den Gewinnen der Marktbereiche bei. Diesen Trend gilt es - trotz weiterhin zunehmenden Bürokratismus weiter zu verstärken.

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