Gespräch des Tages

Deutsche Börse - Erfolgreicher Schwebezustand

Ob die Deutsche Börse bei der europäischen Börsenkonsolidierung den Kürzeren gezogen hat oder nicht? Ob das vertikale Geschäftsmodell zukunftsträchtig ist oder nicht? Ob der Fokus auf organisches Wachstum eine realistische Option ist oder nicht? All diese Fragen scheinen beim Blick auf die Geschäftsergebnisse des Unternehmens fürs Erste beantwortet. Im vergangenen Jahr hat der nach Börsenkapitalisierung größte Marktbetreiber der Welt seinen Umsatz um stattliche 18 Prozent auf 2,2 Milliarden Euro ausgebaut. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Wertminderungsaufwand für Geschäfts- oder Firmenwerte (Ebita) kletterte derweil inklusive außerordentlicher Erträge aus dem Verkauf von Luxemburger Immobilien von 120 Millionen Euro - um 31 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro; um 36 Prozent auf 912 Millionen Euro erhöhte sich der Konzernüberschuss. Das Ergebnis je Aktie schnellte insgesamt um 40 Prozent auf 4,70 Euro hoch - samt wahrlich schöner Konsequenzen für alle Aktionäre, die in erster Linie profitieren sollen.

Denn das tun sie im Übermaß: Gleich der gesamte Gewinn des vergangenen Jahres soll statt "in die Zukunft investiert" etwa hälftig per Dividende und Aktienrückkäufe an die Anteilseigner ausgeschüttet werden. Spätestens seit dem Beginn des Aktienrückkaufprogramms vor drei Jahren ködern Ausschüttungen und Kursgewinne die Anleger. Das Resultat: Das Papier hat allein im Verlauf des letzten Jahres um 95 Prozent zu gelegt, samt Split im Juni; seit dem Jahr 2003 ist die Aktie von 20 auf 120 Euro gestiegen. Beunruhigend ist, dass man es in Frankfurt (bald Eschborn) nun noch auf die Spitze treibt und um Spielraum für weitere Ausschüttungen zu haben sogar neue Schulden machen will.

Was aus Anlegersicht zunächst das Schlaraffenland verheißt, könnte aber bald problematisch werden. Der Blick auf die Kennzahlen zeigt nämlich, dass sich das Kurs-Gewinn-Verhältnis von 20,7 Prozent im Jahr 2006 auf jetzt 31,4 Prozent aufgebläht hat. (Nur zum Vergleich: Im Dax liegen etwa die Deutsche Bank bei 7,4 Prozent, die Commerzbank bei 9 Prozent und die Deutsche Postbank bei 13,8 Prozent; überhaupt nur TUI schlägt die Börse mit einem KGV von 34,2 Prozent.) Diese Kennzahl ist bei anderen weltweiten Marktbetreibern zum Teil zwar ähnlich hoch. Dennoch könnte, zusammen mit der fehlenden Investitionstätigkeit (vom Erwerb der Optionsbörse International Securities Exchange einmal abgesehen) irgendwann die Frage nach der zukunftsweisenden strategischen Weichenstellung aufkommen.

Derzeit freilich steht Frankfurt mit einer ausgereiften technologischen Basis und immer neuen Rekordergebnissen im Wettbewerb der Börsenbetreiber gut da. Denn auch die internationalen Wettbewerber Nyse/Euronext und Nasdaq/Dubai/OMX müssen die Validität ihrer neuen transkontinentalen Geschäftsmodelle erst einmal unter Beweis stellen - zumal das Reiten auf der Übernahmewelle auch nicht per se als strategisch phantasievoll einzuordnen ist. Es bleibt aber die Frage, ob das (erzwungene) Frankfurter Konzept des weitgehend organischen Wachstums und glücklicher Aktionäre schnelle Reaktionen auf etwaige Vorstöße der Wettbewerber erlaubt und ob es die Anleger auch auf Dauer zufrieden stellen kann. Von unternehmerischer Lethargie in Frankfurt zu sprechen, wäre sicherlich zuviel. Aber konkrete strategische Absichten vermisst man dennoch. Sei's drum, 2008 wird wohl wieder ein Rekordjahr werden, sowohl für die Börse als auch für ihre Aktionäre. In Sachen Geschäfts- und Kennzahlen schwebt die Deutsche Börse derzeit über den Dingen. Hoffentlich tut sie das - finanztechnisch wie strategisch - nicht ziellos.

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