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Finanzielle Fragmentierung: Wie lässt sich die Abhängigkeit der Kreditrisiken im Banken- und Staatssektor reduzieren?

Der Zusammenhang zwischen dem Kreditrisiko des Bankensektors der Eurozone und dem seiner Mitgliedstaaten hat seit dem Ausbruch der globalen Wirtschaftskrise im Jahr 2007 deutlich zugenommen. Dies spiegelt die stark gestiegene Fragmentierung der Finanzmärkte der Eurozone wider. Die gegenseitige Abhängigkeit der Kreditrisiken der beiden Sektoren kann zu unerwünschten Rückkoppelungen in Rezessionen führen und hat die gegenwärtige Wirtschaftskrise deutlich verstärkt. Dieser Beitrag analysiert wie es zu dieser gegenseitigen Abhängigkeit kam, welche Maßnahmen bisher getroffen wurden, mit dem Ziel, diese zu durchbrechen, und welche weiteren Maßnahmen hierfür dringend erforderlich sind.

Mehrere Phasen der Eurokrise

Der Verlauf der Eurokrise kann anhand bestimmter politischer und ökonomischer Ereignisse in mehrere Phasen unterteilt werden, die auch für die Entwicklung des Zusammenhangs der Kreditrisiken des Banken- und Staatssektors in der Eurozone entscheidende Meilensteine darstellten. Die erste Phase begann mit dem Ausbruch der Krise auf dem Markt für hypothekenbesicherte Wertpapiere aus den USA im Juni 2007. Sie endete mit dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008.

Lag der durchschnittliche Preis eines CDS auf eine Bank der Eurozone vor Juni 2007 im Durchschnitt noch bei 14 Basispunkten, stieg er innerhalb dieses Zeitraums auf 141 Basispunkte an. Dies hatte auch Auswirkungen auf die Bonität der Staaten: Probleme im Bankensektor führten zu einer Reduzierung des Kreditangebots, was sich negativ auf die Investitionen, das Wachstum und damit auf die Steuereinnahmen auswirkte. Der durchschnittliche CDS-Preis eines Staates der Eurozone erhöhte sich trotzdem zunächst lediglich moderat auf 27 Basispunkte. Der von den USA ausgehende Stress im globalen Finanzsystem hatte vor allem die Kreditrisiken im europäischen Bankensystem erhöht. Viele Institute gerieten in so schwere Schieflagen, dass sie durch ihre Heimatstaaten gerettet wurden.

Die zweite Phase der Krise begann mit der Rettung des heimischen Bankensektors durch den irischen Staat am 30. September 2008. Dieser sprach eine Garantie im Umfang von 244 Prozent des Bruttoinlandprodukts für die Verbindlichkeiten der irischen Banken aus. Zwischen Oktober 2008 und Mai 2010 stellten dann fast alle Länder der Eurozone Rettungspakete für ihre Banken zusammen, die in Summe die Grenze von einer Billion Euro überschritten.

Das Ziel der Rettungen war, Zusammenbrüche von Finanzinstituten zu verhindern und die damit verbundenen Risiken für die ohnehin schwer angeschlagene Konjunktur einzudämmen. Insgesamt schien die Strategie der Staaten zunächst aufzugehen: Der durchschnittliche CDS-Preis einer Bank der Eurozone, der zwischenzeitlich auf 220 Basispunkte geklettert war, fiel bis Anfang des Jahres 2010 wieder auf sein Niveau von rund 100 Basispunkten kurz vor dem Zusammenbruch der Bank Lehman Brothers zurück. Durch den Risikotransfer vom Banken- zum Staatssektor stieg der durchschnittliche CDS-Preis für Letzteren auf 70 Basispunkte zwar an.

Risiken einer Staatspleite neu bewertet

Die Teilnehmer im Markt für Kreditausfallversicherungen erkannten das durch die Rettungsaktionen gestiegene Risiko eines Zahlungsausfalls eines Staates und preisten es entsprechend ein. Jedoch hielten sie die eingegangenen Risiken angesichts der aus heutiger Sicht moderaten staatlichen Schuldenstände für vertretbar. Die Wahrscheinlichkeit einer Pleite eines Euro-Staates wurde als äußerst gering eingeschätzt. Die Transmission von Kreditrisiken fand weitgehend in eine Richtung statt: von Banken zu Staaten. Durch die Zuspitzung der Lage in Griechenland Anfang des Jahres 2010 wurde ein solches Szenario jedoch immer realistischer.

Damit trat die Eurozone in die dritte Phase der Krise ein. Die Risiken einer Staatspleite wurden neu eingeschätzt. Der durchschnittliche CDS-Preis für die Staaten der Eurozone stieg bis zum Schuldenschnitt auf griechische Staatsanleihen im Oktober 2011 auf über 500 Basispunkte an. Dies hatte über verschiedene Wirkungskanäle drastische Rückwirkungen auf das Kreditrisiko des Bankensektors: Banken sind wichtige Investoren im Markt für Staatsanleihen. Verschlechtert sich die Kreditwürdigkeit eines Staates, bis hin zu einem Zahlungsausfall, fällt der Preis seiner Anleihen, und die Banken machen Verluste aus diesen Investitionen. Außerdem werden Staatsanleihen als Sicherheiten für Refinanzierungsgeschäfte von Banken benutzt. Bei gestiegenem Kreditrisiko der Staaten sinkt der Wert dieser Sicherheiten, was die Refinanzierungsmöglichkeiten von Banken verschlechtert. Schließlich wurde auch der Wert der ausgesprochenen Garantien devaluiert.

Negative Rückkoppelungseffekte

Am Kapitalmarkt setzte sich die Überzeugung durch, dass einzelne Staaten sich durch ihre Stützungsmaßnahmen übernommen haben. Im Ernstfall würde die Einlösung der Garantien sie an den Rand ihrer finanziellen Kapazitäten oder sogar darüber hinaus bringen. Über diese Wirkungskanäle verschlechterte sich mit der Bonität der Staaten auch jene der Banken. Dies wiederum hatte über die beschriebenen Mechanismen - geringere tatsächliche oder erwartete Steuereinnahmen, höhere Wahrscheinlichkeit einer Einforderung der Garantien - negative Rückkoppelungseffekte. Eine Transmission der Kreditrisiken fand nun in beide Richtungen statt: von Banken zu Staaten und umgekehrt. Um die negative, die Krise verstärkende Spirale der Verschlechterung der Kreditrisiken zu durchbrechen, wurden auf nationaler sowie auf europäischer Ebene zahlreiche Maßnahmen getroffen.

Dabei kann unterschieden werden zwischen Maßnahmen, die der akuten Krisenbekämpfung dienen, und Maßnahmen, die präventiv die Stabilität der Bankensysteme in der Währungsunion gewährleisten sollen. So wurde mit dem Europäischen Rettungsfonds EFSF ab Frühjahr 2010 ein krisenbekämpfendes Instrument geschaffen, um den von einer Banken- und in der Folge Staatsfinanzkrise betroffenen Mitgliedsländern vorübergehend eine Refinanzierung zu vergünstigten Konditionen zu verschaffen. Wegen der im Gefolge der Bankenkrise gesunkenen Bonität waren die Finanzmärkte nur unter Einforderung hoher Risikoprämien bereit gewesen, die Regierungen der Krisenländer zu finanzieren; durch die hohe Zinsbelastung war die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen zusätzlich beeinträchtigt worden.

Neue Instrumente zur Krisenbekämpfung

Auch die von der Europäischen Zentralbank geschaffenen Instrumente zur Stabilisierung der Finanzmärkte dienten in erster Linie der Krisenbekämpfung. So hat die Notenbank den Banken gegen Sicherheiten unbegrenzt Liquidität zur Verfügung gestellt (full allotment) und immer wieder auch längerfristige Refinanzierungsgeschäfte für die Banken im Euroraum angeboten; auf diese Weise wird die Liquiditätsversorgung der Banken gesichert und die Gefahr gemindert, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten in Schieflage geratene Banken durch Kapitalinjektionen stützen müssen.

Umgekehrt hat die Europäische Zentralbank mit ihrer Ankündigung vom September 2012, erforderlichenfalls und gegen Auflagen stabilisierend auf dem Markt für Staatsanleihen einzugreifen (outright monetary transactions), die Nervosität auf den Finanzmärkten deutlich gesenkt und auch im Bankensystem für eine merkliche Entspannung gesorgt; dies lässt sich etwa am durchschnittlichen CDS-Preis einer Bank im Euroraum ablesen, der nach der OMT-Ankündigung im Juli 2012 deutlich zurückging. Dabei hat sich insbesondere die Risikobewertung bezüglich der Banken in den Krisenländern erheblich verbessert.

Mit den krisenbekämpfenden Maßnahmen wurde dringend notwendiger zeitlicher Spielraum erkauft, um die strukturellen Probleme in den Krisenländern zu beheben und auf europäischer Ebene das Institutionengefüge dergestalt anzupassen, dass die Funktionsweise der Währungsunion gewährleistet und ihr Fortbestand gesichert wird. Als dauerhafte Lösung für die Probleme in den Krisenländern und in der Währungsunion aber war etwa der Rettungsfonds EFSF nicht gedacht; vielmehr ist er - ebenso wie die Nachfolgeinstitution Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM) - klar als Krisenmechanismus konzipiert und sollte lediglich bei vorübergehenden Liquiditätsproblemen zur Stabilisierung der Finanzmärkte eingesetzt werden.

Erneute Verwerfungen nicht ausgeschlossen

Auch die stabilisierenden Maßnahmen der Europäischen Zentralbank sind nicht geeignet, die Probleme in den Krisenländern oder der Währungsunion dauerhaft zu lösen. Im Gegenteil birgt ein zu großzügiger Einsatz dieser Instrumente immer auch die Gefahr, dass die Lösung der strukturellen Probleme nicht mit der gleichen Konsequenz angegangen wird wie unter anderen Umständen. So ist es auch nicht überraschend, dass mit den ergriffenen Maßnahmen zur Stabilisierung der Finanzmärkte regelmäßig nur eine vorübergehende Wirkung erzielt werden konnte.

Allein die Ankündigung stabilisierender Eingriffe durch die EZB scheint etwas dauerhafterer Wirkung zu sein; dabei dürfte aber auch eine Rolle spielen, dass sich das gesamtwirtschaftliche Umfeld - auch in den Krisenländern - in den vergangenen Quartalen etwas aufgehellt hat und sich die Finanzmärkte daher auch vor diesem Hintergrund etwas beruhigt haben. Von Dauer muss diese ruhigere Phase aber nicht sein. Noch immer ist unklar, in den Bilanzen welcher Banken Gefahren für die Stabilität des Bankensystems liegen; immer noch ist die Gefahr von Bankenpleiten nicht auszuschließen, die zu erneuten Verwerfungen auf den Finanzmärkten führen könnten. Auch politische Risiken für die Stabilität in Europa sind weiterhin gegeben, trotz der sich etwas aufhellenden wirtschaftlichen Entwicklung in den Krisenländern.

Neuordnung der Währungsunion fortsetzen

Umso wichtiger ist es, die günstigeren Rahmenbedingungen zu nutzen, um die Neuordnung der Währungsunion fortzusetzen. Vor dem Hintergrund des in diesem Aufsatz skizzierten engen Zusammenhangs zwischen Banken- und Staatssektor ist eine verstärkte europäische Kooperation bei der Bankenaufsicht und -abwicklung, wie sie seit dem EU-Gipfel im Juni 2012 angestrebt wird, dringend zu begrüßen. Bereits im vergangenen Jahr wurden im Zusammenhang mit dieser sogenannten Bankenunion wichtige Schritte getan. So hat man sich auf einen einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM) verständigt, der frühestens ab Herbst 2014 die Aufsicht über die wichtigsten Banken im Euroraum übernehmen wird. In Bezug auf die Restrukturierung und Abwicklung von Banken besteht aber noch Nachholbedarf, eine Abwicklung auf europäischer Ebene (Single Resolution Mechanism, SRM) ist bisher noch nicht abschließend beschlossen.

Sollten durch die europäische oder die nationalen Aufsichtsbehörden Missstände bei einer Bank aufgedeckt werden, so kann die Aufsichtsbehörde der Bank zwar die Zulassung entziehen; die dann folgende Abwicklung ist aber durch die nationalen Behörden durchzuführen. Die aus der Abwicklung entstehenden finanziellen Belastungen sind zudem weiterhin von den jeweiligen Mitgliedstaaten zu tragen. Die dargestellte gegenseitige Abhängigkeit zwischen Schieflagen im Bankensystem und den öffentlichen Finanzen kommt also weiterhin zum Tragen.

Vor diesem Hintergrund muss die Einrichtung einer europäischen Abwicklungsbehörde vorangetrieben werden; das von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Konzept, das eine Abwicklung im Zusammenspiel zwischen Kommission, EZB, nationalen Behörden und einem neu zu bildenden Single Resolution Board (SRB) vorsieht, kann als Zwischenlösung in Betracht kommen, da weitreichendere Lösungen mit einer unabhängigen europäischen Bankenabwicklungsbehörde einer Änderung der EU-Verträge bedürfen.

Bildung eines zentralen europäischen Abwicklungsfonds

Erforderlich ist zudem die Bildung eines zentralen europäischen Abwicklungsfonds, der die Folgekosten von Bankenrestrukturierungen und -abwicklungen trägt. Dessen Erfordernis ergibt sich aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre, dass bei Banken - anders als bei anderen Unternehmen - mit Blick auf die Vermeidung systemischer Krise eine Stabilisierung anstatt einer Liquidierung notwendig sein kann; die Stabilisierung wiederum kann mit Kosten verbunden sein, die nicht über den Kapitalmarkt gedeckt werden können. Um die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Bankensystem und öffentlichen Finanzen der Mitgliedsländer zu unterbrechen, sollte die Finanzierung der Abwicklung letzten Endes auf europäischer Ebene angesiedelt sein.

Dabei muss aber eine klare Haftungskaskade gelten: So müssen zunächst die Eigentümer der Banken für die Kosten der Restrukturierung aufkommen (bail-in). An zweiter Stelle sollte ein gemeinsamer Abwicklungsfonds stehen, der zumindest in der mittleren Frist ähnlich dem deutschen Einlagensicherungsfonds von den Banken zu tragen ist. Erst in letzter Instanz wäre ein europäischer Stabilisierungsfonds finanziert von den Mitgliedstaaten heranzuziehen (fiscal backstop). Diskutiert wird für diesen Zweck die Nutzung des ESM. Dies ist grundsätzlich eine denkbare Lösung; um der Transparenz willen erscheint es aber sinnvoller, für diesen Zweck eine neue Institution zu schaffen.

Neben der Bankenunion als substanzieller institutioneller Änderung auf europäischer Ebene bieten sich weitere Korrekturen insbesondere in der Regulierung an, um künftig den Zusammenhang zwischen Schiefl agen im Bankensystem und der öffentlichen Finanzen zu schwächen. Nach den Basel-II-Richtlinien - und auch in den laufenden Verhandlungen für Basel III - gelten europäische Staatsanleihen als risikofreie Anlage; sie müssen daher nicht mit Eigenkapital hinterlegt werden.

Diese regulatorische Besserstellung von Staatsanleihen führt zu einer systematischen Übergewichtung von Staatsanleihen in den Bankbilanzen und damit zu einer Verschärfung des Zusammenhangs zwischen Banken- und Staatsschuldenkrisen. Demgegenüber stehen die positiven fiskalischen Effekte, die aus der begünstigenden Regulierung und der daher niedrigeren Zinsen für öffentliche Schuldner erwachsen. Durch eine regulatorische Gleichstellung von Staatsanleihen würde es zu steigenden Finanzierungskosten insbesondere für Länder mit weniger soliden Staatsfinanzen kommen, die letztlich den Kosten einer Banken- und Staatsfinanzkrise gegenüberzustellen wären.

Fehlende Marktsanktionen für den Aufbau hoher Staatsschulden

Eine risikoäquivalente Verzinsung von Staatsanleihen hat jedoch durchaus viele Stärken. Vieles spricht dafür, dass die Zinskonvergenz im Euroraum vor der 2008-09 Krise - und damit das nahezu vollständige Verschwinden von Risikoprämien auf die Staatsanleihen auch weniger solide wirtschaftender Mitgliedsländer - mit zur Entstehung der Krise beigetragen hat, da es keine Marktsanktionen für den Aufbau hoher Staatsschulden gab. Ursächlich hierfür dürfte auch gewesen sein, dass das Bail-out-Verbot des Europäischen Vertrags - also das Verbot einer gegenseitigen finanziellen Unterstützung zwischen den Mitgliedstaaten der Währungsunion - von den Finanzmärkten in der Vergangenheit offenbar nicht ernst genommen wurde. Um dies zu ändern ist die Schaffung eines Insolvenzrechts für Staaten im Euroraum geboten: Nur ein geordnetes Verfahren bei drohenden Staatspleiten gewährleistet, dass sich die Staatengemeinschaft nicht mehr zur Unterstützung gezwungen sieht, wenn ein Mitgliedsland auf eine Insolvenz zusteuert; nur mit der Schaffung einer Insolvenzordnung wird die No-bail-out-Regel daher überhaupt durchsetzbar und damit glaubhaft.

Davon hängen wiederum die erwünschten Anreizwirkungen auf Seiten der Gläubiger ab, die bei einer drohenden Überschuldung von Staaten zu zurückhaltender Kreditvergabe führen sollten. Während in den ersten Monaten der Krise ein Insolvenzrecht für Staaten breit thematisiert wurde, hat das Thema sowohl auf der politischen wie auf der politikberatenden Ebene an Bedeutung verloren. Mit Blick auf die künftige Stabilität der Währungsunion wäre es höchste Zeit, dies zu ändern.

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