Interview

Frage an ... Stephan Götzl - Wie sollte die Genossenschaftsorganisation auf den Bericht der EU-Kommission zum Retail-Binnenmarkt reagieren?

Oberste Aufgabe der Verbände in der Genossenschaftsorganisation ist es, sich dafür einzusetzen, dass die Mitgliedsbanken Rahmenbedingungen vorfinden, die ihnen eine unternehmerische Tätigkeit ermöglichen. Deshalb müssen wir Anzeichen sehr ernst nehmen, die möglicherweise die unternehmerische Tätigkeit einschränken und damit zu Marktversagen führen.

Das, was wir seit geraumer Zeit aus der EU-Wettbewerbskommission zum Retail-Markt vernehmen, lässt uns hellhörig werden. Denn mit ihrem jüngsten Angriff hat Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes einmal mehr bewiesen, dass sie vom deutschen Bankensystem nicht allzu viel versteht - und womöglich auch nicht verstehen will.

Kein Wort über den englischen Bankenmarkt

Vor kurzem ist sie dadurch aufgefallen, dass sie deutschen Bankkunden vorwarf, zu immobil zu sein, weil sie zum Teil über Jahrzehnte einer Bank treu bleiben. Zwischenzeitlich hat sie ihre Agenda erweitert und beschäftigt sich grundsätzlich mit dem Retailgeschäft der Banken.

Ein Dorn scheint ihr dabei im Auge zu sein, dass insbesondere dezentrale Bankengruppen in diversen europäischen Ländern, so auch in Deutschland, hohe Marktanteile haben. Und deshalb will man prüfen, ob womöglich der Wettbewerb beschränkt ist und Marktzutrittsschranken herrschen. Im Visier hat man dabei vor allem die Genossenschaftsbanken.

Gleichzeitig wird aber kein Wort zum Beispiel über den englischen Bankenmarkt verloren, in dem mittlerweile weite Bevölkerungskreise von Bankdienstleistungen ausgeschlossen sind. Hier herrscht echtes Marktversagen durch Oligopole. Da hätte die EU-Kommission eine große Herausforderung zu bewältigen.

Zum bayerischen Markt lässt sich dagegen sagen: Oft sind die bayerischen Kreditgenossenschaften neben den Sparkassen die einzigen Kreditinstitute, die vor Ort anzutreffen sind. So verfügen die 336 Volksbanken und Raiffeisenbanken mit 3 275 Bankstellen über das dichteste Filialnetz in Bayern und sorgen für die Geldversorgung im ländlichen Raum. Je 100 Quadratkilometer existieren mehr als fünf genossenschaftliche Bankstellen.

Eine bedeutende Rolle innerhalb der Volkswirtschaft

Zum Vergleich: Bei Großbanken finden sich weniger als eine Geschäftsstelle auf 100 Quadratkilometer. Oder anders formuliert: 30 Bankstellen der Kreditgenossenschaften betreuen 100 000 Einwohner. Bei den Großbanken sind es maximal fünf Bankstellen. Nicht umsonst haben die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken allein im Freistaat mehr Geschäftsstellen als Hypovereinsbank und Commerzbank bundesweit zusammen.

Die Genossenschaftsbanken sind in Bayern so nah beim Kunden, wie keine andere Bank. In nicht einmal 2,5 Kilometer Entfernung ist statistisch gesehen die nächste Geschäftsstelle zu finden. Die Kunden von Großbanken müssen mit fast sechs Kilometern mehr als doppelt so weit fahren, um eine Bankstelle zu erreichen - und dann ist es im Zweifelsfall noch nicht die ihrer Hausbank.

Wichtiger Partner der mittelständischen Unternehmen

Die 336 bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken mit ihren über 34 100 Mitarbeitern - davon 2 278 Auszubildenden haben eine bedeutende Rolle innerhalb der bayerischen Volkswirtschaft. Mit ihrem bayernweiten Filialnetz leisten sie die Versorgung mit Finanzdienstleistungen in der Fläche; also genau dort, wo viele andere Banken längst nicht mehr tätig sind, weil ihnen das Geschäft als zu wenig lukrativ erschien.

Insbesondere mittelständische Betriebe, die 99 Prozent aller Unternehmen ausmachen, profitieren von der Präsenz der genossenschaftlichen Kreditinstitute in der Fläche. Denn als mittelständisch geprägte Unternehmen mit einer durchschnittlichen Bilanzsumme von 309 Millionen Euro je Bank kennen die bayerischen Kreditgenossenschaften die Bedürfnisse und Sorgen ihrer Kunden. Von diesem Vertrauensverhältnis profitieren beide Seiten.

Aktuell liegt die Summe der von bayerischen Genossenschaftsbanken ausgereichten Kredite bei über 60 Milliarden Euro. Darin eingeschlossen sind Unternehmenskredite in Höhe von mehr als 26 Milliarden Euro. Zudem vermittelten die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken mit über 47 Prozent aller Förderkredite der LfA Förderbank im Jahr 2006 mehr Kredite an Unternehmen als alle anderen Banken. Sie fördern mit ihren Krediten Investitionen und Zukunftschancen im ländlichen Raum. Sie geben den bayerischen Regionen Stabilität. Das bestätigte jüngst auch die Bayerische Staatsregierung in ihrem Programmentwurf für Bayerns ländlichen Raum.

Die Marktposition der bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken ist hart erarbeitet. Wir haben sie auch deshalb, weil andere den ländlichen Raum lange als unrentabel betrachtet haben und sich zurückzogen. Mittlerweile sind allerdings neue Wettbewerber mit einer Vielzahl von Vertriebswegen in den Markt eingetreten. Deshalb müssen wir unsere Position im Wettbewerb aktuell sehr wohl und heftig verteidigen.

Offener deutscher Bankenmarkt

Grundsätzlich gilt: Der deutsche Bankenmarkt ist zurzeit offen wie ein Scheunentor. Wenn man bedenkt, dass über drei Millionen Menschen in Deutschland jährlich Bankverbindungen eröffnen, kündigen oder verlagern, wird deutlich, dass enorme Bewegung im Markt herrscht. Die Kundenzuwächse der Direktbanken in den letzten Jahren stützen das. Der deutsche Bankenmarkt jedenfalls ist alles andere als abgeschottet und wie bereits festgestellt: Unsere Marktposition ist der Lohn harter Arbeit. Die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken müssen sich in Bayern gegen über 150 Konkurrenten behaupten. Von mangelndem Wettbewerb und Marktversagen kann da wahrlich keine Rede sein.

Deshalb gilt es unumwunden festzuhalten: Es ist das vornehmste Recht einer Wettbewerbskommissarin, darauf zu achten, dass ordnungspolitische Spielregeln nicht verletzt werden. Allerdings werden wir uns mit allen Mitteln zur Wehr setzen, wenn aus industriepolitischen Gründen und mit fadenscheinigen Argumenten versucht wird, Märkte dirigistisch neu zu ordnen. Vor allem dann, wenn damit womöglich die Wünsche jener erfüllt werden, die sich nicht die Mühe machen, Filialstrukturen selbst aufzubauen, sondern sie lieber per EU-Dekret zugeschlagen bekommen wollen. Die Aufgabe der Wettbewerbskommission muss darin liegen, für faire Marktverhältnisse unter den Anbietern zu sorgen. Alles andere ist mit einer sozialen Marktwirtschaft nicht zu vereinbaren - mit einem demokratischen Regierungssystem auch nicht.

Vertrauen als zentrales Element im Bankgeschäft Deshalb ist die Politik aufgefordert, marktwirtschaftliche Strukturen zu erhalten und sich darauf zu beschränken, Rahmendaten zu setzen. Ihre Aufgabe ist es, zu verhindern, dass in Deutschland von Investmentbankern dominierte Bankenoligopole entstehen - auch deshalb, weil der deutsche Finanzmarkt mit seiner jetzigen Bankenstruktur stabil ist. Dazu tragen im Übrigen Kreditgenossenschaften wesentlich bei. Sie sind finanziell stabiler als Geschäftsbanken. Das weist eine Analyse des Internationalen Währungsfonds von Januar 2007 eindeutig nach. Genossenschaftsbanken sind geringeren Renditeschwankungen ausgesetzt, weil sie nicht allein auf unternehmerisches Gewinnstreben ausgerichtet sind, sondern auch die Bedürfnisse ihrer Mitglieder bedenken. Außerdem kennen sie ihren regionalen Markt. Eine flächendeckende Versorgung mit Finanzdienstleistungen ist nur mit regionalen Banken sicher. Das dient dem Kunden!

Gewachsene und funktionierende Marktstrukturen

Wir haben in Deutschland im Bankenbereich gewachsene und funktionierende Marktstrukturen. Sie zeichnet vor allem eines ganz besonders aus: Stabilität. Stabilität erweckt Vertrauen. Vertrauen ist elementar für das Bankengeschäft. Für diese Stabilität sorgt ganz maßgeblich die Drei-Säulen-Struktur unseres Bankensystems. Diese Struktur ist ein Erfolgsmodell. Dieses Modell ist Garant für harten Wettbewerb unter den Banken - das nutzt dem Kunden. Deswegen warne ich davor, durch staatliche Markteingriffe dieses Modell zu gefährden und damit die umfassende Versorgung unserer Bankkunden mit finanzwirtschaftlichen Dienstleistungen.

Unsere Aufgabe innerhalb der Genossenschaftsorganisation in den nächsten Monaten muss es sein, dafür zu sorgen, dass im EU-Wettbewerbskommissariat die Bedeutung der Genossenschaftsbanken für den deutschen Bankenmarkt nachvollzogen wird. Deshalb werden wir uns nicht nur intensiv mit der Argumentation der Kommission auseinandersetzen, sondern auch dafür sorgen, dass in den Brüsseler Amtsstuben verstanden wird, warum die Genossenschaftsbanken für den deutschen Bankenmarkt und seine Stabilität von besonderer Bedeutung waren, sind und auch in Zukunft sein werden. Dass wir dabei der Unterstützung der deutschen Politik gewiss sein dürfen, haben in den letzten Wochen eine Vielzahl von Gesprächen bereits gezeigt.

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