Leitartikel

Kontrollierte Freiheit

Seine letzte Jahresberichterstattung als Präsident der Bundesbank hat Axel A. Weber nicht nur dazu genutzt, die nüchternen Zahlen des Geschäftsjahres 2010 kundzutun. Sondern mit einer sachlichen Begründung für die beschlossene Wagnisrückstellung bei Bundesbank und EZB ist er ohne Groll noch einmal auf die bekannten Differenzen im EZB-Rat in der Beurteilung des Ankaufs von Staatspapieren europäischer Schuldnerstaaten eingeschwenkt. Er hat den Neustart seiner wissenschaftlichen Karriere mit einem einjährigen Engagement an der renommierten Universität Chicago angedeutet. Und er hat nicht zuletzt sehr bewusst und vergleichsweise ausführlich eine Bilanz seiner siebenjährigen Arbeit an der Strukturreform der Deutschen Bundesbank gezogen. In diesem Rückblick hat er die heutige Aufstellung der Notenbank in jedem ihrer fünf Kerngeschäftsfelder gewürdigt. Für den traditionell personalintensiven Bereich Bargeld hat er dabei sinngemäß zwei Kernbotschaften formuliert: Zum einen will er den Rückzug der Bundesbank aus der Fläche keinesfalls als Zeichen gedeutet wissen, in diesen Regionen weniger aktiv zu sein oder sich dort gar weniger verantwortlich zu fühlen. Und zum Zweiten plädiert er klar und deutlich dafür, die Kosten der Bargeldversorgung möglichst dort zu belasten, wo sie anfallen.

Just diese Grundhaltung zum Bargeldhandling zieht sich wie ein roter Faden auch durch das Redaktionsgespräch mit Carl-Ludwig Thiele, der in der Bundesbank die Ressortverantwortung trägt (Seite 272). Dass die Abläufe im Zahlungsverkehr mit Banknoten und Münzen in einer Volkswirtschaft reibungslos funktionieren und jederzeit höchste Sicherheitsstandards gewährleistet werden müssen, stellt dieser keinesfalls in Abrede. Und er steht auch zur Verantwortung der Notenbank für Echtheit und Qualität des umlaufenden Bargelds. Doch er lässt andererseits nicht den geringsten Zweifel daran, die Notenbank im mehrstufigen Prozess des Bargeldhandlings viel stärker als bisher als Rahmengeber positionieren zu wollen und privaten Akteuren, unter den festgelegten Bedingungen Freiheit für eigene Geschäftsmodelle im volkswirtschaftlichen Geldkreislauf zu gewähren angefangen von der Kreditwirtschaft über den Handel bis hin zu den Wertdienstleistern. Wirtschaftlichkeit und Effizienz im eigenen Haus sind deshalb für ihn die entscheidenden Kriterien, mit denen er der Bundesbank im Bargeldverkehr dazu verhelfen will, immer weniger als Einzelhändler denn als Großhändler zu fungieren. In beherrschbaren, weil dosierten Schritten sollen die Anteile der Bundesbank am Recycling in Richtung der Privaten verschoben werden, bei den Noten zunächst einmal möglichst nahe an ein Verhältnis von 50 zu 50. Das würde in der Bundesbank auch die Personalkosten entlasten. Denn allein auf die fünf Kerngeschäftsfelder bezogen, entfallen (Stand 2010) auf den Bereich Bargeld rund 59 Prozent des Personaleinsatzes.

Soweit das möglich ist, baut die Bundesbank dabei auf eine Lenkungsfunktion der Preise. Im Münzgeldbereich akzeptiert sie seit Anfang Januar dieses Jahres für Ein- und Auszahlungen nur noch den Normcontainer als entgeltfreien Standard für Aus- und Einzahlungen. Die Annahme und Abgabe gemischter und abweichender Münzmengen ist weiter möglich, allerdings zu höheren Preisen. Im Banknotenhandling ist es insofern schwieriger, den sanften Druck in Richtung privatem Engagement zu erzeugen als die Notenbanken der europäischen Währungsunion zwecks Vereinheitlichung der Märkte gemeinsame entgeltfreie Standardleistungen definiert haben.

Betrachtet man den Rückzug staatlicher Institutionen aus anderen Wirtschaftsbereichen, gibt es in aller Regel breiten Applaus von den Akteuren. Denn diese dürfen die berechtigte Hoffnung hegen, in diese Lücke springen und auf eigene Rechnung Ertragschancen ausschöpfen zu können. Im Falle des Bargeldhandlings ist das zumindest auf der Ebene der Interessenvertreter anders. Ob bei den Bankenverbänden, dem Handel oder den Wertdienstleistern, überall werden nicht in erster Linie die Chancen betont, sondern zunächst einmal die Gefahren und Widrigkeiten aufgezeigt. Als zusätzliche Belastung empfinden alle drei Gruppen die zum 1. Mai dieses Jahres ablaufende Übergangsfrist für die Umsetzung des Zahlungsdiensteaufsichtsgesetzes (ZAG). Danach dürfen Wertdienstleister zwar noch den Transport und die reine Bearbeitung von Banknoten und Münzen übernehmen. Weitergehende Aufgaben bedürfen aber einer ZAG-Zertifizierung durch die BaFin, die bislang nur drei Unternehmen überhaupt beantragt haben. Angesichts dieser schwer kalkulierbaren Ausgangslage rechnet die Kreditwirtschaft ihre hohe Kostenbelastung vor. Die Wertdienstleister stöhnen heftig über die hohen Zertifizierungsanforderungen. Und der Handel beschwört die Gefahr eines Marktversagens und fordert gleich eine Aussetzung der Pläne der Bundesbank zur Einschränkung ihrer Dienstleistungen.

Abseits aller Schreckensszenarien ihrer Interessenvertreter hat sich die Praxis längst mit den Gegebenheiten arrangiert und entwickelt eigene Lösungen. Die Genossenschaftsorganisation als Ganzes forciert den Einsatz von sogenannten Einzahltresoren. Einzelne Häuser wie die Volksbank Braunschweig Wolfsburg und die Sparkasse Osnabrück haben Teile des Bargeldhandlings in Eigenregie als neue Dienstleistung weiterentwickelt und bieten diese auch Dritten an. In Nordrhein-Westfalen hat sich nicht nur über die Grenzen des Sparkassen- und Genossenschaftssektors, sondern auch über die Landesgrenze nach Niedersachsen hinweg die Kooperation mit einem Wertdienstleister entwickelt, die mittlerweile von 170 Instituten genutzt wird. Die Genossenschaftsorganisation Weser-Ems geht einen vergleichbaren Weg mit eigener Servicegesellschaft und einem regionalen Kooperationspartner. Zur Entwicklung von Münzpool-Modellen haben die Sparkassenverbände aus Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz ein Musterverfahren entwickelt, mit dem die Mitgliedsinstitute mit einem oder mehreren Wertdienstleister die zum Teil rein physisch und von der vorhandenen Gebäudesubstanz her kaum zu handhabende Belastung durch das Gewicht der Normcontainer auffangen. Und auch der Handel hat keinesfalls tatenlos abgewartet, sondern hat wie Rewe oder die Kombination Shell/Postbank mit sogenannten Cash-Back-Lösungen den Geldautomaten quasi an die Handelskasse geholt. Darüber hinaus haben sich Technikanbieter in einer Kooperation zusammengefunden, um die Möglichkeiten für neue Geräte und Verfahren zum Bargeldhandling auszuloten und gezielt fortzuentwickeln.

All dieser Pragmatismus ist ganz nach den Vorstellungen der Bundesbank. So wie die Umstellung auf Normcontainer ohne Kollaps der Münzgeldversorgung geklappt hat, wird auch die volle Umsetzung des ZAG für die Kunden nicht dramatisch zu spüren sein. Und bei allen Reibungsverlusten in der Praxis und vielleicht auch dem ein oder anderen weniger gelungenen oder scheiternden Projekt wird das Bargeldhandling auch in Zukunft so ablaufen wie es die Unternehmen und die privaten Verbraucher gewohnt sind - weitgehend geräuschlos.

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