Aufsätze

"Man sollte verstärkt auch über den Sinn des Fair-Value-Ansatzes auf der Passivseite nachdenken"

Jahresabschlüsse, auch die von Kreditinstituten, sollen die Realität abbilden. Die Realität der Finanzmarktkrise ist - wie wir wissen - schlimm genug. Aber es steht auch das Wort vom Brandbeschleuniger IFRS im Raum. So, als sei die Finanzkrise ein glimmendes Streichholz gewesen, das sich erst durch die IFRS zur Feuerwalze entwickeln konnte. Und so, als hätte das gute alte HGB eine Feuerschneise dargestellt, die dem kleinen Flämmchen schnell den Garaus gemacht hätte. Ist wirklich wie immer wieder angedeutet - das Rechnungswesen, genauer: die IFRS-Rechnungslegung, für das Geschehen verantwortlich?

Nur abgebildet

Das sehe ich aus zwei Gründen nicht. Zum einen: Nie würde ein Händler oder der für die Eigenanlagen Verantwortliche akzeptieren, wenn die Verantwortung für erzielte Gewinne der Bilanzabteilung zugeschrieben würde. Dann kann man ihr aber auch die erwirtschafteten Verluste nicht anlasten. Dort werden die Erfolge nur abgebildet, zugegeben nach unterschiedlichen Regeln, manchmal auch unter Einsatz von Wahlrechten, mehr oder weniger hoch. Zum anderen: Wenn der Markt, wenn andere Banken auslaufende kurzfristige Passiva nicht mehr prolongieren, wenn sie auch Aktiva nicht mehr abnehmen, tun sie dies doch nicht wegen eines bestenfalls im nächsten Quartalsabschluss auszuweisenden Verlusts. Entschieden wird nach anderen Kriterien, insbesondere nach der heutigen Einschätzung der Bonität des Kreditnehmers beziehungsweise der angebotenen Aktiva.

Das Problem der richtigen Einschätzung der durch IFRS-Abschlüsse vermittelten Informationen besteht allerdings ganz zweifellos. Erkennt wirklich jeder Jahresabschlussleser die Bedeutung der sich in den verschiedenen Bewertungsklassen der Finanzinstrumente aus einem Fair-Value-Ansatz über oder unter den Anschaffungskosten ergebenden erfolgsbeeinflussenden Erträge und Aufwendungen oder aber einer passiven beziehungsweise einer aktiven Neubewertungsrücklage? Erkennt er dabei vor allem auch den Unterschied zwischen der IFRS- und der HGB-Bilanzierung?

Wo aber liegt das Problem bei der Bilanzierung, nach IFRS wie nach HGB? Bei den ursprünglichen Buchforderungen wie bei den von Zweckgesellschaften aufgelegten kurzfristigen Asset Backed Commercial Papers handelt es sich um Finanzinstrumente. Wird bei Buchforderungen eine Bonitätsverschlechterung des Schuldners festgestellt, so kommt es nach IFRS wie nach HGB - unter Berücksichtigung von Sicherheiten - zu einer erfolgsmindernden Abschreibung beziehungsweise Einzelwertberichtigung.

Marktbewertung

Dagegen unterliegen die von der Zweckgesellschaft erworbenen Finanztitel einer Marktbewertung. Das HGB kennt infolge des Niederstwertprinzips allerdings nur den Ansatz des niedrigeren, unter den Anschaffungskosten liegenden beizulegenden Zeitwerts. IAS 39 fordert dagegen in jedem Fall den Ansatz des beizulegenden Zeitwerts, Fair Value genannt, auch wenn er über den Anschaffungskosten liegt. Damit ändert sich das ausgewiesene Eigenkapital, allerdings in unterschiedlicher Weise, je nachdem welcher Bewertungsklasse des IAS 39 das Finanzinstrument angehört.

Da ist zunächst die Gruppe der finanziellen Vermögenswerte und der finanziellen Verbindlichkeiten mit erfolgswirksamer Fair-Value-Bewertung. Zu- und Abschreibungen beeinflussen hier den Erfolgsausweis in der GuV-Rechnung. Ausschüttung und Besteuerung werden davon allerdings nicht beeinflusst, da der IFRS-Abschluss ausschließlich zur Information seiner Adressaten dienen soll. Bei der anderen Bewertungsklasse, den zum Verkauf verfügbaren finanziellen Vermögenswerten, wirken sich die Zu- und Abschreibungen nicht in der GuV-Rechnung, sondern in einem Eigenkapitalposten in der Bilanz aus, der Neubewertungsrücklage.

In einer dieser beiden Bewertungsklassen finden wir die von Zweckgesellschaften aufgelegten kurzfristigen Asset Backed Commercial Papers. Sie sind demnach von ihren Erwerbern zum Fair Value anzusetzen. Schade nur, dass der Fair Value der an einem aktiven Markt notierte Marktpreis ist, und dass der Markt für diese Finanzinstrumente seit einiger Zeit alles andere als aktiv ist, die benötigten Marktpreise also nicht vorliegen. Die werden übrigens auch im HGB-Abschluss gebraucht.

Problem fehlende Marktpreise

Die für den Fall fehlender Marktpreise in IAS 39 beziehungsweise in der Kommentarliteratur zu § 253 HGB zu findenden Hinweise sind wenig hilfreich. Immer landet man bei der Empfehlung, man möge auf allgemein anerkannte Schätzverfahren, wie das Barwertverfahren, heute besser bekannt als Discounted-Cash-Flow-Verfahren, zurückgreifen. Dazu muss man aber den zukünftigen Cash-Flow der Asset Backed Commercial Papers prognostizieren können. Dies wiederum bedeutet, man muss den Inhalt des von der Zweckgesellschaft erworbenen Forderungsportfolios kennen; aus ihm sollen schließlich die ausgegebenen Finanztitel bedient werden.

Aber: Selbst wenn das Portfolio der Zweckgesellschaft nur aus einem einzigen Kredit bestünde, müsste man zur Wertermittlung der von ihr ausgegebenen Finanztitel den Schuldner dieser Buchforderung kennen, und man müsste seine Bonität und die verfügbaren Sicherheiten beurteilen können.

Eine Illusion! Der Inhalt des Portfolios ist alles andere als bekannt. Die Werthaltigkeit der Buchforderungen lässt sich vom Erwerber der Asset Backed Commercial Papers nicht beurteilen. Bei mehrstufigen Verbriefungen weiß unter Umständen nicht einmal der letzte Emittent, welches Risiko sein Portfolio umfasst. Wir sind also in der bemerkenswerten Lage, dass wir beim Kauf jedes Hühnereis, Kaufpreis um die 20 Cents, wissen, aus welchem Stall es stammt und welche Art Tierhaltung dort betrieben wird. Dagegen stellt die Zusammensetzung eines unter Umständen Hunderte von Millionen Euro umfassenden Kreditportfolios ein echtes Überraschungsei dar. Von seinem Inhalt wissen wir überhaupt nichts.

Deutsche Bewertungsvorschriften mit gleichen Problemen

Wie aber, wenn die Ratingagenturen denselben Informationsstand hätten? Unter diesen Umständen muss man aber auch fragen, was von Appellen zu halten ist, Erwerber derartiger Finanztitel sollten sich zukünftig "nach Möglichkeit selbst ein Urteil bilden, bevor sie in entsprechende Produkte investieren."

Wie kurz angedeutet, führen die "bewährten" deutschen Bewertungsvorschriften zu den gleichen Problemen. Sie sind genauso wenig wie die IFRS-Regeln geschaffen für unsere Situation, in der Handel nicht mehr stattfindet beziehungsweise die erzielbaren Preise vom Anbieter nicht akzeptiert werden. Wir denken allerdings mit nostalgischen Anwandlungen an die Möglichkeit der Umbuchung ins Anlagevermögen und an den dann folgenden Verzicht auf Abschreibungen mit der Begründung, das Unglück sei doch ein vorübergehendes. Aber ernstlich: Glaubt irgendjemand, dass man bei einer so lange anhaltenden Krise ohne Berücksichtigung der Wertminderung den HGB-Abschluss ohne Weiteres testiert bekäme? Und dass man zu alldem im Lagebericht, vor allem im Risikobericht nach DRS 5 bis 10 nichts sagen müsste? Oder ist man wirklich allen Ernstes überzeugt, das Problem hätte man durch Auflösen stiller Reserven unter der Decke halten können?

Vielleicht ist es aber ohnehin an der Zeit, auch unsere Wortwahl, die einerseits von unserem Denken bestimmt wird, andererseits unser Denken bestimmt, zu überdenken. Warum reden wir von Subprime, wenn man tatsächlich meilenweit von Prime entfernt ist? Warum reden wir von Aufsichtsarbitrage, wenn es tatsächlich darum geht, der Aufsicht durch Wahl eines weniger aufmerksam oder gar nicht beaufsichtigten Standorts oder durch Ausnutzung von immer bestehenden Schlupflöchern im Aufsichtsrecht zu entwischen und so noch mehr risikoreiche Geschäfte machen zu können?

Warum reden wir von Risikovorsorge, worunter der unbefangene, also mit dem unter Sachverständigen üblichen Begriffsinhalt nicht vertraute Hörer eine Vorsorge für noch nicht erkennbare, aber immer zu befürchtende Ausfälle in den verschiedensten Risikobereichen vermuten muss, wo sich die Risiken doch in einem fortgeschrittenen Stadium befinden, es sich schon eher um Nachsorge handelt? Vielleicht sollte man aber - und damit zurück zum Hauptproblem - verstärkt auch über den Sinn des Fair-Value-Ansatzes auf der Passivseite nachdenken. Sobald nämlich die Bonität eines Schuldners nachlässt, kann er seine Schulden auf ihrem niedrigeren Marktwert abschreiben. Die entsprechende Verbesserung des Erfolgs ist die Folge. Wohl dem, der seine Zahlungen ganz eingestellt hat. Er hat nur noch Eigenkapital.

Sinnlose Konsequenz

Begründet wird die marktwertbedingte Abschreibung der Schulden mit der Möglichkeit ihres Rückkaufs, also der Tilgung, durch den Emittenten. Dazu braucht er aber liquide Mittel im entsprechenden Umfang. Mit fortschreitender Bonitätsverschlechterung fällt aber deren Beschaffung immer schwerer. Die marktwertbedingte Abschreibung hat nichts mehr mit ökonomischen Überlegungen zu tun, sondern nur noch mit der konsequenten Anwendung des Fair-Value-Gedankens.

Sollte Heinrich Manns sarkastische Bemerkung "deutsch sein heißt konsequent sein", nun durch die konsequente Umsetzung des Fair-Value-Gedankens widerlegt, zumindest relativiert werden, indem sinnlose Konsequenz auch international, wenn auch nur für die Rechnungslegung, Bedeutung erlangt.

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