Schwerpunkt G20-Gipfel

Radikaler Umbau - Bausteine einer neuen globalen Finanzmarktordnung

Unzutreffende Ursachenanalysen der Finanzmarkt- und Bankenkrise führen unweigerlich zu falschen Schlüssen hinsichtlich der zu ziehenden Konsequenzen. Dabei wird keineswegs angenommen, dass sich ökonomische Aktivitäten nicht auch in Zukunft zyklisch entwickeln werden, dass in einer neuen Finanzmarktordnung nicht andere, neue krisenhafte Zustände auftreten können und dass eine Welt mit insgesamt geringeren Risiken geschaffen werden kann. Vielmehr sollen die teilweise sehr pointiert formulierten Aussagen ein Gesamtbild einer neuen Finanzmarktordnung herausarbeiten, das nur im Zusammenspiel aufeinander abgestimmter Bausteine seine Wirkung entfalten wird.

Staats-, nicht Marktversagen

Es sollen nicht die zu Recht kritisierten Auswüchse im Managementverhalten und bei der fehlenden Nachhaltigkeitsorientierung an den Märkten verteidigt werden. Die Entwicklung der Finanzmärkte im weitesten Sinne muss aber vor dem Hintergrund der Veränderung der globalen Rahmenbedingungen und Prozesse der letzten 20 Jahre gesehen werden. Dazu ist zu konstatieren, dass die USA als größte Wirtschaftsmacht der Welt und in ihrem Gefolge die übrigen großen Industrienationen eine beispiellos expansive Wirtschaftspolitik im weitesten Sinne betrieben haben. Dazu gehörte eine expansive Geldpolitik mit über lange Zeit zweistelligem Wachstum der Geldmengenaggregate, eine Finanzpolitik mit stark steigender Staatsverschuldung und erst in der Krise offen zutage tretenden Eingriffen in das Marktgeschehen.

Ein Beispiel hierfür ist die politisch motivierte Erhöhung der privaten Immobilienbesitzquote über verdeckt staatliche Immobilienfinanzierer in den USA (Fannie May und Freddie Mac) und in Deutschland das Betreiben von Bankgeschäften über die Landesbanken, die ohne Geschäftsmodell, aber mit staatlich zur Verfügung gestelltem Kapital opportunistisch Geschäft betrieben haben und wohl noch weiter betreiben werden.1) Im Verein mit einer weltweit verfolgten Deregulierungspolitik wurden Regelungen von Gesetzgebern und Aufsichtsbehörden geschaffen, deren Nutzung heute als Managementversagen qualifiziert wird. Dies gilt etwa für die Schaffung der gesetzlichen Voraussetzungen für die Bildung von Zweckgesellschaften, über die dann stark Risiko tragendes Geschäft ausgelagert wurde.2) Dazu zählen auch die Schaffung von Rahmenbedingungen wie die aufsichtsrechtlichen Regelungen nach Basel II und die internationalen Rechnungslegungsvorschriften, deren Aussagen über die positiven Ergebnisentwicklungen in Expansionszeiten stets als Beleg für die erfolgreiche Staatspolitik zitiert wurden, welche aber heute als prozyklische Krisenförderer und als "Brandbeschleuniger" gelten.

Es ist aber geradezu ein Beleg für das Funktionieren der Märkte, dass nach einer so lange anhaltenden und ständig wachsenden Abweichung von der volkswirtschaftlich gleichgewichtigen Entwicklung ein für alle Marktteilnehmer wahrnehmbares Störereignis - hier im sogenannten Subprime-Immobilienmarktsegment - eine Neubewertung der gesamten Bestände an Finanzaktiva und -passiva unter Ertrags- und insbesondere Risikogesichtspunkten auslöste. Hier dürfen allerdings Auslöser und Ursache der Krise nicht verwechselt werden, und es ist im Weiteren zwischen Ursachen und begünstigenden Faktoren zu unterscheiden.

Umfassende Neubewertung

Eine umfassende Neubewertung lässt die Risiken der volkswirtschaftlichen Fehlentwicklungen plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheinen. Zukünftige Ertragsmöglichkeiten werden viel kritischer, mit ihnen verbundene Risiken viel höher gesehen. Was ohne die durch die Gesamtheit der Staatseingriffe herbeigeführten Verzerrungen, die kein noch so großer anderer Marktteilnehmer hätte auslösen können, nur eine zyklische Schwankung in der ökonomischen Entwicklung der Finanzmärkte gewesen wäre, wird verstärkt durch die Schwächen der veränderten Rahmenbedingungen und die lang anhaltenden Expansionsentwicklungen in allen Finanzmärkten zu einer das gesamte Wirtschaftssystem bedrohenden Krise.

Folgt man den voran stehenden Argumenten, so kommt man für die Elemente einer neuen Finanzmarktordnung zu anderen Schlüssen, und die Rolle des Staates muss anders definiert werden, als wenn die Funktionen von Wettbewerbsmärkten auf Dauer durch staatliches Handeln ersetzt werden müssten. Auch wenn die Bewältigung der aktuellen Krise - wie später noch zu zeigen sein wird - nur durch den Staat als Vertrauensgeber, als "Lender of Last Resort", also durch den Rückgriff auf den Steuerzahler gelöst werden kann, so darf dies nicht die Rechtfertigung für eine neue Rolle des Staates als Teilnehmer am Wirtschaftsleben in einer neuen Finanzmarktordnung sein.

Keine Alternative zu einer marktbasierten Wettbewerbsordnung

Weil hinlänglich bekannt ist, dass der Staat selten erfolgreich als Unternehmer tätig ist, muss sich die Rolle des Staates auf Vertrauen schaffende Maßnahmen zur Gewährleistung der Systemstabilität beschränken - wie dies beispielhaft durch die Aussage der Bundesregierung zur Sicherheit der privaten Bankeneinlagen im Oktober 2008 der Fall war. Der Staat muss sich auf der Basis dieses Paradigmas selbst so verhalten, dass Fehlentwicklungen seines eigenen Handelns wie in den letzten 20 Jahren ausgeschlossen werden.

Auf der weiteren Suche nach Belegen für Marktversagen kann auch die durch die Gesamtheit der geschilderten Faktoren ermöglichte Entwicklung der Mechanismen des Adressrisikotransfers nicht herangezogen werden. Von Ökonomen und internationalen Institutionen ist anerkannt, dass Adressrisikotransfer volkswirtschaftlichen Nutzen schafft. Allerdings ist auch in diesem Fall versäumt worden, für diesen jungen sich entwickelnden Markt Rahmenbedingungen zu setzen, welche Moral Hazard, Intransparenz, Kumulationsrisiken und unrealistische Preisbildungen verhindert hätten. Jeder hätte Lehren aus der letzten Lektion über Fehlentwicklungen an neuen Märkten ziehen können, wenn er sich an das Platzen der "Internetblase" erinnert hätte. Es ist als Versagen der Staaten im Verein mit ihrer expansiven Wirtschaftspolitik zu werten, keine effektiven Rahmenbedingungen für funktionierende Wettbewerbsmärkte gesetzt zu haben, von Wirtschaftsgesetzen, aufsichtsrechtlichen Regelungen, Rechnungslegungsstandards bis hin zu guten, aber offensichtlich weitgehend verdrängten Regelungen für regulierte Marktplätze wie sie sich in Börsengesetzen finden. Die staatliche Aufgabe als Hüter der institutionellen Normen der Wirtschaftsordnung bleibt zu erfüllen; damit vermeidet er, als Marktteilnehmer vermeintlich korrigierend - in das Marktgeschehen einzugreifen.

Die Renaissance der Börsen

Es gilt, einen Rahmen für das Aufeinandertreffen von Angebot und Nachfrage von Finanzprodukten so zu organisieren, dass die aufgetretenen Fehlentwicklungen weitestgehend verhindert werden. Der Beitrag der "Strukturierten Produkte", der OTC-Geschäfte, der Bildung von Portfolios nach dem sogenannten Kaskadenprinzip zur Entstehung und Ausweitung der Krise ist hinreichend geschildert worden. Ein Verbot bestimmter Produkte und Geschäftsarten wäre sicherlich der schlechteste Weg. Börsen als regulierte Marktplätze können eine Lösung bieten, da sie über eine Börsenordnung die Qualität der Teilnehmer und durch Handelsbedingungen die Transparenz über gehandelte Produkte und Preisbildung sichern sowie durch die Abwicklungs- und Reportingprozesse Sicherheits- und Informationsbedürfnisse befriedigen.

Dass diese Marktplätze dann auch genutzt werden, kann über entsprechend schärfere aufsichtsrechtliche Vorschriften und Transparenzanforderungen für Produkte, die nicht über solche regulierten Marktplätze gehandelt werden, sichergestellt werden. In bewährter Tradition wird eine "Zertifizierung" durch die Vergabe einer öffentlichrechtlichen Börsenlizenz zum Betreiben einer solchen Plattform vorgenommen. Dafür sind die gesetzlichen Grundlagen und die Institutionen zur Überwachung dieser Marktplätze vorhanden. Die Schaffung neuer Gesetzeswerke und Behörden ist unnötig.

Aus verschiedenen internationalen und europäischen Institutionen wird mittlerweile die Forderung nach verstärkter Abwicklung von Geschäften über regulierte Marktplätze erhoben, allerdings fehlt noch eine einheitliche Vorstellung für eine Landschaft der Marktplätze. Beim Adressrisikotransfer könnte auf schon einsatzfähige Marktplattformen zurückgegriffen werden.3) Die durch öffentlich kontrollierte Marktplätze geschaffene Transparenz deckt auch viele Aspekte der nun als große Neuerung geforderten "Globalen Risikolandkarte" ab und vermindert redundante Vorschriften.

Zu den notwendigen Rahmenbedingungen für funktionierende Wettbewerbsmärkte zählen neben den Börsengesetzen vor allem Rechnungslegungsstandards und aufsichtsrechtliche Regelungen. Obgleich die in den letzten Jahren entwickelten Standards zur internationalen Rechnungslegung mit der Zeitwert-Bewertung (Fair Value) als Kernelement von funktionierenden Märkten ausgehen, haben die internationalen Gremien für die Festlegung dieser Standards in unzureichender Weise auf die systemische Krise reagiert. Der Vorwurf der Wirkung der Standards als "Brandbeschleuniger der Krise" hätte nicht entstehen können, wenn noch im Entstehen der Krise die Standardsetzer mit Kompetenz auf die zunehmende Illiquidität der Märkte reagiert hätten. Diese hatten sich ja weit von den selbst definierten Merkmalen von aktiven Märkten4) entfernt.

Effektivere Rahmenbedingungen für Finanzmärkte unabdingbar

Durch die Feststellung dieser außergewöhnlichen Situation gemeinsam mit den Aufsichtsbehörden, die allgemein verbindliche Vorgabe von Bewertungsmethoden für Finanzwerte auf illiquiden Märkten und die Absprache dieser internationalen Vorgehensweise mit den Wirtschaftsprüfern wäre die in der Folge auftretende Bewertungsspirale nach unten frühzeitig gestoppt worden. Kleinteilige, systemimmanente Argumentationen um nicht mögliche Umkategorisierungen von Assets, da sie in "Sicherungszusammenhängen" mit Finanzinstrumenten verbunden waren, deren Einbezug in bestimmte Bewertungskategorien in den Standards nicht vorgesehen waren, zeigten die Hilflosigkeit der Standardsetzer.

Solche in der Krise akademisch geführten Diskussionen um die Notwendigkeiten einer angemessenen Rechnungslegung müssen in einer neuen Finanzmarktordnung durch entsprechend kompetente Gremien verhindert werden. Ohne die grundsätzlichen Zielsetzungen der Angleichung der internationalen Bilanzierung und der Transparenzerhöhung aufzugeben, könnte ein Ansatz zur Lösung die Trennung der Darstellung der Vermögenslage mit Marktwerten und der Periodenergebnisabbildung nur auf Basis realisierter Ergebnisse sein.5)

Weiterhin könnte auf der Basis der Übertragung bewährter Vorschriften aus der Versicherungsbranche als der anderen großen Branche mit langjährigen Erfahrungen im Risikomanagement, die Bildung von Risikokapitalpolstern im Sinne der Bildung von regelgebundenen Schwankungsrückstellungen vorgeschrieben werden. Der Fonds für allgemeine Bankrisiken des HGB folgt zwar auch diesem Grundgedanken, hat ohne die regelgebundene Vorschrift seine Wirkung bisher verfehlt. Zentraler Gedanke der Regelungen sollte unter Beibehaltung der ursprünglichen Zielsetzungen sein, durch "Bewertungspuffer" negative, aber auch positive Wertbeeinflussungen auf die Zeit zu verteilen und nicht mit extremen Auswirkungen in einer Periode anfallen zu lassen.

Keine diskretionären Eingriffe

Es wird wohl nicht zu verhindern sein, dass die kommenden Jahre von zunehmender Regulierung geprägt sein werden, allerdings sollten die Aufsichtsbehörden das hier entwickelte Prinzip der Priorität des Setzens von Rahmenbedingungen vor direkten Verboten oder diskretionären Eingriffen in das Marktgeschehen beachten. Dazu ist keine Vielzahl von zusätzlichen Vorschriften notwendig, sondern die konsequente Beseitigung der in der Krise erkannten Defizite.

- Im Risikomanagement muss die Methodenorientierung einer Prozessorientierung weichen, das heißt an die Risikomessung müssen sich Entscheidungsprozesse anschließen. Die neue Ausrichtung muss zu einem Vorkehrungsmanagement für extreme Szenarien und Stresssituationen führen, das auch durch entsprechende Risikosteuerungsmaßnahmen vom Management umgesetzt wird. B. Mandelbrot kritisiert seit Jahren, dass die moderne Finanztheorie sich auf ein paar fragwürdige Mythen gründet, die zu einer Unterschätzung des tatsächlichen Risikos an den Finanzmärkten führen.6)

- Das Auslagern von Geschäften der Finanzinstitute in aufsichtsfreie Räume darf nicht gestattet sein; das Argument, das würde zunächst eine komplette internationale Harmonisierung bedingen, entfällt, wenn Institute des eigenen Aufsichtsbereichs bei einem Engagement in aufsichtsfreien Räumen ihre Geschäftserlaubnis gefährden.

- Festhalten sollten die Aufsichtsbehörden an den Grundprinzipien von Basel II, denn prozyklische, krisenbeschleunigende Effekte dürften weniger durch bankaufsichtsrechtliche als durch Rechnungslegungs- und Bilanzierungs-Regeln verursacht worden sein. Und die drei Säulen der Beaufsichtigung bieten bei entsprechend konsequenter Anwendung einen wichtigen Baustein der zukünftigen Finanzmarktordnung. Zur Sicherstellung funktionierender Märkte werden in Zukunft aber mindestens zwei weitere Elemente gehören, die über systemimmanente Anpassungen deutlich hinausgehen:

- Die Beurteilung der Qualität von mit Schuldnern oder Produkten verbundenen Risiken durch ein sogenanntes Rating stellt ein "globales öffentliches Gut" dar und ist so auszugestalten, dass es seine Funktion erfüllen kann. Zwar sind Marktteilnehmer in der Lage, Ratings bereitzustellen, aber die Qualität und Objektivität lässt sich nicht in ausreichendem Maß sicherstellen (Stichwort: Marktversagen), also muss der Staat gemäß dem aus der Volkswirtschaftslehre bekannten Phänomen der öffentlichen Güter zu deren Erhalt einspringen.

- In der gleichen Kategorie ist die Zertifizierung von Finanzdienstleistungen anzusiedeln: In Analogie zur Gewährleistung der Sicherheit technischer Produkte, welche in immer mehr Ländern der Welt die Zulassung durch eine technische Zulassungsstelle benötigen; nicht umsonst exportiert sich die Idee des deutschen TÜV weltweit erfolgreich. Gegenargumente mit Hinweisen etwa auf die besondere Komplexität der Finanzprodukte, zu langwierige Verfahrensabläufe, praktische Undurchführbarkeit sind mit Hinweis auf Verfahren in anderen Industrien - vergleiche die Homologation in der Autoindustrie - nicht haltbar.

Rückbau "systemrelevanter Banken"

Die Krise hat gezeigt, wie schwerwiegend das Argument der Gefährdung des gesamten Finanzsystems durch sogenannte "systemrelevante Banken" ist, da der Staat sich unausweichlich vor die Notwendigkeit gestellt sieht, Banken zu stützen, deren Insolvenz das gesamte Finanzsystem gefährden würde. Erneut stellt sich in dieser Situation des vermeintlichen Handlungszwangs die Frage, ob dies auch ein selbstverschuldetes staatliches Dilemma ist. Denn die Forderung nach einer Konsolidierung der Bankenstruktur, verstanden allein als Fusionen zu größeren Einheiten oder die politische Sehnsucht der deutschen Bundesregierung nach einem "nationalen Champion", der in die Liga der größten Banken der Welt vorstoßen sollte, führte unweigerlich zu dem Typ "systemrelevanter" Banken, von denen die staatlichen Institutionen jetzt "erpressbar" sind.

Betriebswirtschaftlich ist es keineswegs herrschende Meinung, dass Kreditinstitute alleine mit größeren Geschäftsvolumina Economies of Scale wie andere Branchen realisieren können und sich dadurch der Zusammenschluss zu großen Einheiten rechtfertigt. Die Entwicklung der Zerlegung der Wertschöpfungsketten im Bankensektor7) zeigt, dass eine Realisierung von Economies of Scale bei den Prozessen, die sich nach industriellen Standards gestalten lassen, sehr wohl durch spezielle Anbieter erreichen lässt.8) Die Gefahr durch systemrelevante Banken für die Stabilität des Finanzsystems wurde in der Wissenschaft und auch von den Aufsichtsbehörden erkannt, Maßnahmen gegen das Entstehen solcher Institute unterblieben aber.

Gewaltiger Wertanpassungsbedarf oder Rückführung der Asset-Price-Inflation

Hier soll keine rigide gesetzgeberische Verbotskultur gefordert, sondern für Regelungen durch pretiale Lenkung plädiert werden. Dann kann der Aufsichtsgeber Instituten, die sich einer systemrelevanten Position nähern, eine überproportionale Kapitalausstattung sowie die Zahlung einer Risikoprämie in einen Versicherungspool auferlegen, der bei Insolvenz der Schadensabdeckung zufließt.9) Das Argument, eine solche Systemrelevanz wäre nicht widerspruchsfrei zu definieren, ist inakzeptabel, solange der Staat - wie aktuell in einer Zwangslage - über die Rettung von "systemrelevanten Banken" entscheidet.

Die Geldpolitiker haben sich weltweit in den letzten beiden Jahrzehnten daran erfreut, dass trotz ihrer expansiven Geldpolitik die traditionell gemessene Inflation an den Gütermärkten moderat blieb. Vermeintlich konnte so empirisch belegt werden, dass ein Zusammenhang zwischen Geldmengenentwicklung und Preissteigerungsrate, anders als traditionell unterstellt, nicht besteht.

Selbst Notenbanken haben die Ansicht vertreten, dass Geldmengenentwicklungen nur noch am Rande zu betrachten sind, aber nicht mehr Basis geldpolitischer Entscheidungen wären. So hat auch die Deutsche Bundesbank die aufschlussreiche Darstellung des "Überschuss-Geldmengenwachstums" aus dem Jahre 2004 in ihren jüngsten Geldmengenanalysen nicht mehr fortgeführt.

Während das Bruttoinlandsprodukt seit 1999 um 22 Prozent zunahm, stieg die erweiterte Geldmenge M3 im Euroraum um 97 Prozent. Die durch die Geldpolitik ermöglichte Expansion der Bankausleihungen an den Privatsektor im Euroraum stieg innerhalb von zehn Jahren von 88 auf 139 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, in den angelsächsischen Ländern war dieser Anstieg noch größer. Angetrieben durch diese gewaltigen Volumensausweitungen vollzog sich eine beispiellose Preissteigerung an den Finanzmärkten. Das Phänomen der Blasenbildung wurde zwar erkannt, blieb aber ohne Konsequenzen für die wirtschaftspolitischen Aktivitäten. Es ist zu befürchten, dass die heute einstehenden Finanzaktiva noch einen erheblichen Bewertungsüberhang in sich tragen, der sich keineswegs auf die sogenannten Sub-prime-Segmente oder "toxischen Wertpapiere" (also strukturierte Produkte mit hoher Intransparenz) beschränkt.

Enger Handlungsspielraum

Die vom IWF geschätzten zwei Billionen US-Dollar Bewertungskorrekturen in den Bankbilanzen werden schon um neue Schätzungen des Beratungsdienstes RGE Monitor in Höhe von fast vier Billionen US-Dollar übertroffen, und die Asian Development Bank schätzt die Größe für die gesamten Finanzmärkte neuerdings auf 50 Billionen US-Dollar. Eine auf der Basis des Auseinanderlaufens von realen Größen und zum Beispiel den Aktienbewertungen in den letzten 20 Jahren angestellte Betrachtung zeigt eine mögliche Rückkehr des deutschen Aktienindexes Dax auf 2 500 Punkte.

Jedenfalls befinden sich die überbewerteten Finanzaktiva jedoch nicht nur in den Bilanzen der Banken. Banken unterliegen aber den besonderen Vorschriften der Mindesteigenkapitalausstattung und weiteren Solvenzvorschriften, welche ihre wirtschaftliche Existenz vor den üblichen Insolvenzgründen der Illiquidität und Überschuldung beenden können.

In Anbetracht der Dimension dieses Problems liegt es nahe, eine Parallelität zur Beseitigung der wertlos gewordenen Staatsschulden durch einen gesetzlich festgelegten Umtauschkurs in einen neuen Wert (Währungsschnitt) in den Zeiten der großen Depression beziehungsweise Währungsreform zu sehen, was wiederum den engen Handlungsspielraum zur Lösung dieser Problematik deutlich macht. Den gewaltigen Wertanpassungsbedarf wird die Bankenbranche alleine nicht bewältigen können. Unter der nachzuholenden Anpassung an eine gleichgewichtigere globale Wirtschaftsentwicklung haben nun alle zu leiden. Es ist offensichtlich geworden, dass die Risiken und Kosten der Bewältigung einer geplatzten Blase wesentlich höher sind als die Bekämpfung der Entstehung und ihre Vermeidung.

Ursachenadäquate Maßnahmen zur Überwindung der Krise

Von Bausteinen einer künftigen globalen Ordnung der Finanzmärkte sind die aktuellen Maßnahmen zur Krisenbewältigung zu trennen. Sie dürfen allerdings den Prinzipien dieser neuen Ordnung nicht entgegenlaufen. Viele der zahlreichen Rettungsversuche kurieren an Symptomen, bieten nur für Teilbereiche Konzepte oder schlagen kompliziert ausgestaltete Lösungen vor.

Außerdem wird die Diskussion um Rettungspakete immer wieder durch Emotionen belastet; dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass angebliche Unfähigkeit, Gier und Egoismus des Managements keineswegs die Eigenschaften einer kleinen isolierten Gruppe sind, sondern weite Verbreitung in der gesamten Bevölkerung finden; nur so lassen sich die Jagd nach der letzten Renditestelle bei Privatanlagen erklären oder der Erfolg der Werbekampagnen großer Elektronikmärkte mit "Geiz und Blödheit" sowie das weiterhin hohe Ausmaß der beauftragten Schwarzarbeit erklären.

Wie eingangs erwähnt, müssen sich die akuten Notmaßnahmen ebenfalls in einen Gesamtbebauungsplan einfügen, auch wenn sie keine Zukunft als dauerhafter Baustein des neuen Finanzsystems haben werden - wie zum Beispiel aktuelle Staatsbeteiligungen an Banken. Der zentrale Gedanke der akuten Maßnahmen muss die Verteilung des gewaltigen Wertanpassungsdrucks aus der aufgebauten Blase auf die Zeit sein! Zum einen muss die Anpassung der Bewertungsvorgänge über einen längeren Zeitraum gestreckt werden - schließlich hat sich der Bewertungsüberhang auch über fast zwei Jahrzehnte aufgebaut - und zum anderen sind am Ende Teile der Wertverluste letztendlich vom Steuerzahler zu tragen, da die Eigenkapitalausstattung als Risikopuffer einer einzelnen Branche für derartige Wertkorrekturen nicht ausreicht.

Lösungen zur Stabilisierung des Bankensektors müssen das private Kapital als Risikopuffer tatsächlich in Anspruch nehmen, dann den noch verbleibenden Wertanpassungsbedarf durch staatliche Regelungen auf die Zeit strecken und erst am Ende eines solchen Prozesses staatliche Finanzmittel in Anspruch nehmen. Durch entsprechende Ausgestaltung und Verwendung von Elementen schon formulierter Vorschläge - Ausgabe von Ausgleichsforderungen statt Bareinschüsse, dezentrale Bad Banks, Besserungsabreden - kann auf der Basis des vorangestellten Grundgedankens eine Bewältigung der Krise gelingen, ohne den Nukleus für eine neue Krise zu legen.

Frei nach Clausewitz: Einfach, dennoch nicht leicht! Für die zügige Einigung auf die Bausteine einer neuen Finanzmarktordnung bleibt wenig Zeit, da die Staatshaushalte die Kosten einer nächsten Krise wohl nicht mehr tragen könnten und der gegenwärtige Zustand des Finanzsektors wohlfahrts-vernichtend wirkt:

- Die Staaten erkennen die Lehre aus der Krise, ziehen sich aus der diskretionären Wirtschaftspolitik zurück und gehen zu einer stabilen, regelgebundenen Geldpolitik über. Die Geldpolitik bezieht die Entwicklung der Asset-Preise in ihr Rahmenwerk ein und konzentriert sich auf eine potenzialbasierte Geldversorgung. Nur bei Begrenzung der durch die Staaten selbst verursachten globalen Ungleichgewichte werden sich Krisen dieser Art in Zukunft vermeiden lassen.

- Die Rolle des Staates ist die des Rahmengebers für Wettbewerbsmärkte, wobei diese Rahmenbedingungen nicht von jeweils aktuellen politischen Zielen geprägt sein dürfen, sondern gleichfalls am Ziel einer gleichgewichtigen volkswirtschaftlichen Entwicklung ausgerichtet sind. In diesen Rahmenbedingungen wird der überwiegende Teil der Geld- und Kapitalmarktgeschäfte über regulierte Marktplätze abgewickelt.

- Die Rahmenbedingungen aus Wirtschaftsgesetzen, Rechnungslegungsvorschriften und Aufsichtsregelungen verarbeiten die Erfahrungen der Krise und sichern Bewertungsmethoden auch für schwierige Marktphasen, lassen keine Aufsichtsarbitrage sowie Schattensysteme zu, behandeln Informationen als öffentliches Gut, die nahezu öffentlichen Glauben genießen - wie Ratingaussagen - und setzen in Analogie zu Sicherheitsprüfungen in anderen Industrien einen TÜV für Finanzdienstleistungen um.

- Die Politik verabschiedet sich von Vorstellungen zu einer gewünschten Bankenstruktur und verhindert über Instrumente der pretialen Lenkung das Entstehen des Typs "systemrelevante Bank". Fußnoten:

1) Flesch, Johann Rudolf, Ohne neues Geschäftsmodell werden die Landesbanken nicht überleben. Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Heft 20/2005, Seiten 1077 ff.

2) Koch-Weser, Cajo K., Rahmenbedingungen für die Kreditforderungen in Deutschland. Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Heft 12/2003, Seiten 623 ff.

3) Brockmann, M., Hommel, U., Kundenschutz durch organisierten Kredithandel. Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Heft 18/2008, Seiten 930 ff.

4) Vgl.: Aktiver Markt i. S. v. IAS 39. AG71, Bedingungen.

5) Vgl. Bilanzmodernisierungsgesetz BilMoG, hier § 255, Abs. 4.

6) Mandelbrot, B., Hudson, R. L., Fraktale und Finanzen: Märkte zwischen Risiko, Rendite und Ruin. 2008.

7) Flesch, J. R. Die Zerlegung der Wertschöpfungskette als Treiber für den Umbau der Bankenbranche. In: Spath, D. et alii, Innovation und Konzepte für die Bank der Zukunft. Wiesbaden 2008.

8) Vgl. hierzu die in den letzten Jahren entstandenen "Produktionsbanken" für die Wertpapier- und Zahlungsverkehrsabwicklung sowie andere Dienstleister für bankinterne Prozesse.

9) Pedersen, L., Roubini, N., Restoring Financial Stability, Stern School 2009.

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