Sparkassenverbund 2012 - Interview

Redaktionsgespräch mit Georg Fahrenschon - "Man will an die Schlüssel zu den Tresoren unserer Einlagensicherung"

Wie waren die ersten 100 Tage als Sparkassenpräsident? Hatten Sie über haupt eine Eingewöhnungsphase?

Die ersten drei Monate seit meinem Amtsantritt waren ein optimaler, reibungs- und geräuschloser Übergang. Schon seit meiner Wahl im November vergangenen Jahres habe ich einen regen Austausch mit meinem Amtsvorgänger Heinrich Haasis gepflegt, habe schon eine Reihe von Abteilungsleitern im DSGV kennen gelernt und die Zeit genutzt, um mit vielen Wirtschaftsprüfern und Beratern eine erste kleine Bestandsaufnahme zu erarbeiten. Das hat mir an vielen Stellen einen guten Einblick in die Stärken und Schwächen der Organisation und ihrer wichtigsten zukunftsweisenden Fragestellun gen gebracht, angefangen von der politischen Diskussion um den Euro einschließlich der Themen Bankenunion, Bankenaufsicht, Einlagensicherung und Regulierung über die Bereinigung von möglichen Überschneidungen zwischen Deka-Bank und LBB, die künftige Rolle der Landesbanken bis hin zu den wichtigen Fragen der Marktbearbeitung im Sparkassenbereich.

Die ersten 100 Tage waren dann stark von dem Thema WestLB geprägt, das ich in manchen Gremien ebenfalls schon seit meiner Wahl bis zum Amtsantritt mit einem Gaststatus begleitet habe. Das hat mir die Möglichkeit gegeben, handelnde Personen und Themen frühzeitig kennen zu lernen.

Wo liegen Ähnlichkeiten und Unterschiede zu Ihrer bisherigen Tätigkeit als Politiker? Und können Sie bei dem derzeitigen Image von Banken und Sparkassen überhaupt guten Gewissens die Sparkassen vertreten und deren Anliegen positionieren?

Böse Zungen behaupten, ich sei von einer schlecht angesehenen Berufsgruppe zur anderen gewechselt. Mir ist aber sehr bewusst, dass Sparkassenvertreter sich gerade nicht als Banker verstehen und deutliche Unterschiede herausarbeiten - das habe ich in den ersten Monaten meiner Amtszeit deutlich bei meinen Besuchen vor Ort erleben können. Für dieses Selbstbewusstsein der Sparkassen gibt es auch gute Gründe. Die Unterschiede von Sparkassen und Banken im öffentlichen Ansehen sind ja auch deutlich.

Mit Grundfragen der Finanzwirtschaft und der Finanzdienstleistungsbranche bin ich nach über zehn Jahren am Finanzplatz München vertraut. Verglichen mit dieser Interessenvertretung erlebe ich in meiner neuen Funktion deutlich mehr operative Entscheidung im Sinne echter Managementarbeit. Man muss sehr viel mehr selbst handanlegen und sich einbringen. In einem Ministerium sind die Entscheidungen weitgehend vorbereitet und werden fertig präsentiert. Als DSGV-Präsident ist die Entscheidungsfindung viel mehr zu beeinflussen, die notwendigen Abstimmungen sind vorzubereiten und dabei einzelne Elemente nach vorne zu schieben oder ein wenig zurückzunehmen.

Besonders tief beeindruckt hat mich in den ersten Wochen die Breite der Aufgabenstellungen. Das reicht vom Aufsichtsratsvorsitz bei diversen Verbundunternehmen über die Sitzungsvorbereitung für die vielen Gremien bis hin zu einer ganzen Palette von Verantwortlichkeiten wie den Verbandskontakten in die deutschen Regionen, zu den Schwesterverbänden in den europäischen Nachbarländern, die politische Lobbytätigkeit in Brüssel und Berlin bis hin zur Vertretung der Sparkassen-Finanzgruppe als großer Partner in der deutschen Kunst-, Kultur- und Sportförderung. Verglichen mit der Arbeit als bayerischer Finanzminister ist es sicher nicht weniger geworden.

Allem Eindruck nach verstehen Sie die Rolle des DSGV-Präsidenten als Netzwerker, der alle relevanten Strömungen in der S-Gruppe zusammenführt und mit dem richtigen Timing vorbringt?

Die DSGV-Präsidentschaft ist in der Tat eine ganz faszinierende, weil facettenreiche Aufgabe. Die Mischung umfasst Aufgaben als Repräsentant einer der größten Finanzgruppen Europas, als Interessenvertreter gegenüber der Politik für über 50 Millionen Sparer, als Moderator in einer Zeit, in der die europäische Bankenwelt im Umbruch ist und die Währung im Feuer steht. Gleichzeitig muss ich ein Stück weit Unruhestifter im Sinne eines Initiators und Ideengebers für die ganze Sparkassenorganisation sein. Der Präsident ist Gesicht der

Gruppe und hat gleichzeitig die Aufgabe, ihr den Spiegel vorzuhalten - das bei einer enormen Breite der Institutionen von den Sparkassen über die Regionalverbände bis hin zu all den Verbundunternehmen. Um im Bild zu bleiben könnte man fast sagen, der DSGV-Präsident ist in erster Linie Gesicht, aber oft auch Kopf, Herz, Seele und Blutkreislauf der Organisation in einem.

Wie viele Primärinstitute haben Sie in den ersten drei Monaten schon besucht?

Einschließlich meiner Besuche in den Regionalverbänden habe ich etwa 30 Sparkassen mit ihren Vorstandsmitgliedern und oft auch ihren Verwaltungsräten kennen gelernt.

Wie fällt eine erste Bestandsaufnahme der S-Gruppe aus?

Zunächst ist festzuhalten, dass ich von Heinrich Haasis ein bestelltes Haus übernommen habe. Aber es gibt Dinge, die sich im Laufe der Finanzkrise noch einmal verändert haben und eine neue Reaktion verlangen. So müssen wir die Präsenz in Brüssel weiter erhöhen, auch die des Präsidenten. Es geht dort jetzt maßgeblich darum, unmissverständlich klar zu machen, dass die Sparkassen zusammen mit der mittelständigen Wirtschaft den sogenannten Proof of Concept bestanden haben. Nun müssen wir darauf achten, dass Brüssel daraus auch die notwendigen Schlussfolgerungen zieht. Die Sparkassenorganisation kann nicht ruhen, bis eine europäische Finanzarchitektur geschaffen wird, bei der das deutsche Sparkassenwesen eine der Blaupausen für eine erfolgreiche, nachhaltige und auf Langfristigkeit ausgerichtete Kreditwirtschaft akzeptiert wird.

Welche Marktentwicklungen beschäftigen Sie mit Blick auf die Zukunft am stärksten?

Derzeit treiben mich drei gesellschaftliche Umbrüche um, auf die die Gesellschaft in Deutschland und damit die Sparkassenorganisation eine Antwort geben müssen. Da ist einmal die fortschreitende Globalisierung:

Sparkassen und Landesbanken müssen sich darüber klar werden, wie sie den Mittelstand mit dessen Engagement in Europa, im asiatischen Raum und in Nord- und in Südamerika zum Gewinner dieser Internationalisierung und Globalisierung werden lassen.

Zum Zweiten müssen die Sparkassen auf die demografische Veränderung reagieren. Dass die Gesellschaft und damit unsere Kunden älter werden, wirft eine Reihe von Fragen im Bankgeschäft auf: Wie gehen wir mit älter werdenden Kunden um? Wie werden die Institute mit Blick auf die private Altersvorsorge den jüngeren Kunden gerecht? Gerade bei dieser Frage müssen wir aktiver werden, in den Ballungsräumen und in den ländlichen Räumen.

Und das dritte riesige Thema ist die fortschreitende Digitalisierung und damit die Ausrichtung der Kreditwirtschaft auf das Web 2.0. Heute wird nicht mehr am PC gearbeitet, vielmehr werden die Anwendungen mobil. Damit mischen sich Realität und Virtualität immer stärker. Das wird eine enorme Herausforderung für die gesamte Kreditwirtschaft. Es geht darum, Sicherheit und Vertraulichkeit zu wahren und dennoch auf fremden Plattformen mit eigenem Wissen und eigenen Angeboten präsent zu sein. Wir müssen sicherstellen, dass jederzeit aus mobilen Online-Anwendungen zu realen Beratern gewechselt werden kann und umgekehrt. Das ist ein völlig neues Verständnis von Multikanal. Die Web-1.0-Welt war für die Sparkassen schwierig. Ich bin davon überzeugt, dass mit der Web-2.0-Welt, der Web-3.0-Welt unsere Zeit kommt. Denn dort geht es um soziale Vernetzung, um lokales Wissen und um gute mobile Angebote. In allen drei Bereichen haben die Sparkassen mehr als ihre Wettbewerber zu bieten.

Hohe Online-Kompetenz und eine flächendeckende Präsenz von Mitarbeitern sind in der neuen Online-Welt keine Widersprüche. Wir haben die Menschen vor Ort, um die sozialen Anforderungen der Vernetzung organisieren zu können.

Zurück zu der Forderung nach stärkerer Präsenz in Brüssel: Vor einigen Jahren schon ist geklagt worden, dass die deutsche Kreditwirtschaft dort nicht mit einer Stimme auftritt. Widerspricht das nicht Ihrer Maßgabe nach stärkerer Präsenz der Sparkassen?

Nein, das widerspricht sich überhaupt nicht. Der deutsche Finanzplatz muss möglichst mit einer Stimme in Brüssel auftreten, das gilt ebenso für Berlin. Aber nicht überall haben wir identische Interessen. Wir etwa wollen, dass im Mittelpunkt von Regulierungen die großen und wirklich gefährlichen Institute und Produkte stehen. Andere wollen eher die gesamte Kreditwirtschaft über einen Leisten schlagen. Da gibt es nicht selten Unterschiede, die dann auch deutlich werden müssen.

Sie wollen nicht eher ruhen, bis Sie die Sparkassenidee in Brüssel respektiert sehen. Wer sind auf diesem Weg Ihre Verbündeten?

Die jetzt seit rund fünf Jahren andauernde Krise hat doch deutlich gezeigt, dass dezentrale Kreditinstitute wie die Sparkassen den Finanzmarkt stabilisieren und ihre Dienstleistungsrolle für die Realwirtschaft besonders gut ausfüllen. Jeder, der an Stabilität, an solider Wettbewerbsfähigkeit, an Mittelstand und Familienunternehmen sowie an Wohlstand für breite Bevölkerungsgruppen interessiert ist, ist unser Verbündeter. Wer eher auf kurzfristige Gewinne, auf Wachstum in der Finanzwirtschaft jenseits der Realwirtschaft setzt, wird uns eher kritisch sehen. Mit den Krisenerfahrungen im Rücken sind wir für Hilfestellungen beim Aufbau sparkassenähnlicher Grundstrukturen in Europa derzeit sehr gefragt. Das fängt an bei Griechenland, geht über Portugal und Ungarn bis nach Großbritannien. Ursprünglich kam die Sparkassenidee ja aus Großbritannien. Wir haben sie bewahrt. Es wäre sicher sehr schön, wenn wir diese großartige Idee den Briten wieder zurückgeben und sie daran teilhaben lassen könnten.

Die Globalisierung und Internationalisierung des Mittelstandes zu begleiten, wird vom Sparkassenverbund als Aufgabe empfunden. Was unterscheidet den Verbund dann noch von großen Bankkonzernen, die das ebenso sehen?

Viele wollen den Mittelstand als Partner begleiten, aber nicht jeder findet dort Akzeptanz. Aufgabe der Sparkassen seit mehr als zweihundert Jahren war und ist, das Geld der Region zu sammeln und es in den dortigen Unternehmen wieder zu investieren. Diese Verlässlichkeit und Berechenbarkeit schätzen mittelständische Unternehmen. Dennoch müssen wir uns in jeder Region darüber im Klaren sein, dass mittelständische Unternehmen inzwischen europaweit, global ausgerichtet sind. Deshalb müssen wir in der Lage sein, diese Unternehmen zusammen mit anderen Sparkassen oder Verbundunternehmen ins europäische und weltweite Ausland begleiten zu können. Dabei spielen die Landesbanken eine große Rolle, aber auch Kooperationspartner in anderen Ländern. Wir wollen Netzwerke regionaler Institute etablieren, nicht Global Player werden.

Kommt dann nicht zwangsläufig und zu Recht wieder das Argument, die Landesbanken haben sich doch schon im Ausland vergaloppiert?

Dieser Vorwurf mag bezogen auf die Konzeption von Landesbanken aus dem vergangenen Jahrzehnt stimmen. Aber seit 2008 haben die Landesbanken eine erhebliche Kurskorrektur durchgeführt und erledigen ihre Hausaufgaben. Sie haben seit 2008 rund 230 Milliarden Euro an risikogewichteten Aktiva (RWA) abgebaut, ohne ihr Engagement in dem zentralen Bereich der deutschen Mittelstandsfinanzierung zurückzufahren. Sie verantworten 16 Prozent der Kreditversorgung des deutschen Mittelstandes. Alle Geschäftsbanken zusammen erreichen in diesem Bereich einen Marktanteil von elf Prozent. Die deutschen Landesbanken haben also eine Aufgabe und haben in ihrem jeweiligen Umfeld intensiv an einer Behebung der Folgen der Finanzkrise gearbeitet. Jetzt ist es wichtig, auf diesem Kurs zu bleiben und die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen.

Wenn die Landesbanken 230 Milliarden Euro an RWAs abbauen konnten, ohne ihre Marktposition im Mittelstandsgeschäft zu gefährden, ist das umgekehrt aber auch ein klares Zeichen für Fehler der Vergangenheit, oder?

Das ist richtig. Es hat bei den Engagements im Ausland eindeutig Fehler und Missmanagement gegeben. Längst nicht alle Auslandsaktivitäten waren von der Aufgabe "Begleitung des Mittelstandes" hinreichend gerechtfertigt.

In welchen Fragestellungen sehen Sie sich auf europäischem Terrain momentan am stärksten gefordert? Welche regulatorischen beziehungsweise politischen Ansinnen erfordern Ihre größte Aufmerksamkeit?

Das Hauptthema in Brüssel ist das "Bankenunion" genannte Konglomerat aus europäischer Aufsicht über alle Banken, europäischem Restrukturierungs- und Abwicklungssystemen sowie den Plänen für eine einheitliche europäische Einlagensicherung. Letztlich geht es dabei nur um zwei Motivationen: Zum einen will man möglichst schnell die Voraussetzungen für

Refinanzierungen vor allem spanischer Banken aus dem ESM schaffen. Auf deutschen Druck ist in der Abschlusserklärung des Gipfels der Staats- und Regierungschefs Ende Juni eine europäische Bankenaufsicht als Vorbedingung für solche Hilfen festgeschrieben worden. Und zum anderen sieht die Kommission die große Chance, ihre bereits im Sommer 2010 vorgelegten und damals abgelehnten Pläne für eine einheitliche Einlagensicherung jetzt in dieser besonderen Drucksituation durchzusetzen. Man will an die Schlüssel zu den Tresoren unserer Einlagensicherung. Wir sind aber weder bereit, mit unseren Sicherungsmitteln bei Schieflagen europäischer Banken einzustehen. Noch akzeptieren wir eine Verminderung des Schutzniveaus deutscher Sparer.

Im Moment interessiert es die hiesigen Kunden wenig, wenn in Großbritannien eine Bank Pleite geht. Das dürfte sich künftig ändern ...

Das Versprechen der Bundeskanzlerin und ihres damaligen Bundesfinanzministers aus dem Oktober 2008, dass die Einlagen der deutschen Sparer sicher sind, wird durch die aktuellen Pläne der EU-Kommission untergraben. Das ist ein Ansatz, dem man den Kampf ansagen muss.

Wie bewerten Sie mit Blick auf die Staatsschuldenkrise die Arbeit der EZB?

Was die EZB an Krisenmanagement betreibt, übersteigt die Möglichkeiten, die im ursprünglichen System der Europäischen Zentralbank vorgesehen sind. Natürlich muss man zum Schutz der EZB sagen: Es waren besondere Maßnahmen angezeigt, weil es lange Zeit weder geeignete Strategien noch Maßnahmen oder Verantwortlichkeiten zur Stabilisierung der Währungsunion gab. Aber diese Art von Interventionspolitik kann auf längere Zeit nicht so weitergehen. Das Problem sind doch nicht zu hohe Zinsen, sondern zu hohe Schulden. Diesem Problem kann man aber eben nicht dadurch begegnen, dass man über Interventionen Zinsen verbilligt. Dadurch werden Probleme nur in die Zukunft verschoben und neue Gefahren für Instabilitäten heraufbeschworen. Deshalb bedarf es wieder einer klaren Trennung der verschiedenen Aufgaben von Geldpolitik einerseits und Fiskalpolitik andererseits. Staatsfinanzierung oder auch Stabilisierungsmaßnahmen für andere Euro-Länder sind Aufgaben der Politik. Nur dort sind sie auch demokratisch legitimiert.

Ist der politische Aktionismus nicht viel zu groß? Es gibt eine Reihe von Regelungen, die sich überhaupt noch nicht entfalten konnten.

In meiner Zeit als Bundestagsabgeordneter war ich für die Union Berichterstatter für die europäische Bankenregulierung und habe in dieser Funktion den ersten Financial Service Action Plan begleitet. Aus späterer Zeit habe ich noch gut die Worte des damals zuständigen Abteilungsleiters im BMF, Jörg Asmussen im Ohr, der nach der Abarbeitung dieser Regeln eine Regulierungspause angemahnt hatte. Tatsächlich hat es dann einen zweiten FSAP gegeben. Und auf dem Gipfel von Pittsburgh folgte dann ein politisches Bekenntnis zur Regulierung aller Finanzmärkte. Und seither suchen die Verantwortlichen in Europa, alle Punkte auf dieser neuen Agenda abzuhaken.

All die bisherigen Regularien mögen für sich genommen gute Gründe haben. Aber es ist in der Tat ein Punkt erreicht, an dem darauf geachtet werden muss, was ordnungspolitisch gewollt ist und was nicht. Die Branche wird mit immer neuen Regulierungen überzogen, ohne dass die Politik die Zeit gibt, die Wirksamkeit von Regeln zu überprüfen. Es wird im Eifer pauschal alles reguliert, ohne sauber zwischen Risiken zu unterscheiden. Und der ganze Ehrgeiz richtet sich auf die Kreditwirtschaft, während es seit Jahren bei den Schattenbanken nur Ankündigungen gibt. Und gleichzeitig flutet die EZB die Märkte mit Liquidität und hält dadurch Banken am Leben, die eigentlich gar keine Chance zum Überleben hätten. Dadurch werden instabile Banken in die Lage versetzt, Konditionen zu stellen, die nicht marktüblich sind. Das alles trägt den Keim der nächsten Krise bereits in sich.

In dieser Beurteilung müssten Sie eigentlich mit den privaten Banken einig sein. Deren Präsident unterscheidet auch gerne zwischen Banken mit und ohne Geschäftsmodell.

Dann haben wir doch eine gute Gemeinsamkeit. Ohnehin gibt es in der deutschen Kreditwirtschaft viele Themen, bei denen wir sehr kooperativ zu einem gemeinsamen Standpunkt finden. Allerdings bleibt die Frage der Bankenaufsicht aktuell ein großer Dissenspunkt. Hier habe ich manchmal den Eindruck, man versucht die EZB absichtlich mit so viel Ballast zuzuschütten, dass sie gar nicht mehr die Zeit und die Kapazität hat, die großen systemrelevanten und tatsächlich gefährlichen Institute anzugehen. Diese Vermutung müssen aber andere ausräumen.

Weshalb haben Sie sich zuletzt für den Vorschlag des Sachverständigenrates ausgesprochen, einen Altschuldentilgungsfonds aufzulegen?

Dass die Rahmenbedingungen für Spanien oder Italien krisenhaft sind, bestreite ich. Beide Länder - auch Griechenland - zahlen historisch geringe Anteile ihrer staatlichen Gesamtausgaben für Kreditzinsen. Das durchschnittliche Zinsniveau für ihre Staatsschulden hat einen historischen Niedrigstand. Und sogar die aktuell höheren Zinsen sind geringer als vor Eintritt in die Währungsunion. Fakt Nummer eins ist: Das Problem sind nicht die Zinsen, sondern die Schuldenstände.

Fakt Nummer zwei ist aber auch, dass sich die Währungsunion jetzt immer weiter in die Krise hineingeschraubt hat. Jetzt sind außergewöhnliche Maßnahmen notwendig, um wieder Vertrauen herzustellen. Wenn wir als Deutsche keine weiteren Anleihekäufe, keine neuerlichen weiteren Liquiditätshilfen der EZB, keine Eurobonds und auch sonst ganz vieles nicht wollen, bleibt doch die Frage: Wie lautet unser Vorschlag? Ich möchte nicht in einigen Wochen zwischen Solidarität und Solidität in Europa wählen müssen. Es wäre doch viel besser, wir würden unsere Solidarität einsetzen, um wieder Solidität zu erreichen. Das geht mit einem Altschuldentilgungsfonds, in den die über 60 Prozent des BIP hinausgehenden Altschulden eingebracht und gemeinsam refinanziert werden - aber keine neuen Schulden! Im Gegenzug muss sich jedes beteiligte Land zu einem Tilgungsplan über 20, 25 Jahre verpflichten. Das würde weit über den Fiskalpakt hinausgehen und zeigen, dass wir es ernst meinen mit dem Schuldenabbau, nicht nur mit der Begrenzung neuer Schulden. Mit einem solchen Instrument haben wir bei der deutschen Einheit und auch in verschiedenen Bundesländern bei verschuldeten Kommunen gute Erfahrungen gemacht.

Da erkennt man den Politiker ...

Das mag sein, auf jeden Fall entspricht es einer Europapolitik, wie wir sie mit Helmut Kohl debattiert haben. Seine zentrale Auffassung ist doch, dass erfolgreiche Europapolitik aus deutscher Perspektive immer die Einbeziehung aller Länder, besonders der kleineren, beinhaltet. Und sein zweiter Grundsatz ist die Pflicht Deutschlands, die Debatte immer proaktiv mit Ideen und Vorschlägen anzureichern. Wenn Deutschland immer nur Nein sagt, gibt es schnell eine Mehrheit gegen uns. Denn die Grundeinstellung, Deutschland profitiere ohnehin von Europa am meisten, ist weit verbreitet. Die deutsche Politik muss irgendwann auch einmal sagen, was sie will.

Wenn man mit dieser Grundeinstellung an die Sache herangeht und dabei wahrnimmt, dass sich immerhin der Sachverständigenrat der Bundesregierung und die Vereinigung von 17 Chefvolkswirten in Europa für einen Altschuldentilgungsfonds aussprechen, dann plädiere auch ich für Solidität und Solidarität durch Altschuldentilgung.

Kann man den Vorschlag des Altschuldentilgungsfonds auch der Bundesbank anbieten? Das wäre ja ein entscheidender Verbündeter.

Ich gebe der Bundesbank keine Empfehlungen. Aber ich könnte mir vorstellen, dass sie glaubwürdige Programme zum Schuldenabbau mit mehr Sympathie sehen könnte als Erleichterungen für die Refinanzierungen zu hoher alter und neuer Schulden.

Hatte Helmut Kohl recht, einer Währungsunion zuzustimmen, weil die politische Union damit erzwungen wird?

Helmut Kohl hat eine unumkehrbare Entwicklung hin zu einem gemeinsamen Europa in Gang gesetzt. Insofern hat er historisch gesehen seine Sache richtig gemacht. Genauso verstehe ich politisch, dass die damalige rot-grüne Koalition seinerzeit Griechenland aufgenommen hat. Man konnte die Griechen nicht außen vor lassen. Allerdings hat sich damals niemand, einschließlich aller Volkswirte, vorstellen können, dass ein vergleichsweise so kleines Land Europa insgesamt in Mitleidenschaft würde ziehen können. Und es wird uns heute auch schmerzlich bewusst, was zu einer vollkommenen Währung noch alles fehlt. Es ist nicht ganz leicht, dies unter Druck mit der nötigen demokratischen Legitimation nachzuholen. Das ist unsere historische Aufgabe.

Bleibt bei so viel Arbeit in Brüssel genug Zeit, sich den strategischen Fragestellungen der künftigen Marktbearbeitung im Sparkassensektor intensiv zu widmen?

Das mache ich ja nicht allein, sondern ich habe bekanntlich zwei hochengagierte Geschäftsführer und viele engagierte Mitarbeiter im Verband, die mich in Brüssel und bei allen Markt- und betriebswirtschaftlichen Fragen unterstützen.

Aber natürlich müssen sich die Sparkassen intensiv damit beschäftigen, die Kosten zu drücken. Die Sparkassen-Finanzgruppe ist in Deutschland nach der Bahn der größte gewerbliche Arbeitgeber und hat damit hohe Personal- und Sachkosten. Auf der Einnahmeseite gilt es auszuloten, wo über Provisionserträge zusätzliches Geschäft generiert werden kann. Genau das ist die entscheidende Brücke zur Ausrichtung der Verbundunternehmen, die ihrerseits überlegen müssen, wie man den Kundenwünschen gerecht werden kann. In diesem Sinne muss die Sparkassenorganisation mit allen heutigen Möglichkeiten für eine kluge umfassende Finanzberatung sorgen. Da ist noch eine Menge Musik drin.

Braucht die Sparkassenorganisation neue Produkte und Dienstleistungen?

Es geht nicht darum, neue Produkte zu erfinden. Ich denke sogar, dass es eher an der Zeit ist, die Produktpalette zu verschlanken. Die meisten Kunden brauchen gar nicht so viele Produktvarianten. Weniger wäre kostengünstiger zu produzieren und wäre besser zu erklären. Wichtig ist dabei allerdings, dass wir Kunden nicht festgelegte Produkte einfach verkaufen, sondern ihren Bedarf über das Sparkassen-Finanzkonzept ordentlich erheben. Wenn dann das Bedarfsfeld feststeht, brauchen wir aber nicht zig Varianten.

Wie wichtig ist es an dieser Stelle, die Sparkassen an den Verbundunternehmen zu beteiligen?

Wer Eigentümer ist, kann die Unternehmen nach seinen Bedürfnissen ausrichten. Aber natürlich muss man auch die Kapitalbindung sehen. Es ist deshalb legitim, die Frage zu stellen, ob einem alles gehören muss, deren Produkte man verkauft. Das ist aber eine hochsensible Frage, die man nicht mit Schnellschüssen beantworten kann. Denn es geht hier um den Erhalt von Unternehmenswerten, aber auch der gemeinsamen Nachfragemacht.

Wie gefährlich ist an dieser Stelle Brüssel? Würden 100 Prozent Beteiligungen die Sparkassen über Basel III nicht enorm belasten?

Ich bin sehr zuversichtlich, dass Verbünde mit den notwendigen gegenseitigen Beteiligungen in den Basel-III-Regeln angemessen berücksichtigt werden. Wir akzeptieren, dass es nicht zu einer Doppelbelegung von Kapital kommen darf. Wir erwarten umgekehrt aber auch, dass nicht über Basel III Strukturen verändert werden. Dazwischen wird es eine Lösung geben. Einen ebenso hohen Stellenwert hat für mich aber auch eine sachgerechte Bepreisung von Mittelstandskrediten. Hier muss durch eine Absenkung der Anforderungen der geringeren Ausfallwahrscheinlichkeit von Mittelstandskrediten Rechnung getragen werden. Umgekehrt ist eine stärkere Eigenkapitalunterlegung für Handelsgeschäfte notwendig. Basel III macht doch keinen Sinn, wenn das klassische Mittelstandsgeschäft erschwert wird und das hochvolatile mit Risiken behaftete Handelsgeschäft locker über die Bücher geht.

Lassen sich handhabbare Kriterien finden, nach denen die systemischen Risiken einer Bank in die Eigenkapitalunterlegung eingebracht werden können?

Hier geht es weniger um das Systemrisiko an sich. Aber unterschiedliche Risiken haben wir doch auch in der Vergangenheit bereits erhoben. Sparkassen und Landesbanken etwa haben ausreichend Datenmaterial, aus dem sich die geringere Ausfallwahrscheinlichkeit von Mittelstandskrediten klar ergibt. Nicht immer ist alles sauber abgrenzbar, aber gerade hier gibt es klare Daten.

Stichwort Wettbewerbssituation. Hat diese sich geändert?

Die deutschen Sparer wissen, was sie an der Sparkasse haben. Aber der Kampf um die Spareinlagen ist eindeutig härter geworden. Und die Sparer reagieren auch auf unterschiedliche Konditionen. Mich treibt um, dass die Sparkassen am deutschen Markt von Banken bedrängt werden, die in ihren Heimatländern durch den Steuerzahler stabilisiert wurden und offensichtlich kein funktionierendes Geschäftsmodell haben. Sie lassen sich von der EZB billig Geld geben und subventionieren in der größten Volkswirtschaft Europas mit Kampfkonditionen im Einlagengeschäft quer. Hier beschädigt die europäische Rettungspolitik auf Sicht stabile Strukturen.

Wie schätzen Sie die derzeitige Wettbewerbsposition der Sparkassen ein? Welche Rolle spielen heute Wettbewerber wie Versicherungen und Non- und Nearbanks?

Die Sparkassen sind im Kreditgeschäft sehr gut positioniert, kämpfen müssen wir aus den genannten Gründen im Einlagengeschäft. Und eine zunehmende Herausforderung sehe ich durch Nicht- oder Teilbanken im Bereich des Zahlungsverkehrs. Hier versuchen sehr viele, auf der Basis unserer Kundenkenntnisse und Kundeneinschätzungen als Trittbrettfahrer ihr Geschäftsmodell zu etablieren. Das hat mit sehr viel mit Technik und mobilen Bezahlverfahren zu tun. Wir müssen deshalb bei neuen Standards unsere Marktmacht ausspielen.

Was kann der DSGV-Präsident tun, um den Rückgang der Marktanteile der Sparkassen zu stoppen und seinen Instituten Ertragsperspektiven zu geben?

Eines kann und will er nicht: den Vorständen die Arbeit abnehmen. Aber wir haben in der Gruppe hervorragende Institute mit großen Markterfolgen. Der DSGV kann mehr dafür tun, dass von den Besten gelernt wird. Und wir können uns mit den Regionalverbänden gemeinsam in der Umsetzungsunterstützung auf die schwächeren Institute konzentrieren. Und dann ist es natürlich unsere Aufgabe, in Projekten wirksame Marktkonzeptionen zu erarbeiten. Alle drei Punkte wollen wir erfüllen.

Inwieweit verstehen Sie es, wenn Ihre Sparkassen an dieser Stelle, etwa im Einlagengeschäft, Zugeständnisse bei den Konditionen machen?

Sparkassen können nicht nur über den Preis verkaufen. Manches geht nicht, und dann muss man ein Geschäft auch sausen lassen. Es gibt aber auch Kundengruppen, wo es sich lohnt, in die Geschäftsverbindung zu investieren. Das kann aber nicht der DSGV entscheiden, das wissen die Vorstände vor Ort am besten. Unsere Aufgabe ist es, durch breite Aufklärung den Zusammenhang zwischen Zins und Risiko wieder herzustellen. Ich behaupte: Der Zins ist immer gleich. Bei einigen Anbietern erhält man aber einen Risikoaufschlag. Das muss der Kunde nur auch so wahrnehmen.

Zum Schluss noch drei sparkassenpolitische Fragen: Welche Erwartungen verbinden Sie mit der Positionierung der Deka-Bank als zentrales Wertpapierhaus für die Sparkassen?

Wir müssen das Wertpapiergeschäft deutlich stärken. Dazu brauchen wir eine enge Kooperation zwischen der Deka und den Sparkassen. Auf beiden Seiten besteht Handlungsbedarf. In der Deka werden die Hausaufgaben gemacht. Der erste Schritt war, die Führung der Deka-Bank wieder neu aufzustellen. Georg Stocker ist als neuer, den Sparkassen sehr nahe stehender Vertriebsvorstand hinzugekommen. Und mit Michael Rüdiger haben wir einen exzellenten neuen Vorstandschef gewonnen. Er wird am 1. November seine Aufgabe übernehmen. Ich erwarte, dass der Vorstand unter seiner Führung künftig den Teamgedanken stärker vorlebt und besser auf die Interessen der Sparkassen eingeht. Deshalb haben wir auch Oliver Behrens als stell vertretenden Vorstandsvorsitzenden eingebunden. Denn er hat die Aufgabe in der Interimszeit sehr gut bewältigt.

Der zweite wichtige Schritt sind die Schärfungen in der Geschäftsstrategie: Der Verwaltungsrat hat auf Vorschlag des Vorstandes beschlossen, dass die Deka-Bank den Vertrieb der Sparkassen noch mehr unterstützen wird. Die Maßnahmen zur Performanceverbesserung sind eingeleitet, die Produktpalette wird gestrafft. Und mit dem DSGV-Projekt Wertpapiergeschäft nehmen wir eine bessere Verzahnung von Deka und Sparkassenvertrieb vor. Ich sehe bereits Anzeichen für bessere Erfolge: Derzeit schlagen fast 43 Prozent der Aktien- und 84 Prozent der Rentenfonds ihre Benchmark.

Wie bewerten Sie die Forderungen aus der Sparkassenorganisation zur Bereinigung der Überschneidungen von Deka-Bank und LBB?

Landesbank Berlin und Deka-Bank sind jetzt in identischer, vollständiger Eigentümerschaft der Sparkassen. Es ist zwingend, unter diesen Umständen das vorhandene Potenzial besser zu erschließen. Wir wollen deshalb die Aufgaben zwischen beiden Häusern neu ordnen. Dabei soll die Deka zum zentralen Wertpapierhaus der Gruppe werden. Und in Berlin wollen wir vor allem die Hauptstadtsparkasse stärken. Klären müssen wir noch die Frage, ob das gewerbliche Immobiliengeschäft angesiedelt wird. Denn es ist in Berlin ein besonderes Asset. Dem wollen wir gerecht werden.

Wie dringlich sind Strukturveränderungen bei den öffentlichen Versicherern dem neuen Sparkassenpräsidenten?

Unsere Versicherer stehen als starke Regionalmarken gut im Markt. Deshalb sehe ich keinen kurzfristigen Handlungsbedarf. Aber auch dort müssen wir die Frage stellen, ob die Sparkassen so viele eigene Versicherer benötigen.

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