Aktienkultur

Die Scheu der Deutschen vor der Aktie

"Dass der Aktionär eine volkswirtschaftlich wichtige Aufgabe erfüllt, ist bei uns keineswegs überall bekannt und erst recht nicht anerkannt. Selbst unsere Gesetzgebung ist im Grunde aktionärsfeindlich, besonders natürlich auf dem steuerlichen Gebiet. [...] Die Bundesregierung hat schon seit langem erkannt, wie wichtig es ist, das deutsche Volk zu einem Volk von Eigentümern zu machen. Das Ziel wird jedoch nicht erreicht, indem der Staat hier und dort Geschenke verteilt." Das Zitat stammt nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, aus der aktuell einmal mehr intensiv geführten Diskussion um den beharrlichen Aktienverdruss der Deutschen und das Fehlen einer schätzenswerten Aktienkultur. Schon kurz vor Weihnachten 1963 erschien es in einem Artikel in der Zeit.

Rückkehr eines Schlagwortes

Und noch ein Zitat, diesmal aus dem Bundestag im Februar 1996 - also kurz vor dem Börsengang der "Volksaktie" Telekom im November des gleichen Jahres: "Um die Aversion deutscher Privatanleger gegen die Aktie als Kapitalanlage abzubauen, bedarf es eines umfassenden Maßnahmenkatalogs, der das Zusammenwirken aller am Kapitalmarkt Beteiligten erforderlich macht. Unternehmen müssen mit Investor-Relations-Konzepten verstärkt auf aktuelle und potenzielle Aktionäre zugehen. Kreditinstitute sollten bei der Beratung verstärkt die Aktienanlage publik machen und den Erfolg der Fünf-Mark-Aktie nicht durch überzogene Mindestabnahmeanforderungen, hohe Provisionen und Depotgebühren gefährden. Der Gesetzgeber muss zudem durch gezielte Maßnahmen die Rahmenbedingungen für die Aktie entscheidend verbessern."

Hat sich beim Aktiensparen in den letzten knapp 50(! ) Jahren also nichts getan? Tatsächlich ist die zunächst leicht angestiegene Aktionärszahl in Deutschland seit dem Börsenboom Ende der neunziger Jahre sogar wieder deutlich abgesunken: Mit gut zehn Millionen Aktionären (inklusive Fondsanteilen) wurde im vergangenen Jahr der tiefste Stand seit dem Jahr 2000 erreicht, im Jahr 2001 waren es immerhin fast 13 Millionen. Zählt man nur Direktinvestitionen in Aktien, sind die Zahlen noch deutlich erdrückender: Allen Höhenflügen der Börse entgegen ist die Zahl der Anleger hier von sechs auf vier Millionen zurückgegangen.

Indirekte Anlage ausgeprägter als Direktengagements

Damit ist die indirekte Aktienanlage in Fonds, Zertifikaten und zunehmend auch Exchange Traded Funds stärker ausgeprägt als die Direktanlage - dennoch liegen die Zahlen des vergangenen Jahres wieder deutlich unter dem, was zur Jahrtausendwende zu konstatieren war. Und im internationalen Vergleich tummelt sich Deutschland eher auf den hinteren Rängen: Liegt die Quote der (direkten) Aktienanleger anhand der obigen Werte bei gerade einmal 6,6 Prozent, so sind es in Frankreich 14,5 Prozent, in der Schweiz 20,4 Prozent, in den USA stolze 25,5 Prozent und in Japan sogar 27,7 Prozent.

Dass die Deutschen nicht sparen, kann freilich nicht behauptet werden: Fast jeden zweiten Euro, so die Statistik, stecken die Bundesbürger in bescheiden verzinste Sparbücher, Geldmarkt- und Festgeldkonten oder in festverzinsliche Rentenpapiere. Knapp ein Viertel der Geldanlagen fließen in Lebens- und Rentenversicherungen. Allein den Aktien (direkt oder indirekt als Investmentfonds) trauen sie nicht.

Dabei hätte das Jahr 2007 für den deutschen Aktienmarkt kaum besser laufen können. Während faule Immobilienkredite in und aus den USA die Schlagzeilen beherrsch(t)en, samt immer ernsteren Rezessionsängsten westlich des Atlantiks, hat der Deutsche Aktien-Leitindex Dax entgegen vielen Befürchtungen all diesen Einflüssen getrotzt und zum fünften Mal in Folge eine Aufwärtstendenz verzeichnet: Nach zuerst 39, danach sieben, 27 und 22 Prozent stieg er im letzten Jahr um weitere 22 Prozent an. Zeitweise wurde mancherorts gar der Vergleich zum letzten Boom am Ende des letzten Jahrtausends nahe gelegt.

Und über die Jahre hinweg schlägt die Aktie eine Rentenanlage in Punkto Rendite. Eine Anlage in den Dax zu den relativ niedrigen Kursen im Jahr 1981, so hat etwa die Deutsche Bank errechnet, hätte im Durchschnitt ein jährliches Plus von nominal über elf Prozent gebracht. Sogar der Einstieg zu den vergleichsweise hohen Kursen Anfang 1986 hätte noch durchschnittlich rund neun Prozent pro Jahr erreicht. Die Verluste des Crashs zu Anfang des neuen Jahrtausends sind damit allemal wettgemacht.

Gleichwohl zeigt die unterjährige Entwicklung der Aktionärszahlen, dass die Negativschlagzeilen wieder einmal die Ängste der Aktienanleger geschürt haben: Im zweiten Halbjahr 2007 hat sich die Zahl der Aktionäre gegenüber den ersten sechs Monaten des Jahres um 571 000 vermindert. Insgesamt besaßen nur noch 3,8 Millionen Anleger Aktien; das entspricht 5,8 Prozent der Bevölkerung. Im ersten Halbjahr vergangenen Jahres waren es noch 4,3 Millionen.

Das Aktien-Hoch des Jahres 2007 zog also einmal mehr an den Deutschen vorbei. Nach den Horrorgeschichten seit dem letzten Absturz liegt das Misstrauen zu tief - und die hier und da verbliebenen Depot-Leichen saugen jeden Mut auf. Demnach schaffen es die Sparer immer noch nicht, kurzfristige Einbrüche von langfristigen Entwicklungen zu trennen, vermutet die Wirtschaftsforschung. Denn über die Jahre hinweg bleiben Aktienanlagen den Rentenpapieren in Sachen Rendite weiterhin haushoch überlegen.

Wenig Verständnis für den Gesetzgeber

Dass aus diesem Blick die geplante Abgeltungssteuer mit wenig Verständnis aufgenommen wird, kann kaum verwundern. Wenn nach den Plänen der Bundesregierung vom 1. Januar 2009 an eine Abgabe

von 25 Prozent für Zinsen, Dividenden und Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanlagen eingeführt werden soll, also inklusive Wertsteigerungen, sowie das Halbeinkünfteverfahren wegfällt, dann ruft das einmal mehr die Aktien-Propagandisten auf den Plan. Die private Altersvorsorge mit Aktien - neben volkswirtschaftlichen Aspekten - wird damit unsinnig eingeschränkt, lautet deren Argument.

Dass der Gesetzgeber die Haltefristenregelung abschafft, ohne irgendeinen Puffer für Langfristsparer zu behalten, bringe die Aktiensparer von der Steuerfreiheit direkt in die höchste Steuerbelastung in Europa hinein. Auch davon, dass die europäischen Nachbarländer Langfristsparer deutlich schonender behandeln - Spekulationsgewinne sind etwa in Österreich nach einem Jahr steuerfrei, in Frankreich nach acht Jahren - beziehungsweise einen deutlich niedrigeren Abgeltungssteuersatz ansetzen - in Italien sind es 12,5 Prozent, in Spanien 18 Prozent -, lässt sich der deutsche Gesetzgeber nicht inspirieren.

Eine Verringerung des Steuersatzes auf 20 Prozent und Freibeträge auf Kursgewinne als konkrete Verbesserungsmaßnahmen - oder wenigstens eins von beiden - hat daher das Deutsche Aktieninstitut (DAI) in Frankfurt gefordert, um das aus eigener Sicht unterentwickelte Aktiensparen anderen Sparformen gegenüber nicht noch schlechter zu stellen. Zum steuergünstigen Sparen mit Wertpapieren blieben letztendlich, gleichwohl sehr eingeschränkt, hierzulande sonst nämlich nur noch die staatlich geförderten "Riester"-Produkte.

Finanzbranche bemüht sich um Aktiensparer

Und die Branche selbst? Zumindest die Fondsgesellschaften (und damit auch die Banken als "Konzernmütter") zeigen sich bemüht, etwa mit Fondssparplänen und Garantieprodukten die Hartnäckigkeit der deutschen Sparer zu knacken. Allerdings darf bei Letzteren nicht vergessen werden, dass durch die Garantie, die den reinen Zahlen nach allerdings gar nicht nötig wäre (denn noch nie haben Aktien in der Langzeitbetrachtung ihr Ziel verfehlt), ein Großteil der höheren Rendite im Vergleich zu Rentenprodukten wieder aufgefressen wird. Und Erstere würden im Rahmen der Abgeltungssteuer deutlich an Attraktivität verlieren, wenn sie nicht, zumindest innerhalb eines gewissen Rahmens, von der Besteuerung ausgenommen würden, wie der Bundesverband Investment und Asset Management (BVI) anmahnt.

Ein stärkeres Wertpapiersparen ist für das Deutsche Aktieninstitut zudem schon aus volkswirtschaftlicher Sichtweise ein Anliegen: Denn zum einen gehen den Bürgern ohne dieses wesentliche Renditemöglichkeiten genauso verloren wie der Bezug zum Produktivkapital. Und zum anderen würde es das deutsche Aktienwesen sowie die deutsche Wirtschaft als Ganzes stabilisieren und stärken - einmal ganz davon abgesehen, dass im Vergleich zum Ausland immer stärkerer Nachholbedarf hinsichtlich der Haushalte mit Wertpapierbesitz gesehen wird. Und nicht zuletzt wären höher kapitalisierte Unternehmen auch deutlich weniger übernahmegefährdet.

Auf BVI und DAI kommt also noch erhebliche Aufklärungsarbeit in Berlin zu, wenn die angestrebte steuerliche Gleichstellung von Wertpapierfonds und etwa den in Deutschland traditionell beliebten Lebensversicherungen erzielt werden soll. Das notwendige Bewusstsein bei der Bevölkerung kann wiederum nur im Zusammenspiel zwischen Politik, Banken und Finanzdienstleistern geschärft werden.

Die lange Geschichte der Aktie

Übrigens - und einmal abseits von der aktuellen Diskussion: Die erste "Börse" wurde im Jahr 1409 in Brügge gegründet. Als erste Aktiengesellschaft ist im Jahr 1595 die Allgemeine Vereinigte Ostindische Companie registriert. In Deutschland entstanden Mitte des 17. Jahrhunderts Handelsplätze in Nürnberg, Augsburg, Hamburg, Köln, Königsberg, Lübeck und Frankfurt. Aus dem Jahr 1843 stammt die erste Ausprägung eines Aktien- und Börsenrechts, knapp 30 Jahre später wurde der Börsenhandel in einem neuen Aktiengesetz liberalisiert. Schon damals gab es zudem eine Reihe von Maßnahmen um den Kleinanleger zu schützen: Mindestnennwert, Vorschriften zur Rechnungslegung, Etablierung eines Aufsichtsrates, Prospekthaftung, Börsenaufsicht. Ein bemerkenswerter Fakt ist auch, dass infolge von Personalmangel im Jahr 1921 erstmals Frauen der Zugang auf das Börsenparkett erlaubt wurde.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X