Aufsätze

Staatsschuldenkrise - zwölf Vorschläge zur Stabilisierung

"Gewollt haben wir das Beste, doch gekommen ist es wie immer." Victor Tschernomyrdin hat diesen Aphorismus geprägt. Und er passt auf die Banken- und Staatenkrise, von der im Moment Europa auf das Heftigste geschüttelt wird, so treffend wie kein anderes Diktum. In Wahrheit ist die Wirtschafts- und Finanzkrise, die sich in Windeseile zu einer weltweiten Schulden- und Staatenkrise aufgeschaukelt hat, vor allem und zuerst durch verantwortungslose politische Versprechungen verursacht worden. Eine ebenso verantwortungslose Kreditvergabe rundete diese Utopie ab. Hinzu kam eine verantwortungslose Niedrigzins-Politik der Notenbanken, die dauerhaft jede Marktpreisbildung aushebelte. Die Disziplinlosigkeit wechselte vom Trab in den Galopp.(1) Eine gigantische Missachtung der ehernen Grundsätze des Haushaltsrechts, des Notenbankrechts, des Bankenrechts und des Insolvenzrechts kam hinzu.

Zwölf Thesen zur Eurozone

These 1 - Schuldendeckel: In die Verfassungen der EU-Mitglieder sind die nachfolgenden Grundsätze aufzunehmen: Die Ausgaben des Staates werden durch Steuern und Beiträge gedeckt. Die Verschuldung der öffentlichen Hände darf die investiven Ausgaben nicht übersteigen.(2)

Ausnahmen können nur mit verfassungsändernden Mehrheiten beschlossen werden. EU-Mitglieder ohne solche Verfassungsgarantien erhalten aus den Mitteln Europas keine Zuwendungen und haben in sämtlichen Gremien der Gemeinschaft keine Stimmrechte. Das Gleiche gilt beim Verstoß gegen diese Regeln.

These 2 - Bankenrettung: Die Bankenaufsicht obliegt der Europäischen Zentralbank (EZB). Sie wird nach ihren Weisungen von den nationalen Notenbanken durchgeführt, die zu diesem Zweck mit gewerbepolizeilichen Befugnissen auszustatten sind.(3) Näheres regelt ein europäisches Gesetz.

Jede Art von Bankenrettung ist allein Sache der EZB und der an ihre Weisungen gebundenen Notenbanken in den Europäischen Mitgliedsländern. Sie übernimmt die bedingungslose Einlagensicherung(4) und ist befugt, den Banken vorbeugende Auflagen zu machen oder diese ganz abzuwickeln, und zwar schon wenn die Banken ihnen pflichtgemäß melden, dass sie durch Überschuldung von der Insolvenz bedroht werden.(5)

These 3 - Mindestreserven: Die EZB kann mit Hilfe der an ihre Weisungen gebundenen nationalen Notenbanken in den Europäischen Mitgliedsländern von den Geschäftsbanken zur Vorsorge für mögliche Bankenkrisen zinslose Mindestreserven einfordern, die auf Konten der Notenbanken zu hinterlegen sind.(6) Die bereits bestehenden Sicherungsfonds sind auf die Notenbanken der Mitgliedsländer zu übertragen.

Notenbankgewinne werden nicht an die Staatshaushalte abgeführt, sondern verbleiben als weitere Reserven für die Krisenbewältigung bei den Notenbanken, die sie erwirtschaftet haben.(7)

These 4 - Staatsanleihen: Die EZB kann über die an ihre Weisungen gebundenen nationalen Notenbanken in den Europäischen Mitgliedsländern Staatsanleihen nicht unmittelbar aus öffentlicher Hand und höchstens drei Prozent des entsprechenden Bruttoinlandsproduktes im Jahr erwerben.(8) Der aufgelaufene Stand an Schuldscheinen darf die Hälfte des jeweiligen Bruttoinlandsproduktes nicht überschreiten.

These 5 - Kapitaldeckung: Das Eigenkapital der Geschäftsbanken besteht aus den Einlagen der Gesellschafter oder Mitglieder des Kreditinstituts wie aus freiwilligen Rücklagen. Als Haftungsgrundlage muss es in einem angemessenen Verhältnis zu Geschäftsvolumen und -risiko stehen. Näheres bestimmt ein europäisches Bankengesetz.

These 6 - Kreditschaden: Ratingagenturen haben den Kreditschaden zu ersetzen, der durch eine unbefugte Bewertung entsteht, wenn sie für das Rating keinen Auftrag des Bewerteten haben.(9)

These 7 - Eigenhandel: Geldinstitute mit Kundeneinlagen können keinen fälschlich sogenannten "Eigenhandel" betreiben.(10) Wer zum Eigenhandel befugt ist, bewertet den Bestand der eigenen Wertpapiere höchstens mit dem Anschaffungspreis. Fällt der Verkehrswert unter den Anschaffungspreis, ist dem Gebot der kaufmännischen Vorsicht zu folgen und dauerhaft der niedrigere Wert anzusetzen.(11)

These 8 - Versicherungsgeschäft: Credit Default Swaps (CDS) und andere auf Spiel und Wette fußende Versicherungsgeschäfte können nicht außerhalb des Bereichs der Versicherungsaufsicht getätigt werden. Ist das dennoch der Fall, sind sie wie Spiel und Wette als unvollkommene Rechtsgeschäfte zu behandeln, die nicht eingeklagt werden können.

These 9 - Kurswetten: Verbindlichkeiten aus Kurswetten und Differenzgeschäften mit Waren, Wertpapieren und Währungen können nur zwischen Kaufleuten rechtswirksam begründet werden.(12) Banken mit Kundeneinlagen sind von diesen Geschäften ganz ausgeschlossen.

Wer mit Spiel und Wette in einem gewerbsmäßigen Umfang tätig ist, kann nicht als Bank firmieren und muss sich durch einen geeigneten Firmenzusatz als Spielbank beziehungsweise Wettbüro zu erkennen geben. Die gesetzlichen Vorschriften für Spiel und Wette sowie die Besteuerung finden Anwendung.

These 10 - Auslagerungen: Bankengeschäfte aller Art können nicht außerhalb des Bereichs der Bankenaufsicht getätigt werden. Ist das dennoch der Fall, sind sie wie Spiel und Wette als unvollkommene Rechtsgeschäfte zu bewerten, die nicht eingeklagt werden können.

Auslagerungen von Bankgeschäften aller Art sind ausgeschlossen. Neben der Haftungsbeschränkung gibt es keine weitere Haftungsgliederung, die Auslagerungen dubioser Geschäfte in sogenannte "Steuerparadiese" überhaupt erst ermöglicht.

These 11 - Derivate: Wertpapiere aller Art können nicht erneut zu derivativen Wertpapieren von Wertpapieren gebündelt werden. Schneeball-Derivate sind unzulässig und nichtig.

Die Besteuerung soll in gestaffelter Form den Dauerbesitz von originären Wertpapieren begünstigen, um so der nur mehr spekulativen Volatilität der Finanzmärkte wirksam entgegenzutreten. These 12 - Computerhandel: Die Börsenaufsicht kann insbesondere den Computerhandel jederzeit und ohne Begründung für die Dauer von bis zu drei Tagen aussetzen. Der Computerhandel muss durch Kontrakt mit Originalunterschrift nachvollzogen werden. Ist das nicht der Fall, liegt ein unvollkommenes Rechtsgeschäft vor, das wie Spiel- und Wettschulden nicht eingeklagt werden kann.

Große Dinge sind einfach

Schlechtes Gesetz verdrängt das gute. Das war schon immer so und gilt nicht nur für das Geld.(13) Denn niemand erinnert sich mehr daran, warum die Gesetze eigentlich gemacht worden sind. Doch "die großen Dinge sind einfach." Es war Konrad Adenauer, der das immer wieder betonte. Die Finanz-, Banken-, Schulden- und Staatenkrise lässt sich mit sehr einfachen Mitteln lösen, wenn man es denn wirklich will.

Der Euro ist bemerkenswert stabil. Er muss überhaupt nicht "gerettet" werden. Auch müssen die Griechen die Währungsgemeinschaft nicht verlassen und zur Drachme zurückkehren, wenn sie unbedingt einen Staatsbankrott ausprobieren wollen. Sie können den Euro weiterhin als Zahlungsmittel verwenden. Nicht dem Euro, den Griechen wird es übel ergehen, wenn der Staat Konkurs macht.

Was gerettet werden muss, ist nicht der Euro. Gerettet werden muss die ökonomische Verantwortung, Vernunft, Sachgerechtigkeit, Moral und Disziplin. Gerettet werden muss das, was Cato als "prisca virtus romana" - die alten römischen Tugenden - nannte, und zwar zuerst im Bereich der Staatshaushalte, sodann im Bereich der gesamten Kreditwirtschaft und an den Börsen, und im gesamten europäischen Währungsraum, ohne jede Rücksicht auf diejenigen, die sich dem verweigern und nicht mitmachen wollen. Ohne Umkehr wird es keine Besserung geben!

Erinnert werden darf abschließend an den ebenso einfachen wie berühmten Satz von Frédéric Bastiat: "Der Staat ist die große Fiktion, mit deren Hilfe sich alle bemühen, auf Kosten aller zu leben." Nicht, was kann der Staat für mich tun, sondern, was kann ich für den Staat tun, das ist der amerikanische Traum, der Nationalstolz, den John F. Kennedy am 20. Januar 1961 in seiner Inaugurations-Rede beschworen hat, und der am Ende auch den "Wealth of Nations" ausmacht, wie er Adam Smith vorschwebte.

Wohlstand hängt vom Wohlverhalten ab, von Gesetzestreue, nicht von Ungesetzlichkeit, von Steuerehrlichkeit, nicht von Steuerhinterziehung zum Beispiel - von der "prisca virtus romana", den alten römischen Tugenden eben und nicht von den alten römischen Lastern, "prisca vitia romana".

Anmerkungen

(1) Vgl. Weber, Wer trägt die Schuld an der Schuldenkrise und was ist jetzt zu tun? ZfgK 11/2010, S. 557ff.

(2)So schon der Art. 115 Grundgesetz in seiner Urfassung von 1949; dazu ferner Hettlage, ZfgK 18/2009, S. 887ff. (890) und ZfgK 11/2010, S. 564ff. (567).

(3) Gewerbepolizeiliche Rolle der Bundesbank war bereits Thema auf dem 3. Finanzgipfel v. 3. November 2009 in München.

(4)Vgl. Hettlage ZfgK 11/2010, S 564ff.( 567).

(5) Vgl. § 18 Insolvenzordnung (InsO); dazu ferner Breuer, Insolvenzrecht, 3. Auflage 2003, Rdnr. 149ff.

(6)Vgl. ZfgK 18/2009, S. 887 (889).

(7) Zur Vereinahmung der Notenbank-Gewinne durch den Staat vgl. die Kontroverse um das Jahr 1983; dazu auch Hettlage ZfgK 1983, S. 892ff. und ders., ZfgK 1983, S. 686 ff (beide mit weiteren Hinweisen).

(8) Die beiden wichtigsten Maastricht-Kriterien, dass die Neuverschuldung die Marke von 3,0 Prozent des BIP und die aufgelaufenen Schuldenstände 60 Prozent des BIP nicht überschreiten dürfen, können nicht von der EZB konterkariert werden.

(9) Der vom früheren Vorsitzenden der Deutschen Bank, Rolf E. Breuer, verursachten Kreditschaden im Fall des Medienkonzerns von Leo Kirch war nur ein "Kinderspiel" gegenüber den verheerenden Flurschäden, die von den unbefugten Kreditratings privater US-Agenturen angezettelt wurden und weiter angezettelt werden. Durch unbefugte Ratings einer europäischen Ratingagentur würde man nur vom "Regen in die Traufe" kommen. Gewiss, volenti non fit iniuria. - Dem Wollenden geschieht kein Unrecht. - Wer aber umgekehrt kein Rating will, darf gegen seinen Willen von niemandem in kreditschädigender Weise an den Pranger gestellt werden.

(10) Das war bereits im Glass-Steagall-Act der USA von 1933 so verwirklicht worden. Der Glass-Steagall-Akt wurde aber unter der Clinton-Administration außer Kraft gesetzt. Dabei ist es bis heute geblieben.

(11) Vgl. das althergebrachte, bewährte und lange Zeit hindurch unangefochtene Niederstwert-Prinzip in Gestalt des § 133 AktG (von 1937). Diese auf die Erfahrungen mit der Wirtschaftskrise von 1929 zurückgehende klassische Ausprägung wurde in der großen Aktienrechts-Reform von 1967 in eine sogenannte "gemäßigte" Form gegossen und bereits verwässert. Heute gilt das Prinzip der kaufmännischen Vorsicht bei der Bilanzierung nur mehr rudimentär. Die Lektion, die man nach den bitteren Erfahrungen von 1929 lernen musste, haben die Nachgeborenen vollkommen vergessen.

(12) Vgl. dazu Däubler, BGB Kompakt, 2002, S. 921 ff. (923f.) mit weiteren Hinweisen. In §764 BGB hatten zu Recht Differenzgeschäfte aller Art als hochriskantes Glücksspiel eingeordnet und nur bei Kaufleuten davon eine Ausnahme gemacht. Durch das 4. Finanzmarktförderungsgesetz wurde die Bestimmung aus dem BGB ersatzlos gestrichen. Das hatte zur Folge, dass jetzt "jede Oma und jedes Milchmädchen" die Sparbücher plündern und sich auf dem Finanzmarkt "tummeln" konnten und es mit den bekannten Folgen ja auch getan haben und nur deshalb tun konnten, weil der Schutz des § 764 BGB entfiel - ein schwerwiegender Missgriff des Gesetzgebers, der bis heute noch immer nicht revidiert wurde.

(13) Vgl. das sogenannte Gresham'sche Gesetz, wonach das schlechte Geld das gute verdränge, ist nicht auf das Geld beschränkt, sondern gilt eigentlich allgemein und überall. Selten verdrängt das Gute das Schlechte. Meistens ist es umgekehrt.

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