Europäische Union

Der ungebrochene Teufelskreis

Am 19. Juli 2012 hat der Bundestag die Bundesregierung mit großer Mehrheit zu Hilfsmaßnahmen ermächtigt, die Spanien in den Stand setzen sollen, seine durch eine geplatzte Immobilienblase angeschlagenen Banken wieder auf Vordermann zu bringen. Ob diese Banken letztlich zulasten von - nun auch deutschen - Steuerzahlern saniert oder - wenn insolvent - konsequent abgewickelt werden, ist noch unklar, da die Stresstests noch nicht durchgeführt und wesentliche technische Details der Durchführung erst noch verhandelt werden müssen. Es handelte sich daher bei der Abstimmung eher um eine die parlamentarische Haushaltshoheit preisgebende Ermächtigung als um die Zustimmung zu einem konkreten, also auch justitiablen Maßnahmenkatalog. Frühere Anmahnungen des Bundesverfassungsgerichts zur Verteidigung legislativer Kontrollrechte müssen gegen diese vom Bundestag wiederholt manifestierte Bereitschaft zur Selbstentmündigung wirkungslos bleiben. Dieselbe Wirkungslosigkeit wird der per 12. September dieses Jahres ausstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum ESM beschieden sein.

Wie die Rettungsmaßnahmen für die spanischen Banken aussehen sollen, beschreibt ein vorläufiges "Memorandum of Understanding on Financial-Sector Policy Conditionality", an dem so viel aber schon endgültig ist, dass die Maßnahmen nämlich weiterhin ganz in der Regie spanischer Institutionen wie dem Banco de España und dem spanischen Bankenrestrukturierungsfonds FROB liegen werden, welche lediglich verpflichtet sind, sich mit den europäischen Instanzen abzustimmen, von ihnen Rat einzuholen und ihnen jeweils ausführlich Bericht zu erstatten: Es ist also kein strenges Troika-Regiment wie bei Griechenland, Irland oder Portugal! Wie sich Spanien diese Vorzugsbehandlung verdient haben könnte, bleibt angesichts der bereits spektakulär gescheiterten Restrukturierung von sieben regionalen spanischen Cajas/Sparkassen über die im Dezember 2010 gegründete Holding Bankia ein Rätsel. Der danach stattgehabte Börsengang von Bankia erwies sich als Flop und hat zahllose spanische Kleinaktionäre geschädigt, die wegen Anlagebetruges und Schadensersatz bereits erste Erfolge vor spanischen Gerichten erzielen konnten. Also nicht nur die spanischen Banken, sondern auch die staatlichen Stellen haben seit geraumer Zeit wegen Verschleierung der tatsächlichen Entwicklung erheblich an Vertrauen bei Investoren weltweit eingebüßt, was aber - offensichtlich nach der schon von den Banken her bekannten schäbig-zynischen Logik des "too big to fail" - ohne Konsequenzen bleiben soll.

Bundesfinanzminister Schäuble bezog sich in der Begründung seiner Ermächtigungsvorlage ausgerechnet auf den - auch im einleitenden Satz des Euro Area Summit Statement vom 29. Juni beschworenen - "Teufelskreis" zwischen maroden Banken und klammen Staaten, der endlich gebrochen werden müsse. Wenn es da eine vertrackte Kumpanei auf nationaler Ebene geben sollte, ist diese nur bei entsprechenden Kontroll- und Durchgriffsrechten einer überstaatlichen Instanz zu knacken. Eine solche Kumpanei wird dann aber weiter verstärkt, wenn der Hilfe suchende Staat europäische Finanzhilfen direkt an Banken weitergibt, die nach wie vor dem Schutz ihrer nationalen Behörden unterstehen, welcher von diesen unter dem Aspekt vorwiegender nationaler Interessen weiterhin gewährt werden kann. So wie sich die Dinge in Spanien für die letzten zweieinhalb Jahre darstellen, wird man von dort keinesfalls etwas anderes erwarten dürfen. Die Lage der Cajas ist also der bei den deutschen Landesbanken nicht ganz unähnlich.

Dass Herr Schäuble behauptet, die nunmehr abgesegneten Maßnahmen seien geeignet, Spaniens Bankenproblem nachhaltig zu lösen, ist also schon sehr mutig. Dass er aber die von Expertenseite erhobenen Bedenken und Kritik als bloße Schwadroniererei abtut, ist mehr als mutig. Spätestens der nächste EU-Gipfel wird erweisen, wer schwadroniert hat.

Ein Grund hierfür liegt in der Möglichkeit der unterschiedlichen Auslegung des hinreichend ungenauen Wortlautes des in Brüssel in englischer Sprache verabschiedeten Kommuniqués zum Gipfel vom 29. Juni. So wurden Deutungen aus Paris, Madrid und Rom von der Bundesregierung noch am gleichen Tag in deutscher Sprache als nicht von dessen Wortlaut gedeckt zurückgewiesen. Das Kommuniqué steht gleichwohl unverändert im Raum und enthält zum Beispiel zu der - als Fortschritt in Richtung "Bankenunion" gepriesenen - Einrichtung eines effektiven, einheitlichen Bankenaufsichtsmechanismus den erläuternden Einschub "involving the ECB."

Gehört die EZB überhaupt einbezogen in einen zukünftigen europäischen Bankenaufsichtsmechanismus? Wenn Herr Schäuble am 18. Juli vor dem Haushaltsausschuss und am 19. Juli im Plenum betonte, dass die Einbeziehung der EZB in eine europäische Bankenaufsicht von deutscher Regierungsseite keineswegs bereits zugestanden oder mit ihr abgestimmt und er wegen des dann unvermeidlichen Interessenkonfliktes zwischen Geld- und Fiskalpolitik auch dagegen sei, steht das in Widerspruch zu jenem Kommuniqué-Einschub "involving the ECB". Ähnliche Auslegungsdifferenzen ergeben sich zu Möglichkeiten, den zukünftigen ESM zur direkten Rekapitalisierung von Banken einzusetzen, also noch vor Umsetzung einer europäischen Bankenunion.

Dass bei der Einführung des Euro nicht zugleich schon eine verbindliche, auf staatlicher Eigenhaftung beruhende europäische Fiskalunion geschaffen wurde, wird - nach zahlreichen ungesühnten Verstößen gegen den Maastrichtvertrag - unstreitig als großes politisches Versäumnis anerkannt. Die nunmehr bei der spanischen Bankenhilfe vorgesehene Reihenfolge - erst spanische Eigenregie, irgendwann später einheitliches europäisches Bankenregime - weist denselben Webfehler auf. Genau einen Tag nach der Bundestagsabstimmung vom 19. Juli wurde die Insolvenz der Provinz Valencia bekannt: Der "vicious circle" zwischen maroden Banken und klammen Staaten wurde also noch längst nicht durchbrochen, sondern droht sich auszuweiten.

Michael Altenburg

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