Leitartikel

Verordnetes Risikobewusstsein

Ob sich Naturkatastrophen ereignen oder ob sich kleine oder größere Dramen im täglichen Umfeld abspielen, das Grundmuster der Reaktionen ist erstaunlich oft vergleichbar. In aller Regel neigen die Betroffenen zu einer mehr oder weniger gründlichen Bestandsaufnahme. Zuweilen geloben sie Besserung, kümmern sich eine Weile, so gut es geht, um die Behebung der Ursachen negativer Ereignisse und meiden tunlichst vergleichbare Situationen. Aber generell ausschließen lassen sich künftige Schadensfälle damit nicht. Sie treten nur an anderen Stellen auf, in denen die Risikolage falsch eingeschätzt wurde. Ganz ähnlich ist das in der Finanzwirtschaft. Dort gehört die immer noch andauernde Finanz- und Wirtschaftskrise zweifellos in die Kategorie der Großschäden, die sich möglichst nicht wiederholen sollten. Entsprechend gründlich verlaufen die weltweite Ursachenanalyse und die Diskussionen um die erforderlichen Korrekturmaßnahmen. Aber auch hier wird die wie auch immer geartete Prävention nicht alle erdenklichen Risikoszenarien abdecken können.

Gerade in der Finanzwirtschaft gehören der Umgang mit und die Übernahme von Risiken unstreitig zu den Grundelementen der Geschäftsmodelle. Sieht man von der dramatischen Schieflage der AIG in den Vereinigten Staaten ab, werden die Kreditinstitute dabei sicher einräumen müssen, dass sich die Kollegen aus der Versicherungswirtschaft in der Finanzmarktkrise deutlich besser in der Kerndisziplin der Risikobeherrschung geschlagen haben als die eigene Branche - auch wenn das teilweise den strengen Anlagevorschriften geschuldet sein mag. Für die Einsicht in mangelndes Risikobewusstsein, wie sie die hiesige Kreditwirtschaft mit ungewohnten Demutsbezeugungen seit dem vergangenen Jahr zuweilen zeigt, war es somit vielleicht wirklich Zeit. Doch allein in dieser Art der Krisenbewältigung den Anfang einer völlig neuen Risikokultur sehen zu wollen, ist illusorisch. Im Unterschied zu den Versicherern, die die Risikobeherrschung traditionell als Kernelement ihrer Arbeit verstehen, orientieren sich die Banker der Tendenz nach eher an einer Optimierung des Verhältnisses zwischen Risiko und Ertrag.

Gleichwohl gehören die Bereitschaft zu einer gründlichen Aufarbeitung falscher Risikoeinschätzungen und die Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse in ein verändertes Risikomanagement auch hier schon aus wohl verstandenem Eigeninteresse zum Pflichtprogramm einer verantwortungsvollen Unternehmensführung. Der Politik und den Regulatoren sollte es deshalb in ihren Konsequenzen weniger um eine Abstrafung für vergangene Fehlentwicklungen gehen, sondern um die Schaffung vernünftiger Rahmenbedingungen, in denen die Selbstdisziplinierung auf ein vertretbares Risikoprofil künftig vielleicht doch ein wenig besser gelingen kann.

Verordnen indes lässt sich das notwendige Risikobewusstsein nicht. Dass die Lebenswirklichkeit gut eineinhalb Jahre nach der Lehman-Pleite längst schon wieder anders aussieht, zeigen dieser Tage nicht zuletzt die Diskussionen um die Leverage Ratio und einer Finanzmarktsteuer wie sie seit vielen Jahren im Gespräch ist (siehe Seiten 402 und 404). Eine krisenverhindernde Wirkung der sogenannten Tobin-Steuer, so der Tenor, lässt sich im aktuellen Fall kaum erkennen. Und die Schädlichkeit oder Nützlichkeit kurzfristiger Spekulation ist ohnehin umstritten. Greift man statt der risikoadäquaten Eigenkapitalausstattung nach Basel II auf eine vielleicht einfacher ermittelbare Kennziffer wie die Leverage Ratio zurück, schafft man damit der Tendenz nach sogar noch Anreize für eine Anhäufung von Kapitalmarktrisiken in den Bankbilanzen sowie unerwünschte Auswirkungen auf makroökonomische Größen.

Wäre es insofern nicht lebensnäher, auf eine Regulierung mit strengeren quantitativen Vorgaben ganz zu verzichten, statt die Finanzmarktakteure in neue kreative Ausweichreaktionen zu zwingen? Gab es vor Island, Irland und jetzt Griechenland, angefangen von Brasilien und Argentinien bis hin zu Russland, in der Vergangenheit nicht hinreichend viele Beispiele für die Bedeutung von Länderrisiken?

Genutzt hat das wenig. Als er gebraucht wurde, war der seinerzeit anlassgemäß geschärfte Blick für Risiken dieser Art längst wieder verflogen. Mit welchen Vorgaben hätte man die Banken darauf vorbereiten sollen, dass ihre Liquiditätsversorgung einmal zu einem solchen Engpass werden könnte? Welche Maßnahmen hätten den Blick der Risikomanager in den Unternehmen dahingehend schärfen sollen, ihre Finanzierung an den internationalen Kapitalmärkten in solchen Dimensionen selbst in die Hand nehmen zu müssen, wie das in den beiden vergangenen Jahren der Fall war? Auch die absehbare generelle Anhebung der Eigenkapitalstandards wird die Kreditwirtschaft nicht zu einem Hort der Stabilität werden lassen, solange sie alle Kreditinstitute gleich betrifft und nicht vernünftig an der jeweiligen Risikolage ausgerichtet werden kann.

Abseits von quantitativen Vorgaben gibt es aber Einsichten, die als Messlatte für Maßnahmen zur Verbesserung des Risikobewusstseins in die richtige Richtung zeigen. So hat die Krise - bei aller Überzeugung von der Nützlichkeit einer flankierenden Unterstützung durch statistisch-mathematische Verfahren der Risikomessung - wieder den Blick für die Tragfähigkeit von Geschäftsmodellen geschärft. Auch in der Kreditwirtschaft muss man mit einem zu riskanten Geschäftsmodell scheitern können und dafür empfindlich mit in die persönliche Haftung genommen werden. Die Branche sollte damit rechnen müssen, nicht den Staat als Retter in der Not bemühen zu können. Darüber hinaus kann das Konzept der qualitativen Aufsicht das Bewusstsein für eine bessere Risikokultur schärfen. All diese grundlegenden Überlegungen könnten auch durch die Ergebnisse der Forschungsarbeit der Deutschen Bundesbank befruchtet werden, wie sie Präsident Axel A. Weber noch stärker in die Analyse und die Arbeit der nationalen und internationalen Gremien einbringen will (Seite 381). Aller Erfahrung nach ist das zwar leichter gesagt als getan, aber letztlich muss der Anreiz stärker von innen kommen als durch schwer differenzierbaren Kennzahlendruck von außen.

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