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Auf dem Weg zum magischen Viereck - Nachhaltigkeit als vierte Investment-Dimension

Es war nur eine kleine Nachricht im Online-Auftritt eines Fachmagazins. Dem aufmerksamen Beobachter jedoch signalisierte sie den Beginn eines Aufbruchs. "BVK unterzeichnet UN-PRI", hieß es in der Meldung aus dem April dieses Jahres. Deren Inhalt: Als erste deutsche Altersvorsorgeeinrichtung unterzeichnete die Bayerische Versorgungskammer (BVK) die UN-Prinzipien für verantwortungsvolles Investieren. Mit diesem Schritt, so wurde der Vorstandsvorsitzende der BVK zitiert, wolle man der Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage noch stärker Beachtung schenken. Die UN Principles for Responsible Investment sind ein Kodex freiwilliger Best-Practice-Standards. Mit ihnen verpflichten sich Investoren und Asset Manager zur Einhaltung ökologischer, sozialer und Corporate-Governance-Standards (Enviromental Social Governance; kurz ESG-Standards) in ihren Investmentprozessen. Union Investment zählt zu den ersten Unterzeichnern dieser Richtlinien in Deutschland und setzt sich aktiv für deren weitere Verbreitung ein.

Institutionelle Investoren als Treiber

Noch ist die Zahl der institutionellen Investoren in Deutschland, die sich an das Regelwerk der UN-PRI gebunden haben, überschaubar. Vor allem Asset Manager, Beratungsfirmen und Kreditinstitute wie die KfW-Bankengruppe zählen zu diesem Kreis. Wurde das Thema Nachhaltigkeit in Deutschland bisher doch eher durch die Nachhaltigkeits-Pioniere wie kirchliche und soziale Institutionen vorangetrieben, erwarten Experten nun weitere Unterzeichnungen der UN-PRI durch bedeutende deutsche Gesellschaften. Der Weg zu einer systematischen und dauerhaften Integration nachhaltiger Investmentprozesse in die Kapitalanlage wird dadurch sicherlich beschleunigt.

Dass die Berücksichtigung nachhaltiger Investmentstrategien längst keine Modeerscheinung mehr ist, zeigt auch ein Blick auf die Entwicklung des entsprechenden Marktsegments. Seit mehreren Jahren verzeichnen nachhaltige Anlageprodukte ein beträchtliches Wachstum. Nach Angaben des European Sustainable Investment Forums (Eurosif) lag das Gesamtvolumen nachhaltig gemanagter Anlagen 2010 europaweit bei fünf Billionen Euro. Innerhalb von nur zwei Jahren hatten sich die Assets under Management in diesem Bereich nahezu verdoppelt. Treiber dieser Dynamik waren vor allem institutionelle Investoren. Ihr Anteil an der Nachfrage betrug nach Schätzungen des Eurosif im europaweiten Durchschnitt mehr als 90 Prozent. Für die kommenden Jahre rechnet das Forum mit einem weiterhin starken Engagement der Großanleger in Sachen Nachhaltigkeit. Dies gilt insbesondere für den deutschen Markt, der zuletzt fast gleichmäßig sowohl zwischen institutionellen und privaten Anlegern aufgeteilt war. Marktbeobachter gehen jedoch davon aus, dass das verstärkte Nachhaltigkeitsengagement institutioneller Investoren hierzulande die Verhältnisse mittelfristig deutlich stärker zugunsten der Großanleger verändern wird.

Die Prognose einer weiteren Bedeutungszunahme von nachhaltigem Vermögensmanagement für Großanleger in Deutschland deckt sich auch mit den Ergebnissen der jüngsten Studie von Union Investment in Zusammenarbeit mit Professor Henry Schäfer von der Universität Stuttgart. Von Mai bis Juni dieses Jahres wurden 218 nationale institutionelle Investoren nach ihrer Einschätzung und nach ihrem Engagement im Bereich der nachhaltigen Kapitalanlage befragt. In den nächsten fünf Jahren planen diese nachhaltige Investments mit durchschnittlich 36 Prozent ihrer Neuanlagen zu berücksichtigen. Besonders hoch ist die Investitionsbereitschaft weiterhin bei Kirchen und Stiftungen. Auch mittelständische Unternehmen und Family Offices wollen ihr Engagement in diesem Segment in den nächsten Jahren merklich steigern. Den geringsten Zuwachs stellen dagegen Pensionskassen und Versicherer in Aussicht.

Ökonomische Kriterien zunehmend im Vordergrund

Neben der quantitativen Marktbetrachtung lohnt auch der Blick auf die qualitativen Wachstumsaspekte nachhaltiger Investments. Denn durch die Verknüpfung beider Sichtweisen wird erkennbar, weshalb Nachhaltigkeit aller Voraussicht nach nicht als kurzfristiger Modetrend enden, sondern als substanzielles Thema dauerhaft Bestand im Koordinatensystem der modernen Kapitalanlage haben wird. Um diese Einschätzung nachvollziehen zu können, muss man sich mit den zentralen Motiven, die dem nachhaltigen Engagement institutioneller Investoren zugrunde liegen, befassen.

Lange Zeit und ganz besonders in den Anfangsjahren der Nachhaltigkeitsentwicklung dominierten hier zunächst eher weiche Faktoren. Eingefordert vor allem von Kirchenbanken, konfessionellen Einrichtungen und Stiftungen war die Nachfrage nach Strategien einer ökologisch und sozial unbedenklichen Kapitalanlage in diesen Zeiten überwiegend ethisch und moralisch motiviert. Reines Gewissen statt bedenkenloser Renditemaximierung, auf diesen Nenner ließen sich die Beweggründe vieler Nachhaltigkeitsinvestoren bringen. Einen verstärkenden Widerhall fand diese Haltung in einer breiter werdenden gesellschaftlichen Grundströmung, die darauf abzielte, die Produktionsbedingungen der globalen Wirtschaft stärker an sozialen, ethischen und ökologischen Kriterien auszurichten. Die Asset-Management-Branche reagierte auf diese Bedürfnislage mit entsprechenden, auch für den Privatanleger zugänglichen Produkten. Die ersten Nachhaltigkeitsfonds waren geboren.

Mit dem Aufkommen der Corporate-Governance-Thematik in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde das Nachhaltigkeitsspektrum um die Komponente der guten Unternehmensführung erweitert. Unter dem Stichwort ESG umfasste Nachhaltigkeit neben der ökologischen und der sozialen Komponente fortan auch die Beachtung eines Ordnungsrahmens für die verantwortungsvolle Unternehmensführung und -kontrolle (Abbildung 1). In diesem Zusammenhang rückten neben den ethisch-moralischen Motiven nun auch verstärkt harte ökonomische Faktoren in das Bewusstsein der Investoren.

Grundlage hierfür waren Studien, die belegten, dass gut entwickelte Corporate-Governance-Strukturen einen direkten wirtschaftlichen Anlegernutzen stiften können. Verwiesen sei hier unter anderem auf Untersuchungen der Universität Sankt Gallen oder der spanischen IE Business School, die einen positiven Zusammenhang zwischen effizienter Corporate Governance und Unternehmensbewertung nachweisen konnten. Oder auf eine Analyse der UBS Investment Bank, die zu dem Ergebnis kommt, dass die Schwankungsintensität von Aktienkursen stark vom Stellenwert der guten Unternehmensführung im Unternehmen abhängt. Diese Erkenntnisse trugen mit dazu bei, die Sichtweise sowohl von Investoren als auch von Asset Managern auf nachhaltige Investmentstrategien zu verändern. Hatten für die einen bislang ethische Motive und für die anderen vorwiegend Marketing- und Absatzgründe im Fokus ihres Handelns gestanden, zeigte sich nun, dass nachhaltige Investments auch für die Optimierung des Risiko-Rendite-Profils von Anlageportfolios eine unterstützende Rolle spielen können.

Finanz- und Umweltkrisen als Verstärker

Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts brachte eine Verstärkung dieses Gedankens. Ursache hierfür waren unter anderem zwei im Abstand von nur wenigen Jahren aufeinanderfolgende Finanzkrisen sowie die zunehmende Erkenntnis, dass globale ökologische Herausforderungen wie zum Beispiel der Klimawandel auch mit signifikanten Implikationen für die Chancen- und Risikobewertung von Investments verbunden sein können. Die enorme Wertvernichtung im Verlauf der Finanzkrisen schärfte den Sinn vieler Anleger für die Risiken kurzfristiger und ausschließlich am Prinzip des maximalen Profits orientierter Anlagestrategien. Die Folge: Nachhaltigkeit im Sinne eines transparenten und verantwortungsvollen Umgangs mit Investmentkapital wurde auch von Investorenseite verstärkt als sinnvoller Teil einer ökonomisch motivierten Krisenpräventionsstrategie betrachtet.

Noch stärker zeigte sich die Bedeutungszunahme wirtschaftlicher Motive bei der Berücksichtigung nachhaltiger Investmentstrategien im Zusammenhang mit ökologischen Fragestellungen. Neben einzelnen ökologischen Schadensereignissen wie die Folgen aus der tragischen Reaktorkatastrophe in Japan wird die Kapitalanlage institutioneller Investoren in einem noch viel stärkeren Ausmaß von globalen Umweltphänomenen herausgefordert. Die weltweite Klimaerwärmung ist das vielleicht gravierendste Beispiel hierfür.

Auf die Gefahren, aber auch die Chancen des Klimawandels für die Vermögensanlage von Großanlegern, wies erst kürzlich die Beratungsgesellschaft Mercer hin. In ihrer Untersuchung "Climate Change Scenarios - Implications for Strategic Asset Allocation" analysierten die Unternehmensberater die möglichen finanziellen Auswirkungen des Klimawandels auf die Portfolios institutioneller Anleger. Anlass zur Sorge besteht danach vor allem für langfristig orientierte Anleger wie Pensionskassen, Vorsorgeeinrichtungen oder Versicherungen. Unter ungünstigen Umständen könnten diese in den kommenden 20 Jahren mehrere Billionen Euro verlieren. Denn der Klimawandel, so die zentrale Aussage der Studie, bringe grundlegende Veränderungen für Strukturen, Risiken und Erträge von Kapitalanlagen mit sich. Die verstärkte Allokation in klimasensitive Anlageformen könne allerdings dazu beitragen, Risiken zu mindern und neue Chancen zu nutzen.

Auch dieses Beispiel zeigt, dass nachhaltige Anlagestrategien im Asset Management längst in eine neue Qualität hineingewachsen sind und von den Investoren zunehmend auch aus wirtschaftlichen Gründen berücksichtigt werden. Dass diese Auffassung sich mittlerweile durchgesetzt hat, belegt auch ein weiteres Ergebnis der aktuellen Nachhaltigkeitsstudie von Union Investment. Befragt nach dem Kriterium, mit dem die Investoren das Thema Nachhaltigkeit am stärksten verbinden, erhielt die ökonomische Dimension die höchsten Zustimmungswerte vor ökologischen, sozialen oder ethischen Kriterien.

Nutzen für das Risikomanagement

Als interessanter Befund der Studie ist auch die hohe Bedeutung zu werten, die Großanleger der Optimierung des Risikomanagements durch nachhaltige Investmentstrategien beimessen: Rund 58 Prozent der Studien-Teilnehmer erachtet diesen Aspekt als besonders wichtig. Und in der Tat stellt die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien im Risikomanagement eine wichtige Ergänzung der Risikosteuerung von Kapitalanlagen dar. Den überwiegend quantitativ ausgerichteten Modellen wird so ein qualitativ geprägter Ansatz gegenübergestellt. Zwar bleibt die traditionelle, fundamentale und an Finanzkennziffern ausgerichtete Analyse weiterhin im Zentrum des Risikomanagements. Sie wird jedoch zunehmend flankiert von nachhaltigen Investmentüberlegungen, die vor allem der langfristigen Bewertung von Investments zugute kommen.

Ein Investment wird hierbei multidimensional beurteilt. In die Bewertung des zugrunde liegenden Unternehmens fließen nicht nur kurzfristig ausgerichtete ökonomische Kennziffern ein, sondern alle seine internen und externen Beziehungen - vom Umgang mit Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten über das Umweltverhalten bis hin zur Interaktion mit den Kapitalgebern. Nur so können das komplexe und vielschichtige Handlungsumfeld von Unternehmen in die Risikoanalyse mit einbezogen und harte Zahlen mit weichen Faktoren zu einer umfassenden Gesamtrisikosicht verknüpft werden. Schon heute ist zu erkennen, dass sich die globalisierte, moderne Investmentwelt allein mit den klassischen Modellen der Risikoanalyse nicht mehr verlässlich erfassen lässt. Eine vernetzte, um Aspekte der Nachhaltigkeit erweiterte Risikoanalyse kann hier einen größeren Nutzen stiften.

Worin dieser Nutzen konkret besteht, lässt sich an folgendem Beispiel gut erläutern. Zwar können schlechte Arbeits- und Umweltschutzbedingungen im ersten Schritt zur Reduktion der Produktionskosten führen und sich somit positiv auf die Profitabilität eines Unternehmens auswirken. Vom betriebswirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet erscheint dies vordergründig sinnvoll. Im zweiten Schritt führt eine solche aus ethischen und ökologischen Gesichtspunkten bedenkliche Unternehmenspraxis bei Bekanntwerden jedoch nicht selten zu Konsumentenboykotts oder zu rechtlichen Konsequenzen. Unter Umständen können daraus sogar Strafzahlungen resultieren. Diese wiederum können zu deutlich negativen Aktienkursreaktionen führen und sind durch eine klassische Fundamentalanalyse kaum aufzuzeigen.

Der amerikanische Spielzeughersteller Mattel hatte mit diesen Problemen in der jüngeren Vergangenheit zu kämpfen. Das Unternehmen musste rund 18 Millionen Spielzeuge wegen der Verwendung gesundheitsschädigender Materialien zurückrufen. In die Schlagzeilen geraten waren auch Technologie-Giganten wie Apple oder Dell. Beide Firmen nutzen für ihre Produkte den taiwanesischen Zulieferer Foxconn. In dessen Fabriken waren die Arbeitsbedingungen offenbar so schlecht, dass sich mehrere Arbeiter das Leben nahmen. Arbeitsrechtsorganisationen riefen daraufhin zum Boykott des I-Phone auf.

Der Umsatz- und Gewinneinbruch ist dabei eine Sache, der langfristige, schwerwiegende Imageschaden eine andere. Beides ist nicht wünschenswert, weder für das Unternehmen noch für den Investor. Kern einer langfristigen Investmentstrategie sollten daher auch nachhaltige Überlegungen zum Geschäftsmodell sein. Denn nur, wenn ein Unternehmen nachhaltig wirtschaftet, sich mithin umwelt- und sozialverträglich verhält und die Stakeholder des Unternehmens respektiert, bleibt das Geschäftsmodell langfristig tragfähig. Um die beschriebenen Aspekte bei Unternehmen zu verankern, kann von einer stark wachsenden Aktivität der Aktionäre ausgegangen werden. Vor allem aktive Asset Manager können hier Mehrwert für ihre Kunden schaffen. Denn sie haben als Treuhänder die Möglichkeit, Anlagevermögen in bedeutendem Maße zu bündeln und durch einen dynamischen und integrierten "Engagement-Ansatz", der auch Nachhaltigkeitsaspekte umfasst, deutlich Einfluss auf die Strategie eines Unternehmens zu nehmen (Abbildung 2). Ziel dabei ist im Sinne des Anlegers die Verringerung des "Governance-Risikos" und damit von Ereignisrisiken, die den Wert eines Unternehmens stark schmälern können.

Nachhaltigkeit wird nachhaltig

Angesichts der sich vollziehenden Evolution von Nachhaltigkeit weg vom weichen und hin zu einem harten Investmentkriterium mit konkretem Nutzen für den Investor erscheint die Einschätzung gerechtfertigt, dass nachhaltige Investments nicht das übliche Ende von Modetrends nehmen und früher oder später sang- und klanglos vom Markt verschwinden werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Einsatz von nachhaltigen Investmentkriterien selbst in einen nachhaltigen und unumkehrbaren Prozess münden wird, an dessen Ende das magische Dreieck der Kapitalanlage dauerhaft um eine vierte Dimension ergänzt sein wird. Noch steht diese Entwicklung am Anfang. Wie schnell die Asset Manager auf diesem Weg vorankommen, wird maßgeblich davon abhängen, wie gut es der Branche und der Wissenschaft gelingt, nachhaltige Investmentansätze mit harten Kennziffern und transparenten Standards zu unterlegen. Hier liegt noch ein gutes Stück Arbeit.

Alexander Schindler , Mitglied des Vorstands , Union Investment
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