Gespräch des Tages

Wirtschaftstheorie - Laufen Kondratjew-Zyklen aus?

Prof. Dr. Jürgen Singer, Universität Leipzig, schreibt der Redaktion: "Die jetzt ablaufende Finanzkrise wird auf die Subprime-Kreditblase in den USA zurückgeführt, so beispielsweise von Robert Shiller, der vor Jahren bereits vor der Immobilienblase in den USA gewarnt hat. Eine erwägenswerte Ursache wurde in der aufgeregten Diskussion allerdings übersehen. Nach der Theorie des russischen Wirtschaftswissenschaftlers Nikolai Kondratjew entwickelt sich die Wirtschaft im Kapitalismus in Zyklen (40 bis 60 Jahre) auf der Basis grundlegender neuer Erfindungen und damit verbundener innovationsinduzierter Investitionen (veröffentlicht in der nicht-englischsprachigen Zeitschrift Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik). Er hat 1926 nachgewiesen, dass kapitalistische Systeme nicht zwangsläufig untergehen müssen, sondern dass sie sich in der Krise mittels der Marktkräfte revitalisieren können. Aufgrund dieser Aussagen beschuldigte Josef Stalin ihn einige Jahre später als Konterrevolutionär und ließ ihn erschießen.

Kondratjew sprach noch von langen Wellen der Konjunktur und entwickelte die Theorie, dass kurze Konjunkturzyklen von langen Wellen überlagert würden. Solche langen Wellen dauern seiner Meinung nach etwa 40 bis 60 Jahre und bestehen aus der längeren Aufstiegsphase und der etwas kürzeren Abstiegsphase. Er eruierte zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung 'Die langen Wellen der Konjunktur' zwei Wellen. Die dritte danach ablaufende Welle würde sich seiner Meinung nach Ende der zwanziger Jahre ihrem Ende nähern. Ob in den damaligen Börsenturbulenzen und der darauffolgenden Depression Ähnlichkeiten zu heute bestehen? Als Ursachen dieser langen Wellen sah er Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus. Joseph Schumpeter prägte 1939 in seiner Untersuchung der Konjunkturzyklen den Begriff der Kondratjew-Zyklen und hob heraus, dass die Grundlagen der langen Wellen in technischen Innovationen zu suchen seien. Daraus würden Umwälzungen in der Produktion und Organisation resultieren.

Der Zyklus Auto und Verbrennungsmotor könnte am Ende seiner Entwicklung stehen, betrachtet man die Turbulenzen der Automobilbranche. Die Ausstattung der Bevölkerung mit dem Auto ist in den Industriestaaten kaum zu steigern. Auch die Einstellung zum Auto ändert sich! Es dient vielen Menschen nicht mehr als Prestigeobjekt, sondern als Mittel zur Mobilität. Gleichzeitig ist es in manchen Bevölkerungsgruppen ein Hassobjekt geworden. Zwar wurden Auto und Verbesserungsmotor nicht in den USA entwickelt, entgegen mancher Aussage, das Auto als 'Massenprodukt' setzte sich aber erst in den dreißiger Jahren durch. Damit käme man auf einen Zeitraum von etwa 70 Jahren.

Ein weiterer Zyklus, EDV/Computer, könnte ebenfalls am Auslaufen sein. Kondratjew bezifferte die Länge eines solchen Zyklus hinzu etwa 60 Jahre. Zuse hat sich in den zwanziger und dreißiger Jahren mit dem Computer beschäftigt. Großbritannien knackte 1940/41 mit dem damaligen Computer 'Ultra' die Codes der deutschen Verschlüsselungsmaschine Enigma und erlangte kriegsentscheidende Informationsvorsprünge, um den Krieg mit den Achsenmächten gewinnen zu können. Die deutsche Flugzeugindustrie konstruierte Anfang der vierziger Jahre mit dem damaligen Zuse-Computer die Tragflächen eines Kampfflugzeugs. Die Länge dieses Zyklus entspricht etwa dem von Kondratjew genannten Zeitraum.

Sind jetzt diese zwei genannten Zyklen am Auslaufen, dann dürften nach der Theorie von Kondratjew gravierende krisenhafte Erscheinungen unausweichlich sein. Die Märkte sind gesättigt, erhebliche Überkapazitäten verursachen Leerkosten und Unterauslastung. Eventuell entstehen Handelskonflikte und Hemmnisse des Welthandels. Eine neue grundlegende Technologie, die einen weiteren Zyklus initiieren könnte, ist noch nicht zu erkennen. Ist es die Gentechnologie, die Nanotechnologie, der Umwelt- oder Gesundheitsmarkt (so Leo A. Nefiodow), sind es die regenerativen Energiegewinnungsformen? Der Finanzmarkt mit dem 'Bankstern' ist jedenfalls kein Zyklus, selbst wenn sich die arroganten Akteure als 'Master of the Universe' bezeichneten. Auch die Dienstleistungen dürften keinen eigenständigen Zyklus darstellen, obwohl manche Ökonomen es so sehen."

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