Deutsch-französische Wissenschaftler präsentieren Reformkonzept für die Europäische Währungsunion

Eine Gruppe von 14 Ökonomen aus Deutschland und Frankreich, darunter DIW-Präsident Marcel Fratzscher und Ifo-Präsident Clemens Fuest haben ein Reformpaket für die Europäische Währungsunion vorgeschlagen, dessen Umsetzung den Euroraum robuster und krisenresistenter machen, für solidere Staatsfinanzen sorgen und mehr Wirtschaftswachstum ermöglichen soll, ohne eine politische Neuausrichtung der Währungsunion nach sich zu ziehen. 

Das vorgeschlagene Paket kombiniert mehr Risikoteilung zwischen den Euro-Mitgliedsstaaten mit mehr fiskalischer Disziplin vor. Frankreich soll mehr Marktdisziplin zulassen und Deutschland zu mehr Risikoteilung bereit sein. Gleichzeitig müssen mit Risikoteilung verbundene Fehlanreize ebenso eingedämmt werden wie mit Marktdisziplin verbundene Destabilisierungseffekte. Mit den vorgeschlagenen Reformenwürde keine Transferunion geschaffen.

Die Reformvorschläge konzentrieren sich auf sechs Bereiche, die als Paket betrachtet werden, das gemeinsame Implementierung erfordert.

  1. Bankenunion und Kapitalmarktunion vervollständigen, unter anderem durch Einführung des gemeinsamen Einlagesicherungsmechanismus. Es wird auch die Einführung einer konzentrationsabhängigen Eigenkapitalunterlegung (sovereign concentration charge) vorgeschlagen: Übersteigt der Anteil von Wertpapieren eines einzigen Emittenten (zum Beispiel ihres Heimatlandes) in der Bilanz einer Bank eine bestimmte Schwelle, dann wird diese Bank aufgefordert, ihr Eigenkapital zu erhöhen. So soll der „doom loop“, die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Staaten und ihren Banken, durchbrochen werden.
  2. Eine neue Ausgabenregel anstelle des Maastricht-Defizitkriteriums. Die Maastricht-Regel, wonach das Haushaltsdefizit eines Mitgliedlandes drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten darf, sollte durch eine neue, einfache Ausgabenregel ersetzt werden. Nationale Fiskalräte, die wiederum von einer unabhängigen Institution auf der Ebene des Euroraums beaufsichtigt werden, überwachen deren Einhaltung. Bei Regelüberschreitungen müssen die Mitgliedstaaten die überschießende Verschuldung mit nachrangigen Anleihen finanzieren (Accountability Bonds).
  3. Grundlage für eine geordnete Schuldenrestrukturierung für Länder, deren Solvenz nicht durch Hilfskredite mit Auflagen wiederhergestellt werden kann. Die Politik und die Entscheidungsprozeduren des Rettungsfonds ESM müssen sicherstellen, dass Länder mit dauerhaft nicht tragbarer Verschuldung keine Rettungskredite erhalten.
  4. Neuer gemeinsamer Fonds zur Unterstützung einzelner Länder bei großen wirtschaftlichen Krisen. Mitgliedsländer zahlen in den Fonds ein, wobei für wirtschaftliche Verwerfungen besonders anfällige Länder überproportional beitragen. Bei einem Einbruch der Beschäftigung beziehungsweise dem Anstieg der Arbeitslosigkeit über eine hohe, festgesetzte Schwelle hinaus erhält das betroffene Land eine Zahlung aus dem Fonds.
  5. Neues Euro-Anlageprodukt als Alternative zu Staatsanleihen (EsBies). Hohe Risikostreuung und Aufteilung in einer vorrangigen und einer nachrangigen Tranche würden die vorrangige Tranche dieses neuen Finanzprodukts, das ausdrücklich kein Eurobond ist, zu einem besonders sicheren Anlageprodukt machen - ohne Solidarhaftung der Mitgliedstaaten
  6. Reform der Institutionen: Präsident der Eurogruppe an die Kommission anbinden. Zurzeit agiert die Eurogruppe sowohl als politischer Entscheidungsträger als auch als Aufsicht. Vorgeschlagen wird eine Trennung dieser beiden Funktionen mit der Schaffung einer neuen unabhängigen Aufsicht. Die Präsidentschaft der Eurogruppe würde der Kommission zufallen durch ein neu geschaffenes Amt, analog zur Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik. 

Autoren des Reformvorschlags sind: Agnès Bénassy-Quéré (Paris School of Economics und Université Paris 1), Markus Brunnermeier (Princeton University), Henrik Enderlein (Hertie School of Governance und Jacques Delors Institut Berlin), Emmanuel Farhi (Harvard University), Marcel Fratzscher (DIW und Humboldt Universität Berlin), Clemens Fuest (ifo Institut und Universität München), Pierre-Olivier Gourinchas (University of California at Ber-keley), Philippe Martin (Sciences Po und Conseil d'Analyse Économique), Jean Pisani-Ferry (Bruegel, EUI, Hertie School of Governance und Sciences Po), Hélène Rey (London Business School), Isabel Schnabel (Universität Bonn und Sachverständigenrat zur Begutachtung des gesamtwirtschaftlichen Entwicklung), Nicolas Véron (Bruegel und Peterson Institute for International Economics), Beatrice Weder di Mauro (INSEAD und Universität Mainz) und Jeromin Zettelmeyer (Peterson Institute for International Economics).

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