Blockchain in der Kreditwirtschaft: Was ist denkbar?

Dr. Udo Milkau, Chief Digital Officer, Transaction Banking, DZ BANK AG, Frankfurt am Main

Quelle: DZ Bank AG

 

Dr. Udo Milkau, Chief Digital Officer, Transaction Banking, DZ BANK AG, Frankfurt am Main - Das Schlagwort Blockchain hat es zwar längst in eine breitere Öffentlichkeit geschafft. Welche Auswirkungen die Blockchain-Technologie auf die Entwicklung ganzer Branchen haben könnte, zeichnet sich aber allenfalls in Umrissen ab. Die Unsicherheit ist groß, selbst in Fachkreisen. Auch der Autor verweist auf eine fragmentierte Entwicklung mit vielen Ideen, aber noch lange keiner einheitlichen Richtung. Zur Debatte stehen für ihn Modelle der heutigen Transaktionsabwicklung, Geschäftsbeziehungen zwischen Intermediären und auch Fragen der Interaktion in komplexen sozialen Welten. Als offen stuft er dagegen Fragen der Governance und der Fortentwicklung der Systeme ein. (Red.)

Alles muss "denkbar" sein, denn Denkverbote widersprechen dem Grundverständniss einer offenen Marktwirtschaft! Was nun im Falle der Blockchain für Banken und deren Kunden einen nachhaltigen Nutzen bietet und nach einer betriebswirtschaftlichen Bewertung letztlich sinnvoll ist, dies muss sorgfältig und auch "messbar" geprüft werden. Warum interessieren sich Kreditinstitute für die "Blockchain"?

Hohe Erwartungen

Es gibt eine ganze Menge von oft wiederholten Aussagen, was die neue Technologie der Blockchain alles versprechen soll:

- The Trust Machine (Titel im The Economist vom 31. Oktober 2015) - The Internet of Value (Jeremy Allaire auf der Money 20/20 am 4. November 2014)

- Basis für Smart Contracts (von Nick Szabo geprägter Begriff vom 1. September 1997)

Letztlich ist aber alles in der digitalisierten Welt von Computern und Netzwerken immer nur eine Sequenz von Nullen und Einsen; und daher rühren auch die vielen Anführungszeichen. Die Blockchain ist technisch ein dezentral verteiltes, sequenzielles Register für Transaktionsnachrichten.1) Können so gespeicherte Nullen und Einsen wirklich Vertrauen, Value und Verträge darstellen oder sogar substituieren? Um den konkreten Nutzen der Blockchain - beziehungsweise der Distributed Ledger Technology - bewerten zu können, ist es zuerst einmal notwendig, die Blockchain ein wenig zu demystifizieren.

Eine kritische Prüfung

Computer verarbeiten grundsätzlich nur Nullen und Einsen und das Ergebnis sind wiederum Nullen und Einsen. Dies ist die grundlegende Arbeitsweise eines Computers, wie sie schon 1936 von Alan Turing beschrieben wurde. Daher sind auch Vertrauen, Value und Verträge kein generisches Thema von elektronischer Datenverarbeitung:

Vertrauen ist gemäß dem deutschen Soziologien Niklas Luhmann ein Instrument zur Reduktion von sozialer Komplexität.2) Natürlich gehen wir in unserem Restaurant "des Vertrauens" nicht in die Küche und prüfen die Frische der Fische auf der Tageskarte. In diesem Sinne können Nullen und Einsen immer nur ein technisches Protokoll sein und niemals "Vertrauen" erzeugen.

Die Bedeutung von Value (um den englischsprachigen Begriff zu verwenden) kann man im übertragenen Sinne aus der Darstellung von Carl-Ludwig Thiele zu Währungen ableiten: "[...] dass die offiziellen Währungen stets 'Forderungsgeld' sind. Sie stellen eine Forderung gegenüber einer Geschäftsbank oder der Zentralbank dar. Und mit dem Vertrauen in die Zentralbank steigt und fällt auch der Wert dieser Währung." 3) Letztlich ist ein Value - verkürzt - immer direkt oder indirekt mit einer Forderung in Zentralbankgeld verbunden und digitale Registrierungen sind nur Tokens, das heißt Pfandmarken wie beim Getränkeverkauf für das Glas auf dem Straßenfest. Sie haben den Sachwert der Plastikmarke, aber alle wollen ihr Pfand in echte Euros zurückgetauscht bekommen.

Verträge sind letztlich immer etwas, was ein Gericht im Streitfall anerkennt, um für die Parteien eine Entscheidung zu treffen. Hier kann man gemäß des deutschen Rechtsverständnisses und im Sinne des BGB von einer klaren Willensentscheidung der beiden beteiligten Parteien und einer Erklärung in einer für alle Partner verständlicher Form ausgehen (siehe dazu auch den Beitrag von Michael Jünemann und Angela Kast in dieser Ausgabe).

Damit sind per se Vertrauen, Value und Verträge außerhalb der Sphäre der Datenverarbeitung und auch der Blockchain zu verorten. Was ist aber nun die wirkliche Innovation der Blockchain?

Die Innovation der Blockchain - Spieltheorie statt Technik

Mit der Blockchain bei Bitcoin wurde eine funktionierende Lösung für ein offenes Problem gefunden, nämlich "elektronisches Bargeld" in offenen Computernetzwerken mit unbekannten - und daher vertrauenslosen - Teilnehmern zu implementieren. Denn prinzipiell ist es für jede Nachricht aus Nullen und Einsen von einem Sender über viele andere Knoten an einem Empfänger unsicher, ob diese auch ankommt und nicht gegebenenfalls doppelt an verschiedene Empfänger verschickt wurde. Daher besteht die Herausforderung darin, in dem Netzwerk einen Consensus über alle Transaktionen so herzustellen, dass die Transaktion nur einmal und fallabschließend durchgeführt wurde. Nun ist aber seit 1985 bekannt, dass dies in einem Computernetzwerk mit gegebenenfalls ausfallenden oder manipulativen Knoten niemals zu 100 Prozent machbar ist (Impossibility of Distributed Consensus von Fischer, Lynch und Paterson).

Der wirklich innovative Trick der Blockchain war nun, keine technische Lösung für ein unlösbares Problem zu suchen, sondern auf Ideen aus der Spieltheorie zurückzugreifen. So ist eine Blockchain wie bei Bitcoin ein sich wiederholendes Spiel unter rational agierenden Beteiligten, bei dem es für alle von Nutzen ist, sich an die Regeln zu halten und keine Manipulationen zu versuchen, da Betrug einfach zu teuer, das heißt zu ressourcenintensiv wäre.4) Die Blockchain schafft keineswegs Vertrauen, sondern macht Manipulation letztlich wirtschaftlich unattraktiv.

Hoher Aufwand an Computerleistung

Diese trickreiche Lösung des Problems von Electronic Cash hat aber seinen Preis beziehungsweise seine Nachteile und so benötigt das Consensus-Verfahren bei Bitcoin einen hohen Aufwand an Computerpower und ist langsam beziehungsweise durchsatzschwach im Vergleich mit heutigen Zahlungsverkehrssystemen. Außerdem ermöglicht das Bitcoin-Verfahren keine hundertprozentige Finalität, sondern nur eine sogenannte Eventual Consistency.5) Dies besagt, dass eine Transaktion irgendwann konsistent registriert sein wird, die Wahrscheinlichkeit dafür mit der Zeit steigt, dies aber nicht ex ante vorhersagbar ist.

Dennoch funktioniert Bitcoin praktisch und wird bekanntlich auch reichlich genutzt - aus welchen Gründen auch immer. Der verwendete spieltheoretische Ansatz zur sozialen Interaktion in offenen Netzwerken erfordert ein Nachdenken über die Rolle von traditionellen Intermediären. Und die technologische Fortentwicklungen machen einen Einsatz beispielsweise für elektronische Kleinstbetragszahlungen interessant, indem solche Micropayments außerhalb der Blockchain durchgeführt werden und nur ein Saldo in der Blockchain hinterlegt wird.

Smart Contracts: Nutzenorientierung statt Scheindiskussionen

Oft werden Scheindiskussionen im Kontext der Blockchain geführt, wie zum Beispiel die Frage, ob nun Smart Contracts (das heißt in der Blockchain hinterlegte und abzuarbeitende Computerprogramme) rechtsgültige Verträge seien. Natürlich setzten Banken heute schon Computerprogramme für die elektronische Abwicklung von Vertragsbeziehungen ein: vom Dauerauftrag bis zu automatischen Zahlungen aus Finanzderivaten. Und so lässt sich beispielsweise der Zahlungsstrom einer Anleihe in verschiedenen Arten von Computerprogrammen abbilden: von traditionellen Applikationen bis hin zu Smart Contracts als verteilten Scripts in der Blockchain. Dabei kann - für ein gültiges Rechtsgeschäft - der Austausch der Willenserklärung der Parteien über Handschlag, Fax, E-Mail mit digitaler Signatur, Telefon mit Sprachaufzeichnung oder eine elektronische Plattform zustande kommen.

Nun sind Smart Contracts, so wie sie in die Blockchain gespeichert werden, ein sogenannter Bytecode in folgender Art: 0x6060604052361561004b5760e060020a 600035046319e44e3281146. ... 6) Damit würden diese gespeicherten Sequenzen wohl bei einer Diskussion vor Gericht nicht als eine verständliche Form akzeptiert werden. Das Rechtsgeschäft muss außerhalb der Blockchain zwischen den Beteiligten durch die Annahme eines von Menschen lesbaren Vertragsangebots vermittelt werden. Zu beachten ist weiterhin, dass alle nicht trivialen Verträge in der Regel sogenannte Incomplete Contracts sind, da kein Mensch - und auch kein Computer - alle künftigen Szenarien berücksichtigen kann. Daher ist eine einvernehmliche Interpretation oder bei Dissens ein Gang vor Gericht immer Grundlage einer Vertragsbeziehung. Und genau dies kann ein einmal erstellter und unveränderlicher Computercode - ungeachtet der in Smart Contracts auftretenden Fehlermöglichkeiten7) und der kritischen Abhängigkeiten von anderen Softwareschichten auf einem Computer8) - niemals leisten. Somit ist auch die Idee "Code is Law" der Ausdruck eines mechanistischen Bild der Rechtssysteme und Geschäftsbeziehungen. Ein Beharren, einmal definierte Regeln auf alle Zeit und ohne jede Governance für künftige Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen zu fixieren, scheint eher dem Wunsch nach einer mechanistischen Vereinfachung der heutigen Welt zu entspringen.

Man sollte sich also nicht in solche Scheindiskussionen hineinziehen lassen, sondern die Blockchain als Chance begreifen, frischen Wind in die Diskussion zu bringen. So können Smart Contracts letztlich einen sinnvollen Beitrag bei der Synchronisation von Transaktionen zwischen Banken leisten und damit den Aufwand für nachträgliche Abstimmungen zwischen Instituten reduzieren, wenn sie pragmatisch und ohne Hype angewendet werden.

Die Blockchain als ein Katalysator für neues Denken

Die Blockchain ist keine monolithische Technologie, sondern eine Sammlung von schon bekannten Computertechnologien in einer kreativen Kombination, aber auch mit Limitierungen. So erklärt sich die aktuelle Entwicklung mit recht verschiedenen Konzepten, unterschiedlichen Richtungen der Weiterentwicklung und diversen Anwendungsfällen (vergleiche Abbildung).

Die vielfältige Entwicklung ist aber auch ein Zeichen, dass die Idee der Blockchain als Katalysator neue Diskussionen ausgelöst hat. Im Sinne von Schumpeters schöpferischer Zerstörung werden neue Kombinationen aus einem bekannten Werkzeugkasten erprobt, sodass eingespielte Denk- und Vorgehensweisen hinterfragt werden.

Bedenkt man, dass einige der zwischen Kreditinstituten verwendeten Nachrichtenprotokolle ihre Wurzeln in der Zeit des Fernschreibers haben, ist alleine diese entfesselte Kreativität ein Wert an sich - ganz unabhängig davon, welche technische Kombination am Ende in produktiven Implementierungen sinnvoll eingesetzt werden könnte.

Daher kann man die Ausgangsfrage dahingehend beantworten, dass die Blockchain als Katalysator für transformative bis hin zu fundamentalen Ansätzen dient. Dankbar sind:

- Potenziale für Effizienzgewinn und Geschwindigkeit durch automatische Synchronisation beziehungsweise Konsens zwischen Banken (siehe den Beitrag von Frank Boberach in dieser Ausgabe)

- Möglichkeiten zur Erhöhung der Cyber Resilience von Kreditinstituten und kritischen Finanzmarktinfrastrukturen (Stichwort: Byzantine Fault Tolerance, das heißt redundante und ausfallsichere Strukturen ähnlich zu den drei parallelen Autopiloten in Verkehrsflugzeugen)

- Chancen zur Kooperationen zwischen verschiedenen Industrien zum Beispiel Logistik, Behörden und Banken in Form von offenen, dynamischen Netzwerken mit wechselnden Partnern

- Wettbewerb zu etablierten Modellen in der Finanzindustrie (wie Interoperabilität) durch alternativen Strukturen (vollständig zentral oder komplett dezentral)

- neue Modelle für Zentralbankgeld in Zeiten der Digitalisierung unter den Stichworten Central Bank Digital Currency9)

- sowie neue ganz fundamentale Ansätze für "vertrauenslose" Netzwerke wie beispielsweise für elektronische Identitäten in einer globalen Gesellschaft im 21. Jahrhundert

Diese neuen Ideen müssen sich aber dem Wettbewerb mit etablierten Modellen stellen und die Fragen der Kreditwirtschaft beantworten, ob sie wirklich mehr Effizienz beziehungsweise Kosteneinsparpotenziale, schnellere Finalität von Transaktionen, bessere Cyber Resilience oder auch höhere Flexibilität für das Onboarding von neuen Partnern liefern können.

Es geht also nicht nur darum, was "denkbar ist", sondern "mehr denken zu dürfen". Niemand kann heute von sich behaupten, die zukünftige Entwicklung der Blockchain-Technologie vorhersagen zu können. Und die aktuell recht fragmentierte Entwicklung zeigt, dass es viele Ideen, aber noch lange keine einheitliche Richtung gibt.

"Mehr denken dürfen"

Dennoch hat der Wandel schon begonnen. Modelle der heutigen Transaktionsabwicklung, Geschäftsbeziehungen zwischen Intermediären und auch Fragen der Interaktion in komplexen sozialen Welten stehen zur Debatte.

Offen sind dagegen Fragen der Governance, wer letztlich die Kosten für ein Consensus-Verfahren trägt (beziehungsweise für die Incentivierung via Seigniorage) oder der Fortentwicklung der Systeme. Aber alleine der Katalysatoreffekt der Blockchain ist der Mühe der Diskussion um Blockchain in der Kreditwirtschaft wert!

Mit besonderem Dank an Prof. Roman Beck und Prof. Jürgen Bott für wertvolle Diskussionen.

Fußnoten

1) Lara Bolesch und Andreas Mitschele (2016) "Revolution oder Evolution? Funktionsweise, Herausforderungen und Potenziale der Blockchain-Technologie", ZfgK, Nr. 22-2016.

2) Niklas Luhmann (1968) "Vertrauen", Enke Verlag.

3) Carl-Ludwig Thiele (2016) "Zwischen Disruption und Spekulation: Virtuelle Währungen und Blockchain-Technologie", Handelsblatt-Jahrestagung Banken-Technologie, 7.12.2016, www.bundesbank.de

4) Jürgen Bott and Udo Milkau (2016) "Blockchain-Technologie - zwischen Hype und Katalysatorfunktion", in: J. Moormann et al. "Digital Payments", Frankfurt School Verlag.

5) Christian Decker, Jochen Seidel und Roger Wattenhofer (2014) "Bitcoin Meets Strong Consistency", in: ICDCN 2016, Proceedings of the 17th International Conference on Distributed Computing and Networking.

6) Quelle: https://etherscan.io/; verkürzt, da nur als Beispiel dargestellt.

7) Loi Luu et al. (2016) "Making smart contracts smarter", in: Proceedings of the 2016 ACM SIGSAC Conference on Computer and Communications Security.

8) Udo Milkau, Frank Neumann und Jürgen Bott (2016) "Development of distributed ledger technology and a first operational risk assessment", Capco Journal of Financial Transformation, Vol. 44.

9) Siehe u. a.: John Barrdear und Michael Kumhof (2016) "The macroeconomics of central bank issued digital currencies", Staff Working Paper No. 605, Bank of England, 18.7.2016; Yves Mersch (2016) "Distributed Ledger Technology: role and relevance of the ECB", Handelsblatt-Jahrestagung Banken-Technologie, 6.12.2016, www.ecb.europa.eu/press/; Hiroshi Nakaso (2017) "Future of Central Bank Payment and Settlement System Under Economic Globalization and Technological Innovation", Bank of Japan, 21.4.2017 (English translation based on the Japanese original); Rod Garratt "CAD-coin versus Fedcoin", 14.4.2017; Cecilia Skingsley (2016) "Should the Riksbank issue e-krona?", 16.11.2016, www.riksbank.se/en/Pressandpublished/ und David Andolfatto (2015) "Should the Fed Issue Its Own Bitcoin?" auf der "P2P Financial Systems 2015" von Goethe University Frankfurt, Deutsche Bundesbank und UCL am 29./30.1.2015 in Frankfurt.

Dr. Udo Milkau , Digital Counselor, Frankfurt am Main

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