Digital Currencies, Blockchain und Artificial Intelligence - wohin geht die Reise?

Matthias Hartmann, Foto: IBM DACH

Digitale Währungen in all ihren Facetten werden derzeit in der breiten Öffentlichkeit, in der Wirtschaft und Wissenschaft sowie nicht zuletzt in den Notenbanken und Aufsichtsbehörden gleichermaßen lebhaft wie kontrovers diskutiert. Gerade im Zahlungsverkehr können aus Sicht des Autors durch den Einsatz von Digital-Currency-Lösungen für Kunden, Unternehmen und Verbraucher spürbare Effizienzvorteile entstehen. So verweist er exemplarisch auf eine verbesserte Abwicklung von währungsübergreifenden Zahlungen oder den Einsatz von intelligenten Systemen zur Betrugsabwehr. Als ausschlaggebend für die Praxistauglichkeit sieht er gleichwohl nicht nur die vorhandenen technischen Möglichkeiten und Aussichten auf neue Geschäftsmodelle, sondern ebenso eine Abwägung der volkswirtschaftlichen Konsequenzen und der regulatorischen Aspekte. (Red.)

Der Zahlungsverkehr in Europa, im Sepa- Raum, funktioniert gut und schnell. Standardüberweisungen sind meist gleichtägig beim Empfänger, sofern sie werktags bis Mittag elektronisch beauftragt werden. Und falls sie doch erst am Folgetag eintreffen, liegt das nicht an Infrastruktur und Technik, sondern an der Geschäftspolitik einzelner Institute. Mit Sepa-Instant-Überweisungen gibt es ein neues Instrument, das die Laufzeit auf 10 Sekunden reduziert und alle Bankkonten fit macht für die Real Time Economy.

Eine neue Ausprägung bekannter Konzepte

Und trotzdem beschäftigt sich diese Tagung mit Zahlungsverkehrsystemen und deren Digitalisierung. Ist doch nicht alles in Ordnung, sind die Hausaufgaben nicht schon lange erledigt? Nicht ganz! Es lohnt sich, einen Blick auf neue technische Möglichkeiten und damit verbundene Paradigmenwechsel zu werfen - gerade auch weil der Zahlungsverkehr nicht an der "Sepa-Haustür" endet. Die globale Welt besteht aus deutlich mehr als nur dem Euroraum.

Zunächst soll es hier um Digital Currencies gehen. Diese sind eine neue Ausprägung bekannter Konzepte. Aus ihrem Einsatz ergeben sich neue Implikationen und Möglichkeiten. Auch auf die Auswirkungen und Herausforderungen der Echtzeitverarbeitung rund um die Uhr wird eingegangen und geschildert, wie man mit ihnen umgehen kann. Es folgt ein Blick auf die weltweite und internationale Organisation von Zahlungsverkehr. Und die Zukunftsperspektive auf den Einsatz von künstlicher Intelligenz im Zahlungsverkehr wird die Betrachtungen abschließen.

Zunächst zu einer Definition von "Digital Currencies": Diese Bezeichnung wird meist als Oberbegriff für Währungen verwendet, die auf einer Blockchain umlaufen. Das heißt konkret: Der Geldwertübertrag zwischen zwei Parteien wird auf einer Blockchain aufgezeichnet, der Eigentümer hält sein Guthaben in Form von Coins in einem Wallet. Um die Ausprägung einer Krypto Currency, zuvorderst Bitcoin, soll es hier ausdrücklich nicht gehen, sondern nur um Fiat Currency, also die bekannten Währungen wie Euro, Dollar, Franken oder Pfund. Die Beschränkung auf Fiat Currency birgt immer noch weitreichendes Potenzial für Transformation und neue Paradigmen. Zudem ist hier die Chance für kurzfristige Umsetzung und Nutzen eindeutig gegeben - für Krypto Currency ist erhebliche Skepsis angebracht.

Weiterhin orientieren sich die im Folgenden skizzierten Ansätze und Lösungen so weitgehend wie möglich an den bestehenden Regularien, aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen wie auch Gesetzgebung und vor allem fest am staatlichen Ordnungsrahmen. Falls man an diesen Rahmenbedingungen deutliche, drastische Änderungen postuliert - oder sie gleich ganz außer Acht lässt - werden naturgemäß ganz neuartige, drastisch andere Möglichkeiten entstehen. Für realistische, heute oder in überschaubarer Zukunft umsetzbare Lösungen gilt dieser Rahmen jedoch. Daher gilt er als Basis weiterer Überlegungen. Es geht auch nicht um den Ersatz für Bargeld in Form von Scheinen und Münzen. Vielmehr geht es um neue Formen von Buchgeld. Diese werden zuvorderst im institutionellen Bereich, also zwischen Geldinstituten, vielleicht auch Großkunden zum Einsatz kommen - und zwar zuerst international, vielleicht später auch innerhalb von Währungsräumen. Ob und wo Bargeld eingesetzt wird, bleibt dem Kunden und Endverbraucher überlassen. Die hier vorgestellten Nutzungsszenarien bewegen sich stark in einem Umfeld von Zahlungen "auf Entfernung" für die Bares ohnehin keine wirkliche Alternative darstellt.

Geldforderung in einer Währung gegen den Herausgeber

Als Digital Currencies werden die bekannten Fiat-Währungen auf der Blockchain ausgegeben. Andere geläufige Bezeichnungen hierfür sind auch Stable Coin oder Fiat Token. Letztlich stellen sie eine Geldforderung in der jeweiligen Währung gegen den Herausgeber dar. Höchste Qualität haben hier naturgemäß Forderungen gegen Zentralbanken, sofern sie sich zur Herausgabe von Fiat Token entschließen. Hierfür hat sich global die Bezeichnung "Central Bank Digital Currencies" - kurz CBDC - zum stehenden Begriff entwickelt. IBM steht mit praktisch allen großen Zentralbanken der Welt im Dialog über die technischen Möglichkeiten wie auch den neuen Geschäftsmodellen und den möglichen volkswirtschaftlichen Konsequenzen. Dazu wurde im vergangenen Herbst eine eigene Studie veröffentlicht, zusammen mit dem Official Monetary and Financial Institutions Forum (OMFIF). Hier sind Befragungen und Diskussionen mit 21 Zentralbanken eingeflossen.

Die Digital Currency einer Zentralbank kann in Analogie zu einem Kontoguthaben bei einer Zentralbank betrachtet werden. Allerdings sind Buchführung, Handhabung und Übertrag technisch anders organisiert als beim klassischen zentralen Kontoführungsmodell. Daher sind viele der volkswirtschaftlichen Fragen - zum Beispiel des Zugangs für Privatpersonen - vergleichbar mit einem allgemeinen Zugang zu "konventionellen" Zentralbankkonten. Dieser "Zugang für jedermann" wäre technisch schon lange umsetzbar, wird aber aus guten Gründen nicht gewährt. Entsprechend muss er auch bei einem Blockchain-basierten Modell keineswegs zwangsläufig ermöglicht werden.

Neben dem Zentralbankgeld kann es in der "Blockchain-Welt" auch privates Giralgeld geben. Von Geschäftsbanken ausgegeben stellt es daher eine Geldforderung gegen die jeweilige ausgebende Bank dar. Die Ausgabe von etwa Euro auf einer Blockchain kann als E-Geld betrachtet werden und eine Umsetzung sich auf entsprechende bestehende Regulationen beziehen. Damit kann als Digital Currency sowohl Zentralbankgeld als auch privates Giralgeld zur Verfügung stehen - und prinzipiell auch in ähnlicher, differenzierter Weise genutzt werden wie heute. Für den Zugang können ganz wie heute auch Einschränkungen gelten, etwas, das nur Banken CBDC halten dürfen - genau wie heutzutage der Zugang zu einem Bundesbank- oder Target-Konto auf einen klaren Teilnehmerkreis beschränkt und geregelt ist. Für den Kundenzugang bei Geschäftsbanken gilt entsprechendes. Legitimationsprüfungen und Geldwäschebekämpfung erfolgen inhaltlich wie zuvor nach grundsätzlich gleichen Regeln, technisch gegebenenfalls mit neuen Hilfsmitteln.

Jederzeit Einblick und Zugriff

Was bringen Digital Currencies mit sich, welche Vorteile entstehen? Man stelle sich eine Zukunft vor, in der die Kunden jederzeit einen sekundenaktuellen Überblick über alle ihre Kontostände haben, ohne technisch mit ihrer Bank in Verbindung zu treten. Ebenso können Zahlungen jederzeit in Sekundenschnelle ausgeführt werden, ohne technisches Zutun ihrer Bank. Die Buch- und damit Kontoführung liegt nicht mehr bei ihrer Hausbank, bei der Bundesbank oder EZB jeweils individuell, sondern auf einer gemeinsamen Blockchain. Auf die Blockchain haben sie jederzeit in der für sie passenden Form Einblick und Zugriff. Unabhängig von den Systemen ihrer Bank.

Technisch gesehen haben die Kunden gar kein Konto, sondern ein Blockchain Wallet. Das Blockchain Wallet hat einen Bestand von Digital Currencies, Stable Coins oder Fiat Token, die ihre aktuelle Geldforderung gegen den oder die Herausgeber darstellen. Technische Dienstleister können hier für die jeweilige Kundengruppe passende Darstellungen und Zugänge ermöglichen.

Die Darstellung kann durchaus auch in Form eines klassisch anmutenden Kontoauszugs erfolgen. Obwohl das neue Paradigma auf der Blockchain nicht auf einem Konto im hergebrachten Sinn beruht, kann die Analogie dennoch hilfreich sein. Denn letztlich verzeichnet die Blockchain in dieser Nutzung eben die Geldforderung, die sie gegen die Bank als Herausgeber der Token haben. Genauso wie sie das vom Konto bei ihrer Hausbank kennen.

Wechselseitige Transparenz

Digital Currency auf einer Blockchain eröffnet aber auch ganz neue Möglichkeiten des Umgangs: Als Stable Coins kann das Geld jederzeit ohne Einschaltung der herausgebenden Bank an Dritte übertragen werden. Sekundenschnell - und unter Einhaltung der geltenden Regularien rund um Know-your-Customer und Geldwäschebekämpfung. Voraussetzung ist, dass die genutzte Blockchain nicht anonym ist, sondern alle Teilnehmer bekannt sind. Dazu ist ein sogenanntes "permissioned" Modell für den Zugang nötig. Damit ist technisch sichergestellt, dass wechselseitige Transparenz besteht. Sowohl für den Herausgeber von Digital Currency als auch dessen momentanen Inhaber. Beide Seiten müssen in vertraglicher Beziehung stehen, analog zu einem Kontovertrag heute.

Dieser Vertrag regelt insbesondere auch, auf welchen Wegen und mit welchen Service-Versprechen die Bank als Herausgeberin der Digital Currency die Geldforderung einlöst. Beim ausgebenden Institut liegt der Gegenwert aller ausgegebenen Digital Currency in einem gesonderten Sperrkonto. So werden die Forderungen der Coin-Inhaber bankseitig "traditionell" abgebildet und damit auch bilanziert. Andere Modelle mit Hinterlegung bei einem externen Custodian oder auch auf einem Zentralbank-Sperrkonto sind ebenfalls möglich.

Hauptnutzungsform der Fiat Token ist der Übertrag auf der Blockchain, ergänzt durch Transaktionen für Ausgabe - Issuing - und Einlösung - Redemption. Diese Modalitäten für die Ausgabe und Einlösung von Stable Coins bieten auch Raum für Differenzierung und Wettbewerb: Welche Instrumente werden zu welchen Konditionen angeboten? Ein einfacher Übertrag auf ein Konto im Hause der Coinausgebenden Bank, Sepa-Instant-Überweisung oder Target-2-Zahlung an ein externes Ziel. Damit sind die Liquidität auf der Blockchain in Form von Digital Currency und die traditionelle Kontoliquidität verbunden. Entweder in Zentralbankgeld oder privatem Giralgeld. Bei Nutzung von Sepa Instant auch jederzeit, 24 x 7, an jedem Tag des Jahres - passend zur umfassenden Verfügbarkeit einer typischen Blockchain-Lösung. Wo bleibt aber der spezifische Vorteil der Blockchain, da ja bereits hier und heute mit Sepa Instant jederzeit Euro-Zahlungen ausgeführt werden können?

Weltweite und internationale Organisation von Zahlungsverkehr

Wie angekündigt, soll im Folgenden der Blick auf die weltweite und internationale Organisation von Zahlungsverkehr ausgeweitet werden. In praktisch allen Industrieländern und auch in vielen Schwellenländern ist der jeweilige nationale Zahlungsverkehr beziehungsweise der Zahlungsverkehr innerhalb des Währungsraums gut organisiert. Schnell und sicher - Instant Payments sind inzwischen weltweit verbreitet. Bei Zahlungen zwischen Währungsräumen, internationalen Überweisungen besonders außerhalb des Kreises der großen Industrieländer, sieht die Welt noch anders aus. Dort hat sich in den vergangenen 30 Jahren kaum etwas verändert.

Die Bundesbank hat bereits im Jahr 2017 in einer Betrachtung der Potenziale und Risiken von Distributed-Ledger-Technologien im Zahlungsverkehr festgestellt, dass Vorteile am ehesten im währungsübergreifenden Zahlungsverkehr erwartet werden können. Seitdem haben sich eine Reihe von Netzwerken und Lösungen für den bankmäßigen, internationalen Zahlungsverkehr ausgebildet beziehungsweise weiterentwickelt. Die kontinuierliche, dezentrale Verfügbarkeit der Blockchain für Transaktionen rund um die Uhr, sieben Tage die Woche, Liquiditätsausgleich ohne Unterbrechungen steht allen Teilnehmern zur Verfügung. Eine gute Voraussetzung für globale Zahlungen über Zeitzonen hinweg, denn es sind a priori keine Annahmeschlusszeiten zu beachten.

Zusätzlich bietet der Shared Ledger, also die gemeinsame Buchführung über die Blockchain, große Vorteile bei der Transparenz und in der Folge bei der Bewirtschaftung der Liquidität. Jederzeit, ohne auf den Eingang eines Kontoauszugs oder einer Aktualisierungsnachricht eines Partners angewiesen zu sein, kann ein Status der Transaktionen erhalten und die Liquiditätsposition zweifelsfrei festgestellt werden.

Vorteile im globalen Zahlungsverkehr

Praktischer Nutzen wird daraus, wenn man beispielsweise den weltweiten grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr auf dieser Grundlage organisiert. Dies passiert bereits, etwa mit IBM Blockchain World Wire. Auf einer weltweit genutzten Blockchain geben Banken Digital Currency ihrer jeweiligen Währungen aus, die 24 x 7 unter den Teilnehmern ausgetauscht werden können. Dazu gehört auch der Devisenaustausch: In einer atomaren Transaktion können Fiat-Währungen als Token jederzeit ohne Settlement-Ri siko gegeneinander getauscht werden. Liquidität in der Zielwährung einer Zahlung muss nicht vorgehalten und aufwendig bewirtschaftet werden, sie kann ad hoc, genau dann wenn sie benötigt wird, beschafft und dem Zahlungsempfänger zugeführt werden.

Für die Endkunden, Unternehmen wie Verbraucher entstehen dann spürbare Vorteile, wenn die Digital-Currency-Lösungen im globalen Zahlungsverkehr zum Einsatz kommen. Das sind besonders Zahlungen in sogenannten "Nebenwährungen", also in kleinere Länder. Diese Zahlungen haben zugenommen. Es handelt sich in der Regel um private Zahlungen zur Familienunterstützung. Außerdem bieten Digital Currencies Vorteile für den zunehmend individualisierten und kleinteiliger werdenden globale Waren- und Geschäftsverkehr. Mit Digital Currencies erfolgt der Blockchain-basierte Wertübertrag auch global innerhalb von wenigen Sekunden. Damit können traditionelle Korrespondenzbankmodelle abgelöst werden, anstelle von Kontoguthaben tritt die ad hoc über die Blockchain übertragene Digital Currency.

Spezialisierte Geldtransfer-Anbieter

Mit IBM Blockchain World Wire können konkret währungsübergreifende Zahlungen hocheffizient abgewickelt werden. Ein Auftraggeber will beispielsweise eine Zahlung von 250 Euro nach Kenia tätigen. Mit der neuen Lösung bekommt er sofortige Auskunft über die Gebühren für diesen Transfer und eine feste Zusage über den Endbetrag in kenianischen Schilling. Nach der Freigabe erreicht das Geld den Empfänger in Sekunden. Das Ganze kostet dann etwas unter drei Euro. Eine Überweisung über traditionelle Bankennetzwerke kostet in diesem Fall leicht 50 Euro und mehr und dauert immer noch Tage.

Spezialisierte Geldtransfer-Anbieter - Money Transfer Operators - bedienen dieses spezielle Marktsegment besser, häufig mit Spezialisierung auf bestimmte Länder-Korridore, zu Preisen von vielleicht unter zehn Euro und Transferzeiten im Bereich von Minuten. Sie haben aber in der Regel einen Maximalbetrag - da die ad hoc verfügbare Liquidität am Ziel in der Regel beschränkt ist und die Beschaffung über die heutigen Devisenmärkte nach wie vor Tage dauert.

Da mit der Blockchain die Möglichkeit besteht, die Liquidität ebenfalls ad hoc effizient zu übertragen, ist eine Lösung wie World Wire auch für diese Geldtransfer-Anbieter interessant. Für Banken bietet sich die Gelegenheit, auch die globalen Zahlungen kleinerer Beträge attraktiv anzubieten und in neuen Rollen auf der Blockchain für die Ausgabe von Digital Currency und das Abwickeln von Devisengeschäft gegebenenfalls weitere Erträge zu erzielen. Für die neuen Abwicklungsformen des Zahlungsverkehrs gelten selbstverständlich alle Regeln der Kundenlegitimation. Dazu zählen "Know your Customer" und die Geldwäschebekämpfung. Eine der neuen Herausforderungen liegt jedoch nicht in der Blockchain als solcher begründet, sondern in der ununterbrochenen Verarbeitung in quasi Echtzeit. Schon bei Sepa-Instant-Überweisungen stellt sich die Frage, wie Betrugsversuche unterbunden werden können - ohne dabei legitime Zahlungen abzuweisen. Die sekundenschnelle Abwicklung ist bei Sepa Instant im Regelwerk vorgeschrieben.

Systeme zur Betrugsabwehr

Daher können Zweifelsfälle nicht mehr von einem Menschen entschieden werden, es muss zwangsläufig alles automatisch geregelt sein. Da im weltweiten Fall die Wiederbeschaffung von betrügerisch transferiertem Geld in der Regel noch schwieriger ist, als im Sepa-Raum, gilt dies selbstverständlich auch bei den Digital-Currency-Zahlungen. Systeme zur Betrugsabwehr setzt man deshalb mit kurzen Latenzzeiten um. Sie werden auf eine hohe Empfindlichkeit eingestellt, um möglichst viele Verdachtsfälle auszusteuern. Durch die fehlende Möglichkeit zur manuellen Korrektur und nachträglichen Freigabe werden in diesem Szenario aber zu viele legitime Zahlungen abgewiesen. Die sogenannten "falschpositiven" Treffer wirken sich negativ auf diejenigen Nutzer aus, deren berechtigte und legitime Zahlungen nicht ausgeführt werden.

Diese Problemstellung ist aber alles andere als neu. Bei der Autorisierung von Kartenzahlungen stellt sie sich schon seit Jahrzehnten. Und das speziell hier in Deutschland und Europa in schärferer Form als beispielsweise in den USA. Wenn eine Kartenzahlung abgewiesen wird, greift der Amerikaner zur nächsten Karte, notfalls auch zu einer dritten, während in Deutschland viele Kunden nur eine einzige Kreditkarte dabeihaben. Daher wurden speziell hier im Markt Systeme entwickelt, die in Echtzeit und bei besonders geringen falschpositiven Abweisungen arbeiten. Hier ist künstliche Intelligenz im Einsatz, die neue Betrugsmuster eigenständig erkennen kann und entsprechend Zahlungen abweist.

Intelligente Systeme dringend erforderlich

Das führt zum Thema KI "künstliche Intelligenz" - oder englisch AI "artificial intelligence". Für den Einsatz im Zahlungsverkehr sind intelligente Systeme wie skizziert zur Betrugsabwehr geeignet und dringend erforderlich. Genauso braucht man diese intelligenten Systeme zur Prüfung von Geldwäscheverdacht oder zur Unterstützung vorgelagerter Prozesse wie Kunden-Authentisierung und Know-your-Customer im Allgemeinen. Dabei ist besonderes Augenmerk auf die Nachvollziehbarkeit der vom System intelligent getroffenen Schlussfolgerungen zu legen. Daher sind regelbasierte Lösungen vorzuziehen gegenüber klassischen neuronalen Netzen, deren Bewertungen häufig in keiner Weise für den Menschen nachvollziehbar sind.

Die Forschung arbeitet daran, auch hier die Nachvollziehbarkeit zu erhöhen, etwa mit "Transparency by Design" für neuronale Netze. Es gibt aber auch bereits praxisbewährte Implementierungen regelbasierter Systeme, die automatisch neue Regeln herleiten können. Diese neuen Regeln können dann - außerhalb der sekundenschnellen Reaktion im Einsatz bei allen "instant" abgewickelten Zahlungen - von Menschen überprüft und nötigenfalls angepasst werden. Genau dies geschieht heute schon bei modernen Anwendungen zur Betrugsbekämpfung für Kartenzahlungen wie IBM Safer Payments aus Koblenz, früher auch als IRIS bekannt. Es gibt hier schon starke Bewegung im Markt, solche Anwendungen außerhalb der Kartenverarbeitung einzusetzen, etwa bei Sepa-Instant-Zahlungen. In Zukunft wird vergleichbare Software zur Pflicht bei allen Zahlungsarten werden. Ähnliche Einsatzfelder gibt es wie erwähnt im Umfeld der Geldwäschebekämpfung. Egal ob sie in Echtzeit für einzelne Transaktionen oder ex post zur Analyse komplexerer, konto- und transaktionsübergreifender Bewegungen eingesetzt wird.

Hier ist auch eine unterstützende Rolle der künstlichen Intelligenz für die Mitarbeiter von Finanzinstituten gefordert: Wenn Verdachtsfälle zu bearbeiten sind, ist die Nachvollziehbarkeit und Dokumentation aller Entscheidungen ein zentraler Faktor. Hier können die Systeme mit künstlicher Intelligenz sowohl Produktivität als auch Qualität der Verarbeitung steigern.

Einlöse-Verpflichtung und Liquiditätsbindung

Wie sieht die Zukunft im Zahlungsverkehr aus? Digital Currencies sind im Kommen, aber besonders für ihren Start ist die Anbindung und Integration in die vorhandenen Liquiditätsströme entscheidend. Es kann auch nicht beliebig viele Blockchains geben, auf denen jeweils getrennte, eigene Ausprägungen von Fiat Token umlaufen. Denn: Jedes Mal, wenn Digital Currency ausgegeben wird, liegt beim Herausgeber eine Einlöse-Verpflichtung vor, die entsprechend gesichert sein muss und Liquidität bindet. Ähnlich wie bei der zwar vor 25 Jahren modernen, aber immer ungeliebten deutschen Geldkarte steht vor dem Ausgeben das Aufladen. Also vor der Bezahlung mit der Blockchain muss man sich die Digital Currencies - kurz DC - besorgen. Diese Liquidität steht dann nur noch auf der Blockchain zur Verfügung. Daraus folgt die Forderung, diese "DC-Liquidität" dann auch möglichst universell einsetzen zu können, für verschiedenste Zahlungen und Geschäftsarten. Oder alternativ schnell diesen Raum auch wieder zu verlassen und die Liquidität einem anderen, konventionellen Kontoliquiditätspool zuzufügen.

Wie bereits erwähnt stehen neben Echtzeit-Brutto-Abwicklungssystemen sogenannten Real Time Gross Settlements oder kurz "RTGS Transfers" wie über Target-2 hier gerade die neuen Instrumente wie Sepa Instant zur Verfügung. Damit könnte dieses Liquiditätsproblem, das sich gerade zum Beginn der Ära der Digital Currencies stellen mag, deutlich abgemildert werden. Daher ist die Ausgangslage erheblich besser als damals bei Einführung der Geldkarte.

Instant-Zahlungen auf Blockchain-Basis und KI-basierte Frühwarnsysteme

Mit zunehmender Nutzung von Digital Currencies, ja möglicherweise einer weitgehenden Abkehr von dem bisherigen Konto-Paradigma, könnte die Blockchain und ihre Digital Currencies auch zur "eigentlichen" Liquidität werden, mit allen Optionen für den Umlauf von privatem Giralgeld wie Zentralbankgeld. Das Ganze unter starken - gegenüber heute weiterentwickelten - regulatorischen und gesetzlichen Vorgaben. Diese Vorgaben ermöglichen einen modernen, schnellen, sicheren und global effizienten Zahlungsverkehr - auf Basis von verteilter Blockchain-Buchhaltung.

Kurz erwähnt: Das Problem des hohen Energieverbrauchs stellt sich ausdrücklich nicht - Business-Blockchains lassen sich sehr effizient und mit einer angemessenen Redundanz aufbauen. Der bekannte und vielfach publizierte hohe Energieverbrauch der Krypto Currencies liegt im rechenintensiven Konsensmechanismus begründet, der als Schutz des öffentlichen und anonymen Netzes eingesetzt wird.

Zusammenfassend gesagt: Weltweite Instant-Zahlungen auf Basis von Blockchain und KI-basierte Frühwarnsysteme gegen betrügerisches Vorgehen sind die beiden Themen, die in das "Hausaufgaben"- Bu ch gehören. Es gilt, nicht in der regulierten "Sepa-Euro-Blase" zu verharren, sondern den Blick zu weiten. Und die eine oder andere Erfahrung aus einer Neuorganisation des globalen Zahlungsverkehrs lässt sich dann sicher in den Euroraum "zurückimportieren". Nur so wird die deutsche und europäische Bankenwelt wettbewerbsfähig bleiben.

Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors anlässlich des Bundesbank-Symposiums "Zahlungsverkehr und Wertpapierabwicklung in Deutschland im Jahr 2019" am 29. Mai 2019 in Frankfurt am Main.

Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

Matthias Hartmann Vorsitzender der Geschäftsführung, IBM Deutschland GmbH, Ehningen, General Manager Deutschland, Österreich, Schweiz
Matthias Hartmann , Vorsitzender der Geschäftsführung, IBM Deutschland GmbH, Ehningen, General Manager Deutschland, Österreich, Schweiz
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