Digitalisierung - eine Grundfrage für Europa!

Prof. Dr. Tobias Kollmann, Lehrstuhl für E-Business und E-Entrepreneurship, Universität Duisburg-Essen, und Vorsitzender des Beirats "Junge Digitale Wirtschaft" im BMWi

Prof. Dr. Tobias Kollmann, Lehrstuhl für E-Business und E-Entrepreneurship, Universität Duisburg-Essen, und Vorsitzender des Beirats "Junge Digitale Wirtschaft" im BMWi - Wenn Europa auch in Zeitalter der Digitalisierung im globalen Wettbewerb bestehen will, bleibt aus Sicht des Autors nichts anderes übrig, als im digitalen Bereich gemeinsam und groß genug zu denken und zu handeln. In diesem Sinne hält er einen digitalen Binnenmarkt nicht für eine Option, sondern für eine Pflicht. Als gute Basis bewertet er dabei die gemeinsame Arbeit des deutschen Beirats Junge Digitale Wirtschaft und des französischen Nationalrats für Digitales. Vor gut einem Jahr wurden dazu in einem Aktionsplan zwei wesentliche Anforderungen formuliert - die Notwendigkeit der Internationalisierung und Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen im digitalen Raum und die Schaffung eines fairen Wettbewerbsrahmens für europäische Unternehmen im globalen Onlinewettbewerb. Mitte Dezember dieses Jahres wurden dann auf einem Digitalgipfel sechs konkrete Vorschläge formuliert, angefangen von europäischen Regelungen zur Datennutzung in der Wirtschaft bis hin zu einem multidisziplinären Forschungsprogramm zur künstlichen Intelligenz. (Red.)

Wenn im Internet die Reichweite mit einer zugehörigen kritische Masse die Basis zum Erfolg ist, dann muss jedem klar sein, dass nur ein gemeinsames digitales Europa dafür die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen kann. Jeder einzelne Mitgliedsstaat ist dafür zu klein und deswegen kann es auch kein Nord oder Süd und kein Ost oder West auf einer digitalen Landkarte geben, sondern nur ein gemeinsames digitales Europa!

Der digitale Binnenmarkt ist daher keine Kann-Option, sondern eine Muss-Pflicht für alle. Vielleicht ist die Digitalisierung auch eines der stärksten Argumente für die Wiederbelebung des europäischen Gedankens. Im Internet gibt es keine Grenzen und keine Schlagbäume. Die digitale Freiheit ist somit Herausforderung und Verpflichtung für ganz Europa. Es ist ein aktiver Gestaltungsauftrag an Politik, Gesellschaft und Wirtschaft.

Gemeinsam von den Chancen profitieren

Europa hat erst spät erkannt, wie wichtig eine gesellschaftliche, wirtschaftliche, aber auch politische Souveränität im Netz für seine Staaten ist. Spät, aber nicht zu spät. Europa kann seine eigene digitale Transformation gestalten und alternative Modelle hervorbringen. Es ist an der Zeit, dieses Potenzial auch für die digitale Welt zu heben.

Die europäische Antwort auf globale digitale Märkte darf und kann aber nicht sein, zu versuchen, mit einem heterogenen Kontinent im Hinblick auf digitale Infrastruktur sowie auf rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen für den Onlinewettbewerb zu agieren. Es wird nichts anderes übrig bleiben, als im digitalen Bereich gemeinsam und groß genug zu denken und zu handeln - wir müssen als digitale europäische Einheit auftreten!

Der deutsche Beirat Junge Digitale Wirtschaft (BJDW) im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hat gemeinsam mit dem französischen "Nationalrat für Digitales" (Conseil national du numérique, CNNum) vor diesem Hintergrund einen deutsch-französischen Aktionsplan für Innovation (API) mit dem Titel "Digitale Innovation und Digitale Transformation in Europa" entworfen und diesen auf der ersten gemeinsamen Konferenz zur Digitalen Wirtschaft am 27. Oktober 2015 übergeben. Dabei wurden insbesondere zwei kritische Anforderungen formuliert.

1. Die Notwendigkeit der Internationalisierung und Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen im digitalen Raum.

2. Die Schaffung eines fairen Wettbewerbsrahmens für europäische Unternehmen im globalen Onlinewettbewerb.

Einheitlicher Rechtsrahmen für die Datenverwendung

Seither ist viel passiert. Neben nationalen Initiativen auf beiden Seiten des Rheins hat die Europäische Kommission ihre Kommunikationen im Rahmen ihrer Strategie für den digitalen Binnenmarkt intensiviert. Diese Bemühungen müssen aber noch verstärkt und beschleunigt werden.

Während die Kommission sich verpflichtet, Hemmnisse für Mobilität und Wachstum in Europa abzubauen, können und müssen Deutschland und Frankreich weitere Anreize für die Internationalisierung der Unternehmen schaffen. Die ersten Erfolge der Unterstützungspolitik von Start-ups und Innovation sollten dabei nicht die weiteren Herausforderungen der Digitalisierung der Wirtschaft überschatten.

Es ist hier besonders wichtig, dass Deutschland und Frankreich gemeinsam ehrgeizige Programme für die Transformation des Mittelstandes sowie der Industrie einführen, sodass die gesamte Wirtschaftsstruktur von den neuen Möglichkeiten der Digitalisierung profitieren kann. Neue Fähigkeiten zu entwickeln, ist in dieser Hinsicht entscheidend, und die Bereitstellung und Vernetzung von europäischen Kompetenzzentren, insbesondere in Schlüsselbereichen wie Big Data und das Internet der Dinge, ist wahrscheinlich ein Teil der Lösung.

Ebenso müssen die Ankündigungen zur Unterstützung von "Level Playing Field" in der digitalen Wirtschaft konkretisiert werden. Zum Beispiel durch die Experimentierung einer deutsch-französischen Rating-Agentur für Plattformen, auch aber auch durch die Verfolgung von konkreten Maßnahmen für mehr Steuergerechtigkeit, beispielsweise durch die Umsetzung einer öffentlichen und länderbezogenen Berichterstattung.

Außerdem müssen die politische und strategische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern noch weiter vertieft werden. Deutschland und Frankreich müssen ihre führende Rolle und Verantwortung bei der Definition einer langfristigen Vision in Europa übernehmen. Diese muss natürlich auf staatlicher Kooperation beruhen, aber nicht nur.

Es ist wichtig, alle französischen und deutschen Vertreter des digitalen Ökosystems in diese Diskussion einzubinden, zum Beispiel für die Definition eines einheitlichen Rechtsrahmens für die Verwendung der Daten durch die Industrie 4.0, aber auch durch eine intensive Unterstützung von deutschfranzösischen Forschungsprojekten rund um zukünftige Schlüsselbereiche wie künstliche Intelligenz.

Schließlich muss die Digitalisierung noch weiter als Querschnittsthema angesehen werden. Sie hat die Gesellschaft und Wirtschaft tief greifend verändert und muss daher auf hochrangiger Ebene der gemeinsamen Agenda bleiben, um eine kohärente Politik zu gewährleisten. Die Frage der Demokratisierung von Verschlüsselungstechnologie ist ein eklatantes Beispiel hierfür: Es ist eine Frage von Grundrechten genauso wie ein wesentlicher Aspekt des Vertrauens in die digitale Wirtschaft und ihre Entwicklung.

Sechs Schritte zu einem digitalen Europa

Auf dem zweiten deutsch-französischen Digitalgipfel am 13. Dezember 2016 in Berlin haben der deutsche Beirat Junge Digitale Wirtschaft (BJDW) im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) und der französische "Nationalrat für Digitales" (Conseil national du numérique, CNNum) sechs konkrete Vorschläge formuliert, wie dies gelingen kann:

1. Es bedarf europäischer Regelungen zur Datennutzung in der Wirtschaft. Es muss den Aufbau einer juristischen und betriebswirtschaftlichen deutsch-französischen Arbeitsgruppe geben, um eine einheitliche rechtliche Regelung der Nutzung nichtpersonenbezogenen Daten in Europa zu ermöglichen und damit der Bedeutung datengetriebener Geschäftsmodelle gerecht zu werden.

2. Es muss ein Recht auf Verschlüsselung in Europa geben. Deutschland und Frankreich müssen deshalb gemeinsam Verschlüsselungstechnologien fördern und die Verbreitung dieser Technologien in Wirtschaft und Gesellschaft unterstützen.

3. Die Harmonisierung von Steuervorschriften muss ein wesentliches Teil eines digitalen europäischen Binnenmarktes sein. Einfache, stabile und einheitliche Regulierungsrahmen in den EU-Ländern tragen dazu bei, Barrieren zur Internationalisierung der Unternehmen abzubauen.

4. Start-ups aus der digitalen Wirtschaft müssen gemeinsam gefördert werden! Es muss einen Aufbau von speziellen gegenseitigen Ansiedelungspaketen (Onboarding) geben, gezielt für Start-ups aus Deutschland und Frankreich mit freiem Co-Working-Space, Legal Services, Bürokratie-Fastlane und Übersetzungsservice als Anreiz für die schnelle Internationalisierung in das jeweils andere Land.

5. Es sollten spezielle europäischen Hubs zu den Schwerpunkthemen Digital Services, Industrie 4.0 und Internet der Dinge aufgebaut und damit gezielt die Vernetzung von jungen und wachsenden Start-ups aus Deutschland und Frankreich mit etablierten europäischen Unternehmen gefördert werden.

6. Das Thema künstliche Intelligenz darf nicht den Amerikanern überlassen werden! Deutschland und Frankreich sollten ein multidisziplinäres Forschungsprogramm zur künstlichen Intelligenz finanzieren und gleichzeitig die Entwicklung neuer, darauf basierender Anwendungen fördern.

Wir sind digital. Wir sind Europa. Wir sollten ein gemeinsames digitales Europa sein!

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