EU-Marktmissbrauchsverordnung: Pranger oder Pflicht?

Stephan Däschler, Head of Account Management, EQS Group AG, München - Wenn Mitte dieses Jahres die neue EU-Marktmissbrauchsverordnung (MAR) in Kraft tritt, findet diese unmittelbar im deutschen Recht Anwendung und ersetzt hierzulande Teile des Wertpapierhandelsgesetzes. Die MAR, ergänzt durch technische Standards und delegierte Rechtsakte der European Securities and Markets Authority, wertet der Autor als weitere Etappe auf dem Weg zu einem einheitlichen Transparenz- und Anlegerschutzniveau in den Kapitalmärkten der EU-Mitgliedsstaaten. Er skizziert mögliche Anpassungs- und Überwachungspflichten im Insiderrecht, bei der Ad-hoc-Publizität und nicht zuletzt bei Directors' Dealings. Bei Meldungen zu Letzterem ist es beispielsweise in Zukunft Pflicht, die LEI-Nummer (Legal Entity Identifier) mit zu veröffentlichen und die verkürzte Mitteilungsfrist von drei Geschäftstagen zu beachten. (Red.)

Die Zeit drängt: Am 3. Juli 2016 tritt die europäische Marktmissbrauchsverordnung (Market Abuse Regulation - kurz: MAR) in Kraft - und damit zahlreiche neue Pflichten. Die meisten Unternehmen aus dem Freiverkehr sowie zahlreiche Emittenten von Corporate Bonds betreten damit ein völlig neues Terrain. Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) will mit der neuen Verordnung nicht nur ein klares Signal gegen Marktmissbrauch setzen, sondern auch ein einheitliches Transparenz- und Anlegerschutzniveau in den Kapitalmärkten der EU-Mitgliedsstaaten schaffen.

Anwendungsbereich stark ausgeweitet

Dafür wird der Anwendungsbereich gegenüber der bislang geltenden EU-Marktmissbrauchsrichtlinie 2003 deutlich ausgeweitet: Die neuen Regelungen der Marktmissbrauchsverordnung (EU 596/2014), die vor allem zu Verschärfungen des Insiderrechts und der Publizitätspflichten führen, betreffen dann in Deutschland nicht mehr nur die 302 Unternehmen aus dem Prime Standard, die 155 im General Standard gelisteten Unternehmen sowie die gut 50 Emittenten aus dem Organisierten Markt an den Regionalbörsen.

Die MAR gilt ab Sommer darüber hinaus in allen EU-Mitgliedsstaaten auch für Emittenten von Finanzinstrumenten in multilateralen Handelssystemen (MTFs) und organisierten Handelssystemen (OTFs). Das schließt unter anderem alle deutschen Freiverkehrssegmente inklusive der Qualitätssegmente wie Entry Standard, m:access oder Bondm sowie den dritten Markt in Wien mit ein. Neben Aktien fallen weitere Finanzinstrumente wie Anleihen, Optionen, ETFs, CFDs, Kreditausfall-Swaps und Termingeschäfte in den Anwendungsbereich der MAR.

Die EU-Marktmissbrauchsverordnung ersetzt die jeweiligen nationalen Gesetze in den EU-Mitgliedsstaaten - in Deutschland vor allem Teile des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG). Die neuen Vorschriften zur Adhoc-Publizitätspflicht (insbesondere Art. 17 MAR) und zu den Directors' Dealings (insbe sondere Art. 19 MAR) erfordern für die IR-Manager oder Rechtsabteilungen, deren Un ternehmen im geregelten Markt notiert sind, keine großen Umstellungen ihrer Arbeitsabläufe. Die Änderungen sind für diese Emittenten überwiegend technischer Natur. So ist es etwa in Zukunft Pflicht, die LEI-Nummer (Legal Entity Identifier) bei den Directors' Dealings mit zu veröffentlichen. Au ßerdem gilt es, die verkürzte Mitteilungsfrist von drei Geschäftstagen zu beachten.

Darüber hinaus sind bei den Directors' Dealings aber sogar weniger Angaben erforderlich als bisher: Die personenbezogenen Daten, die vom Meldepflichtigen eingegeben werden müssen, reduzieren sich auf den Namen, die Position und die Beziehung zum Director. Alle weiteren Angaben, wie beispielsweise die private Anschrift, sind ab dem 3. Juli 2016 freiwillig.

Aber Achtung: Sollten freiwillig personenbezogene Angaben zu den Directors gemacht werden, wie sie bislang in der Mitteilung der meldepflichtigen Person an die BaFin erforderlich waren, werden diese Daten mit Inkrafttreten der MAR auch für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Hier sollte deshalb genau geprüft werden, wie weit die Transparenz gehen soll.

Emittenten: im Zweifel auf Nummer sicher gehen

Für Emittenten aus dem Freiverkehr, die bislang auch keinem der Qualitätssegmente mit ihrer Quasi-Ad-hoc-Pflicht an gehörten, beginnen aber hier bereits die Herausforderungen. Denn sie müssen nicht nur die Voraussetzungen schaffen, um ihre Adhoc-Nachrichten sicher und gesetzeskonform europaweit zu verbreiten, sondern auch sicherstellen, dass diese Informationen für einen Zeitraum von fünf Jahren auf der unternehmenseigenen Website öffentlich zugänglich sind.

Weiterhin sehen die Regelungen vor, dass die Information an die nationale Aufsichtsbehörde, in Deutschland die BaFin, unter Umständen den Handelsplatzbetreiber und zur Veröffentlichung an das nationale Speichermedium (in Deutschland das Unternehmensregister) übermittelt werden. Angesichts dieser umfassenden neuen Anforderungen sollten Unternehmen auf eine professionelle Lösung setzen, mit der sich alle diese Pflichten aus einer Hand erfüllen lassen.

Denn Fehler werden mit Blick auf die drastisch verschärften Sanktionen teuer. Der Sanktionskatalog sieht beispielsweise für Verstöße gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht Geldbußen von bis zu einer Million Euro für natürliche Personen beziehungsweise bis zu 2,5 Millionen Euro oder 2 Prozent des Konzernumsatzes für juristische Personen vor. Im Bereich des Marktmanipulationsrechts und der Insiderverbote verschieben sich die Dimensionen nochmals extrem nach oben: Hier können natürliche Personen sogar mit bis zu 5 Millionen Euro zur Kasse gebeten werden, juristische Personen gar im Höchstfall mit 15 Millionen Euro oder 15 Prozent des Konzernumsatzes. Das kann vor allem für kleinere Emittenten schon existenzbedrohend sein. Hinzu kommt hierbei noch, dass beispielsweise nicht mehr nur eine tatsächliche Marktmanipulation ein Tatbestand ist, sondern bereits der Versuch strafbar ist.

Doch damit nicht genug: In Anlehnung an das bekannte Gesellschaftsspiel "Wahrheit oder Pflicht" könnte man die weitergehenden Sanktionen auch kurz mit "Pranger oder Pflicht" überschreiben. Denn wer seine Pflichten nicht erfüllt, droht an den digitalen Pranger gestellt zu werden. Dieser abschreckende Effekt wird mit "Naming and Shaming" betitelt und beinhaltet, dass Sanktionierungen auf den Webseiten der jeweiligen Landesbehörden unter Nennung des Tatbestandes inklusive der Identität der betroffenen Personen für fünf Jahre öffentlich zugänglich gemacht werden.

Insiderdatenbank: viele Listen, eine Lösung

Mit der Marktmissbrauchsverordnung sind Emittenten und alle in ihrem Auftrag handelnden Personen (zum Beispiel Rechtsanwaltskanzleien) verpflichtet, Insiderlisten zu führen. Das bringt auch für die Unternehmen aus dem geregelten Markt einige neue Anforderungen, die über die bestehenden Vorschriften hinausgehen. So wird beispielsweise die bisherige Ausnahme des § 15b WpHG, nach der die mit dem Abschluss beauftragten Wirtschaftsprüfer und deren Gehilfen nicht in den Insiderlisten geführt werden müssen, mit Inkrafttreten der MAR ersatzlos gestrichen.

Eine einfache Excel-Liste reicht hier also längst nicht mehr aus, um die Insiderlisten komfortabel und gesetzeskonform zu pflegen - und vor allem dabei noch den Überblick zu behalten. Die EQS Group hat daher eine spezielle EQS-Insiderdatenbank entwickelt, mit der Emittenten alle Pflichten gemäß Artikel 18 MAR zuverlässig und sicher erfüllen können.

Aufklärung der Insider

Die internetbasierte Lösung ermöglicht es, die gemäß MAR definierten Projekte (Dealspecific/Event based) anzulegen sowie die Personen zu erfassen, die zeitweise oder dauerhaft Zugang zu Insiderinformationen haben, und diese den einzelnen Projekten zuzuordnen. Außerdem bietet diese intuitiv zu bedienende Lösung verschiedene Sortier- und Darstellungsmöglichkeiten. Der Emittent ist damit jederzeit in der Lage, Informationsgesuchen der Aufsichtsbehörden nachzukommen und die gewünschte Liste zu präsentieren.

Ein weiterer ganz großer Vorteil dieser Lösung sind die hinterlegten Formulare, mit denen ein Unternehmen seine Insider über ihre Pflichten aufklärt. Die Aufklärung erfolgt mittels personalisierten Dokumenten, die automatisch aus dem System generiert werden. Die Emittenten treffen damit, wie vom Gesetzgeber gefordert, alle gemäß MAR erforderlichen Vorkehrungen, um dafür zu sorgen, dass die auf der Insiderliste erfassten Personen die aus den Rechtsund Verwaltungsvorschriften erwachsenden Pflichten schriftlich anerkennen und sich der Sanktionen bewusst sind, die bei Insidergeschäften und unrechtmäßiger Offenlegung von Insiderinformationen Anwendung finden.

Doch was heißt in diesem Fall schriftlich? Die englischen Originaltexte der MAR lassen hier ebenso wie in vielen anderen Bereichen Spielraum für Interpretationen. Bedeutet "schriftlich" eine Mail oder eine postalische Anerkennung der Pflichten?

Nein, es kann wohl sogar noch einfacher gehen. Nach Rücksprache mit der BaFin geht die EQS Group derzeit davon aus, dass bereits das Setzen eines Hakens in einem dafür bereit gestellten Online-Tool der Erfordernis genügen würde. Maßgeblich ist nach dieser Auslegung, dass die Bestätigung sichtbar gemacht wird und beispielsweise nicht mündlich oder konkludent erfolgt.

Emittenten: Prozesse und Strukturen anpassen

Abschließend kann man festhalten, dass mit Inkrafttreten der europäischen Marktmissbrauchsverordnung die regulatorischen Unterschiede zwischen dem Regulierten Markt und dem Freiverkehr deutlich geringer werden. Das bedeutet für die Emittenten aus dem Freiverkehr, dass sie die internen Prozesse und Strukturen - sofern noch nicht geschehen - schnellstmöglich entsprechend den neuen Anfor derungen anpassen und geeignete Überwachungsmechanismen einrichten sollten.

Bei Unsicherheiten in Rechtsfragen empfiehlt es sich darüber hinaus juristischen Rat einzuholen oder auf die Unterstützung eines professionellen Dienstleisters mit zertifizierten Prozessen und höchsten Sicherheitsstandards zurückzugreifen - das kommt am Ende auf jeden Fall günstiger als eine Geldbuße wegen Nichteinhaltung der MAR.

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