Was der europäische Kapitalmarkt 2018 braucht - und darüber hinaus

Sylvie Matherat Foto: Deutsche Bank AG

Steuerliche Anreize für alle Akteure, ihre Geschäftsaktivitäten in den USA zu konzentrieren, die Gefahr einer Fragmentierung in Europa durch den Brexit bei gleichzeitiger Hoffnung auf eine gewisse Dynamik für neue europäische Initiativen sowie nicht zuletzt Chinas rasanter Aufstieg zur Weltmacht sehen die Autorinnen als wirtschaftliche Rahmenbedingungen für die Weiterentwicklung des Banken- und Kapitalmarktes in der EU. Im Zeitalter der Digitalisierung plädieren sie für ein konsistentes Rahmenwerk, das Cyberrisiken im Blick hat, Fintechs in die Regulierung einbezieht, aber dennoch genügend Raum für Innovationen lässt. Sie loben die Vorschläge der EU-Kommission zur Förderung nachhaltiger Finanzinnovationen und mahnen eine Stärkung der Kapitalmarktunion an. Hinsichtlich der Kapitalmarktregulierung sprechen sie sich für ein weltweites Level Playing Field aus. (Red.)

Lange Zeit sah es so aus, als ob es für den europäischen Kapitalmarkt in diesem Jahrzehnt lediglich darum geht, die Folgen der Finanzkrise zu verarbeiten und dann gestärkt die Hebel auf Wachstum zu legen. Ein Jahr nach dem Amtsantritt von Donald Trump und eineinhalb Jahre nach der britischen Brexit-Entscheidung sieht es jedoch etwas komplizierter aus: Erstens, der zunehmende Protektionismus und die Fragmentierung von Märkten und Regeln drohen, den länderübergreifenden Handel zu beschränken, wenn nicht gar zu verhindern. Zweitens, die Digitalisierung und das Internet der Dinge verändern die Geschäftsprozesse von Banken und Kapitalmarktdienstleistern in nie da gewesener Weise. Drittens, Europa muss sich überlegen, welche Rolle die Kapitalmärkte zukünftig spielen sollen und es muss dann auch entsprechend handeln. All diese Entwicklungen sorgen nicht nur im Finanzsektor für Verunsicherung. Doch verbergen sich hinter den offensichtlichen Risiken auch Chancen? Und was muss geschehen, um diese zu nutzen?

Umwälzungen im politischen Umfeld

In den USA sind zwei Bewegungen für europäische Kapitalmarktteilnehmer besonders wichtig: Zum einen wird auf dem Capitol Hill über die Rolle der Kapitalmärkte neu nachgedacht. Gerade auch, um über die Finanzdienstleister den Wachstumsmotor für die US-Wirtschaft anzukurbeln. Zum anderen erhöht die von Donald Trump initiierte Steuerreform den Druck auf alle Akteure, ihre Geschäftsaktivität in den USA zu konzentrieren und grenzüberschreitende Leistungsbeziehungen zu vermeiden. Kurzfristig heißt das für die Akteure: Das Finanzgeschäft in den Vereinigten Staaten wird einfacher und profitabler, solange die Wertschöpfungskette innerhalb des Landes ist.

In Europa ist das Bild gemischt: Auch hier wächst die Gefahr der Fragmentierung, insbesondere durch den Brexit. Fragmentierung wiederum erhöht die Transaktionskosten und zwingt Unternehmen zu Umstrukturierungen. Mehr als ein Jahr nach dem Brexit-Referendum ist noch unklar, wie die zukünftige Handelsbeziehung zwischen der Europäischen Union und dem britischen Königreich gestaltet werden soll. Einigen sich beide Parteien nicht, hätte Großbritannien im ungünstigsten Fall künftig dieselbe Stellung wie jeder andere Handelspartner in der Welthandelsorganisation. Die EU sollte dies als Ansporn sehen, die weitere Integration zu fördern und die EU-Märkte attraktiver zu machen. Hier bietet die neue französische Dynamik - zusammen mit einer hoffentlich bald gebildeten deutschen Regierung - viel Potenzial.

In Asien setzt China seinen rasanten Aufstieg zur Weltmacht fort. Initiativen wie die Wiederbelebung der Seidenstraße zeigen, wie ernst es China meint: Das weltweit derzeit anspruchsvollste und größte Infrastrukturprojekt wird zu einem massiven Ausbau der Handelsrouten zwischen Asien, Europa und Afrika führen. Auch andere Entscheidungen der chinesischen Regierung, wie zum Beispiel die kürzlich eingeführte verpflichtende Quote für Elektroautos, könnten die deutsche und europäische Wirtschaft gleichzeitig fordern und gefährden. Umso wichtiger ist es, dass Innovation und deren Finanzierung ganz oben auf der politischen Agenda Europas stehen.

Digitalisierung: Chancen und Risiken für Banken- und Kapitalmarkt in der EU

Neue Technologien und Wettbewerb sind die treibenden Kräfte für den Kapitalmarkt, um bessere und preiswerte Dienstleistungen für Kunden zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Das erfordert aber zwei wesentliche Zutaten: Einen funktionierenden, offenen Wettbewerb und freie Ressourcen, um die Transformationen zu stemmen. Dabei kommen Digitalisierung und Cyberrisiken für alle Kapitalmarktteilnehmer Hand in Hand. Umso wichtiger ist es, das juristische und regulatorische Umfeld zügig weiterzuentwickeln. Der Zugang für neue Marktteilnehmer muss einfach sein.

Gleichzeitig müssen unter anderem Fintechs in die Regulierung einbezogen werden, um Asymmetrien und Arbitrage zu verhindern - letztere führt sonst regelmäßig zur Destabilisierung des Finanzsektors. Politiker und Aufsichtsbehörden müssen außerdem verstehen, dass Cyberrisiken und Cyberkriminalität nicht an Grenzen haltmachen und nicht von einzelnen Marktteilnehmern in den Griff bekommen werden können. Hier bedarf es Kooperationen und einen strukturierten Austausch von Daten, Erfahrungen und vorbildlichen Praxisbeispielen. Anderenfalls gehen wertvolle Ressourcen in unnötigen Alleingängen verloren.

Damit Europa von den Vorteilen der Digitalisierung profitieren kann, braucht es eines klaren und konsistenten Rahmenwerks, das einen fairen Wettbewerb und ein effektives Risikomanagement ermöglicht. Die EU-Kommission entwickelt derzeit einen Maßnahmenkatalog, der dazu beitragen soll, den Finanzsektor für die Digitalisierung fit zu machen. Damit dies gelingt, müssen die Aufsichtsbehörden selbst ein ausreichendes Verständnis für die digitale Welt entwickeln. Hier können sogenannte regulatorische Sandkasten helfen, die unter anderem im Vereinigten Königreich bereits mit Erfolg getestet werden. Diese sehen vor, neue Ideen und Produkte, etwa von Fintechs, vor deren Markeinführung in einem sicheren Umfeld zu testen. Solche neuen Ansätze erlauben es, Innovationen zu fördern und Lösungen für eine effektive Aufsicht zu entwickeln, um die Wettbewerbsfähigkeit und gleichzeitig die Stabilität des Finanzsektors im Zuge des rasanten technologischen Fortschritts zu wahren.

Die Förderung von nachhaltigen Finanzierungen steht derzeit weit oben auf der europäischen Agenda. Hierzu hat im Januar die "High-Level Expert Group" in ihrem Bericht der EU-Kommission Vorschläge gemacht, die zügig in konkrete Handlungen überführt werden sollen. Europa könnte sich hier als Vorreiter positionieren - insbesondere vor dem Hintergrund der politischen Entwicklungen in anderen Regionen dieser Welt und dem Ausstieg der USA aus dem Weltklimaabkommen. Wenn mehr Gelder in Investitionen gelenkt werden, die den Ausstoß von CO2 senken, dann trägt das nicht nur dazu bei, die von der EU gesetzten Ziele für 2030 zu erreichen - es fördert auch Innovationen.

Wichtig ist, dass sich die EU auf einen Kriterienkatalog für grüne und nachhaltige Investitionen einigt, der Transparenz, Vergleichbarkeit und Verlässlichkeit für Investoren jeder Art schafft. Um das Rad nicht neu zu erfinden, könnte die EU dabei zum Beispiel auf die Prinzipien für verantwortungsvolles Investieren der Finanzinitiative des UN-Umweltprogramms zurückgreifen. Dabei sollte der Fokus nicht nur auf Fonds gelegt werden, die sich auf nichtfinanzielle Kriterien wie Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung (sogenannte ESG-Faktoren) spezialisiert haben, sondern auch auf eine nachhaltige Kreditvergabe. Dies kann zum Beispiel durch die Einführung eines sogenannten "Green Supporting Factors" in Form entsprechend reduzierter Eigenkapitalanforderungen erfolgen. Letztendlich ist es auch für die Stabilität der Finanzmärkte wichtig, dass nicht weiter in auslaufende Technologien und damit zukünftige potenziell ausfallgefährdete Kredite investiert wird.

Regulierung

Auch wenn der Post-Finanzkrisen-Regulierungsstrom langsam abebbt: Sein Ende ist noch weit entfernt. Wesentliche Pakete gehen erst noch in die politische Umsetzung, etwa Basel IV, andere werden gerade überarbeitet, beispielsweise EMIR. Außerdem erfordert die digitale Innovation neue Regulierungsformen, wie zum Beispiel zum Thema Cloud Computing.

Die EU muss, insbesondere angesichts des Brexits, sowohl die Banken- als auch die Kapitalmarktunion vorantreiben. Nur ein integrierter europäischer Markt kann Wachstum, Innovation und Investitionen unterstützen. Außerdem müssen die europäischen Banken und Finanzdienstleister die Möglichkeit haben, im Wettbewerb gegenüber Nicht-EU-Banken zu bestehen. Zehn Jahre nach der Finanzkrise sind Banken zweifelsfrei sicherer, sie haben höhere Kapital- und Liquiditätsquoten, aber gerade in Europa sind sie relativ unprofitabel. Hier hilft ein Durchforsten der Regulierung - und zwar mit Augenmaß, um Wirksames von Unnötigem zu trennen und die Investitionskraft der Finanzdienstleister zu stärken. Eine ausgewogene Regulierung blickt nicht nur auf Erleichterungen für kleine Institute, sondern auch auf ein konstruktives Wettbewerbsumfeld für große, international agierende Häuser.

Die Bankenunion soll entscheidend zu einem stabileren und integrierten europäischen Finanz- und Kapitalmarkt beitragen. Als letzter Baustein auf dem Weg zur Bankenunion steht ein europäisches Einlagensicherungssystem auf der Agenda; es soll dabei helfen das Vertrauen in den Finanzmarkt zu stärken und durch intensivierten grenzüberschreitenden Handel zur Wettbewerbsfähigkeit Europas beitragen. Darüber werden starke europäische Finanzaufsichtsbehörden benötigt, um eine Fragmentierung von Rechtsvorschriften und Aufsicht innerhalb der EU verhindern zu können und so einen integrierten europäischen Kapitalmarkt zu schaffen.

Der europäische Kapitalmarkt und Europa braucht eine Stärkung der Kapitalmarktunion. Unternehmen in Europa sind zu stark von Krediten abhängig. Nichtbanken müssen mehr Möglichkeiten erhalten, ihre Investitionen über einen möglichst einheitlichen europäischen Kapitalmarkt zu finanzieren. Nur so kann die EU auf Dauer ihre Innovationskraft behalten - und nachhaltigen Wohlstand schaffen. Hierfür bedarf es Investmentbanken, die Unternehmen beim (direkten) Zugang zum Kapitalmarkt unterstützen. Eine Grundvoraussetzung dafür wiederum ist, dass die Wertschätzung von Investmentbanken in der EU steigt - oder zumindest die Abneigung nachlässt.

Weltweit einheitliche Kapitalmarktregulierung

Das Gesellschaft- und Vertragsrecht muss sich weiterentwickeln. Benötigt werden stärkere europäische Regeln und Institutionen - und weniger nationale Einzelanforderungen. Das fördert das Wachstum innerhalb Europas und macht die EU attraktiver für Investitionen.

Der Bankenmarkt muss sich bereinigen. Zwischen 2008 und 2016 ist die Zahl der Banken in der EU bereits um rund ein Viertel gesunken. Doch vor dem Hintergrund mangelnder Profitabilität gibt es nach wie vor zu viele Finanzinstitute in der EU. Damit sich das ändert, sind auch grenzüberschreitende Zusammenschlüsse notwendig.

Die Kapitalmarktregulierung muss weltweit einheitlicher sein. Das ist eine der wichtigsten Lehren aus der vergangenen Krise. Dabei sollte die bestehende Regulierung auf den Prüfstand gestellt werden: Es werden Regeln gebraucht, die Risiken im Finanzsektor transparent und kontrollierbar machen - und die den Banken gleichzeitig die Chance lassen, ihre Funktion für Investitionen und Wachstum der Wirtschaft zu erfüllen. Während die Kapitalmarktregeln bereits zu einem gewissen Grad vereinheitlicht sind, gibt es bei Verhaltensregeln noch Nachholbedarf. Werden solche Regeln einheitlicher gestaltet - und unterscheiden sich dann nicht mehr von Land zu Land - kann auch das das wirtschaftliche Wachstum fördern.

Sylvie Matherat Mitglied des Vorstands und Chief Regulatory Officer, Deutsche Bank AG, Frankfurt am Main
Karin Dohm Weltweite Leiterin für Regierungsbeziehungen und Regulierung, Deutsche Bank AG, Frankfurt am Main

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