Negativzins: Verwahrentgelt für Kundeneinlagen ökonomisch begründbar?

Stefan Best, Foto: S. Best

Einige Banken in Deutschland haben über sogenannte Verwahrengelte, also Gebühren auf Geldguthaben bei der Bank - sei es das Giro-, Spar- oder Tagesgeldkonto oder auch Sparbücher - die Kosten für ihre Kunden erhöht. Die Banken argumentierten oftmals damit, dass ein derartiges Vorgehen notwendig sei, um zum einen die steigende Einlagenflut beherrschbarer zu machen und zum anderen damit, dass sie so auf den Kurs der aktuellen Geldpolitik reagieren müssten. Ende 2021 haben allerdings die Landgerichte Berlin und Düsseldorf die Vertragsklauseln zur Erhebung von Verwahrentgelten für unwirksam erklärt, so der Autor. Die beiden Urteile würden auf einer rein formaljuristischen Sichtweise basieren. Daher untersucht der Autor im vorliegenden Beitrag, ob die Erhebung eines Verwahrentgelts ökonomisch begründbar ist. Zunächst wird die Frage aus Sicht des gesamten Bankensystems und anschließend aus Sicht einer einzelnen Bank betrachtet. (Red.)

Seit Juni 2014 erhebt die Europäische Zentralbank (EZB) einen negativen Zinssatz für die Einlagefazilität. Der negative Zinssatz betrug zunächst minus 0,10 Prozent. Er wurde bis September 2019 in weiteren vier Schritten um jeweils minus 0,10 Prozent auf minus 0,50 Prozent gesenkt. Eine zunehmende Zahl von Geschäftsbanken (Banken) hat die negativen Zinsen, die sie für Guthaben bei den nationalen Zentralbanken des Eurosystems (ZB-Guthaben) zahlen, zum Anlass genommen, für die Einlagen der Nichtbanken ein sogenanntes Verwahrentgelt zu fordern.1)

In zwei vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) initiierten Verfahren haben Ende 2021 die Landgerichte Berlin (Az. 16 O 43/21) und Düsseldorf (Az. 12 O 34/21) die Vertragsklauseln zur Erhebung von Verwahrentgelten für unwirksam erklärt und den betroffenen Einlegern einen Erstattungsanspruch gegenüber den beiden beklagten Banken eingeräumt. Nach Auffassung der beiden Gerichte sei die Klausel eines Verwahrentgeltes mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen nicht zu vereinbaren und stelle daher eine unangemessene Benachteiligung der Kunden dar.

Keine Sonderleistung

Zum einen sei im Rahmen eines Girovertrags die Verwahrfunktion keine Sonderleistung, sondern dem Girovertrag immanent und notwendig, um die Abwicklung von Zahlungsvorgängen durchführen zu können. Zum anderen sehe das Darlehensrecht vor, dass der Darlehensnehmer und nicht der Darlehensgeber zur Zinslast verpflichtet sei. Das gesetzliche Leitbild sehe somit keinen Anspruch auf Zahlung eines Verwahrentgeltes vor. Allerdings bestehe für Banken die Möglichkeit, sich durch Kündigung von ihren Verpflichtungen zu lösen.

Die beiden Urteile basieren auf einer rein formaljuristischen Sichtweise. Daher steht in der folgenden Untersuchung die Frage im Vordergrund, ob die Erhebung eines Verwahrentgelts ökonomisch begründbar ist. Zunächst wird die Frage aus Sicht des gesamten Bankensystems und anschließend aus Sicht einer einzelnen Bank betrachtet.

Die Erhebung beziehungsweise Forderung eines Verwahrentgelts auf Einlagen in Euro begründen Banken damit, dass sie selbst für ihre Guthaben bei der Zentralbank einen Zinssatz von minus 0,50 Prozent zahlen müssen und stellen so einen direkten Zusammenhang mit den Einlagen ihrer Kunden her. Dabei besteht jedoch kein Kausalzusammenhang zwischen Einlagen und ZB-Guthaben, das heißt die Zunahme oder Abnahme von Einlagen bei den Banken führt nicht automatisch zu einer entsprechenden Zunahme oder Abnahme ihrer ZB-Guthaben.

Abbildung 1: Geldmenge und Zentralbankgeld Quelle: Deutsche Bundesbank, Geld und Geldpolitik, 2019, S.78

Gesamtwirtschaftliche Sicht

Ende 2021 beliefen sich die mindestreservepflichtigen Einlagen bei den Banken im Euroraum auf 15 540,9 Milliarden Euro und ihre ZB-Guthaben auf lediglich 4 588,4 Milliarden Euro. Auf die in Deutschland ansässigen Banken entfielen 4 260,4 Milliarden Euro Einlagen sowie 1 283,5 Milliarden Euro ZB-Guthaben. Offensichtlich haben Einlagen und ZB-Guthaben wenig miteinander zu tun. Während es sich bei ZB-Guthaben um von der Zentralbank geschaffenes und kontrolliertes Zentralbankgeld handelt, zu dem auch der gesamte Bargeldumlauf zählt, machen die Einlagen neben dem Bargeld im Besitz der Nichtbanken den wesentlichen Teil der Geldmenge aus. Zentralbankgeld und Geldmenge sind also weitgehend verschiedene Größen, wobei lediglich die Bargeldhaltung der Nichtbanken eine Schnittmenge darstellt (Abbildung 1).

Dabei kann die Zentralbank zwar das Zentralbankgeld, nicht jedoch die Geldmenge kontrollieren, da letztere vom Kreditangebot der Banken und der Kreditnachfrage der Nichtbanken sowie von Anlageentscheidungen der Nichtbanken bestimmt wird.

Aus Sicht des Bankensystems als Ganzes entstehen Einlagen bei Banken durch:

a) Bareinzahlungen der Nichtbanken bei den Geschäftsbanken,

b) Kreditvergabe der Banken an Nichtbanken,

c) Kauf von Aktiva im Besitz der Nichtbanken (insbesondere Wertpapiere) durch Banken.

In den Fällen a) bis c) sind mit dem Entstehen der Einlagen bei Banken zunächst keine direkten Auswirkungen auf ihre ZB-Guthaben verbunden. Die Banken müssen lediglich ZB-Guthaben in Höhe des Mindestreserve-Solls (MR-Soll) von 1 Prozent der mindestreservepflichtigen Einlagen erfüllen, welches jedoch von der Zentralbank mit dem Hauptrefinanzierungszinssatz von derzeit 0 Prozent verzinst wird. Ende 2021 betrug das MR-Soll der Banken im Euroraum also 155,4 Milliarden Euro. Zudem ist zusätzlich seit dem 12. September 2019 das Sechsfache des MR-Solls mit einem Zinssatz von 0 Prozent belegt. Insgesamt kann eine Bank demnach das Siebenfache des MR-Solls als ZB-Guthaben und somit einen mehr als ausreichenden Puffer über das MR-Soll hinaus kostenfrei unterhalten.

Warum sind aber die ZB-Guthaben der Banken so hoch, obwohl ihr Halten mit Kosten verbunden ist? ZB-Guthaben, entstehen durch:

d) Kreditaufnahme der Banken bei der Zentralbank,

e) Ankauf von Aktiva der Banken, ins besondere Wertpapiere, durch die Zentralbank.

Abbildung 2: Positionen der konsolidierten Bilanz des Eurosystems aus geldpolitischen Operationen (in Millionen Euro) Quelle: EZB, Statistical Data Warehouse

Vor der Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 und der folgenden Bankenkrise war die Überschussliquidität der Banken im Euroraum, also die ZB-Guthaben über das MR-Soll hinaus, verschwindend gering. Auch danach waren die ZB-Guthaben zunächst selten höher als das Doppelte des MR-Solls. Einen vorübergehenden Anstieg löste die Eurokrise 2012 aus. Erst mit Beginn der massiven Wertpapierkäufe durch das Eurosystem seit 2015 und den Zinsvergünstigungen der Gezielten Längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (GLRG II und III) seit Juni 2016 beziehungsweise September 2019 stiegen die ZB-Guthaben der Banken im Euroraum kontinuierlich an und waren Ende 2021 fast 30-mal so hoch wie ihr MR-Soll (Abbildung 2). Auch die ZB-Guthaben der in Deutschland ansässigen Banken betrugen im Dezember 2021 das 30-Fache ihres MR-Solls.

Aus den Geschäftsberichten der Deutschen Bundesbank (Bundesbank) geht hervor, dass die in Deutschland ansässigen Banken auf ihre ZB-Guthaben deutlich mehr gezahlt haben (Zinserträge aus Sicht der Bundesbank) als sie durch Inanspruchnahme von GLRG II und III an Zinsprämien erhalten haben (Zinsaufwendungen aus Sicht der Bundesbank; Abbildung 3).

Zwar zahlen Banken hohe Beträge für ihre ZB-Guthaben, die gerade für manche deutsche Banken aufgrund ihrer chronischen Ertragsschwäche einen erheblichen Anteil ihres Ergebnisses ausmachen können. Auch werden diese Kosten durch die Teilnahme an den GLRG nicht völlig kompensiert. Allerdings sind Höhe und Anstieg der ZB-Guthaben der Banken eine Folge der Geldpolitik der EZB und haben mit der Einlagenentwicklung bei den Banken nichts zu tun. Aus Sicht des Bankensystems als Ganzes kann demnach die Erhebung eines Verwahrentgelts für Kundeneinlagen nicht mit den Kosten, die durch negative Zinsen auf ZB-Guthaben entstehen, begründet werden.

Abbildung 3: Jahresergebnisse der Deutschen Bundesbank aus Negativzinsen 2016-2021 Quelle: Geschäftsberichte der Bundesbank 2017 bis 2021

Einzelwirtschaftliche Perspektive

Aus Sicht einer einzelnen Bank können ZB-Guthaben auch dadurch entstehen, dass fremde Kunden anderer Banken Überweisungen zugunsten der eigenen Kunden der Bank vornehmen. Damit die Bank des die Überweisung empfangenden Kunden diesem den Gegenwert als Einlage gutschreibt, wird die Bank des überweisenden Kunden entsprechende ZB-Guthaben, auf das Zentralbankkonto der Bank des Empfängers übertragen. Diese von anderen Banken übertragenen ZB-Guthaben können der empfangenden Bank aufgrund der negativen Einlagenzinsen zusätzliche Kosten verursachen, denen sich die Bank auch nicht entziehen kann.2)

Kostenseite

Auch wenn der Saldo der durch Überweisungen zufließenden ZB-Guthaben nur selten den Freibetrag in Höhe des Sechsfachen des eigenen MR-Solls überschreiten dürfte, entstehen der Bank Kosten, wenn der Freibetrag beispielsweise in Verbindung mit Offenmarktgeschäften überschritten wird. Die Bank könnte zwar ihre Kredite bei der Zentralbank und so ihre ZB-Guthaben reduzieren. Dies würde jedoch auch ihre Möglichkeit von den mit den GLRG verbundenen Prämienzahlungen zu profitieren entsprechend mindern. Auch ein Umtausch der ZB-Guthaben in Banknoten ist aufgrund der Lagerkosten keine sinnvolle Option. Schließlich wird es auch nicht immer möglich sein, die ZB-Guthaben zu niedrigeren Kosten an andere Banken zu verleihen, die über ungenutzte Freibeträge verfügen. Insofern scheint es ökonomisch begründet, dass Banken, denen Einlagen und somit ZB-Guthaben von außen zufließen, die ihnen für diesen Teil der ZB-Guthaben entstehenden Kosten ihren Kunden in Form von Verwahrentgelten belasten. Für die Belastung von Einlagen mit Kosten aus ZB-Guthaben, die aus Offenmarktgeschäften resultieren, gilt dies nicht, da hier kein Zusammenhang mit den Einlagen gegeben ist.

Die Höhe der von anderen Banken zugeflossenen ZB-Guthaben ist für Dritte nicht exakt zu bestimmen. Da jede Kreditvergabe einer Bank - auch in verbriefter Form - zwangsläufig zu einer entsprechenden Gutschrift in Form von Einlagen zugunsten des Kreditnehmers führt, könnte man für eine einfache Schätzung näherungsweise den Differenzbetrag zwischen dem Bestand der Kundeneinlagen der Bank in Euro und dem Bestand ihrer Kundenkredite in Euro heranziehen. Übersteigen die Einlagen die Kredite, ist dies ein Indiz dafür, dass der Bank EZB-Guthaben von anderen Banken zugeflossen sind. Dieser Betrag multipliziert mit dem negativen Einlagenzins der EZB ergibt dann einen Schätzwert der Kosten, die die Bank auf die Einlagen ihrer Kunden als Verwahrentgelt ökonomisch begründet umlegen kann.

Bei den meisten Banken beziehungsweise Bankengruppen ist der Kreditbestand gegenüber Nichtbanken gemäß Bundesbankstatistik höher als der Einlagenbestand.3) Bei den sogenannten Kreditbanken, bestehend aus den Großbanken, Regionalbanken und Zweigstellen ausländischer Banken, und den Auslandsbanken ist jedoch seit vielen Jahren ein Einlagenüberschuss zu beobachten. Es handelt sich in der Bundesbankstatistik allerdings um nicht konsolidierte Werte, sodass ein möglicher Ausgleich innerhalb einer Bankengruppe nicht erkennbar ist. Für die Kreditbanken ergibt sich für 2021 im Durchschnitt der Monatsendwerte ein Einlagenüberschuss in Höhe von 241,0 Milliarden Euro. Multipliziert mit dem Zinssatz der Einlagefazilität der EZB von minus 0,50 Prozent ergeben sich geschätzte Kosten in Höhe von 1,2 Milliarden Euro. Dieser Wert bezogen auf den Durchschnitt der Einlagen in Höhe von 1 672,0 Milliarden Euro ergibt 0,07 Prozent. Für die Auslandsbanken beträgt der Wert 0,05 Prozent.

Unterschiedliche Geldaggregate

Betrachtet man das Bankensystem als Ganzes entstehen durch den negativen Zinssatz für die Einlagefazilität der EZB keine zusätzlichen Kosten für Banken, die sich auf die Einlagenentwicklung zurückführen lassen. Der Grund hierfür besteht darin, dass es sich beim Zentralbankgeld, das vorwiegend aus ZB- Guthaben besteht, und der Geldmenge, die vorwiegend aus Einlagen besteht, um zwei sehr unterschiedliche Geldaggregate handelt. Eine unmittelbare Beziehung zwischen ZB-Guthaben und Einlagen ist nicht gegeben. Dass beispielsweise deutsche Banken in den vergangenen Jahren mehrere Milliarden Euro für ihre ZB-Guthaben zahlen mussten, ist auf geldpolitische Maßnahmen und nicht auf die Einlagenentwicklung zurückzuführen.

Aus Sicht einer einzelnen Bank kann es jedoch durch Überweisungen zu zusätzlichen Belastungen kommen, wenn dadurch per saldo die ZB-Guthaben steigen. Die Überwälzung der dadurch bedingten Zusatzkosten der Banken auf Einleger ist ökonomisch begründbar. Die Höhe dieser zusätzlichen Einlagen und damit verbundenen Kosten kann durch Außenstehende nur geschätzt werden.

Als Ausgangspunkt für die Schätzung der Zusatzkosten kann der Überschuss der Kundeneinlagen über die Kredite an Nichtbanken dienen. Für die nach der Systematik der Bundesbank definierten deutschen Bankengruppen mit Einlagenüberschuss ergeben sich bezogen auf die Einlagenbestände Verwahrentgelte in Höhe von weniger als minus 0,10 Prozent. Die Erhebung eines Verwahrentgelts von minus 0,50 Prozent auf Einlagen kann also weder juristisch noch ökonomisch gut begründet werden.

Fußnoten

1) Die EZB-Guthaben ergeben sich aus der Summe der zur Erfüllung der Mindestreservepflicht gehaltenen Guthaben (Reserven), überschüssige Guthaben (Überschussreserven) sowie Guthaben aus der Einlagenfazilität. Die das Mindestreserve-Soll übersteigenden Guthaben, also die Summe aus Überschussreserven und Einlagenfazilität bezeichnet die Bundesbank als Überschussliquidität. Zu den Nichtbanken zählen Privatpersonen, Unternehmen und öffentliche Haushalte.

2) Alternativ könnte die Bank des überweisenden Kunden einen Kredit bei der Bank des die Überweisung empfangenden Kunden aufnehmen. Da ZB-Guthaben derzeit mit Kosten verbunden sind, dürfte sie bestrebt sein, ZB-Guthaben zu übertragen.

3) Gemäß der Statistik der Bundesbank zählen zu den Krediten an Nichtbanken neben den Buchkrediten vor allem auch Wertpapiere von Nichtbanken.

Stefan Best , Dozent , Hochschule RheinMain, Wiesbaden Business School

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