Einen Schritt in Richtung Deregulierung wagen

Abbildung 1: Was sind aus Ihrer Sicht die drei größten Risiken, welche professionelle Anleger derzeit am stärksten beschäftigen sollten?

Alexander Gerstadt, Vorsitzender des Vorstands, GAM (Deutschland) AG, Frankfurt am Main - Ist das regulative Umfeld angesichts der Herausforderungen, vor denen institutionelle Anleger an den Kapitalmärkten stehen, noch stimmig? Der Autor beantwortet diese Frage mit einem klaren Nein. Als störend empfindet er die zunehmend eingeschränkte Freiheit der Anlageentscheidung für institutionelle Anleger, durch die er nicht zuletzt die Bewegungsfreiheit von Vorsorgeeinrichtungen und damit die Chancen auf attraktive Renditen für ungebührend eingeschränkt hält. Der Tendenz nach spricht er sich gegen Vorgaben für die Nutzung einzelner Assetklassen oder teils sogar deren kompletten Ausschluss aus und plädiert stattdessen für die Vorgabe konkreter Risikoregeln und -budgets für institutionelle Anleger, um diesen bei ihren Anlageentscheidungen eine größere Flexibilität zu ermöglichen. (Red.)

Das regulative Umfeld für den deutschen Finanzsektor wird sich in den kommenden Monaten weiter verschärfen. Solvency II, EU-Trennbankenrichtlinie und die Capital Requirements Regulation (CRR) sind nur einige der Regelwerke, mit denen sich Finanzdienstleister je nach Geschäftsmodell auseinandersetzen müssen. Klar ist schon jetzt, dass damit die Herausforderungen in einem ohnehin schwierigen Marktumfeld, das von intensiven Wettbewerb, rückläufigen Margen und niedrigen Erträgen geprägt ist, weiter steigen werden.

Begrenzter Spielraum für neue Anlagestrategien

Bereits heute fällt es Lebensversicherern, Pensionskassen und Vorsorgewerken angesichts der niedrigen Verzinsung sicherer Anleihen zunehmend schwer, abgegebene Garantieversprechen einzuhalten und gesteckte Renditeziele zu erreichen. Diese festen Renditeziele haben Banken in der Regel zwar nicht. Sie sehen sich allerdings mit deutlich gestiegenen Regulierungs kosten konfrontiert, unter anderem verursacht durch die Meldepflichten zu Großkrediten, Mindestanforderungen an das Risikomanagement oder den intensiv diskutierten Stresstests. Dies drückt auf ihre Ertragskraft, was es erschwert, die Ansprüche ihrer Anteilseigner bedienen und zukünftige Kapitalanforderungen erfüllen zu können.

Eine fortlaufende Regulatorik baut grundsätzlich auf historischen Erfahrungen auf und leitet daraus ihre Maßnahmen ab. Daher laufen die Regulierer Marktentwicklungen und -anpassungen eher hinterher als sie vorwegzunehmen. Vor diesem Hintergrund stellt sich heute mehr denn je die Frage, ob das regulative Umfeld noch "stimmig" ist angesichts der Herausforderungen, vor denen institutionelle Anleger an den Kapitalmärkten stehen. Viel spricht dafür, dass das nicht der Fall ist. Denn für sie ist zum Beispiel die Höhe der Zinsen am Kapitalmarkt theoretisch nicht von Bedeutung - solange sie sich frei über alle Assetklassen hinweg bewegen können. Doch das regulative Umfeld schränkt die Bewegungsfreiheit von Vorsorgeeinrichtungen ein, etwa durch Vorgaben hinsichtlich des Ratings von Emittenten. Das erschwert den Einsatz bestimmter Anlageinstrumente und in einige Anlagevehikel darf unter Umständen gar nicht mehr investiert werden. Das begrenzt den Spielraum für neue Anlagestrategien und -konzepte, mit denen nach wie vor vorhandene Renditechancen an den Finanzmärkten genutzt und gleichzeitig die Hürde niedriger Zinsen überwunden werden könnten.

Daher ist eine offene Diskussion darüber notwendig, ob es nicht sinnvoll ist, bestimmte Vorgaben für institutionelle Anleger zu lockern. Eine gewisse Deregulierung wäre schon deshalb geboten, damit sich einzelne Problemfelder, die sich aus dem aktuellen Anlagenotstand ergeben, nicht weiter verschärfen.

Pensionskassen: unzureichende Anlageperformance erwartet

Die schwierige Situation, in der sich Vorsorgeeinrichtungen befinden, schlägt sich auch in einer Umfrage nieder, die GAM, der größte unabhängige Schweizer Asset Manager, Ende Mai 2015 unter 78 professionellen Anlegern durchgeführt hat. Demzufolge sind knapp 80 Prozent der in der Erhebung Befragten der Überzeugung, dass angesichts des zunehmenden Lebensalters der Versicherten die Mehrheit der Pensionskassen ihre langfristigen Investitionsziele nicht erreichen wird. Als einer der wesentlichen Gründe für die unzureichende Anlageperformance werden regulatorische Hürden genannt.

Diese Regeln schreiben unter anderem vor, dass der Deckungsgrad im Portfolio stabil gehalten wird und sichergestellt ist, dass die Vorsorgeeinrichtung allen Verpflichtungen nachkommen kann. Vor dem aktuellen Hintergrund bedürfen sie nach Meinung professioneller Anleger jedoch einer Überprüfung und Lockerung. So sind sich 64 Prozent der Befragten einig, dass sich die regulatorischen Vorgaben ändern müssen, um Pensionskassen eine höhere Flexibilität in ihren Entscheidungen bezüglich ihrer Asset Allocation zu ermöglichen.

Ein positives Beispiel, wie eine solche Lockerung aussehen kann, ist die Anlageverordnung für Versicherungen (ANLV). Sie ermöglicht in ihren Ausprägungen die verstärkte Nutzung von Spezialfonds, die zum Beispiel hohe Bedeutung für die Anlage von Mitteln der Pensionskassen haben. Dazu erleichtert sie Versicherern den Zugang zu Kreditfonds, Infrastrukturinvestitionen und Private-Equity-Dachfonds. Das sind moderate Deregulierungstendenzen, die zu begrüßen sind. Umgekehrt wird diskutiert, dass Banken mit der Einführung der EU-Trennbankenrichtlinie fortan keine alternativen Investmentfonds mehr in ihrem eigenen Portfolio halten dürfen - mit der Folge, dass dies den Markt für diese Anlagelösung erheblich umkrempeln würde.

Bindung von Ressourcen

Schon jetzt binden die regulativen Anforderungen bei institutionellen Anlegern erhebliche Ressourcen für Risikomanagement, Administration, Compliance und Reporting. Jeder Asset Manager wiederum muss sein Reporting an die Anforderungen seiner institutionellen Kunden anpassen, also Daten so aufbereiten, dass der Investor diese Informationen direkt in seine eigenen Reportings - etwa an die Finanzaufsicht - übernehmen kann. Diese Anforderungen divergieren jedoch je nach Subbranche innerhalb des Finanzsektors teils deutlich. Asset Manager haben einen so großen Kosmos an Vorgaben und Gesetzen zu beachten, sodass das effiziente Management der Administration zu einem Kosten- und Wettbewerbsfaktor geworden ist. Gerade für kleinere Anbieter aus dem Ausland ist es daher schwer geworden, in Deutschland Fuß zu fassen. Die hohen regulatorischen Anforderungen machen einen Markteintritt oft unrentabel, was die Marktposition der etablierten Anbieter stärkt und den Markt faktisch abschottet.

Indes ist zu befürchten, dass das Ende der laufenden Regulierungswelle noch nicht erreicht ist. Die jüngst eingeführten Mindestliquiditätsquoten, das Management von Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch und die kommende EU-Trennbankenverordnung bedeuten für Banken weiteren administrativen Aufwand. Dagegen hält die Rating-Verordnung Versicherer zukünftig dazu an, eigene Ratings für ihre Anlagen zu erstellen anstatt auf die Urteile externer Dienstleister zurückzugreifen. Zudem ist die internationale Ausgestaltung neuer Vorschriften für die Assekuranzbranche und eine internationale Versicherungsaufsicht bereits am Horizont erkennbar.

Diese Projekte zeigen: Der Trend in Sachen Regulatorik geht klar in Richtung mehr Kontrolle. Die Möglichkeiten institutioneller Investoren, halbwegs auskömmliche Renditen zu erzielen, geraten dagegen mehr und mehr aus dem Fokus.

Größere Flexibilität bei der Anlageentscheidung

Dabei wäre es möglich, institutionellen Anlegern und deren Asset Managern zukünftig wieder mehr Freiheiten bei der Allokation zu geben und dennoch Risiken zu begrenzen. In den vergangenen Jahren ist das Anlageuniversum stark zusammengestrichen worden - übrig geblieben ist in erster Linie das, was zwar vergleichsweise sicher ist oder zumindest so erscheint, aber keine oder nur geringe Renditen abwirft - wie etwa europäische Staatsanleihen. Auf zusätzliche Vorgaben für die Nutzung einzelner Assetklassen oder gegebenenfalls komplette Ausschlüsse sollte daher verzichtet werden.

Eine Lösung wäre dagegen die Vorgabe konkreter Risikoregeln und -budgets für institutionelle Anleger, um ihnen bei ihren Anlageentscheidungen eine größere Flexibilität zu ermöglichen. Ein entsprechendes Regelwerk wäre ein hilfreicher Deregulierungsschritt, der es Pensionskassen, Lebensversicherern und Versorgungswerken leichter machen würde, ihre gesteckten Anlageziele nachhaltig zu erreichen, damit sie den langfristigen Verpflichtungen, die sie aufgrund ihres Geschäftsmodells und ihres ureigenen Organisationszwecks übernommen haben, in der Lage sind zu erfüllen.

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