Über Fortschritte im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr

Michael Altenburg, Foto: Studio Ecker

Ähnlich wie früher die Kontrolle der Handelsrouten zu Land und zu See ist heute die Hoheit über internationale Zahlungsströme eine entscheidende Komponente für den wirtschaftlichen Erfolg eines Landes. Wurden diese Ströme früher maßgeblich durch die Geldpolitik von Zentralbanken beeinflusst, gibt es heute von vielen Seiten weitere Einflüsse auf den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr. Michael Altenburg diskutiert im vorliegenden Beitrag Stellungnahmen, die im Zuge der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds von verschiedenen Teilnehmern geäußert wurden. Bei den Diskussionen wurden mehrere Faktoren im weltweiten Zahlungsgefüge identifiziert, deren Interessen aufeinanderstoßen: öffentlicher und privater Sektor, USA und China, volatile, anonyme Kryptowährungen und durch Gegenwerte gesicherte Stablecoins. Die Konflikte zwischen diesen Parteien würden in den nächsten Jahren den Fortschritt im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr bestimmen. (Red.)

Die diesjährige, wegen Covid-19 überwiegend online stattfindende Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Washington bot am Montag, den 19. Oktober, vier je circa einstündige, hochkarätig besetzte und sehr aufschlussreiche Sitzungen einer Web-Konferenz zu den zu erwartenden Entwicklungen beim grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr.

Bitcoin, Blockchain, weitere Kryptowährungen, Distributed Ledger Technologies (DLT) et cetera sind inzwischen ja schon seit gut zehn Jahren in Mode, weshalb sich hohe Erwartungen in Bezug darauf entwickelt haben, wann es beim grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr endlich zu niedrigeren Kosten, gleichtägiger, wenn nicht gar sofortiger Valutierung und größerer Sicherheit kommen wird. Fintechs könnten das doch alles längst, heißt es. Paypal zum Beispiel erlaubt seit dem 21. Oktober seinen US-Kunden in seinem 23 Millionen starken Händlernetz Einkäufe über ein Wallet, in das Bitcoin und andere virtuelle Währungen eingezahlt werden können.

Neben hohen Erwartungen auf der Nutzerseite üben also insbesondere private Anbieter von Zahlungssystemen zunehmend Druck auf das bisherige System von gesetzlich vorgeschriebenen Zahlungsmitteln aus, indem der Wirtschaftsverkehr primär über kreditausreichende Geschäftsbanken finanziert wird, die ihrerseits Einlagen bei der nationalen Zentralbank unterhalten müssen (sogenanntes fraktionales Reserve-System). Die Zentralbanken sollen auf Preisstabilität des Geldes über jeweils angemessene Maßnahmen der Geldmengen- und Zinspolitik achten und deshalb von politischen Weisungen unabhängig bleiben.

Es besteht daher ein vitales Interesse der nationalen Regierungen, das Vertrauen in die nationale Währung zu schützen und zu erhalten. Bei freien Wechselkursen, Kapitalströmen und regem internationalen Waren- und Dienstleistungsverkehr wird das zu einer ständigen Herausforderung. Für den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr existieren daher regelmäßig für den äußersten Notfall Ermächtigungen für Kapitalverkehrskontrollen. Auch im inländischen Zahlungsverkehr soll der Wirtschaftsverkehr stark überwiegend über die gesetzlichen Zahlungsmittel und im Lande ansässige Banken vollzogen werden.

Viel Konfliktpotenzial

In sich noch entwickelnden Volkswirtschaften mit fragilen Währungen ist das Vertrauen in das herrschende Regime aber nicht selten so schwach, dass sich ein Teil der Bevölkerung durch Emigration ein höheres und nachhaltigeres Arbeitseinkommen in einem stabileren ausländischen Land sucht. Zurückgebliebene Familienmitglieder werden dann durch Überweisungen aus dem Ausland unterstützt. Die Ermöglichung und Erleichterung solcher Unterstützungszahlungen liegt zwar auch im Interesse der Länder, aus denen diese Migranten kommen. Im globalen Kontext handelt es sich hierbei allerdings nur um geschätzte 1000 Milliarden Euro, also nur einen geringen Bruchteil des gesamten grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs, der jährlich weit über 100 Billionen Euro beträgt.

Der politisch populäre Aspekt von sozialer Inklusivität internationaler Zahlungssysteme hat also rein quantitativ in Relation zum gesamten internationalen Waren- und Dienstleistungsverkehr kein substanzielles Gewicht. Remittances direkt per Smartphone sind ohnehin bereits vielfach üblich. Im Vordergrund der Bemühungen von Weltbank, IWF und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) steht die Hilfe zur Selbsthilfe und Eigenverantwortung vor Ort, jedenfalls also primär der jeweils nationale Kontext.

Sicher nicht im Interesse fragilerer Regionen liegt es, wenn sich bei schwindendem Vertrauen ein Schwarzmarkt in einer Fremdwährung durchsetzt, die vielleicht sogar Ansehen als internationale Reservewährung hat wie der US-Dollar. Politische Incentives zur Selbsthilfe und Eigenverantwortung werden auf diese Weise direkt geschwächt. Auch die Hegemonialbestrebungen von China führen zu einer forcierten Verwendung des Renminbi in fragilen Regionen, in denen China seine Belt-and-Road-Initiative umsetzt.

Dazu kommt - last, but not least - die große Attraktivität volle Anonymität wahrender Krypto-Zahlungssysteme für kriminelle Aktivitäten. Der illegale Handel mit Drogen, Waffen, Menschen wird hierdurch erleichtert, das Laundering illegaler Aktivitäten wie Steuerhinterziehung, Bestechung, die Finanzierung von Terrorismus et cetera. Diese illegalen Aktivitäten machen neben dem legalen internationalen Waren- und Dienstleistungsverkehr den größten Anteil des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs aus. Der Fall Wirecard macht ebenfalls deutlich, dass kompetente Aufsicht mit Biss unverzichtbar ist, und sei es nur, um Betrugsmanöver unter dem Mantel angeblich zukunftsweisender Fintech-Software zu verhindern.

Weltweite Interessen gehen auseinander

Rein technologisch wären alle Hürden im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr längst spielend zu überwinden gewesen. Aber trotz des populären Interesses für Fintech liegen die Hindernisse gerade nicht in der technologischen Lösbarkeit, sondern in der Verständigung auf eine Weiterentwicklung eines sicheren, nicht missbräuchlichen grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrssystems, das den stark unterschiedlichen Prioritäten und Interessen aller Beteiligten Rechnung trägt.

Schon im staatlich-öffentlichen Bereich gibt es große strategische Interessenunterschiede zwischen den USA, die sich selbst weiter als faktischen Garanten der Stabilität des Weltfinanzsystems sehen, und China, das zunehmenden Ehrgeiz zeigt, eben diese Hegemonialrolle von den USA zu übernehmen. Die zu unterstellenden guten Absichten von supranationalen Institutionen wie Weltbank und IWF werden daher von den USA mit Zurückhaltung und eher skeptischer Herablassung verfolgt, wie man den schmallippigen Ausführungen von Jay Powell, Chairman des US Federal Reserve Board, bei der ersten Sitzung der bereits zitierten Web-Konferenz vom 19. Oktober unschwer ansehen konnte.

Diese erste Sitzung wurde von IWF-Chefin Kristalina Georgieva moderiert. Als Panelisten nahmen weiterhin Teil noch BIZ Chef Augustín Carstens, Ahmed Abdelkarim Alkholifey, Gouverneur der Saudi Arabian Monetary Authority (SAMA), die in diesem Jahr den Vorsitz bei den G20-Treffen der Finanzminister innehatten, sowie Nor Shamsiah Mohd Yunus, Gouverneurin der Zentralbank von Malaysia. Powells politischem Weltverständnis hätte es womöglich eher entsprochen, wenn nicht die bulgarische Ökonomin das Panel zu dirigieren gehabt hätte, sondern er selbst.

Bemerkenswert an der IWF-Web-Konferenz vom 19. Oktober war weiter, dass an den vier Sitzungen kein EZB-Vertreter teilnahm. Die EZB hatte am 2. Oktober einen eigenen Bericht zu einem digitalen Euro veröffentlicht, der sich allerdings primär auf die Länder der Eurozone bezieht und auf das Sonderthema Remittances und auch auf die diversen kriminellen Missbrauchsmöglichkeiten nicht näher eingeht. Die EZB scheint also im Moment eher Beobachter zu sein und nicht treibende Kraft.

Öffentliche und private Zusammenarbeit

Durchaus als treibende Kraft sahen sich indessen die Panelisten aus dem Privatsektor während der zweiten Sitzung der IWF-Web-Konferenz. Insbesondere Rory MacFarquhar, der Vertreter von Mastercard, die sich bei der Libra-Initiative von Facebook im Mai 2019 zunächst als interessierte Mitgründer gemeldet hatten, machte deutlich, dass Facebook damals sämtliche operationalen und strukturellen Risiken des Libra-Projekts leichtfertig und unverantwortlich ignoriert habe, weshalb sich Mastercard, neben zahlreichen anderen vermeintlichen Mitgründern von Libra, alsbald wieder zurückzogen: Ohne enge Abstimmung mit dem staatlich-öffentlichen Sektor, zu welcher die professionelleren privaten Akteure durchaus bereit seien, werde es keinen Fortschritt im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr geben.

Die Panelisten der dritten Sitzung der Web-Konferenz vom 19. Oktober mit Vertretern aus Südafrika, Singapur sowie von BIZ und Fed, diesmal auf Arbeitsebene, unterstrichen im Einzelnen die Anforderungen des staatlich-öffentlichen Sektors. Wie von Rory MacFarquhar von Mastercard in der vorigen Sitzung schon erklärt worden war: Ohne enge Zusammenarbeit und Abstimmung werde es keinen Fortschritt geben. Das erste zentrale Grunderfordernis sei die Etablierung eines irrtums- und störungsresistenten digitalen Identifizierungsmechanismus für Zahler und Empfänger, der zugleich den privaten Datenschutz sicherstelle. Erst nachdem man sich auf einen solchen als erstes Infrastrukturerfordernis geeinigt habe, könne man zu den diversen neuesten technologischen Umsetzungsvarianten die Fantasie spielen lassen.

In der abschließenden vierten Sitzung der IWF-Web-Konferenz vom 19. Oktober stellten Jon Cunliffe, Deputy Governor der Bank of England und Vorsitzender des Committee for Payments and Market Infrastructure (CPMI) der BIZ, sowie Alejandro Díaz de León, Gouverneur der Banco de Mexico, eine Roadmap für grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr vor, die sie gemeinsam im Financial Stability Board erarbeitet haben. Diese Roadmap wurde den G20-Finanzministern unter dem diesjährigen Vorsitz von Saudi Arabien vorgestellt und am 13. Oktober veröffentlicht. Es handelt sich dabei, wie Sir Jon in der Konferenz betonte, nicht um einen fertigen Masterplan, sondern um eine Auflistung von 10 Building Blocks, die den Prozess der noch bevorstehenden Konsultationen beschreiben, welche unter dem G20-Vorsitz von Italien 2021 fortgesetzt werden. Mit substanziellen Fortschritten im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr ist daher erst auf mittlere Frist zu rechnen.

Chinesische Hegemonialbestrebungen

War es das? Ist das Fazit vorerst ein enttäuschendes: "Im Westen nichts Neues"? Aber es gibt da natürlich noch China, die zwar offiziell im CPMI der BIZ vertreten sind, aber keinen Beitrag zur Web-Konferenz des IWF vom 19. Oktober leisteten. Es könnte der Eindruck entstehen, dass China verstohlen in einem unabgestimmten Alleingang mit einem Digital Currency Stablecoin Projekt der People's Bank of China vorprescht, das auch für grenzüberschreitende Nutzung wirbt. Dieses erlaubt die umfassende Kontrolle und Verwertung aller Nutzerdaten vonseiten der Kommunistischen Partei Chinas, wie das Australian Strategic Policy Institute (ASPI), ein von der Regierung in Canberra geförderter Think-Tank für Sicherheitsfragen, kritisch analysiert hat. Izabella Kaminska von der Financial Times hält das für eine noch gefährlichere Lösung als Libra von Facebook und hofft, dass neben der Wahl zwischen totaler Kontrolle durch Xi Jinping oder durch Mark Zuckerberg doch noch die Freiräume eines rechtlich garantierten Datenschutzes im traditionellen Zahlungsverkehr erhalten bleiben mögen.

Es bestehen also gute Gründe für die sehr umsichtige Vorgehenswese von EZB und BIZ. Neben dem Hegemonialkonflikt zwischen den USA und China steht dabei die Sorge um einen Inflationsschub im Vordergrund, der aufgrund des demografischen Wandels von einigen Experten für unausweichlich gehalten wird und durch den gigantischen Liquiditätsschub der staatlichen Covid-19-Hilfsprogramme ungeahnt beschleunigt worden sein könnte.

Fußnoten

1) https://www.imf.org/en/News/Seminars/Conferences/2020/10/19/cross-border-payment?utm_medium=email&utm_source=govdelivery

2) https://www.reuters.com/article/paypal-cryptocurrency-int-idUSKBN2762D5

3) https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/other/Report_on_a_digital_euro~4d7268b458.en.pdf

4) https://www.fsb.org/wp-content/uploads/P131020-1.pdf

5) Vgl. Artikel vom 9. Oktober in der South China Morning Post: https://www.scmp.com/economy/china-economy/article/3104905/china-not-among-major-central-banks-talks-global-digital

6) https://s3-ap-southeast-2.amazonaws.com/adaspi/2020-10/Digital%20currency_1.pdf?I70Q-l0IhgfgSIJeH6YKTN0ml.Y6MLHLI

7) Vgl. ihren Artikel "Global gosbankification risk is now at orange/Beware of Chinese central bankers bearing frictionless and cheap CBDC payment gifts" in der FT vom 27. Oktober: https://www.ft.com/content/7947ea4c-a21a-45bb-973c-8df54566746a

8) Siehe Charles Goodhart und Manoj Pradhan: The Great Demographic Reversal/Ageing Societies, Waning Inequality and an Inflation Revival; Palgrave Macmillan, London 2020

9) Dass diese Sorgen auch von Bundesbankpräsident Jens Weidmann ernst genommen werden, zeigte sein Web-Interview mit OMFIF über "Monetary and fiscal policy in the face of Covid-19" vom 5. November, an dem auch Charles Goodhart als Panelist teilnahm: https://www.youtube.com/watch?v=3O7lCNflgPQ&feature=youtu.be

Michael Altenburg Luzern, Schweiz
Michael Altenburg , Luzern, Schweiz
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