ING-Diba

Der agile Elefant als symbolische Zielvorgabe

Quelle: ING-DiBa

Das Auftreten der Fintechs ruft bei vielen Beobachtern der Bankenbranche die alte schumpetersche These von der schöpferischen Zerstörung in Erinnerung. Junge flexible Unternehmen erobern mit neuen Produkten, Dienstleistungen und Arbeitsweisen erst eine Marktnische, wachsen mit zunehmendem Markterfolg in respektable Größenordnungen hinein und bringen im Extremfall die etablierten Branchenriesen in Bedrängnis. Letzteres Stadium ist im Kreditgewerbe zwar sicherlich nicht erreicht. Aber nicht zuletzt am US-Markt zeigt sich, wie wachsam solche Start-ups von den Großen der Branche beobachtet werden. Zehn Jahre nach Gründung der Robo Advisor Betterment, Wealthfront und Personal Capital sind dort die etablierten Asset Manager Vanguard und Charles Schwab mit eigenen Tochtergesellschaften in dieses Geschäftsfeld eingestiegen. Wie schnell ein rasanter Aufstieg in wirklich große Dimensionen gehen kann, zeigen Beispiele aus anderen Wirtschaftsbereichen. Die Gründung von Amazon und Google liegt nicht einmal ein Vierteljahrhundert zurück, bei Facebook sind es keine 15 Jahre, bei Spotify elf und bei Netflix gerade 20.

Dass Nick Jue weniger als drei Monate nach seinem Amtsantritt als Vorstandsvorsitzender der ING-Diba bei seinem ersten Auftritt vor deutschen Journalisten das Szenario von Joseph Schumpeter bemühte, ist kein Zufall. Sein Haus hat sich nach dem enormen Wachstum der vergangenen Jahre mit einer Bilanzsumme von 157,6 Milliarden Euro und fast 4 000 Mitarbeitern per Ende 2016 unter die ersten zehn der hiesigen Branche vorgearbeitet und ist damit aus seiner Sicht zu einem Elefanten geworden, dessen weiterer Markterfolg durch andere Banken, flexible Newcomer aus dem Fintechbereich sowie kapitalkräftige branchenfremde Internetgiganten bedroht werden könnte.

Mit dem schumpeterschen Muster will sich der neue ING-Diba-Chef aber nicht abfinden. In dem inzwischen erreichten Bekanntheitsgrad, der Marktdurchdringung mit über 8 Millionen Kunden und der Kapitalausstattung einer Großbank sieht er durchaus Assets, die sich zumindest gegenüber den vergleichsweise kleinen Wettbewerbern gut einsetzen lassen. Ihm schwebt deshalb vor, den Elefanten so agil zu machen, dass er den Angriffen der Wettbewerber von innerhalb und außerhalb der Kreditwirtschaft Paroli bieten kann. Sein Haus binnen 18 Monaten zu einer agilen Bank zu machen, hat er als Zielsetzung ausgerufen, ähnlich wie er es als bisheriger Vorstandsvorsitzender der ING Bank Nederland in den vergangenen Jahren erprobt hat. Konkret wurden dabei in der Team- und Projektarbeit, aber auch bei der Einstellung neuer Mitarbeiter methodische und organisatorische Anleihen bei erfolgreichen Unternehmen wie Netflix, Spotify und Google genommen. Dort wurde studiert und geprüft, wie und ob sich deren flexible Arbeits- und Organisationsformen mit einer verantwortlichen Team- und Projektarbeit sowie einer Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Geschäftsführung, Führungskräften und Mitarbeitern auf Augenhöhe auf das eigene Haus übertragen lassen. Einen besonders hohen Aufmerksamkeitsgrad nach innen und außen erreicht dabei natürlich der Hinweis auf die Abschaffung eigener Büros, Schreibtische und Telefone auf der Vorstandsebene.

Dass die ING-Diba mit der Umsetzung des neunen Organisationskonzeptes auf absehbare Zeit mit sich selbst beschäftigt ist, dürfen die Wettbewerber allenfalls hoffen. Denn von ambitionierten Kennzahlen will Nick Jue ebenso wenig abrücken wie von dem strammen Wachstumspfad. Die Cost Income Ratio soll in Reichweite der 40 Prozent bleiben und bei Bedarf gegenüber dem heutigen Stand noch gesenkt werden. Gebührenerhöhungen wie auch die Quersubventionierung hält er am preissensiblen deutschen Markt für ganz schlechte Ideen. Dann soll im Produkt- und Dienstleistungsspektrum doch lieber an Komponenten der Bequemlichkeit gearbeitet werden, für die die Kunden zu zahlen bereit sind.

Gespannt darf man gleichwohl darauf sein, wie im Innenverhältnis jene Verantwortlichkeiten gewahrt bleiben, die für die Zusammenarbeit mit der Aufsicht wichtig sind. Und in der Marktbearbeitung wird es besonders im Retailgeschäft darauf ankommen, das Produkt- und Dienstleistungsspektrum bei allem Ideenreichtum seiner Entwickler so einfach und durchschaubar zu halten, dass es massentauglich bleibt.

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