Ulli Spankowski

"Die Kryptowährungen sind nur der erste Schritt"

Dr. Ulli Spankowski, Foto: Börse Stuttgart

Zu Beginn dieses Jahres hat die Börse Stuttgart den Kryptomarkt mit einer App für Anleger zugänglich gemacht. Doch die Schwaben sehen das nur als ersten Schritt in ihrer Digitalstrategie, die unter anderem von der Börse Stuttgart Digital Ventures (BSDV) vorangetrieben wird. Dr. Ulli Spankwoski glaubt, dass man die den Kryptowährungen zugrunde liegende Blockchain-Technologie entlang der gesamten Wertschöpfungskette einsetzen kann. Die BSDV will eine durchgehende Infrastruktur für digitale Assets schaffen. Im Fokus steht aber bei allen Bemühungen der Direktzugang zum Endkunden, da Privatanleger und Kunde grundsätzlich im Mittelpunkt der Strategie der Börse Stuttgart stehen. Neben der Blockchain-Technologie ist aber auch das Thema Künstliche Intelligenz ein wichtiges Stichwort in der Digitalstrategie des Börsenbetreibers. Gerade in Kombination mit Open Banking nach der Payment Services Directive2 (PSD2) sieht Dr. Spankowski Potenzial für neue Geschäftsfelder. (Red.)

Herr Dr. Spankowski, die Börse Stuttgart hat die Bedeutung des digitalen Wandels erkannt, wie man an den Bestrebungen der Tochter Börse Stuttgart Digital Ventures (BSDV) sieht. Eines der wichtigsten Themen des digitalen Wandels ist natürlich alles rund um die Blockchain. In diesem Bereich ist die Börse Stuttgart mit der App Bison schon am Start. Was genau können Kunden alles mit dieser App machen?

Die Bison-App ermöglicht den Handel mit Kryptowährungen in einer sehr einfachen und gleichzeitig schnellen Weise. Das ist die Kernidee. Wir haben uns angeschaut, wie der Handel mit Kryptowährungen und der Markt dafür aufgebaut sind. Dabei haben wir schnell erkannt, dass es eine spannende Assetklasse ist, aber auch, dass es oft extrem kompliziert ist, in diese zu investieren. Bison eliminiert die technischen Hürden und Komplexitäten, die man sonst beim Einstieg in den Handel mit Kryptowährungen findet.

Wir haben Prozesse, die ein Nutzer beispielsweise vom Online-Banking kennt, auf die Kryptowelt übertragen. Die App lässt sich einfach im App Store herunterladen. Dann eröffnet der Kunde ein Verrechnungskonto, das dauert mit Identitätsnachweis per Video-Ident-Verfahren fünf Minuten. Dann muss er von einem Referenzkonto Geld auf das eigene Konto bei Bison übertragen. Mit diesem Geld kann er dann Kryptowährungen kaufen. Sein Handelspartner ist dabei stets die EUWAX AG, eine Tochtergesellschaft der Börse Stuttgart. Der komplexe Prozess der Verwahrung von Kryptowährungen wird dem Nutzer bei Bison im Konstrukt der Gruppe Börse Stuttgart ebenfalls abgenommen. Er muss sich also nicht um die Verwahrung der Kryptowährungen und der Keys kümmern. Das übernimmt eine weitere Tochtergesellschaft der Börse Stuttgart. Der Nutzer kann die Kryptowährungen jedoch jederzeit auf sein eigenes Wallet übertragen, wenn er das möchte.

Wie sieht das Sicherheitskonzept für das Verwahren von Kryptowährungen der Kunden und den dazugehörigen Keys aus?

Für die Verwahrung haben wir ein branchenübliches mehrstufiges Sicherheitskonzept implementiert, inklusive einer sogenannten Cold Storage. Dort werden die Keys offline, also nicht für Hacker über das Internet zugänglich, verwahrt. Bei den Details des Sicherheitskonzepts können wir allerdings nicht in die Tiefe gehen. Das ist wiederum Teil des Sicherheitskonzepts.

Zielt die App rein auf Trading-orientierte Kunden oder kann man über die App Kryptowährungen auch für Payment-Vorgänge einsetzen?

Die Bison-App ist prinzipiell ein "MVP", das heißt ein Minimum Viable Product. Wir haben umgesetzt, was der Markt aktuell am meisten möchte. Der Hauptbedarf ist, Kryptowährungen auf einfache Weise zu handeln, was nicht bedeuten soll, dass das in Zukunft so bleiben muss. Kryptowährungen sind sehr volatile Assets. Nehmen wir mal an, das ändert sich in den nächsten drei oder vier Jahren und es kommt mehr Stabilität in den Markt. Daneben könnten auch die Zahlungsmöglichkeiten mit Kryptowährungen zunehmen. Die gibt es in großem Ausmaß ja noch nicht. Sie können aktuell nicht mit Bitcoin beim Bäcker bezahlen, zumindest nicht bei den meisten deutschen Bäckern. Sollte das in Zukunft der Fall sein, dann sind wir sehr pragmatisch in der Weiterentwicklung der App.

Auch dieses Jahr werden in der App viele neue Features, auch weitere Währungen, hinzukommen. Die App wird permanent ausgebaut, der Status quo ist also nicht der finale Stand. Der Markt entwickelt sich weiter, somit entwickelt sich auch die App weiter. Wenn also eine Bezahlfunktion mit Kryptowährungen vom Markt gewünscht wird und auch im Markt möglich ist, dann werden wir auch in diese Richtung überlegen.

Und wie läuft das Geschäft mit den Kryptowährungen, wie wird die Bison-App am Markt angenommen?

Die Resonanz hat unsere Erwartungen übertroffen! Wir sind jetzt seit gut vier Monaten online und haben die Marke von 30 000 Usern Anfang Juni geknackt. Umsatzzahlen kommunizieren wir im Detail nicht. Wir hatten aber an einigen Tagen schon siebenstellige Umsätze zu verzeichnen. Beispielsweise im Mai, als es am Kryptomarkt richtig rund ging.

Wie Sie selbst gesagt haben, ist der Kursverlauf des Bitcoins und anderer Kryptowährungen sehr volatil. Ende 2018 hatte sich der Kurs des Bitcoins gegenüber dem Euro zunächst halbiert, um sich dann wieder beinahe zu verdreifachen. Und das alles innerhalb eines halben Jahres. Hat diese unglaubliche Volatilität direkten Einfluss auf das Handelsvolumen über Bison?

Wir hatten natürlich einen idealen Einstiegszeitpunkt Ende Januar. Seitdem ist der Bitcoin um rund 170 Prozent gestiegen, zuletzt in starken Bewegungen. Aber während der Vorarbeiten für Bison hatten wir einen Abschwung am Markt, einen sogenannten Kryptowinter, als der Bitcoin um gut 50 Prozent fiel. Das spielte für unser Vorhaben jedoch keine Rolle. Zum einen, weil wir glauben, dass Kryptowährungen eine spannende Assetklasse sind, die Anleger handeln möchten. Zum anderen ist natürlich die dahinterliegende Blockchain-Technologie für unsere Digitalstrategie ein wesentlicher Aspekt. Die Kryptowährungen sind nur der erste Schritt für uns gewesen.

Die Zielgruppe von Bison ist im Vergleich zu den klassischen Anlegern etwas jünger. Wobei wir merken, dass die App mit ihrer jugendlichen Aufmachung - wir duzen die Nutzer und bedienen damit die Millennials - auch von vielen älteren Usern sehr aktiv genutzt wird. Diese Kunden haben tendenziell auch ein etwas größeres Budget zur Verfügung als Studenten oder Berufsanfänger. Dadurch haben wir eine große Bandbreite an Kunden.

Die Spatzen pfeifen es ja schon von den Dächern, dass das soziale Netzwerk Facebook mit einer eigenen Kryptowährung auf den Markt kommen will. Das Potenzial ist riesig aufgrund von mehr als 2,5 Milliarden Nutzern, allerdings eher im Payment-Bereich. Dafür soll sie ja auch gedacht sein. Dafür holt sich Facebook dem Vernehmen nach mit Visa, Mastercard, Paypal und Uber mächtige Verbündete mit ins Boot. Würde ein Erfolg der "Facebook Coin" Auswirkung auf die anderen Kryptowährungen haben, die ja bislang eher Spekulationsobjekt sind? Was könnte das für den gesamten Kryptomarkt bedeuten?

Ich möchte uns jetzt nicht direkt mit Facebook vergleichen, der Vergleich würde hinken. Aber es gibt Parallelen bei der Idee. Wir haben uns bei Kryptowährungen einem Markt gewidmet, der sehr intransparent, komplex und teilweise mit negativen Klischees behaftet ist. Als etablierter Akteur wollen wir in diesem Markt Angebote schaffen, die ihn massentauglich machen und den Mainstream erreichen. Und ich glaube, dass Facebook - im Vergleich zu uns natürlich mit exponentiellem Faktor - es ebenfalls schafft, die gesamte Thematik der Kryptowährungen und der Blockchain zu befeuern und in den Mainstream zu rücken. Mittlerweile haben viele verstanden, was Bitcoin und was Blockchain sind. Wenn so ein großer Player wie Facebook in den Markt geht, führt das aus meiner Sicht dazu, dass sich der Markt weiter öffnen wird und sich noch mehr interessierte Nutzer überlegen, ebenfalls in diesen Markt einzutreten. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass das positive Strahlkraft auf das gesamte Krypto-Ökosystem hätte.

Würde es Sinn machen, eine eventuelle "Facebook Coin" auch in Bison zu integrieren?

Wenn wir sehen, dass unsere Kunden das wollen, sind wir da offen. Eine Sache ist dabei aber extrem wichtig: Die Coins, die wir bei Bison handelbar machen, müssen Voraussetzungen erfüllen. Wir haben gewisse Auswahlkriterien, beispielsweise in Bezug auf Marktkapitalisierung und Kundeninteresse. Das dürfte bei einer Facebook Coin jedoch kein Problem sein. Was wir aber auch betrachten müssen: Die jeweilige Kryptowährung muss sicher verwahrfähig sein, sonst werden wir sie auch nicht in Bison aufnehmen. Das ist im Einzelfall zu prüfen.

Blockchain ist ein Thema für die Bison-App. Darüber haben wir ja schon gesprochen. Doch Blockchain beziehungsweise Distributed Ledger Technology (DLT) sind auch heiß diskutiert im Zahlungsverkehr, aber auch beim Clearing und Custody von Wertpapieren. Es gibt schon einige erste Gehversuche, vor allem auch bei der Deutschen Börse. Gibt es bei der BSDV dahingehend Überlegungen oder sogar schon Anstrengungen, das für die Börse Stuttgart zu implementieren?

Ja, die gibt es. Wir haben auch schon Lösungen implementiert. In der Bison-App läuft die Verwahrung der Kryptowährungen bereits auf Basis der Blockchain. Die Verwahrung von digitalen Assets übernimmt unsere eigens dafür gegründete Tochtergesellschaft blocknox. Um jetzt auf Ihre eigentliche Frage zurückzukommen, wie wir das in der Gesamtdigitalstrategie der Gruppe Börse Stuttgart sehen: Die Blockchain-Technologie kann man natürlich entlang der gesamten Wertschöpfungskette einsetzen.

Unser Ziel ist es, eine durchgehende Infrastruktur für digitale Assets zu schaffen. Das fängt beim Primärmarkt an. Hier können Unternehmen Token zur Finanzierung ausgeben, ähnlich wie bei einem IPO. Es ist unser Ansatz, über die Technologie eine transparente Plattform mit standardisierten Prozessen für die Emittenten zu schaffen. Dann kommt natürlich der Sekundärmarkt, also der Handel von digitalen Assets. Das kann alles Mögliche sein: Kryptowährungen, Utility Token und zukünftig auch - wenn wir eine rechtliche Ausgestaltung in Deutschland bekommen, die das ermöglicht - Security Token. Für diese digitalen Assets wäre dann auch die Abwicklung der Transaktionen und die Verwahrung auf der Blockchain wesentlich. Dafür haben wir schon unseren Verwahrer.

Gilt das auch für klassische Wertpapiere?

Aktuell ist die Verwahrung für Kryptowährungen da. Aber der Verwahrer im Kryptobereich könnte sich aufgrund von regulatorischen Anforderungen früher oder später auch zu einem Finanzinstitut weiterentwickeln. Ein Finanzinstitut könnte alle möglichen Assets verwahren: Kryptowährungen oder digitale Wertpapiere wie Security Token. Der Regulierer sagt: Wenn ein Token die gleichen Rechte und Pflichten verbrieft wie ein klassisches Wertpapier, dann ist der Token auch ein Wertpapier. Es gibt da einen Spruch aus dem Englischen: "Walks like a duck, quacks like a duck, it must be a duck." Genauso sieht der Regulierer das auch für digitale Wertpapiere. Für Schuldverschreibungen ist das auch schon praktiziert worden. Diese digital angelegten Wertpapiere in Token-Form kann man natürlich auch auf der Blockchain abwickeln.

Stichwort "Plattformökonomie": Auch BSDV hat mit Debtvision eine Fremdkapitalplattform im Portfolio. Börsen selbst sind natürlich so was wie die Urform einer Plattform. Viele Fintechs, aber auch etablierte Banken (Beispiel Finledger), bieten neue digitale Plattformen zu allen möglichen Teilbereichen an. Ist das der "Stein der Weisen", der den (Finanz-)Märkten auf Dauer die maximale Effizienz bringt, oder wird auch dieses Modell irgendwann überholt sein?

Zur Plattformökonomie an sich kann man sagen, dass ihre Sinnhaftigkeit seit dem Aufkommen von App-Stores offensichtlich ist. Was ist denn eine Plattform? Eine Plattform ist ein Marktplatz. Dort werden verschiedene Güter angeboten. In der Tat sind Börsen die klassischste und traditionellste Form einer Plattformökonomie. Das rollen wir im Digitalbereich ähnlich aus. Wir folgen dabei unserem Grundsatz, dass der Privatanleger und Kunde im Mittelpunkt steht. Was wir in der Digitalstrategie stark adressieren, ist der Direktzugang zum Endkunden. Plattformen funktionieren vor allem dann gut, wenn sie ein großes Netzwerk haben. App-Stores sind vor allem deswegen so erfolgreich, weil sie jeder nutzt und entsprechend viel Liquidität auf der Nachfrageseite besteht. Das schafft dann automatisch ein wachsendes Angebot.

Welche Rolle spielt das Thema künstliche Intelligenz für die Strategie der Börse Stuttgart?

Deswegen hat die Börse Stuttgart Digital Ventures die Sowa Labs GmbH komplett übernommen. Das war 2017 die erste Akquisition. Sowa Labs ist ein Unternehmen, das sich unter anderem auf Künstliche Intelligenz im Handelsumfeld und auf die Analyse und Auswertung von unstrukturierten Daten spezialisiert hat. Hier sehen wir sehr viel Potenzial für die Zukunft. Ein Feature auf Basis von Künstlicher Intelligenz findet sich beispielsweise in der Bison-App. Jeden Tag werden über selbstlernende Algorithmen von Sowa Labs rund zwei Millionen Tweets zu Kryptowährungen ausgewertet. Die Tweets werden automatisiert nach Relevanz gefiltert und durch eine semantische Analyse in die Kategorien positiv, negativ oder neutral in Bezug auf die jeweilige Kryptowährung eingestuft. Auch die Anzahl der Tweets wird von der Künstlichen Intelligenz erfasst. Die Ergebnisse werden in einem Stimmungsbarometer, dem sogenannten Cryptoradar, in der App visuell aufbereitet.

Eine andere strategische Frage: Mit den gerade erwähnten Sowa Labs hat BSDV ja schon ein Fintech übernommen. Sind weitere Übernahmen von Fintechs für die Börse Stuttgart vorstellbar oder gar geplant?

Genau aus diesem Grund wurde die Börse Stuttgart Digital Ventures ins Leben gerufen. Mit der BSDV bauen wir innovative Geschäftsmodelle für den börslichen und außerbörslichen Bereich auf. Wir sind sehr undogmatisch bei der Frage, in welche Firmen wir dafür investieren. Es muss eben zur Strategie passen. Wir sind da auch nicht so ausgerichtet wie ein klassischer Venture Fonds, der nur "early stage" oder nur "later stage" investiert. Das sieht man an den bisherigen Investitionen. Sowa Labs haben wir komplett übernommen, blocknox wurde mit Mitteln der BSDV neu aufgebaut, Debtvision ist ein Joint Venture mit der Landesbank Baden-Württemberg und einer Minderheitsbeteiligung unsererseits. Natürlich wird es auch in Zukunft in diesem Vehikel spannende Akquisitionen geben.

Stichwort PSD2: Die Bankenbranche wird vom näher rückenden Termin aufgewirbelt. Die Deutsche Bank beispielsweise will ihre API-Schnittstellen nicht nur für Überweisungen und Kontoabfragen, sondern auch für Wertpapier-Orders öffnen. Sehen Sie durch PSD2 beziehungsweise API-Schnittstellen und Open Banking grundsätzlich auch mögliche neue Geschäftsfelder für die Börsenbetreiber?

Ja, das Thema ist auf jeden Fall interessant. Die Banken könnten sich hier komplett abschotten. Dann würden sie sicherlich anderweitig von neuen Playern angegriffen. Oder sie können sich sinnstiftend einbringen in Firmen, die neue Geschäftsmodelle haben. Das war ja auch bei der Akquisition von Sowa Labs durch die Börse Stuttgart so: Gemeinsam konnte einfach mehr erreicht werden. Wenn sich klassische Institute bei PSD2 öffnen, bin ich sehr überzeugt davon, dass sich das gewinnbringend für alle entwickeln wird. Und ich glaube, dass PSD2 nicht nur im Payment, sondern auch im Trading-Bereich zu vielen spannenden Lösungen führen kann, gerade wenn man den Ansatz mit Künstlicher Intelligenz kombiniert.

Dr. Ulli Spankowski Geschäftsführer, Börse Stuttgart Digital Ventures, Stuttgart
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