Redaktionsgespräch mit Marija Kolak

"Wir werden die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie gut bewältigen"

Marija Kolak, Foto: BVR (Hoffotografen)

Die deutschen Kreditgenossenschaften sind bislang recht gut durch die Krise gekommen. Das ist zum einen den in den vergangenen Jahren erzielten Fortschritten mit Blick auf die Aufstellung der eigenen Gruppe zu verdanken. Zum anderen natürlich aber auch dem schnellen Handeln der Bundesregierung mit den zahlreichen Hilfsmaßnahmen für die Wirtschaft. Nun wird sich zeigen müssen, wie stark sich die Corona-Pandemie auf die Firmenkunden der Volksbanken und Raiffeisenbanken auswirken wird. Die Präsidentin des BVR ist zuversichtlich, dass auch diese Herausforderungen von den Mitgliedern aufgrund der aufgebauten soliden Eigenkapitalpolster zu verkraften sind. Marija Kolak lobt im Interview aber nicht nur, sondern mahnt auch dringende Verbesserungen an. So müsse die EZB schnell einen Plan entwickeln, wie sie die enormen Anleihebestände wieder reduzieren können. Die Aufsichtsregime müssten verstärkte über die prozyklische Wirkung der Vorschriften nachdenken. Und die Bundesregierung dürfe die schuldenfinanzierte Fiskalpolitik nicht zum süßen Gift werden lassen. Die großen Herausforderungen für die eigenen Mitgliedsinstitute sieht sie zum einen in dem Ausbau der Provisionseinnnahmen und zum anderem im richtigen Mix aus Präsenz- und Online-Geschäft. Das alles, so Marija Kolak, sei gemeinsam zu bewältigen. Wie bisher bei allen anderen Krisen. (Red.)

Frau Kolak, wie haben sie die vergangenen Monate erlebt?

Insbesondere die ersten Wochen und Monate waren intensiv. Die Corona-Pandemie ist eine echte historische Herausforderung für die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft. Die Volksbanken und Raiffeisenbanken, die stark in den Regionen präsent sind, aber auch alle Banken in Deutschland haben in der Krise einen enormen Infrastrukturbeitrag geleistet. Sie sorgten auch in anfangs unsicheren Zeiten für einen reibungslosen Ablauf des Zahlungsverkehrs und hielten die Bargeldversorgung aufrecht. Sie stellten Bankgeschäfte digital und telefonisch sicher und schützen Kunden und Mitarbeiter vor Ort schnell durch Hygienemaßnahmen.

Die Genossenschaftsbanken begleiten ihre Privat- und Firmenkunden in der Krise nach wie vor intensiv. Wie Sie wissen gab es zahlreiche Anfragen zu den Förderkreditformen aus dem KfW-Corona-Programm. Hier führten unsere Banken unzählige Beratungsgespräche. Knapp 30 Prozent des Zusagevolumens der KfW-Corona-Kredite kommt über die Genossenschaftsbanken. Natürlich braucht nicht jeder Firmenkunde einen neuen Kredit, manchen ist mit Tilgungsaussetzungen für bereits gewährte Kredite geholfen, mit einer Verlängerung der Kreditlinien oder einem höheren Verfügungsrahmen. Die Genossenschaftsbanken selbst sind gut aufgestellt und können die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie gut bewältigen.

Regierungsseitig stellte die große Koalition mit dem im Juni beschlossenen Konjunkturpaket ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis. Es geht sowohl darum, kurzfristig die Nachfrage zu beleben, als auch um eine nachhaltige Stärkung des Wirtschaftswachstums. Wir dringen allerdings darauf, die zusätzliche Verschuldung möglichst schnell wieder zurückzufahren, um die finanzpolitische Handlungsfähigkeit in der Zukunft zu sichern. Auch die EZB hat in der Corona-Krise frühzeitig und entschlossen gehandelt, muss aber bald eine Perspektive für die Rückführung der Anleihebestände in ihren Büchern sowie für ein Ende der Minuszinspolitik aufzeigen. Finanzpolitisch hat die Europäische Union in der Coronakrise ebenfalls Entschlossenheit gezeigt. Hier wird es auch darauf ankommen, dass tatsächliche wachstumsstärkende Reformen in den Mitgliedsstaaten angestoßen werden, indem die Hilfszahlungen wirksam kontrolliert werden.

Was sind Erfahrungen, die Sie mit in die Zukunft nehmen?

Ich denke, dass die Corona-Krise die Menschen dazu bringt, stärker darüber nachzudenken, wie sie künftig mit den Ressourcen unseres Planeten umgehen. Hier muss es aus meiner Sicht ein breiter öffentlicher Diskurs darüber geben, wie wir unser Modell der sozialen Marktwirtschaft weiterentwickeln können, ohne den erwirtschaften Wohlstand zu gefährden.

Im Geschäftsalltag sieht man schon jetzt sehr deutlich, dass viel stärker mit Videokonferenzen und anderen digitalen Formate gearbeitet wird und dies mit Erfolg. Auch das mobile Arbeiten nimmt zu. Das alles ist sicherlich ein Beitrag für den Klimaschutz in der Zukunft. Ich finde aber nach wie vor den persönlichen menschlichen Kontakt sehr wichtig. Hier braucht es eine gute Balance.

Welche Lehren sollte die Bankenaufsicht aus den Entwicklungen der vergangenen Monate und dem Ausblick auf die kommenden Jahre Ihrer Meinung nach ziehen?

Die Entwicklungen der letzten Monate haben gezeigt, dass die Bankenregulierung in erheblichem Maße prozyklisch wirkt. Negative konjunkturelle Entwicklung belasten die Kreditnehmer, risikosensible Bilanzierungsvorgaben und aufsichtsrechtliche Standards führen dann zu höheren Kapitalanforderungen, die wiederum eine restriktivere Kreditpolitik der Banken nahelegen und damit den Negativtrend verstärken. Daher wäre eine Grundsatzdiskussion über das erwünschte Maß an Sensitivität der Regelungen bei rasch eintretenden scharfen Konjunktureinbrüchen sinnvoll.

Welche Lehren ziehen Sie für den laufenden Strategieprozess Ihrer Gruppe: Wie wird sich die grundsätzliche Aufstellung der genossenschaftlichen Finanzgruppe für eine Nach-Corona-Zeit verändern, auch mit Blick auf die fortschreitende Digitalisierung, die in den vergangenen Monaten einen Schub erhalten hat?

Die Niedrigzinsphase wird noch lange andauern und die Corona-Krise wird sich in den Bilanzen der Institute niederschlagen. Letztere ist aber nicht der Haupttreiber für strategische Veränderungen - die genossenschaftliche Finanzgruppe entwickelt ihr Geschäftsmodell strategisch stets weiter. Aber natürlich beschleunigt die Corona-Krise die Veränderungen an der ein oder anderen Stelle. Die Digitalisierung hat die Kundenerwartungen aber schon vor Corona grundlegend verändert, Plattformen und Ökosysteme globaler Anbieter kämpfen um den Zugang zum Kunden. Diesem Kampf stellen wir uns aus einer Position der wirtschaftlichen Stärke.

Muss an der eigentlich gut funktionierenden Arbeitsteilung an der einen oder anderen Stelle noch nachjustiert werden?

Als genossenschaftliche Finanzgruppe sind wir eine Werte- und Risikogemeinschaft und ein Wertschöpfungsnetzwerk. Diese Potenziale müssen wir heben. Da zitiere ich gern unseren ehemaligen Werbebotschafter Dettmar Cramer, der gerne sagte: Solange besser möglich ist, ist gut nicht genug.

Besteht die Gefahr, dass die Fiducia als der alleinige Dienstleister mit der Fülle an Themen und Aufgaben ein bisschen überfordert wird? Sollten sich die Mitgliedsbanken eventuell auch außerhalb des Verbundes nach Dienstleistern umschauen?

Die Fiducia & GAD ist Dienstleister für die ihr angeschlossenen Genossenschaftsbanken. Sie ist ein Tochterunternehmen der Genossenschaftsbanken, in deren Eigentum und von diesen kontrolliert. Der Gründungszweck der Rechenzentrale war und ist es, die Eigentümerbanken subsidiär so zu unterstützen, dass die Betriebsmodelle funktionieren und auch permanent weiterentwickelt werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Aktuell sind die Herausforderungen groß, zum Teil aber auch schon gut bewältigt: Vollendung des fusionsbedingten Umbaus, Migration der Banken auf ein Kernbankverfahren, Umsetzung der Anforderungen aus der Digitalisierungsoffensive, Umsetzung der Anforderungen aus der IT-Prüfung, Entwicklung und Umsetzung der eigenen Unternehmensstrategie. Dass es bei diesen Mammutaufgaben nicht immer reibungslos abläuft, kann man sich fast denken. Unser Eindruck ist jedoch, dass die Fiducia & GAD auf einem sehr guten Weg ist.

Werden Banken für Kunden nicht "unsichtbarer", wenn alles nur noch digital abläuft. Bestehen dadurch Gefahren für die Kundenbindung?

Auch in der digitalen Welt kann Sichtbarkeit und Kundennähe erzeugt werden. Aber letztlich zeigen uns die Kundinnen und Kunden, was für sie wichtig ist. Wir sind heute mit einem omnikanalen Angebot für unsere Kunden da, in dem jeder Kunde entscheidet, über welchen Zugangswege er seine Bank kontaktieren will. Neben Filialen und SB-Stellen stehen auch das Kundenservicecenter, das Onlinebanking und die VR-Banking-App zur Verfügung. Viele Banken bieten auch einen Zuhauseservice an. Letztendlich entscheidet jeder Bankvorstand verantwortungsvoll und eigenständig entlang der Bedürfnisse seiner Kunden und Mitglieder in seiner Region und richtet seinen Vertriebskanalmix einschließlich seines Filialnetzes entsprechend aus.

Haben Filialen durch die Entwicklung an Bedeutung verloren?

Nein, ganz sicher nicht. Im Zuge des Lockdowns im Frühjahr hatten einige Institute ihre Filialen vorübergehend schließen müssen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren in der Zeit aus dem Homeoffice heraus für ihre Kunden da. Wir befinden uns heute aber weitestgehend wieder im Regelbetrieb. Am Strukturwandel auch in unserer Bankengruppe hat die Corona-Krise nicht spürbar etwas geändert. Die deutschen Genossenschaftsbanken verfügen mit 9 344 Geschäftsstellen und rund 3 500 SB-Zweigstellen immer noch über eines der größten Bankservicenetze Deutschlands.

Sind Niederlassungen eigentlich tatsächlich so ein großer Kostenblock bei Ihren Mitgliedsinstituten, wie man vermutet? Wie viel ließe sich den durch ein kleineres Filialnetz sparen?

Diese Kosten sind von Bank zu Bank unterschiedlich. Entsprechend würde auch eine Antwort je nach Bank anders ausfallen. Fakt ist, wenn sie als Bank Miete für die Immobilie, für Mitarbeiter und allgemeine Betriebskosten zahlen, die Kunden diese Filiale aber nicht mehr ansteuern, müssen sie als verantwortlicher Manager über die Zukunft dieser Filiale entscheiden. Es ist dann ein angepasstes Modell notwendig, um weiterhin den Bedarf der Kunden und Mitglieder bestmöglich abzudecken.

Ist das Regionalprinzip im digitalen Zeitalter noch zeitgemäß?

Regionalität ist ein Markenkern der genossenschaftlichen Bankengruppe. Volksbanken und Raiffeisenbanken sind als Genossenschaften in erster Linie den Mitgliedern in ihrer Region verpflichtet. Das ist aber kein Regionalprinzip. Wenn sich Banken zudem entscheiden beispielsweise über Plattformen ihre Geschäfte bundesweit anzubieten, obliegt das ihrer geschäftspolitischen Entscheidung. Übrigens gibt es ja mit den eher berufsständisch geprägten Genossenschaftsbanken einen lebhaften Wettbewerb auch innerhalb unserer Bankengruppe.

Welche Antworten hat die Genossenschaftliche Finanzgruppe auf die Entwicklung zu Industrie 4.0. In welcher Form braucht es da den Intermediär Bank noch?

Im Rahmen von Industrie 4.0 oder dem Internet der Dinge bilden Maschinen digitale Ökosysteme, die wiederum geeignete Bezahlsysteme benötigen, damit Maschinen zum Beispiel autonom Zahlungen veranlassen können. Banken können bei der Entwicklung solcher Systeme eine Rolle spielen und in diese Systeme eingebunden sein. Banken werden hier aber nicht nur im Zahlungsverkehr künftig eine zentrale Rolle spielen, sondern natürlich auch in allen Fragen der Unternehmensfinanzierung.

Schon heute ist ja der Zahlungsverkehr hochgradig digital. Deutschland ist eines der wenigen Länder, in welchen bereits seit Jahren mit FinTS (früher HBCI) und ebics eine einheitliche Schnittstelle für den Zahlungsverkehr existiert. Diese muss und wird sich mit Blick auf die Zukunft verändern. Während die bisherigen Kundenzugänge überwiegend von einer Stapelverarbeitung geprägt waren, wird zukünftig die digitale Anbindung auf Basis von einheitlichen und offenen Programmierschnittstellen (APIs) an Bedeutung gewinnen.

Im laufenden Jahr werden sich die Auswirkungen auf die GuV der Banken noch in Grenzen halten, auch wenn viele Pauschalwertberichtigungen gebildet werden. Die echten Ausfälle folgen dann wohl erste 2021 ff. Wie schwer wird das die Volksbanken und Raiffeisenbanken treffen?

Wie stark unsere Wirtschaft von der Coronakrise am Ende betroffen sein wird, kann zum aktuellen Zeitpunkt niemand sicher sagen. Fakt ist aber: Deutschland ist bisher relativ glimpflich durch die Krise gekommen. Nicht zuletzt auch dank der schnellen politischen Entscheidungen über milliardenschwere Hilfsprogramme. Die weitere Entwicklung hängt natürlich vom Verlauf der Pandemie ab, daher muss die Risikolage von Zeit zu Zeit neu bewertet werden. Auch wenn die ökonomischen Folgen der Corona-Krise die Risikolage und damit auch die Kapitalquoten in den nächsten Jahren negativ beeinflussen werden, sollten diese Effekte aus heutiger Sicht für unsere Banken gut verkraftbar bleiben. Mit 116 Milliarden Euro Eigenmitteln verfügt die genossenschaftliche Finanzgruppe über ein sehr solides Kapitalpolster.

Welche Erwartungen haben Sie an die Zinsentwicklung: Kommt die EZB aus dem "Krisenmodus" jemals heraus, oder müssen sich Banken und Sparkassen auf dauerhafte Nullzinsen vorbereiten?

Angesichts der massiven wirtschaftlichen Verwerfungen infolge der Corona-Krise sehen wir uns mittlerweile in allen entwickelten Volkswirtschaften mit sehr niedrigen oder negativen Zinsen konfrontiert. Daher gehen wir davon aus, dass sich das bestehende Niedrigzinsumfeld zu einer dauerhaften geldpolitischen Realität entwickelt.

Was heißt das für die Ertragslage?

Im Moment gelingt es uns, den durch die Niedrigzinsen verursachten rückläufigen Zinsüberschuss durch Volumensausweitung im Kreditgeschäft und steigende Erträge im Provisionsgeschäft teilweise zu kompensieren. Aber diese Japanisierung der Geldpolitik wird die Ertragschancen der Banken weiter verringern. Vor diesem Hintergrund rückt die zentrale Frage in den Mittelpunkt, wie eine nachhaltige Rentabilität auch zukünftig erwirtschaftet und gesichert werden kann, insbesondere, wenn wir uns nach zahlreichen Jahren positiver wirtschaftlicher Entwicklung nun wieder mit einem verringerten Wirtschaftswachstum und zunehmenden Kreditrisiken konfrontiert sehen. Deshalb ist Wachstum bei angemessener Risikokontrolle weiterhin notwendig. Aber auch das Thema Effizienzsteigerung und Kostensenkung bleibt dauerhaft auf der Agenda.

Wie soll der notwendige Anstieg der Provisionseinnahmen forciert werden?

Die Hälfte der Provisionserlöse stammt aus dem Zahlungsverkehr und hier investieren wir in weiteres Wachstum. Wir haben in den letzten Jahren die digitalen Services rund ums Girokonto - zum Beispiel mit Instant Payments, kontaktloses und digitales Bezahlen - immer weiter ausgebaut und werden das auch in Zukunft tun. Das Girokonto mit so vielen Leistungen ist ein echtes Hightech-Produkt. Aber auch die Unternehmen der genossenschaftlichen Finanzgruppe werden in ihren Produktsparten - Wertpapiere, Versicherungen, Immobilienfinanzierung, Konsumentenkredite - weitere attraktive Angebote schnüren, die bankenseitig zu höheren Provisionserlösen führen werden. Hier bietet die Niedrigzinsphase auch Chancen, um mit den Kunden auch Gespräche über die Altersvorsorge zu führen und die Sparleistung der Kunden und die vorhandenen Kundeneinlagen in beispielsweise Fondsprodukte zu lenken.

Wird die Konsolidierung der genossenschaftlichen Finanzgruppe durch die Entwicklungen ebenfalls an Fahrt aufnehmen? In einem alten Strategiepapier war mal von der optimalen Anzahl von 800 Primärbanken die Rede. Gilt diese Annahme heute immer noch?

Das Strategiepapier ist ja mittlerweile mehrere Jahrzehnte alt. Damals hatte man primär Doppelpräsenzen in den rund 800 eigenständigen Marktgebieten in Deutschland im Blick. Mit Blick auf die heutige Situation sind es die Digitalisierung des Bankgeschäfts, die niedrigen Zinsen und eine hohe regulatorische Belastung, die unser Geschäft insgesamt nicht einfacher machen. Daher werden wir vermutlich auch weiterhin 30 bis 40 Fusionen pro Jahr sehen. Die Entscheidung für ein Zusammengehen ist aber stets die Entscheidung der Genossenschaftsmitglieder vor Ort.

Wie groß sind die Gefahren durch sogenannte "Zombie-Unternehmen" angesichts der anhaltenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, die nun erst einmal bis Ende des laufenden Jahres gilt?

Die bis zum Ende des Jahres verlängerte Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für überschuldete - nicht jedoch für zahlungsunfähige - Unternehmen ist aus meiner Sicht eine geeignete Maßnahme. Dadurch erhalten gesunde Firmen, die lediglich aufgrund der Corona-Krise in schwieriges Fahrwasser geraten sind, mehr Zeit für eine wirtschaftliche Erholung. Für Banken bleibt in jedem Fall die Frage zu beantworten, ob betroffene Kreditnehmer eine positive Fortführungsprognose aufweisen und genügend Substanz besitzen, um auf niedrigerem Umsatzniveau durch die Krise zu kommen. Die im Vergleich zum Vorjahr sogar rückläufigen Insolvenzanträge deuten darauf hin, dass Unternehmen keinen Insolvenzantrag stellen, obwohl ihre wirtschaftliche Schieflage nicht Pandemiebedingt ist. Solche Fehlentwicklungen können dazu führen, dass die Marktbereinigungseffekte außer Kraft gesetzt werden und entstandene Kreditverluste am Ende größer werden. Mehr denn je ist deshalb verantwortungsvolles Banking gefragt.

Überhaupt: Wie werten Sie die politischen Aktionen, die sich in der Krise sicherlich bewährt haben? Was davon sollte langsam wieder zurückgefahren werden?

Wir haben allen Grund der Politik zu danken, dass sie so schnell ein Schutzschild zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen aufgespannt hat. Sie hat dabei in einer nie da gewesenen Schnelligkeit und Geradlinigkeit reagiert und wirksame Hilfestellungen gerade auch für die Unternehmen des Mittelstandes und die dortigen Arbeitsplätze geschaffen. Die schuldenfinanzierte Fiskalpolitik darf aber nicht zum süßen Gift werden. Aus den in der Krise eingegangenen Beteiligungen sollte sich der Staat zügig wieder zurückziehen, sobald es die Rahmenbedingungen erlauben. Notwendige Konsolidierungsprozesse werden sonst erschwert.

Hat sich am Spar- und Ausgabeverhalten der Bürgerinnen und Bürger etwas verändert?

Ja, Corona-bedingt sparen die Bürgerinnen und Bürger deutlich mehr. Im Durchschnitt des Jahres dürfte die Sparquote 2020 bei rund 15 Prozent liegen, beispielsweise wegen ausgefallener Urlaubsreisen und verschobener Autokäufe. Zum Vergleich: im letzten Jahren waren es noch 10,9 Prozent. Der geringere Konsum wird allmählich nachgeholt. Spätestens 2022 werden wir wieder auf dem Vorkrisenniveau sein. Das meiste Geld wird nach wie vor in Bankeinlagen und Versicherungen gespart. Wertpapiere haben zwar als Anlageform zuletzt etwas an Bedeutung gewonnen, im internationalen Vergleich ist ihr Anteil aber ausbaufähig.

Bekommen Bestrebungen aus Brüssel wie die Vergemeinschaftung der Einlagensicherung durch die Corona-Pandemie Rückenwind? Hat sich an Ihrer Einschätzung dazu etwas geändert?

Nein, wir bleiben beim Thema ablehnend. Die Risiken in manchen Ländern, die besonders vehement für eine vergemeinschaftete Einlagensicherung eintreten, bleiben wahrscheinlich auf Jahre deutlich erhöht. Banken in Europa sind weniger ertragreich und stabil als noch vor der Corona-Krise; Non-Performing Loans und Insolvenzrisiken nehmen weiter zu. Die Solidität der bestehenden stabilen Einlagensicherungssysteme darf nicht geschwächt werden, indem ökonomische Ansteckungsrisiken durch europäische Rechtsakte begründet werden. Ansteckungsrisiken minimiert man - ähnlich wie im medizinischen Bereich - indem Abstand gehalten wird. Das gilt auch für ein etwaiges Rückversicherungssystem unter den Sicherungseinrichtungen der einzelnen Länder. Damit würde die Liquidität der nationalen Sicherungssysteme erheblich belastet und man müsste davon ausgehen, dass gegebene Darlehen für sehr lange Zeit oder sogar niemals zurückgezahlt werden. Mit einer vom europäischen Gesetzgeber erzwungenen Übernahme der Haftung für fremde Risiken würde auch das Vertrauen in die Stabilität des Finanzsystems in Deutschland gefährdet.

Welche Erwartungen haben Sie diesbezüglich an die deutsche Ratspräsidentschaft?

Wir erwarten, dass die Bundesregierung an ihren bisher geforderten Vorbedingungen wie niedrige NPL-Quoten, Harmonisierung des Insolvenzrechts, risikoadäquater Umgang mit Staatsanleihen, festhält, bevor die Einführung einer Europäischen Einlagensicherung ernsthaft erwogen werden kann. Es wäre unverantwortlich, wenn die Bundesregierung von diesen Bedingungen, die sie selbst mit formuliert hat, abrücken würde. Eine Bankenunion muss von Anfang an eine Stabilitätsunion sein und darf keine Rettungsaktion für bereits instabile Strukturen darstellen.

Rechnen Sie mit einem größeren Aufkommen an Stützungsfällen, in denen die Sicherungseinrichtung aktiv werden muss, in den kommenden Jahren?

Nein, ich bin für die deutschen Genossenschaftsbanken zuversichtlich. Es gibt keine Bank, die aufgrund der Corona-Krise in unserem Monitoringsystem auf Rot steht.

Braucht es eine Kapitalmarktunion überhaupt? Der Mittelstand in Deutschland ist vor allem durch die Volks- und Raiffeisenbanken und Sparkassen doch bestens mit Liquidität versorgt.

Der Grundgedanke der Kapitalmarktunion, durch eine tiefere Integration der europäischen Kapitalmärkte eine verstärkte grenzüberschreitende Geldanlage privater und institutioneller Geldanleger zu schaffen und damit eine bessere Allokation von Investitionskapital in Europa zu erreichen, ist grundsätzlich in Ordnung. Einer Stärkung der Kapitalmarktfinanzierung entgegen wirken dabei jedoch zahlreiche Regulierungsmaßnahmen, die insbesondere im Retail-Wertpapiergeschäft - Stichwort MiFID II, PRIIPs-Verordnung - zu einer weiteren Bürokratisierung des Wertpapiervertriebs geführt haben, ohne erkennbaren Mehrwert für die Anleger zu schaffen. Dies schadet der Wertpapierkultur.

Mit dem starken Mittelstand in Deutschland sprechen Sie einen weiteren wichtigen Punkt an: Es darf bei allen Maßnahmen unter dem Schlagwort der Kapitalmarktunion nicht allein um die Förderung von Finanzmärkten und deren Institutionen gehen. Vielmehr muss der realwirtschaftliche Bezug gewahrt bleiben. Denn nur ein sehr geringer Anteil der Mittelständler in Europa würde - selbst im Zuge von möglichen erleichterten Bedingungen - künftig kapitalmarktfähig werden. Wer Innovation, Wachstum und Beschäftigung, auch Steuerzahlungen über Mittelstandsförderung erreichen will, muss daher auch an die große Mehrheit des Mittelstands denken und insbesondere deren Bürokratiekosten, auch im Bereich der Bankfinanzierung senken.

Der BVR ist Federführer in der DK in diesem Jahr: Sind Sie zufrieden mit der bisherigen Entwicklung, was in diesem Jahr erreicht wurde, oder blieb im Rahmen der Krisenbewältigung das ein oder andere auf der Strecke, was Sie sich vorgenommen hatten?

Für Bilanz ziehen ist es noch zu früh, wir sind ja als Federführer unverändert aktiv gemeinsam mit den anderen Verbänden. Natürlich prägt die Corona-Pandemie auch das regulatorische Geschehen. Auch die deutsche Ratspräsidentschaft musste sich ja völlig umstellen. Und Präsenzbegegnungen sind leider aus naheliegenden Gründen weiter nicht möglich. Gerade in der ersten Phase im Frühjahr sind in schneller Folge viele Gesetze im Bereich der Förderung, der Insolvenz und der Aufsicht beschlossen wurden, die wir rasch und erfolgreich gemeinsam in der DK kommentieren konnten. Ich denke, das war sicher eine Herausforderung, die wir gut gemeistert haben.

Die Kampagne der Genossenschaftlichen Finanzgruppe lautet: "Morgen kann kommen". Was bedeutet das genau?

Wir betonen mit dieser Kampagne unsere genossenschaftlichen Werte: Wir sind für sie da. Genossenschaftsbanken gehören über die Mitgliedschaft ihren Kunden. Diese enge Kunde-Bank-Beziehung trägt auch über schwierige Zeiten hinweg. Im März dieses Jahres sind die ersten Spots auf allen TV-Sendern und im Web gestartet. Kontrollumfragen bestätigen, das gerade in den aktuell herausfordernden Zeiten unsere Haltung und Botschaft sehr positiv wahrgenommen wird und man die Banken als glaubwürdigen und verlässlichen Partner schätzt.

Die genossenschaftliche Idee ist einst aus einer Krise heraus entstanden und wir führen diese Werte fort und beweisen täglich, dass man uns auch morgen vertrauen kann.

Marija Kolak Präsidentin, Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e. V. (BVR), Berlin

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