Stabile Verhältnisse

Philipp Otto, Chefredakteur, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Die Enttäuschung ist groß. Die Empörung noch größer. Deutsche Sparer, darunter nicht nur Privatleute, sondern auch Kämmerer, haben ihr Geld verloren. Dabei klang doch alles so gut. Während andere Banken unter der Negativzinspolitik leiden, Kunden bei größeren Anlagebeträgen sogar Verwahrentgelte abknöpfen und auch noch die Gebühren erhöhen, zeigte die Greensill Bank, wie man auch als Bank in Deutschland den Kunden ordentliche Zinsen zahlen kann. "Eine Bank stellt sich gegen die Zinsflaute." "Diese deutsche Bank schwimmt gegen den Strom." "Die Bank mit dem Wachstumsschub." So lauteten nur einige der Schlagzeilen über eine ehemalige unbedeutende graue Maus im deutschen Bankgewerbe, nämlich die Bremer Nordfinanz Bank. Doch 2014 übernahm die britische Beteiligungsgesellschaft Greensill Capital die Mehrheit.

Und da begann ein Aufstieg, der unweigerlich zum Absturz führen musste. Denn überraschend kam die Pleite der Greensill Bank nicht. Höhere Renditen bedeuten immer auch höheres Risiko. Und schon der Blick einige Jahre zurück hätte vorsichtig machen können. Damals, 2008, hieß der Verursacher des Übels nicht Greensill, sondern Kaupthing. Doch die Verhaltensmuster ähneln sich enorm. Damals wie heute war da plötzlich jemand, der höhere Zinsen zahlt als die deutschen Banken und Sparkassen, also als der Markt. Und damals wie heute fallen deutsche Kunden auf die vollmundigen Versprechungen von Sicherheit und Seriosität herein. Und damals wie heute folgt das bittere Erwachen. Rund eine Milliarde Euro hat Greensill in den vergangenen Jahren in Deutschland an Einlagen eingesammelt. Während die Privatanleger aus dem Sicherungstopf der privaten Banken entschädigt werden, ist das Geld von Kommunen oder öffentlich-rechtlichen Anstalten wie ARD, NDR oder SR weg.

Statt sich zu schämen und den Fehler zuzugeben, wird nach Schuldigen gesucht. Die Ratingagenturen natürlich. Denn diese haben die Greensill Bank ja viel zu gut bewertet. Auch das ist alles schon einmal da gewesen. Und die BaFin. Diese hat wieder einmal nicht gut genug hingeschaut. Kennt man ja von Wirecard. Dabei war die Bonner Aufsichtsbehörde seit Sommer 2019 an dem Institut dran und hat sogar eine Sonderprüfung veranlasst. Geschlossen wurde Greensill erst März 2021. Viel zu spät natürlich. Doch BVR-Vorstand Gerhard Hofmann, früher Zentralbereichsleiter Bankenaufsicht bei der Deutschen Bundesbank, nimmt die Aufseher ein bisschen in Schutz: "Keine Aufsicht der Welt kann verhindern, dass ein Institut sehr aggressiven Wettbewerb betreibt, sagte er bei der Jahrespressekonferenz des BVR. Daran gilt es anzusetzen. Die BaFin muss schlagkräftiger werden, früher einschreiten können und vor allem müssen die globalen Netzwerke einer Institution betrachtet werden und nicht nur der in Deutschland ansässige und aktive Ableger. Das zu verändern ist aber nicht Sache der Aufseher, sondern des Gesetzgebers. Erste Schritte sind getan.

Ein weiterer, wichtiger muss aber folgen. Denn dass es überhaupt dazu kommen konnte, dass deutsche Anleger ihr Geld bei isländischen, australischen oder lettischen Instituten parken können, ist dem Geschäftsgebaren von Zinsplattformen wie Weltsparen.de oder Zinspilot zu verdanken. Diese werben auf dem Rücken der deutschen Einlagensicherung mit Versprechen "Einlagen bis 100 000 Euro sind zu 100 Prozent geschützt" um Anlagegelder, die dann an zweifelhafte Adressen im Ausland weitergeleitet werden. Dieses Moral-Hazard-Problem muss ernst genommen und nicht allein in Deutschland, sondern auf europäischer Ebene diskutiert werden. Denn "Zinsportale, die über die Einlagensicherung gehen, sind Trittbrettfahrer mit ganz schwierigen Geschäftsmodellen", wie DSGV-Präsident Helmut Schleweis monierte. Der BVR hat dazu eine klare Meinung: Beaufsichtigen ja, in die Sicherungseinrichtungen aufnehmen nein! Denn diese seien ein System zum Schutz der Kunden, das von Banken und Sparkassen betrieben werde, so BVR-Vorstand Hofmann.

Aber eigentlich sollte das den beiden großen Verbünden in Deutschland doch gar nicht so ungelegen kommen. Zum einen trifft das Imageproblem, sofern keine Primärbanken Kunden an die Zinsplattformen vermittelt haben, die private Konkurrenz und deren Sicherungseinrichtung. Der Finanzplatz Deutschland insgesamt nimmt auch nur bedingt Schaden. Zum anderen mindern Weltsparen & Co. ein wenig die Einlagenflut, die derzeit über die Banken und Sparkassen in Deutschland hereinbricht. 79,1 Milliarden Euro frische Einlagen flossen den Sparkassen im vergangenen Jahr zu, 55,8 Milliarden Euro den Volksbanken und Raiffeisenbanken. Zum Vergleich: Die gesamten Einlagenbestände bei Zweigstellen ausländischer Banken beliefen sich laut Deutscher Bundesbank per Ende 2020 auf 170,83 Milliarden Euro. Die Sparkassen verfügen über Kundeneinlagen in Höhe von 1,075 Billionen Euro, die Volksbanken und Raiffeisenbanken von 790,53 Milliarden Euro.

Das schmerzt in diesen Zeiten. Denn so sehr sich die Vertriebsabteilungen auch bemühen, die zusätzlichen Mittel sind weder in Wertpapieranlagen noch in Krediten vollständig unterzubringen. Dadurch wächst der Einlagenüberhang sukzessive an und wird aufgrund der Negativzinsthematik mehr und mehr zum Belastungsfaktor. Bei den Sparkassen stieg er in den vergangenen drei Jahren von 127 Milliarden Euro über 134 Milliarden Euro auf inzwischen stolze 169 Milliarden Euro. Bei den Kreditgenossenschaften von 107 Milliarden Euro über 109 Milliarden Euro auf nun 126 Milliarden Euro. "Diese heftige liebevolle Umarmung nimmt uns zunehmend betriebswirtschaftlich die Luft zum Atmen", sagte Schleweis. Entsprechend plädieren sowohl DSGV als auch BVR für eine baldige und ordentliche Anhebung des sogenannten Tiering-Faktors, also des Anteils der Einlagen, der strafzinsfrei gestellt wird.

Betriebswirtschaftlich gesehen zeigen sich in den kumulierten Abschlüssen der beiden Verbünde altbekannte ebenso wie neue Probleme, doch insgesamt sind die noch verbliebenen 814 Volksbanken und Raiffeisenbanken ebenso wie die 376 Sparkassen recht gut durch das erste Jahr der Corona-Pandemie gerutscht. Auch wenn durch die negativen Marktzinsen sehr viel mehr gearbeitet, sehr viel mehr Geschäft gemacht und sehr viel mehr eingespart werden muss, um noch auskömmliche Ergebnisse erzielen zu können. Die Sparkassen weisen ein Ergebnis vor Steuern von 4,1 Milliarden Euro aus, also rund 145 Millionen Euro weniger als ein Jahr zuvor. Die rückläufigen Zinserträge (minus 622 Millionen Euro auf 19,6 Milliarden Euro) konnten nur zum Teil über steigende Provisionseinnahmen kompensiert werden. Diese stiegen um 197 Millionen Euro auf 8,5 Milliarden Euro, liegen damit aber immer noch bei nur 43 Prozent der Zinsüberschüsse. Die Verwaltungsaufwendungen konnten spürbar um 253 Millionen Euro auf 19 Milliarden Euro reduziert werden.

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Volksbanken und Raiffeisenbanken: Der Jahresüberschuss vor Steuern sank spürbar um 1,28 Milliarden Euro auf 6,28 Milliarden Euro, ein Rückgang um satte 16,9 Prozent. Während sich der Zinsüberschuss um 311 Millionen Euro auf 16 Milliarden reduzierte, stiegen die Provisionserlöse um 205 Millionen auf 5,7 Milliarden an. Das Verhältnis zum Zinsüberschuss liegt nun bei 35,5 Prozent - immer noch zu wenig mit Blick auf die kommenden Jahre. Ein wenig Erleichterung verschafften auch die Verwaltungsaufwendungen, die um 39 Millionen Euro auf 14,8 Milliarden zurückgingen.

Und beiden Verbundgruppen blieb noch ausreichend Spielraum, sich auf kommendes Übel vorzubereiten. Das Bewertungsergebnis der Sparkassen erhöhte sich um 320 Millionen Euro auf 4,5 Milliarden Euro, das der Volksbanken und Raiffeisenbanken um satte 1,384 Milliarden Euro auf 927 Millionen Euro. Bei beiden entfällt der Großteil von den Bewertungsreserven auf pauschale Wertberichtigungen und nur rund 10 Prozent auf echte Kreditausfälle. Rechnet man noch die Zuführungen zum Fonds für allgemeine Bankrisiken nach § 340 f und g hinzu, die im abgelaufenen Geschäftsjahr bei den Sparkassen mit 2,7 Milliarden Euro und bei den Kreditgenossenschaften mit 309 Millionen Euro dotiert wurden, muss man sich zumindest mittelfristig selbst bei größeren Folgen der Corona-Pandemie keine allzu großen Sorgen um das Gros der Sparkassen und Volksbanken und Raiffeisenbanken machen. Und das ist gut so, denn sie sorgen für stabile Verhältnisse für den Finanzplatz Deutschland und für ihre Kunden.

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Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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