Firmenkundengeschäft

Existenzgründer-Rating: höhere Trennschärfe durch Segmentscores

Neugründungen, Ausgründungen, Beteiligungen, Franchising, Übernahmen oder Nachfolgen - die Arten von Existenzgründungen sind ebenso zahlreich wie unterschiedlich. Dementsprechend schwierig ist die Bonität eines Existenzgründers mit einem einfachen Ratingverfahren einzuschätzen. Der erste Kontakt eines Existenzgründers mit der HVB erfolgt in der Regel über eine der bundesweiten Filialen. Dort wird die Finanzierungsanfrage des Existenzgründers an einen zuständigen Kundenberater weitergeleitet, der eine erste Unterlagenprüfung auf Vollständigkeit und Plausibilität durchführt. Für das Rating der Existenzgründer sind je nach Branche, Finanzierungshöhe und Kundensegment verschiedene bankinterne Organisationseinheiten zuständig. Diese überprüfen ferner parallel die Bewilligung von Fördergeldern zum Beispiel seitens der KfW oder der LfA.

Die Einführung eines trennscharfen, IRBAkonformen Existenzgründer-Ratings ist Teil des Umsetzungsplanes der HVB nach Basel II. Dank maximaler Anwenderfreundlichkeit sollte das neue Verfahren vor allem auch von Kreditspezialisten akzeptiert werden. Da die Bank bereits 2008 im Zusammenhang mit der Entwicklung von verschiedenen Ratingverfahren für Geschäftskunden eng und erfolgreich mit der Schufa kooperiert hatte, entschloss man sich erneut für eine gemeinsame Partnerschaft. Unter Einbeziehung von zwei erfahrenen Consultants der Schufa, drei engagierten HVB-Risikoexperten und, temporär, mehr als 20 HVB-Existenzgründerspezialisten wurde ein Team für die Projektdauer von fünf Monaten gebildet.

Vier Kategorien von Existenzgründern

Eine der ersten Aufgaben des Teams war die Einordnung des Begriffs "Existenzgründung". Hierfür wurden vier Überkategorien festgelegt:

die echte Existenzgründung,

die Ausgründung,

die Übernahme

und die Beteiligung.

Alle weiteren Existenzgründungsarten wurden diesen Kategorien zugeordnet.

Die Bank entschloss sich ferner dazu, Gründer jeglicher Form wie bisher für den Zeitraum von drei Jahren im Kundensegment "Existenzgründer" zu belassen. Daher galt es zu prüfen, wann und unter welchen Bedingungen das neue Rating angewandt werden sollte beziehungsweise wann auf bereits existierende Ratingverfahren zurückgegriffen werden konnte.

Bei der Beurteilung von Finanzierungsanfragen für Existenzgründungen spielen neben harten, qualitativ messbaren Einflussfaktoren weiche Faktoren wie die Branchenkompetenz, die Wettbewerbssituation oder die Erfolgsprognose für das angebotene Produkt beziehungsweise die angebotene Dienstleistung eine entscheidende Rolle - jedoch je nach Gründungssituation mit unterschiedlicher Relevanz.

Im Rahmen des bisherigen Kreditentscheidungsprozesses setzte die HVB zumeist auf das Know-how ihrer Kreditspezialisten beziehungsweise Kundenbetreuer, unter der Prämisse, dass diese Beurteilungen damit auch individuellen, subjektiven Empfindungen unterlagen.

Ziel des neuen Existenzgründer-Ratings sollte es sein, auch zukünftig von dem Erfahrungsschatz der HVB-Kreditexperten zu profitieren, jedoch nun in Form einer systematischen, strukturierten Erfassung weicher Faktoren. Diese sollten ferner, je nach Art der Existenzgründung unterschiedlich gewichtet und mit harten Faktoren angereichert werden.

Als eine weitere Besonderheit des Ratings sollten zusätzlich, neben dem Existenzgründer, weitere natürliche beziehungsweise juristische Personen Berücksichtigung im Rating finden, die in einem engen rechtlichen Kontext mit der Existenzgründung stehen. Dies konnte etwa die Bonität eines weiteren bürgenden Gesellschafters bei einer echten Existenzgründung oder die des zu übernehmenden Unternehmens bei einer Übernahme sein.

Vier Segment-Scores

Auf dieser Basis entwickelte die Schufa für das neue Existenzgründer-Rating der HVB ein neues Konzept, das auf vier Segment-Scores beruht. Es ermöglicht eine individuelle Gewichtung der verschiedenen Datenquellen je nach Art der Existenzgründung, Höhe des Exposures, der Klassifizierung nach Neu- oder Bestandskunde, Erst- oder Re-Rating.

1. Für die Entwicklung des Hard-Fact-Scores standen historische Antrags- und Performanceinformationen früherer Existenzgründungen in der HVB zur Verfügung. Dieser Score konnte somit mithilfe mathe-matisch-statistischer Verfahren entwickelt werden. In diesen Score fließen damit ausschließlich harte, messbare Faktoren ein. Dazu zählen unter anderem das HVB-Branchenrating, die Rechtsform sowie externe Auskunfteiinformationen. Im Rahmen dieser Einholung wird in Abhängigkeit von der Rechtsform entweder der Schufa Klein-gewerbetreibende-Score v2.0 für natürliche Personen oder der Schufa-Bonitätsindex v2.0 für juristische Personen angefragt. Bei dieser Anfrage kann es sich somit, je nach Konstellation, um den Existenzgründer als Person oder um das gerade gegründete Unternehmen handeln. Bereits dieser Segment-Score weist einen Gini-Koeffizienten von etwa 50 Prozent auf. Dies spricht vor allem unter Berücksichtigung der Tatsache, dass neben diesem Segment-Score noch weitere Scores in das Existenzgründer-Rating einfließen, für eine hohe Prognosegüte. Der Hard-Fact-Score bildet die Basis für das Existenzgründer-Rating und wird bei jeder Anfrage erhoben.

2. Der Verhaltens-Score misst die Bonität bestehender Kunden. Da rund 50 Prozent der Existenzgründer Bestandskunden sind, ermöglicht es der Verhaltensscore in diesen Fällen, die bisherigen Zahlungserfahrungen in das Rating einfließen zu lassen. So bildet er eine zusätzliche Grundlage für die Einschätzung des prognostizierten Erfolgs einer Existenzgründung.

Das gemeinsame Projektteam entschied sich bewusst gegen die Aufnahme des HVB-Verhaltensscores in die Modellierung des Hard-Fact-Scores, da dies eine stär kere Flexibilität bei der Gewichtung der Scores für verschiedene Existenzgründerarten gewährleistet. Auch zukünftige Kalibrierungen lassen sich so einfacher gestalten. Ferner vergrößert sich der Handlungsspielraum bei der Validierung des Existenzgründer-Ratings, beispielsweise für die Gewichtungsfaktoren.

3. Der Zuordnungs-Score als dritter Seg-ment-Score berücksichtigt die bereits angesprochene Bonität der informationsrelevanten Partner bei einer Existenzgründung. Bei diesen Partnern kann es sich um verschiedene juristische oder natürliche Personen handeln. Zu einem juristischen Partner können beispielsweise das Gründungsunternehmen oder ein Vorgängerunternehmen zählen, während ein natürlicher Partner ein bürgender Gesellschafter sein könnte. Da für bestimmte Konstellationen mehrere zugeordnete Partner möglich sind, wurde eine Prioritätenliste gebildet.

Um eine ausufernde Komplexität zu verhindern, wird für die Bonitätsmessung des informationsrelevanten Partners auf bereits entwickelte Lösungen zurückgegriffen. Dazu zählen, je nach Verfügbarkeit, der HVB-Verhaltensscore, der Schufa-Bonitätsindex und das HVB-Bilanzrating. Können natürliche Partner aus Datenschutzgründen nicht berücksichtigt werden, wird auf die Zuordnung eines solchen Partners verzichtet, sofern kein weiterer informationsreicher Partner in Frage kommt.

4. Der Soft-Fact-Score berücksichtigt die qualitativen Faktoren eines Existenzgründer-Ratings. Hier fließen die Einschätzungen der HVB-Kreditspezialisten zur Existenzgründung und zum Business-Plan ein. Als Basis wurde ein Fragenkatalog mit 18 Fragen für ein Erstrating entwickelt. Diese stammen aus den Kategorien Finanzen/Investitionen, Planung/Controlling/Organisation, Produkt/Markt/Branche sowie Management/Qualifikation und sonstige Risiken. So wird etwa abgefragt, wie viele Jahre der Existenzgründer bereits in der Branche tätig ist, wie es um die Mitbewerbersituation in der Branche und der Region bestellt ist oder wie der zuständige Kreditspezialist die Qualität des Business Plans hinsichtlich der Finanzplanung beurteilt.

Gewichtung der Segment-Scores

Für die Entwicklung von Score- beziehungsweise Ratingverfahren werden in der Praxis verschiedene Methodiken angewandt. Im Rahmen der Entwicklung der oben genannten Segment-Scores wurden wissenschaftlich anerkannte mathema-tisch-statistische Verfahren verwendet. Bei der Festlegung der Gewichtungskombinationen entschied sich das Projektteam für ein Vorgehen in drei Schritten, differenziert nach der Existenzgründerart und dem zu scorenden Partner.

Im ersten Schritt wird das Gewichtungsverhältnis des zu scorenden versus des informationsrelevanten Partners festgelegt. Grundlage hierfür sind die auf Basis der Schufa-Unternehmensdatenbank durchgeführten Analysen.

In einem zweiten Schritt erfolgt die auf Expertenmeinung festgelegte Gewichtung für den generischen Soft-Fact-Score, bevor sich im dritten Schritt durch das methodisch gemessene Gewichtungsverhältnis von Hard-Fact-Score zu Verhaltensscore die restlichen Gewichtungsanteile errechnen lassen.

Folgerating nach einem Jahr

Nach dem Erstrating wird im jährlichen Abstand ein Folgerating durchgeführt. Hierbei werden der für das Erstrating entwickelte Hard-Fact-Score, der HVB-Verhaltensscore sowie ein um wenige Fragen ergänzter Soft-Fact-Score betrachtet.

Auf die Einholung eines Zuordnungsscores wird zwecks Vereinfachung und geringer Trennschärfe im Folgerating verzichtet. Außerdem wird von einer Differenzierung nach der Existenzgründerart abgesehen, sodass nur eine Gewichtungskombination für Hard-Fact-Score, Verhaltens-Score und Soft-Fact-Score zum Tragen kommt.

Bei der Entwicklung des neuen Existenz-gründer-Ratings ergänzten sich das interne Know-how und die Erfahrung der Kreditspezialisten der HVB mit den Spezialkenntnissen der Schufa im Bereich der Entwicklung von Scoring- und Ratingverfahren. So waren die fachliche, die methodische und die technische Expertise sichergestellt. Die Gesamttrennschärfe des neuen Existenzgründer-Ratings ist aufgrund einiger generischer Elemente im Rating nicht exakt zu beziffern, beträgt jedoch im

Durchschnitt etwa 60 Prozent Gini - ein für die HVB sehr zufriedenstellendes Ergebnis. Das neue Existenzgründer-Rating ist seit Dezember 2011 im Einsatz und bewertet seitdem das heterogene Existenzgründerportfolio stabil, trennscharf und IRBA-konform.

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