Die Zukunft der Filiale

"Es geht darum, Tradition und Technologie zu verbinden" / Interview mit Ralf Kölbach

Welche Bedeutung hat das Filialnetz heute noch? Wofür kommen Kunden in die Geschäftsstelle?

Nach unserer Einschätzung ist die Filiale für unsere Kunden unverändert von immenser Bedeutung. Bei jungen Kunden ist diese sicherlich geringer ausgeprägt als bei älteren Kunden. Baufinanzierungen, Anlageberatung, Versicherungen und weitere Servicedienstleistungen werden weiterhin stark nachgefragt.

Wie hat sich die Nutzung der Geschäftsstellen in Ihrem Hause entwickelt?

Wenn man es ausschließlich an der Zahl der Transaktionen im Zahlungsverkehr festmacht, registrieren wir einen Rückgang von etwa zehn Prozent pro Jahr.

Hat im Gegenzug die Nachfrage nach Beratung zugenommen?

Es gibt hier in der Tat gegenläufige Entwicklungen. Der wirkliche Beratungsbedarf ist sicher höher als die Nachfrage nach Beratung. Der Beratungsbedarf ist in der Niedrigzinsphase besonders hoch. Viele Kunden sind jedoch, was die Anlagemöglichkeiten angeht, ziemlich resigniert. Hier haben Banken die Verantwortung, anzusetzen und den Menschen aufzuzeigen, dass es sehr wohl Alternativen gibt. Das ist manchmal schwierig. Wir sprechen die Kunden deshalb regelmäßig an und nutzen dafür auch Veranstaltungen mit unseren Verbundpartnern.

Im vergangenen Jahr haben Sie ungefähr jede vierte Filiale geschlossen. Wie viele Kunden haben Sie durch die Neustrukturierung verloren?

Für eine endgültige Abschätzung ist es noch zu früh. Es sind aber bislang weniger als erwartet. Wenn man eine hohe Kundenbindung hat, die Kunden und Mitglieder informiert und Alternativen anbietet, gibt es eine hohe Akzeptanz. Insofern ist das für uns kein nennenswertes Problem. In vielen Fällen bestand in den Orten keine Infrastruktur mehr. Daher waren es die Kunden gewohnt, in den Nachbarort zu fahren um Arztbesuche oder Einkäufe zu erledigen.

Die Entscheidung, Filialen zu schließen ist ja aus Wettbewerbsgründen oft schwierig, wenn ein Wettbewerber am gleichen Ort präsent bleibt. Wie sah diese Wettbewerbssituation bei Ihnen aus?

Es ist hier auf dem Land in der Tat noch so, dass es in den kleinen Ortschaften neben der Volks- oder Raiffeisenbank noch eine Sparkasse gibt. Wenn sich jedoch die Filiale der einen Seite überhaupt nicht mehr rechnet, sieht es bei der anderen in der Regel ähnlich aus. Das heißt: Manchmal reagiert der eine Wettbewerber zuerst, ein andermal der andere. Bei unseren Analysen mussten wir im Vorfeld feststellen, dass wir trotz Schließung der Sparkassen-Filialen vor vielen Jahren unbefriedigende Marktanteile hatten.

Im Übrigen ist es eine weitverbreitete Fehleinschätzung, dass eine Bank mit der Aufgabe eines Standortes, also im Grunde von Steinen, auch das Geschäftsgebiet aufgibt und die Kunden nicht mehr versorgt. Das ist überhaupt nicht der Fall.

- Wir bieten beispielsweise für Kunden, die nicht mobil sind, typischerweise Ältere, einen Bargeldlieferservice an und bringen zweimal im Monat kostenfrei Bargeld zu den Kunden nach Hause.

- Daneben haben wir viele Agentursysteme mit Händlern oder Tankstellen vor Ort aufgebaut. Das ist für uns als Bank sehr viel günstiger als der Unterhalt eines Geldautomaten.

De facto ist die Bargeldversorgung vor Ort nicht schlechter, sondern besser geworden.

Könnten Sie sich vor diesem Hintergrund auch Geschäftsstellen vorstellen, die allein auf die Beratung konzentriert sind?

Geschäftsstellen, die nur Beratung anbieten, können künftig möglicherweise eine Option werden. In den europäischen Nachbarländern ist das Bargeld ja teilweise schon sehr viel weiter als bei uns auf dem Rückzug. Und ich glaube, dass wir noch erleben werden, dass ein Geldautomat im Museum bestaunt wird. Ein Agentursystem ist ein Weg in diese Richtung. Und wenn das Bargeld weltweit und auch in Deutschland an Bedeutung verliert, kann es durchaus sein, dass die Filialen perspektivisch rein von der Beratung dominiert werden - oder auch von einer neuen Service-Funktionalität.

Service ist für mich eine sehr wichtige Funktionalität als Visitenkarte. Das muss aber nicht unbedingt im Bereich Zahlungsverkehr sein.

Was für Serviceangebote könnten Sie sich vorstellen?

Ich könnte mir durchaus Servicebereiche vorstellen, die mit dem klassischen Kerngeschäft gar nicht so viel zu tun haben. Auch als Bank kann man sich mit anderen Unternehmen und Angeboten vernetzen. So kann man zum Beispiel kulturelle Angebote begleiten und dann auch Karten anbieten. Oder man kann dem Kunden in Kleinigkeiten wie mit Convenience-Angeboten helfen. Ein Service, der rein mit dem Zahlungsverkehr verbunden wird, wird in dieser Form eher ein Auslaufmodell werden.

Haben Sie Erfahrungen mit solchen bankfremden Services?

Wenig. Aber das ist eines der Themen, die wir prüfen. Hier befragen wir unsere Kunden. Dabei ist die ganze Branche meines Erachtens im Lernprozess und kann von anderen Branchen viel lernen, vor allem von den Automobilisten, aber auch anderen Dienstleistern.

Sind gemeinsame SB-Standorte von Volksbank und Sparkasse noch ein Thema?

Grundsätzlich sind Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken ja Wettbewerber. Deshalb sehe ich hier eher einen rückläufigen Trend. Auch im Hinblick auf die aufsichtsrechtliche Würdigung des Themas und aus wettbewerbsrechtlichen Gründen.

Gibt es eine Renaissance der fahrbaren Geschäftsstellen?

Das findet man typischerweise bei den Sparkassen. Hier und da gibt es die Busse zwar auch bei den Volks- und Raiffeisenbanken. Wir glauben jedoch nicht, dass das notwendig ist, weil wir bei sehr vielen Kontaktpunkten Bargeld anbieten und weil wir dort, wo Menschen immobil sind, auch zu ihnen nach Hause fahren.

Im Übrigen unterhalten wir immer noch 25 Geschäftsstellen. Und der Weg zur nächsten Geschäftsstelle ist immer noch vergleichsweise sehr kurz. Es handelt sich typischerweise um eine Strecke von fünf Kilometern oder weniger. Wenn man einmal über den Tellerrand hinaus schaut, stellt man fest, dass Menschen durchaus bereit sind, zum Einkaufen auch einmal zehn Kilometer zu fahren. Insofern ist unser Filialnetz immer noch sehr engmaschig.

Welche Möglichkeiten bieten Sie immobilen Kunden beim Zahlungsverkehr? Viele Ältere nutzen ja kein Online-Banking ...

Wir erleben beim Telefonbanking einen deutlichen Zuwachs. Das wird gerade von dieser Kundengruppe sehr gut angenommen. Das Telefonbanking ist damit einer derjenigen Vertriebskanäle, für die ich kurz- und mittelfristig, wahrscheinlich auch langfristig Wachstumspotenzial sehe.

Bieten Sie beim Telefonbanking noch persönlichen Service oder läuft das per Sprachcomputer?

Nein, das sind Menschen, und zwar ausgebildete Bankkaufleute, die eine umfangreiche Service-Schulung haben und darüber hinaus eine ganze Bandbreite an Themen abdecken können.

Generell glaube ich, beim Ausbau der modernen Kanäle geht es darum, dass der Kunde nie das Gefühl verliert: Hier ist jemand, der sich um mich kümmert. Dieses emotionale Erlebnis muss man perspektivisch auch über das Internet anbieten. Ich bin deshalb ein Anhänger der Themen Live-Chat oder Video-Beratung, die wir bald testen werden. Wir sind ein Haus, das immer bereit ist, neue Technologien zu testen. Denn es geht darum, Tradition und Technologie anzubieten und dem Kunden die Wahl zu überlassen, welchen Weg er zu uns wählt.

Arbeiten Sie auch mit einem mobilen Vertrieb?

Ja. Wenn es gewünscht wird, kommen unsere Berater jederzeit zum Kunden nach Hause. Die Realität zeigt aber, dass das von den Kunden gar nicht so stark nachgefragt wird. Es scheint nicht so zu sein, dass viele Kunden es wünschen, dass der Berater im eigenen Wohnzimmer sitzt. Das ist nicht die Mehrheit, und ich kann nicht erkennen, dass die Nachfrage deutlich zunimmt.

Welche Zugangswege haben nach Ihrer Neuausrichtung des Filialnetzes den stärksten Zuwachs? Wie hat sich die Frequenz in den verbliebenen Filialen entwickelt?

Insgesamt dominiert immer noch die Filiale. Und ich bin ziemlich sicher, dass das noch lange so bleiben wird. Viele Kunden aus den Ortschaften, in denen wir Filialen geschlossen haben, gehen jetzt in die nächstgelegene Filiale. In den verbliebenen Standorten ist deshalb die Frequenz gestiegen. Ein geringer Teil der Kunden nutzt das Telefon- oder Online-Banking intensiver als früher. Das teilt sich auf. Insgesamt ist der Anteil der Kunden, die Online-Banking oder Telefonbanking nutzen, gewachsen. Es gibt also schon in gewissem Umfang eine Verlagerung in Richtung alternativer Vertriebskanäle.

Wächst damit nicht die Direktbankaffinität und damit die Gefahr einer Abwanderung der Kunden zu einer Direktbank?

Das wird dann gefährlich, wenn man dem Kunden das Gefühl vermittelt, es nicht mehr mit Menschen zu tun zu haben. Ein Telefonbanking auf Basis eines Sprachcomputers beispielsweise würden viele Kunden nicht annehmen. Auch eine nicht interaktive Webseite kann perspektivisch dieses Problem auslösen. Der Spagat besteht darin, dem Kunden auch in den neuen Medien das gleiche emotionale Erlebnis zu bieten wie in der Filiale. Viele ältere Kunden gehen immer noch zu ihren bisherigen Beratern in der nächstgelegenen Filiale. Für jüngere Kunden ist auch bei uns eine höhere Affinität zur Nutzung anderer Vertriebskanäle gegeben. Daher bauen wir unser Multikanalangebot stark aus, um für jeden Kunden den optimalen Zugang zur Bank zu ermöglichen.

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