Finanzkrise - Effekte und Perspektiven

Die Krise als Ertragsbringer?

Der Finanzkunde ist verunsichert. Wohin mit dem Geld? Welcher Anbieter, welches Produkt ist noch sicher? Schon seit Jahren sinkt das Vertrauen der Bevölkerung in die Finanzindustrie. Auch ohne Finanzkrise. Diese ist nur ein weiterer Schritt hin zu einer immer niedrigeren Vertrauensbasis. Kunden wie Anbieter haben ihren Teil zu dieser Situation beigetragen. Die Fokussierung auf Preis und Zins in der Außenkommunikation vieler Finanzdienstleister führte in den vergangenen Jahren zu absurden Zinsversprechen und kostenlosen Konten. Diese trafen auf die natürliche Gier des Menschen, verschärften seine Preissensitivität und vergrößerten das Segment der Schnäppchenjäger, stets auf der Suche nach dem besten Angebot. Preissensitivität entsteht nicht von allein, sondern in der Regel durch den Preiswettwerb der Anbieter.

Kundenwanderungen sind ausgeblieben

Letztendlich profitiert am meisten der Kunde von einem verschärften Wettbewerb. Das Preisniveau sinkt beziehungsweise das Zinsniveau steigt. Auch im Finanzmarkt traf dieses Phänomen zu und führte auf der Anbieterseite zu reduzierten Erträgen. Häufig, weil sich die prognostizierten Kundenzuwächse, die man sich zum Beispiel von kostenlosen Konten versprochen hatte, nicht einstellten. Solange es jedoch andere Unternehmensbereiche gab, die die Verluste kompensierten, störte diese Entwicklung kaum jemanden. Allerdings versiegten durch die Finanzkrise frühere Ertragsquellen und das klassische Retailgeschäft rückte wieder in den Vordergrund.

Warum jedoch sind die erwarteten Kundenwanderungen in der Vergangenheit trotz der attraktiven Angebote (beispielsweise kostenloser Konten) ausgeblieben? Hierfür gibt es mehrere Ursachen: Erstens: Da sich der eigene Anbieter an den Preisspielen beteiligte, gab es keine Notwendigkeit mehr zu wechseln. Zweitens ist der Finanzmarkt durch eine hohe Kundenbindung geprägt. Der Großteil der Bevölkerung besitzt nur eine Bankverbindung und zeigt eine entsprechende Loyalität. Drittens: Der Wechsel einer Bankverbindung oder der Abschluss eines Produktes bei einer Bank, bei der man noch nicht Kunde ist, ist mit einem hohen Aufwand verbunden. Über die Hälfte der Bevölkerung lehnt dies generell ab.

Viertens: Grundsätzlich sind Finanzthemen für die meisten Deutschen eher lästig. Dadurch mangelt es an generellem Interesse und an Finanzwissen. Beides resultiert unter anderem in einer geringen Preiskenntnis. Diese ist jedoch Voraussetzung für einen vollständigen Produktvergleich und damit eine Bewertung. Fünftens legt die Mehrheit der Bevölkerung bei Finanzprodukten mehr Wert auf Qualität als auf den Preis. Und das war selbst auf dem Höhepunkt der "Geiz-ist-Geil-Phase" 2004 so.

Die Verbesserung der Konjunktur und schlechte Erfahrungen mit neuen Anbietern, die das Qualitätsversprechen nicht einhalten konnten, waren nur einige Gründe dafür, dass das Segment der Preisfokussierten seitdem fast stetig wieder abgenommen hat. 2009 wird die kleinste Segmentgröße seit fünf Jahren gemessen. Übrig geblieben von der Sparmentalität ist allerdings ein seit 2007 konstanter Anteil an Personen, die Preis und Leistung kritisch abwägen. Ursache 2009 für diese Entwicklung sind jedoch sicherlich auch die Erfahrungen durch die Finanzkrise. Diese haben generell zu einer Verunsicherung geführt, was sich an den Ergebnissen einer repräsentativen Studie von TNS Infratest ablesen lässt: 55 Prozent machen sich Sorgen um ihre persönliche, wirtschaftliche Zukunft. 53 Prozent haben Angst um ihre Ersparnisse. 50 Prozent befürchten, innerhalb der nächsten zwölf Monate kein Geld zum Sparen zu haben.

Die Reaktion der Kunden: Die Flucht zu sicheren Anbietern und in sichere Anlagen. Der Trend wieder hin zu etablierten Anbietern ist unübersehbar. Fast zwei Drittel der Bevölkerung legen Wert darauf, die Hauptbankverbindung bei einem großen und bekannten Geldinstitut zu haben. Der Anteil an Personen, die ausländische Angebote auf dem deutschen Markt begrüßen, ist auf dem niedrigsten Stand seit zehn Jahren.

Sparkassen holen auf

Die Qualitätsorientierung lässt sich aber auch an dem noch immer sehr hohen Bedarf an persönlicher Beratung und Betreuung erkennen. Nach wie vor möchten mehr als vier Fünftel der Bevölkerung nicht auf eine Filiale in der Nähe verzichten, um dort die Möglichkeit zu haben, sich persönlich beraten zu lassen. Dieser Wert ist zwar seit 2007 um vier Prozentpunkte gesunken, ist jedoch gegenüber 2008 stabil. Profiteure der Krise müssten daher die klassischen Filialbanken sein. Sie sind "groß und bekannt" und können auch noch mit einem umfangreichen Filialnetz aufwarten.

Die aktuellen Ergebnisse des TNS Value-For-Money-Meter zeigen ein differenziertes Bild. Der Index aggregiert die Komponenten Image, Qualität, Preis und Preisfairness und stellt dadurch die wichtigsten Einflussfaktoren für das wahrgenommene Preis-Leistungsverhältnis dar. Hier zeigt sich, dass nach wie vor sogenannte Preisführer, nämlich Sparda-Banken, ING-Diba und Postbank die ersten drei Plätze belegen; aufgeholt gegenüber dem Vorjahr haben jedoch besonders VR-Banken und Sparkassen. Letztere haben es sogar geschafft, den im Vorjahr vorletzten Platz gegen eine mittlere Rangposition einzutauschen.

Neben einer besseren Bewertung war für diese neue Rangreihung zum großen Teil jedoch das schlechte Ergebnis der Großbanken verantwortlich. Ausnahmslos haben diese mit geringeren Werten in 2009 zu kämpfen. Alle Ergebnisse verdeutlichen: Der Finanzmarkt hat sich verändert. Trends werden gebrochen beziehungsweise setzen sich unerwartet fort. Trial-and-Error-Pricing, wie wir es in der Vergangenheit zum Teil beobachtet haben, kann, da jetzt Kompensationserträge fehlen, zum riskanten Glückspiel werden. Andererseits können durch die Kenntnis der veränderten Kundenbedürfnisse und der individuellen Preisbereitschaften Leistungsspektren effizient gestaltet und dadurch ertragreicher werden. Auch eine eventuelle Steigerung des Markenwertes eröffnet Spielräume für Preiserhöhungen.

Vor der Umsetzung von Preismaßnahmen und Produktveränderungen, sollten daher folgende Fragen beantwortet werden, damit die zu erwartenden Veränderungen bereits im Vorfeld kalkuliert werden können: Welchen Einfluss haben die unterschiedlichen Leistungen und Preiskomponenten auf die Wahlentscheidung der Kunden? Welchen Wert besitzt die Marke? Wie stark sind Kunden an diese gebunden? Welche Leistungen und Services stiften für den Kunden einen Mehrwert? Für welche bestehen Preisbereitschaften, auf welche kann verzichtet werden? Welchen Verlauf hat die Preisabsatzkurve? Wo liegen sensitive, wo unsensitive Bereiche? Welche Auswirkungen haben die Maßnahmen auf das gesamte Produktportfolio? Werden wirklich Neukunden gewonnen oder kommt es nur zu "internen" Wechslern? Gibt es Kundensegmente mit unterschiedlichen Präferenzen und Preisbereitschaften? Lohnt es sich verschiedene Produktvarianten anzubieten?

Derartige Fragestellungen lassen sich ohne den, der die Entscheidung trifft, nämlich den Kunden, nicht valide beantworten. Zahlreiche Projekte belegen immer wieder: Mitarbeiter schätzen die Bedeutung der Marke und einzelner Leistungen vielfach falsch ein. Zudem glauben sie nicht an die Preisbereitschaften der Kunden. Dies ist auch einfach nachzuvollziehen: In der täglichen Arbeit stoßen sie immer wieder auf verärgerte Kunden, die sich beschweren und über zu hohe Preise stöhnen. In der Regel stellt diese Gruppe jedoch die absolute Minderheit dar. Und leider äußern sich zufriedene Kunden nicht gleichermaßen positiv.

Als Analysemethode zur Ermittlung individueller Preisbereitschaften und Simulation des Wahlverhaltens haben sich in vielen Branchen Trade-off-basierte Ansätze durchgesetzt. Auch im Finanzmarkt finden die marktforschungsbasierten Ansätze durch ihre hohe Prognosegüte immer mehr Anklang. Im Rahmen von persönlichen Interviews wird die reale Auswahlentscheidung bei einem Produkt imitiert. Dies ermöglicht die Berechnung des Einflusses der verschiedenen Komponenten auf die Wahlentscheidung, die Berechnung von Preis-Absatzkurven und die Simulation des Kundenverhaltens bei Produktveränderungen. Auch die Auswirkung von Produktneueinführungen oder neuer Marken ist so prognostizierbar.

Kennzahlen des Marketing-Mix ergänzen Befragungsergebnisse

Wichtig ist jedoch, dass in derartige Modelle nicht nur die Befragungsergebnisse einfließen, sondern Kennzahlen des gesamten Marketing-Mix (das heißt zum Beispiel auch die Kommunikation oder die Vertriebskanäle) sowie die Kundenbindung, welche bei der Analyse des Wechselverhaltens eine entscheidende Rolle spielt.

Werden diese Elemente in das Marktprognosemodell integriert, steht einem professionellen Preis- und Produktmanagement nichts mehr im Wege. Statt "dem Bauchgefühl" steht eine fundierte Datenbasis für die Produktgestaltung zur Verfügung. Sie ermöglicht es, Ertragsspielräume zu identifizieren, das Leistungsportfolio auf die relevanten Komponenten aus Kundesicht auszurichten, Produkt-Flops zu vermeiden, Potenziale frühzeitig und valide zu ermitteln und intern Produkte objektiv zu bewerten und Preise durchzusetzen. Dies sind Ziele, die nicht nur in der Krise verfolgt werden sollten, aber jetzt besondere Relevanz besitzen.

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