Leitartikel

Im Sumpf der Ungewissheit

sb - Das Retailbanking gleicht derzeit einer Wanderung im Moor: Jeder Fehltritt kann fatale Folgen haben. Und der Sumpf breitet sich aus, die festen Grasbüschel, auf denen man sich gefahrlos bewegen kann, werden immer weniger. So hat sich die Takthäufigkeit, in der sich der Bundesgerichtshof mit Fragestellungen aus dem Bereich Finanzdienstleistungen befasst, zumindest gefühlt im letzten Jahrzehnt erheblich erhöht. Und auch der Gesetzgeber schnürt das regulatorische Korsett immer noch enger. Nicht genug damit, muss die Branche auch Themen, die der Verbraucherschutz hoch hängt, stets wie ein Damoklesschwert im Blick behalten, das jederzeit in Form eines neuerlichen Gesetzes oder höchstrichterlichen Urteils herunterfallen kann. Jüngstes Beispiel ist das BGH-Urteil zur Unzulässigkeit laufzeitunabhängiger Bearbeitungsgebühren bei Konsumentenkrediten, das der Markt längst antizipiert hatte. Und auch die Reaktion des Marktes auf die anhaltende Kritik an den Dispo-Zinsen beziehungsweise den Konditionen für geduldete Überschreitungen des eingeräumten Limits zeigt das Bewusstsein für solch drohende Rechtsrisiken: Offenbar sah die Branche hier Bedarf, einem Eingreifen des Gesetzgebers und der Justiz zuvorzukommen.

Bestehende oder zu erwartende rechtliche Vorgaben greifen tief in die Geschäftspraxis ein. So plagen sich Ratenkreditspezialisten mit der Sorge, ob ihr auf Partnerschaften mit dem Handel basierendes Vertriebskonzept noch Bestand haben wird, wenn ein Händler, der eine Finanzierung für Fahrzeug oder Waschmaschine anbieten möchte, künftig womöglich auch in Sachen Baufinanzierung beschlagen sein müsste. In der Anlageberatung ist das Beratungsprotokoll nur die Spitze des Eisbergs, während die eigentlichen Rechtsrisiken schon lange vor dem Beratungsgespräch lauern (siehe Beitrag Bruhn auf Seite 26). Und noch während sich ganz Deutschland im WM-Freudentaumel befand, hat der BGH ganz nebenbei verfügt, dass Banken in der Anlageberatung grundsätzlich haftbar gemacht werden können, wenn sie nicht unaufgefordert über Provisionen aufklären - auch dort, wo der Gesetzgeber gar keine Offenlegungspflichten definiert hat. Was diese Rechtsauffassung möglicherweise auch für den Versicherungsvertrieb bedeuten könnte, wird sich zeigen müssen. In der kürzlich verabschiedeten Endfassung des Lebensversicherungsreformgesetzes hat der Gesetzgeber noch auf eine Informationspflicht über die Provisionen verzichtet, die in der ursprünglichen Vorlage noch enthalten war. Verlässliche Rahmenbedingungen sehen sicher anders aus.

Und es kann immer noch schlimmer kommen. Das hat der diesjährige Bericht der Monopolkommission deutlich gemacht. Denn mit ihrer Forderung nach der Abschaffung des Regionalprinzips für Sparkassen und damit auch der einheitlichen Marke stellt die Kommission gar das ganze Geschäftsmodell der Sparkassen-Finanzgruppe infrage. (Perspektivisch könnte es auch die Genossenschaftsbanken treffen.) Es wäre schon schlimm genug, wenn Sparkassen künftig verpflichtet würden, zugunsten eines sauber abgebildeten Regionalprinzips Kunden gleichsam hinauszuwerfen, die nach einem Umzug ins Geschäftsgebiet einer anderen Sparkasse gehören - denn hier läge aus Kundensicht immer die Überlegung nahe, sich vielleicht doch für ein bundesweit tätiges Kreditinstitut zu entscheiden. Die Aufgabe des Regionalprinzips wäre aber sicher noch verheerender. Zum einen wäre damit eine der bekanntesten deutschen Bankmarken tot - schließlich können Kreditinstitute nicht mit einheitlichem Außenauftritt in Konkurrenz zueinander treten. Vor allem jedoch wäre die Sparkassen-Finanzgruppe dann auf Jahre hinaus mit der Entwicklung neuer Strategien und damit mit sich selbst beschäftigt - zum Nachteil im Wettbewerb. Gar zu groß ist die Gefahr, dass es dazu kommt, vielleicht nicht - schließlich müssten die Sparkassengesetze der Länder geändert werden, und die öffentlichen Eigentümer der Institute hätten dazu gewiss ebenfalls einiges zu sagen. Dass die Diskussion indessen überhaupt entflammt ist, zeigt einmal mehr, wie groß die Unsicherheit ist, in der sich das Geschäft mit Kunden dieser Tage bewegt.

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