Im Gespräch

"Eine Vertrauenskrise existiert nicht erst seit zwei Jahren"

Wenn Sie den Verlauf der Finanzkrise betrachten, beispielsweise auf einem Metermaß mit der Lehman-Pleite als Nullpunkt, wo stehen wir heute?

Homberg: Momentan befinden wir uns etwa auf der Hälfte der Strecke. Die Tendenz, dass Kundenvertrauen das wichtigste Gut der Banken ist, hat sich in der vergangenen Zeit wieder wesentlich stärker durchgesetzt. Doch nicht nur die Finanzmarktkrise hat zu einem Vertrauensverlust in die Kreditwirtschaft geführt, sondern auch das eigene Verhalten der Akteure. Nehmen Sie beispielsweise die neuesten Ergebnisse der Stiftung Warentest. Kunden fragten bei Banken und Sparkassen nach einer risikolosen Anlage mit vier Prozent Verzinsung und keines der Institute hat zu verstehen gegeben, dass das derzeit nicht möglich ist.

Als ich vor zehn Jahren Vorstandsvorsitzender der Taunus Sparkasse in Bad Homburg wurde, haben wir beschlossen, diese als Beziehungsbank aufzubauen - als kleine regionale Bank, die an emotionale Eigenschaften wie Zuverlässigkeit, Verlässlichkeit und Professionalität anknüpft. Das Vertrauen unserer Kunden pflegen wir sehr. Für den Fall, dass man es verliert, ist es nur schwer wieder zurückzugewinnen.

Herr Walter, wo würden Sie unseren Fortschritt auf dem "Meterstab Vertrauenskrise" heute verorten? Haben die Institute bereits begonnen, Vertrauen wieder aufzuholen?

Walter: Vollkommen verloren hatten die Verbraucher das Vertrauen in die Banken selbstverständlich nicht, das heißt, wir waren nicht am Nullpunkt angelangt. Doch das Kundenvertrauen ist messbar stark zurückgegangen und hat sich noch kaum wieder erholt. Die Tatsache, dass es eine Vertrauenskrise gibt, lässt sich nicht leugnen. Sie existiert und zwar nicht erst seit zwei Jahren.

Infolge des hohen Wettbewerbs haben sich Retailbanker aus allen drei Säulen der Kreditwirtschaft in den vergangenen 15 bis 20 Jahren stark auf Optimierungen fokussiert. Großbanken sowie Sparkassen und Genossenschaftsbanken liefen alle in eine ähnliche Richtung, wenn auch unterschiedlich schnell. Doch nun sind wir aus zwei Gründen an einen Wendepunkt gelangt: Einerseits können die Staaten es sich nicht leisten, solch eine Krise noch einmal geschehen zu lassen, und andererseits nagt es an der Berufsehre der Banker, dass viele Kundendepots in den vergangenen zehn Jahren per Saldo eine Negativ-Performance zu verzeichnen hatten. Zusätzlich zur Wirtschaftlichkeit werden in den kommenden Jahren vor allem Vertrauen und Loyalität der Kunden im Mittelpunkt stehen. Sicherlich muss man

sich fragen, was das für die Rendite, für die Strategie und für die Struktur des Bankensystems bedeutet.

In den großen Bankkonzernen wurde im vergangenen Jahrzehnt eine "Starkstromleitung" von den Produzentenabteilungen über die Vertriebszentralen hin zu jedem einzelnen Berater aufgebaut. Dies bewirkte einen kräftigen Absatzschub, vor allem bei Anlageprodukten wie Fonds und Zertifikaten. Die Krise hat gezeigt, dass eine Gleichschaltung des Vertriebs über die gesamte Bank hinweg gerade in volatilen Zeiten auch mit Risiken und Nebenwir kungen verbunden ist. Momentan ist diese Leitung immer wieder unterbrochen, weil sich viele Kunden zurückhalten. Die großen Häuser brauchen zu den Produktbereichen ein stärkeres Widerlager mit einem klar kundenzentrierten Fokus.

In den beiden Finanzverbünden wirken die Ortsbanken als Widerlager zu den Produzenten. Daraus resultiert eine schwächere Wirtschaftlichkeit, aber zugleich auch eine stärkere Vielfalt in den Vertriebsstrategien, was in der Krise hilfreich war. Wenn das Pendel in den Bankkonzernen künftig wieder mehr vom Produkt- zum Kundendenken schwingt, könnte das auch eine Stärkung des dezentralen Elements bedeuten. Vielleicht haben sich die Institutsgruppen in fünf bis zehn Jahren in ihrer Marktstrategie stärker angenähert oder treffen sich gar irgendwo in der Mitte.

Reichen Bemühungen wie Beratungsprotokoll, Beipackzettel und Zertifizierungen aus, um dem Kunden wieder Vertrauen zu den Banken zu geben?

Homberg: Es muss mehr passieren. Die Erfahrungen mit dem Beratungsprotokoll in den vergangenen Wochen zeigen, dass sowohl Kunden als auch Mitarbeiter das Instrument nicht unbedingt als zielführend betrachten. Das Thema Beipackzettel ist absolut relevant. Die Taunus Sparkasse verwendet seit etwa einem Jahr Ähnliches im Wertpapierbereich: Produkte werden mit ihren Chancen und Risiken auf ein bis anderthalb Seiten vorgestellt. Doch ein solcher Beipackzettel darf selbstverständlich nicht gestaltet sein wie sein Äquivalent aus der Pharmaindustrie. Er sollte eine Hilfestellung und Empfehlung geben und nicht noch mehr Verwirrung stiften.

Vor allem aber muss die Branche ihre Praktiken aus den vergangenen Jahren betrachten und sich fragen, ob der Produktverkauf auch unter Zielvereinbarungen immer sauber gesteuert wurde. Selbstverständlich muss eine Bank mit ihren Produkten Geld verdienen, doch gleichzeitig sollten ihre Angestellten wieder stär ker zu Anwälten der Kunden werden. Diese müssen ebenfalls einen Gewinn am Produkt haben. In der Beratung muss eine neue Ehrlichkeit einziehen. Das erreicht man aber nur durch eine bessere Aufklärung. Und hier kann man von der eigenen Situation des Kreditinstituts ausgehen. Wenn Banken Risiken eingehen, müssen sie vorher ihre Risikotragfähigkeit prüfen. Das muss im übertragenen Sinn auch für den Privatkunden gelten. Er muss entscheiden können, ob er dieses Risiko übernehmen will. Dass ihm dabei aber übertriebene Formalien helfen, darf bezweifelt werden.

Walter: Der herkömmliche produktgetriebene Ansatz hat in der Krise dem Vertrauen in die deutsche Finanzwirtschaft geschadet. Vielen Kunden war nicht mehr klar, ob der Berater auf ihrer Seite oder auf Seiten des Produzenten steht. Es wird immer deutlicher, dass die Banken mehr Licht in das Beratungsdickicht bringen müssen.

Es muss transparent werden: Welche Mitarbeiter sind in erster Linie Verkäufer und welche primär Berater? Wann wird gegen Provision beraten und wann gegen Honorar? Wo erwartet mich Produktverkauf, wo kann ich mit einer Bankdienstleistung im ganzheitlichen Sinn rechnen?

Wenn die Banken die richtigen Antworten finden, werden wir künftig mehr Mischmodelle mit einer größeren Transparenz des Angebots erleben. Damit steht der Branche eine große Geschäftsmodelländerung bevor. Die heute überwiegend vorherrschenden Push-Organisationen werden zunehmend durch Pull-Elemente ergänzt. Das heißt: Der Kunde wird sich viel stärker als heute in den Prozess der Erstellung der Bankleistung einbringen. Das ist eine Veränderung, die nicht auf einmal gehen, sondern sehr lange dauern wird.

Homberg: Die Taunus Sparkasse hat bereits vor sieben Jahren ein eigenes Finanzkonzept entwickelt, das inzwischen auf ein Modell des DSGV umgestellt wurde. Im Ergebnis bedeutet es, dass kein Produktverkauf stattfinden kann, bevor nicht ein Finanzkonzept mit dem Kunden besprochen wurde.

Walter: Wir kennen doch die Realität. Der Bankberater ist heute im "Mehrkampf" tätig. Viele Kundenkontakte in der Filiale gestalten sich so, dass der Vertriebsmitarbeiter situationsbezogen Kundenaufträge zum Kauf oder Verkauf von Produkten und Services ausführt. Der Kunde kommt da mit einer recht klaren Vorstellung, was er will. Das Geschäft ist daher eher transaktionsbezogen und der Kunde erwartet, dass es schnell und sicher abgewickelt wird.

Daneben steht die bedarfsorientierte Beratung. Hier haben eine Reihe von Retailbanken in den vergangenen Jahren Vermögens- und Finanzkonzepte eingeführt. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es darauf ankommt, die Berater schrittweise durch die einzelnen Bedarfsfelder zu führen. Der Filialleiter ist da vor allem als Coach gefordert, der seinen Mitarbeitern vormacht, wie bedarfsorientierte Beratung geht und der sie dabei dauerhaft begleitet.

Wer zuviel auf einmal will oder die Berater alleine lässt, stellt nach kurzer Zeit fest: Die Kundengespräche zur Bedarfserhebung kosten viel Zeit, bringen aber nur wenige zusätzliche Produktabschlüsse. Richtig aufgegleist ist die Beratung mit Konzept eine echte Chance, um sich im Wettbewerb zu unterscheiden, eine höhere Kundenloyalität zu erreichen und Mehrerträge zu erwirtschaften.

Homberg: Um Änderungen wirklich durchzusetzen, muss man vor allem zwei Dinge berücksichtigen. Einerseits muss das Finanzkonzept über externes Coaching in die Mannschaft hineingetragen werden. Andererseits muss dieses Thema eng in einen Qualitätsprozess eingebunden werden. Das können Sie schnell an verschiedenen Dimensionen und Qualitätstreibern festmachen. Doch es ist ein mittel- und langfristiger Prozess, das in den Köpfen der Mitarbeiter zu verankern. Hierzu gibt es keine Alternativen. Wenn wir hier nicht ansetzen, dann wird mangelndes Vertrauen der Kunden zu den Finanzinstituten zu unserem größten Problem.

Coachen Sie auch Ihren Verwaltungsrat?

Ab und zu ja.

Stichwort Macht des Verbrauchers. War es nicht in den letzten Jahren so, dass eben diese Macht an vielen Stellen zu Fehlentwicklungen geführt hat? Verbraucher haben Banken gegeneinander ausgespielt. Liegt hierin nicht eine Gefahr, dass dieser Wettbewerb um Konditionen noch zunimmt, wenn Preise und Gebühren immer stärker offengelegt werden?

Homberg: Der Kunde hat kein Problem damit, wenn wir offenlegen, dass wir an einem bestimmten Produkt eine Provision verdienen. Natürlich sieht er die Leistung, die er erhält und für die er einen fairen Preis zahlt, im Wettbewerb. Doch er ist bereit, dafür einen Preis zu zahlen. Leider haben sich unter dem Motto "Geiz ist geil" auch in unserer Branche teilweise Kampfkonditionen etabliert. Doch das ist der falsche Weg. Er führt nicht zu mehr Kundenbindung und Loyalität, sondern ganz im Gegenteil zu einer Abnahme derselben. Beispielsweise bietet die Taunus Sparkasse keine kostenlose Variante des Girokontos an.

Walter: Der Einfluss des Internets und der sozialen Netzwerke wird die Macht des Verbrauchers auch im Retailbanking weiter erhöhen. Es gibt heute innovative Anbieter, die mit Transparenz und Fairness einen Unterschied machen wollen. Das verursacht Druck im Wettbewerb. Ich glaube nicht, dass sich die herkömmliche

Preispolitik der Banken, die Preise in viele Einzelteile zu zerlegen, dauerhaft durchhalten lässt. Gerade die nachwachsende Generation erlebt im Netz auf vielen Gebieten ein Höchstmaß an Transparenz und Einfachheit. Das wird die Banken zwingen, auf diesen Zug aufzuspringen - in der Preisgestaltung, aber auch bei Applikationen.

Mittlerweile gibt es Banking-Apps für das i-Phone, die einfach sind und auch den von Jugendlichen erwarteten Stil des Produktes aufweisen. Damit können Kunden selbst diverse Szenarien durchrechnen. Sollten die Banken als Anbieter nicht willens sein, eine Einfachheit dieser Art zu ermöglichen - aus welchem Grund auch immer -, dann werden sicherlich Akteure aus der Welt des (mobilen) Internet die Initiative ergreifen. Für die Banken könnte dann wiederum ein Stück des Kuchens verloren gehen.

Wenn einfache Transaktionen tatsächlich mehr und mehr ins Netz und auf mobile Endgeräte abwandern, was passiert dann mit der Filiale? Muss diese ein reines Beratungscenter werden? Müssen Banken für Beratung Geld nehmen, damit sich das rechnet? Und wie kann das funktionieren, solange es keine Alternative zu einer provisionsbasierten Beratung gibt?

Walter: In zehn bis fünfzehn Jahren werden die Transaktionen über Online-Plattformen laufen, auch die in der Filiale initiierten. Große Filialbanken haben längst begonnen, sich darauf vorzubereiten. Eine Vielzahl der Kundenkontakte in der Filiale ist wie gesagt seit jeher nicht automatisch echte Beratung, sondern betrifft die Abwicklung einer Transaktion, zum Beispiel eine Überweisung.

Sobald die Mehrzahl der Transaktionen über das Netz ausgeführt wird, wird die Filiale zu einem reinen Beratungscenter - auf Basis einer modernen Direktplattform. Schwer vorstellbar ist, dass der Preis für Beratung dann immer noch über die Produktabwicklung berechnet wird.

Homberg: Wir sind bei diesem Thema einfach noch nicht so weit. Die Taunus Sparkasse ist vor zehn Jahren in den Bereich Private Banking eingestiegen. Vor etwa drei bis vier Jahren wurde der erste Versuch mit Honorarberatung gestartet, der aber kläglich gescheitert ist. Derzeit arbeiten wir an einem neuen Versuch, den Kunden die Honorarberatung im Private Banking anzubieten. Sie sollen wählen können zwischen Produkten mit Provisionierung und Honorarberatung. Die Ergebnisse müssen wir abwarten.

Wenn zukünftig absehbar einzelne Elemente um ein Kernangebot gestaffelt werden, laufen Kreditinstitute dann nicht wieder Gefahr, ihre Kunden auf eine ausgrenzende Art zu segmentieren und klassifizieren?

Walter: Wenn die Beratung das Kernangebot der Filiale der Zukunft sein wird, hat das Rückwirkungen auf das, was wir heute tun. Ob das Private Banking oder das Business Banking dann eigene Geschäftsbereiche sind, wie das heute vielfach der Fall ist, muss man sehen. Im Beratungscenter von übermorgen werden Menschen mit unterschiedlichen Kompetenzprofilen ihre jeweiligen Leistungen anbieten, je nachdem, was der Kundenbedarf vor Ort erfordert. Diejenigen Anbieter werden die Nase vorne haben, die von der heute noch herkömmlichen grobkör nigen Segmentierung Abschied nehmen und die Kundenansprache immer weiter verfeinern. Führende Retailbanken unterstützen ihre Berater mit Kundenmanagementsystemen heute schon so, dass diese auch im Breitengeschäft ganz auf den Kunden zugeschnittene Angebote liefern können.

Vor wem muss eine selbstbewusste Sparkasse im Wettbewerb am meisten Angst haben? Vor den schnellen Wettbewerbern wie der Quirin Bank, vor der Postbank oder doch vor der Landesbank?

Homberg: Vor staatsgarantierten Banken, die mit unvertretbaren Konditionen am Markt sind.

Dieses Interview basiert auf einer Podiumsdiskussion beim Privatkundenforum 2010.

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