Customer Activation

Dr. Ewald Judt, Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien

Quelle: Wirtschaftsuniversität Wien

Der Kundenbestand einer Bank ist eine dynamische Größe, da einerseits Kunden wegfallen und andererseits neue Kunden dazu kommen. Im Fall des Wegfalls von Kunden müssen diese - unabhängig von einer etwaigen Wachstumsstrategie, alleine um die Marktstellung zu halten - durch neue Kunden ersetzt werden. Ein Kundenverlust kann durch Abwanderung eintreten, entweder, wenn Kunden offen ihre Bankverbindung beenden und zu einer anderen Bank wechseln, oder still, wenn sie ohne Kündigung eine weitere Kontoverbindung eingehen und ihre Bankgeschäfte in der Folge über diese Bank abwickeln. Zusätzlich gibt es den natürlichen, demografiebedingten Kundenverlust, durch den jedes Jahr ein Teil des bestehenden Kundenstamms wegfällt.

Strategien gegen sinkenden Kundenbestand

Gegen das natürliche Abschmelzen des Kundenbestands können insbesondere im Zuge des Generationen-Marketing (siehe Bankmanagement-Glossar in bank und markt 8/2021) strategisch und systematisch geplant neue Kunden vor allem bei den jungen Generationen, unter anderem Schülern, Lehrlingen, Studierenden und jungen Arbeitnehmern akquiriert werden.

Gegen die offene und die stille Abwanderung sind ebenfalls laufende Anstrengungen notwendig, um ein sukzessives Abschmelzen des Kundenbestands zu verhindern. Bei den zu setzenden abwanderungsverhindernden Maßnahmen müssen die Kunden (noch) stärker als sonst in den Mittelpunkt des Handelns gerückt werden: "The customer comes first". Die Strategien und Maßnahmen unterscheiden sich im Detail, abhängig davon, ob die offene oder stille Abwanderung im Fokus steht.

Für eine offene Abwanderung kann es für einen Kunden einen Grund oder auch mehrere Gründe geben. Diese liegen zumeist in negativen Erfahrungen bei der Abwicklung (sowie einer eventuell darauffolgenden unsensiblen und für den Kunden unzureichenden Beschwerdebehandlung), den Produkten und Preisen, die zum Beispiel anderswo besser und günstiger angeboten werden oder in negativen Erfahrungen bei der Bankberatung (zum Beispiel fehlende oder schlechte Problemlösung). Empirische Untersuchungen zeigen, dass bei einem frühzeitigen Erkennen einer auftretenden Kundenunzufriedenheit und einer entsprechenden kundengerechten Beseitigung ("Do it right the second time") die offene Abwanderung deutlich verringert werden kann.

Stille Abwanderung frühzeitig erkennen

Die stille Abwanderung liegt vor, wenn das Konto zwar aufrecht bleibt, die Inanspruchnahme der Produkte aber gegen Null geht und die Produkte bei Wettbewerbern - diese sind oftmals nur wenige Mausklicks entfernt - gekauft werden. Insbesondere bei (margenträchtigen) Produkten, für die im Internet ohne viel Aufwand Vergleichsangebote eingeholt werden können, geben Kunden nur noch dann ihrer Hausbank den Vorzug, wenn das Produkt und der Preis beziehungsweise das Preis-/Leistungsverhältnis deutlich besser sind als beim Mitbewerb.

Die Kennzeichen beziehungsweise Frühindikatoren einer stillen Abwanderung sind zum Beispiel ein Girokonto ohne Gehalts-/Pensionseingänge, ein Wertpapierdepot ohne Kauf-/Verkaufstransaktionen, Ein-Produkt-Kundenbeziehungen oder keine Beratungsinanspruchnahme. Eine stille Abwanderung kann seitens eines Finanzdienstleisters nur dann frühzeitig erkannt werden, wenn die Aktivitäten des Kundenbestands laufend analysiert werden.

Zur Vermeidung einer größeren Anzahl von Abwanderungen kann unmittelbar nach dem Erkennen inaktiver oder geringaktiver Kunden die sogenannte Customer Activation (Kundenaktivierung) betrieben werden. Das Kundenbeziehungsmanagement sollte dabei nicht nur bei den derzeit profitablen und hochprofitablen Kunden ansetzen, sondern auch bei jenen, die über Potenzial verfügen und mittelfristig zu profitablen Kunden gemacht werden können.

Kommunikationsanalyse als erster Schritt

Der erste Schritt einer Customer Activation ist eine kritische Analyse der bisherigen Kommunikation mit dieser Zielgruppe, um einen geeigneten Ansatz zu finden, diese auch emotional für die Bank rückzugewinnen. Dabei muss versucht werden, abseits der tradierten Vertriebskommunikation, die in- oder geringaktiven Kunden (wieder) mit der Bank und ihrem Leistungsportfolio vertraut zu machen.

Erst in einem zweiten Schritt sollten konkrete Produktangebote gemacht werden, die auf die spezifische Situation des jeweiligen Kunden eingehen. Dabei ist zu beachten, dass diese Angebote konkurrenzfähig sein müssen, um Kunden keinen Grund beziehungsweise keine Bestätigung dafür zu liefern, dass es richtig war/ist, das Leistungsangebot dieser Bank zu meiden. Das wichtigste Ziel ist die (Wieder-)Herstellung einer positiven, möglichst starken emotionalen Beziehung zur Bank.

Die Kundenkommunikation muss über alle zielgruppenrelevanten Kanäle und Touchpoints durchgezogen werden. Bei Filialbanken kommt bei der Rückgewinnung den Kundenberatern, die täglichen Kundenkontakt haben, eine besondere Bedeutung zu. Ihre Persönlichkeitsmerkmale/ Sozialkompetenz, ihr Know-how/ ihre Fachkompetenz und ihre Beratungs- und Verkaufsstärke sind für das "persönliche" Kundenbeziehungsmanagement entscheidend.

Zusätzlich sollte die zielgruppengerechte Message über alle zielgruppenrelevanten digitalen Kanäle verbreitet wird. Dabei sollten alle für das jeweilige Angebot relevanten Informationen, verbunden mit einer Abschlussmöglichkeit kommuniziert werden. Die Wirkung kann durch integrierte Kommunikation verstärkt werden, das heißt, wenn gleiche Inhalte mit gleicher Anmutung in allen relevanten Kanälen ausgespielt werden. Eine optimal gestaltete App und eine State-of-the-Art-Präsenz in den Social Media ist vor allem bei den jüngeren Zielgruppen ein Muss.

Eher Marathon als Kurzstreckenlauf

Eine mittel- und längerfristige Kundenreaktivierung ist kein Kurzstreckenlauf, sondern verlangt große Ausdauer. In einem dritten Schritt - nach erfolgreicher Wiederannäherung des Kunden - ist daher ein konsequentes Kundenbeziehungsmanagement wichtig, um einen ehemals in-/geringaktiven Kunden zu einem dauerhaften aktiven und ertragsbringenden Kunden zu entwickeln. Nach erfolgreicher Customer Activation sollten daher seitens des Kundenbeziehungsmanagements Customer-Loyalty-Maßnahmen gesetzt werden, um eine stabile und längerfristige Kundenbindung zu erreichen.

Customer Activiation ist auch unter dem Wirtschaftlichkeitsaspekt zielführend. Studien zeigen, dass erfolgreiche Customer Activation bei in-/geringaktiven Zielgruppen kostengünstiger ist als eine Neukundengewinnung und daher zu einer Verbesserung der Profitabilität führt. Durch eine gut geplante, gut organisierte und gut durchgeführte Customer Activation kann nach einer verlorenen Kundenbindung wieder eine starke Kundenbindung aufgebaut werden. Expertenschätzungen gehen davon aus, dass Customer Activation in mehr als 50 Prozent aller Fälle erreicht werden kann.

Customer Activation erfordert aber nicht nur Engagement und ein klares Konzept, sondern auch einen erheblichen Mitteleinsatz, bevor es zum Return on Investment kommt. Wenn eine Customer Activation nicht aussichtsreich erscheint, ist aus Gründen der Kosten- und Gewinnoptimierung auch eine (komplette) Trennung vom Kunden überlegenswert (siehe Bankmanagement-Glossar "Demarketing" in bank und markt 6/2015). In manchen Fällen kann das Beenden einer Kundenbeziehung besser sein, als zu versuchen, verlustbringende inaktive oder gering aktive Kunden zu behalten.

Dr. Ewald Judt , Honorarprofessor , Wirtschaftsuniversität Wien
Dr. Claudia Klausegger , Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien
Noch keine Bewertungen vorhanden


X