Evidenzbasiertes Management

Dr. Ewald Judt, Honorarprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien

Quelle: Wirtschaftsuniversität Wien

Im letzten Jahr wurde das Thema "evidenzbasiert" im Zusammenhang mit Covid-19 häufig diskutiert. Am Beginn der Pandemie gab es wenig belastbare Evidenz, weder zu Covid-19 noch zur Effektivität und Effizienz der ergriffenen Maßnahmen. Forscher auf der ganzen Welt versuchten in der Folge, möglichst schnell möglichst viel über das Virus und die Krankheit Covid-19 herauszufinden, um mit Empirie-basiertem Expertenwissen die notwendige Evidenz für das politische Handeln sicherzustellen.

Auch im Management-Kontext hat evidenzbasiertes Vorgehen stark an Bedeutung zugenommen, da in fast allen Bereichen unternehmerischer Praxis eine starke Zunahme der Komplexität zu beobachten ist. Evidenzbasiertes Management (EbM) bezeichnet einen Ansatz aus den USA, demzufolge Managemententscheidungen durch den expliziten Gebrauch bestmöglicher wissenschaftlicher Methoden und empirischer Befunde zu treffen sind.

Fehlerwahrscheinlichkeit wird reduziert

Evidenz setzt auf Wissen, das auf starker Gewissheit oder nachgewiesenen Fakten beruht, zur Lösung eines Problems. Evidenzbasiertes Management nützt dabei nicht nur das unternehmensintern vorhandene Wissen, sondern versucht durch das Heranziehen von relevantem externen Wissen die Entscheidungsqualität zu verbessern. Evidenzbasiertes Management hat das Ziel, vergleichbar mit der evidenzbasierten Medizin, die individuelle Expertise der beteiligten Personen und die beste verfügbare wissenschaftliche Evidenz zu verbinden.

Evidenzbasiertes Management führt nicht zwangsläufig zum Treffen richtiger Entscheidungen, da es bei Entscheidungen im Management keine Garantie gibt, dass sie zum Erfolg führen. Es führt aber dazu, dass die Fehlerwahrscheinlichkeit reduziert werden kann und bessere Entscheidungen getroffen werden können, als sie ohne das Vorliegen von evidenzbasiertem Wissen getroffen worden wären. Wie jede Entscheidung kann sich auch eine evidenzbasierte Entscheidung im Nachhinein als nicht optimal oder falsch herausstellen. Evidenzbasiertes Management verbessert aber die Chance auf den Erfolg.

Evidenzbasiertes Management versucht, Problemlösungen auf einer möglichst umfassenden Wissensbasis zu treffen. Dazu reicht die gelebte Praxis und der Einsatz von Standardansätzen wie zum Beispiel Best Practices, Benchmark-Vergleichen sowie Erfahrungen und Bauchgefühl in der Regel nicht.

Dieses Wissen darf zwar nicht unterschätzt werden, da ein vorhandenes Praxiswissen bei Entscheidungen von großer Bedeutung für ein Unternehmen sein kann. Aufgrund der zunehmenden Komplexität reicht dieses Wissen aber oftmals nicht aus und sollte mit einer von außen kommenden wissenschaftlichen Evidenz zusammengeführt werden.

Die optimale Basis für das Lösen komplexer Problemlösung in Unternehmen wird durch die Zusammenführung der individuellen Expertise des Managements unter Einbindung aller Mitarbeiter, die relevante Beiträge leisten können, und unter Berücksichtigung des relevanten externen Wissens erreicht.

Um zu einer optimalen Lösung eines Problems - sowohl in Bezug auf das Finden als auch die Bewertung - zu kommen, existiert beim evidenzbasierten Management eine Reihe von Maßnahmen. Es kann vor allem durch

- systematisches Suchen, Sammeln und Strukturieren von Wissen über das Problem/die Problemlösung und

- Identifikation der relevanten Einflussgrößen auf die gesuchte Lösung und entsprechende Bewertung der gewonnenen Erkenntnisse

eine verbesserte Entscheidungsqualität in der Managementpraxis erreicht werden. Es geht um das Auffinden von relevantem Wissen und die anschließende Prüfung, was davon für eine zu treffende Entscheidung herangezogen werden sollte.

Wissensmanagement als Basis

Innerbetrieblich kommt dem Wissensmanagement in Unternehmen große Bedeutung zu, da viel Wissen bei den verschiedensten Wissensträgern liegt, oftmals ohne dass dieses Wissen (viel oder wenig) dem Unternehmen bekannt ist. Dazu kommen nicht dokumentierte Vorgangsweisen, Handlungsstrategien und Lösungsansätze.

In vielen Unternehmen lässt sich beobachten, dass es einen innerbetrieblichen Wissenstransfer kaum beziehungsweise nur wenig gibt oder dieser nur unzureichend genutzt wird. Betriebliches Wissensmanagement verfolgt daher das Ziel, Interaktionen, die die Wissensgenerierung unterstützen, innerbetrieblich zu fördern, indem die unterschiedlichen Kompetenzen verschiedenster Wissensträger eingebunden werden, um ein innerbetriebliches Wissensnetzwerk zu schaffen.

Dabei geht es nicht darum, neues Wissen zu kreieren, sondern vorhandenes Wissen zusammenzufassen, zu strukturieren und in einer Form aufzubereiten, sodass es zu Entscheidungsfindungen herangezogen werden kann. Nur mit systematisch aufgebautem Wissensmanagement kann aus Unternehmenswissen Evidenz erreicht werden.

Lücke zwischen Wissenschaft und Praxis schließen

Extern geht das Suchen und Finden von Wissen zu einer anstehenden Problemlösung von einer umfassenden Recherche wissenschaftlicher Erkenntnisse und verfügbarer Daten aus, die die Grundlage jeder evidenzbasierten Managemententscheidung sein sollten. Das auf wissenschaftlichen Studien basierende Wissen ist hinsichtlich seiner Güte und Eignung für die anstehende Entscheidung zu bewerten. Das externe Wissen kann von Mitarbeitern des Unternehmens oder Beratern, die auf derartige Recherchen spezialisiert sind, oder von wissenschaftlichen Instituten gesucht werden.

Evidenzbasiertes Management bietet die Möglichkeit, die oft beklagte Wissenschafts-Praxis-Lücke zu schließen, da auf diese Weise die Erkenntnisse der Wissenschaft in der Praxis umgesetzt werden können. Der Grund, weshalb es oftmals nicht dazu kommt, liegt nicht nur an fehlendem Interesse oder mangelnder Lernbereitschaft der Unternehmen, sondern oftmals an der Schwierigkeit, die relevanten Forschungsergebnisse zu identifizieren und sie hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf die Managementbedürfnisse zu bewerten.

Erkenntnisse aus Reallaboren

Für die Evidenz ist die Empirie - egal ob sie auf interne Versuche zurückgeht oder durch wissenschaftliche Arbeiten entsteht - bedeutsam. Empirische Ergebnisse haben eine Beweiskraft, die theoretisch-konzeptionelle Ansätze nicht aufweisen können, weshalb sie im evidenzbasierten Management einen hohen Stellenwert haben. Empirische Ergebnisse können auch durch Reallabore zum Beispiel in Form von Realexperimenten gewonnen werden, wie sie mittlerweile bei vielen Neuentwicklungen eingesetzt werden.

Zu Erkenntnissen aus Reallaboren gehören zum Beispiel das Prototyping, Beta-Versionen oder das A/B-Testing (siehe Bankmanagement-Glossar in bank und markt 5/2021). Beim Prototyping, das aus der Automobilwelt bekannt ist, werden nacheinander Prototypen gebaut und unter verschiedenen Bedingungen getestet. Aufgrund der Testergebnisse werden Änderungen vorgenommen und in einem weiteren Prototyp getestet, um so zu einer optimalen Lösung zu kommen.

Beta-Versionen kommen vorwiegend bei der Software-Fertigstellung vor. Eine Beta-Version eines Programms ist eine noch nicht fertiggestellte Version, die zwar schon in ihren Grundfunktionen nutzbar, jedoch noch nicht vollständig auf Fehler getestet worden ist und nichtsdestoweniger vom Hersteller zu Testzwecken freigegeben wurde.

Das A/B Testing ist eine Experimentalmethode, mit der zwei Versionen eines Produkts im direkten Vergleich getestet werden, um festzustellen, welcher die "bessere Leistung" erzielt. Die beiden Varianten werden A und B genannt und werden den Nutzern nach dem Zufallsprinzip übermittelt.

Falsche Managemententscheidungen mit oftmals großen Auswirkungen auf den Erfolg und die Entwicklung von Unternehmen werden häufig auf der Basis unzureichender Expertise getroffen. Unternehmerische Entscheidungen von größerer Bedeutung sollten auf einer bestmöglichen Evidenz basieren. Es liegt daher in der Verantwortung jedes Managers, immer "auf dem Laufenden zu bleiben" und sich mit der aktuellen (wissenschaftlichen) Evidenz auseinanderzusetzen, um die besten Entscheidungen zu treffen und die wirkungsvollsten Maßnahmen zu ergreifen.

Ein abschließendes Zitat von Jeffrey Pfeffer, Ph. D. von der Stanford University fasst die Herausforderung und Notwendigkeit von evidenzbasiertem Management zusammen: "Without systematic attempts to learn from experience, people with 20 years of experience often have one year of experience repeated 20 times."

Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor der Wirtschaftsuniversität Wien, ewald.judt[at]wu.ac[dot]at. Dr. Claudia Klausegger ist Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien, claudia.klausegger[at]wu.ac[dot]at.

Dr. Ewald Judt , Honorarprofessor , Wirtschaftsuniversität Wien
Dr. Claudia Klausegger , Assistenzprofessorin am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien
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