GELDANLAGE

Wertpapierkultur in Gefahr?

Dr. Ulrich Netzer, Foto: SVB

Nach wie vor sind die Deutschen Meister im Parken ihres Angesparten. Das hinterlässt Bremsspuren in der GuV der Kreditinstitute. Große Sichteinlagen, so Dr. Ulrich Netzer vom Sparkassenverband Bayern, werden "betriebswirtschaftlich auf Dauer zur Belastung." Auch die bayerischen Sparkassen haben deshalb ihre Bemühungen um mehr Wertpapiersparen verstärkt - mit Erfolg. Die Anzahl der Fondssparpläne stieg 2019 um 121 632 Verträge oder 15 Prozent. Solche Zahlen dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Wertpapierkultur in Deutschland keineswegs robust und fest etabliert ist. Solange es an den Märkten nur aufwärts ging, war es leicht, Kunden für das Fondssparen zu gewinnen. Die Wertpapierkultur schien sich zu verstetigen. Es war aber klar, dass es nicht ewig so weitergehen konnte. Von einer echten Wertpapierkultur wird man erst dann sprechen können, wenn die Sparer auch dann bei der Stange bleiben, wenn es einmal abwärts geht.

Gut möglich, dass das neue Corona-Virus nun die Bewährungsprobe für die neue Wertpapierkultur in Deutschland darstellt. Die Bremsspuren, die die Folgen der Epidemie in der globalen Wirtschaft hinterlässt, haben die Börsen zwar lange erstaunlich kalt gelassen. Seit das Virus aber Europa und auch Deutschland erreicht hat, sieht das anders aus. Jetzt ist es mit den Dax-Rekorden erst einmal vorbei und nun muss sich zeigen, wie die Sparer, die zum großen Teil noch über wenig Wertpapiererfahrung verfügen, damit umgehen.

Nach dem Schock über den Zusammenbruch des neuen Marktes und den schlechten Erfahrungen mit der "Volksaktie" der Telekom hatten seinerzeit viele Anleger dem Börsengeschehen wieder den Rücken zugekehrt. Das ist allerdings nun auch schon wieder rund 20 Jahre her und muss keine Blaupause für die Reaktionen auf die "Corona- Krise" sein. Schließlich waren die Rahmenbedingungen - allen voran das Zinsumfeld - damals andere.

In einem Umfeld, in dem Spareinlagen noch einigermaßen attraktiv verzinst wurden, fiel es Anlegern damals leichter, Verluste zu realisieren, das als "Lehrgeld" zu verstehen und zu klassischen Sparprodukten zurückzukehren. Heute haben sie die Wahl, die Krise auszusitzen und zu warten, bis der Wert ihrer Anlagen sich erholt - oder die Verluste zu realisieren, ihr Vermögen als Sichteinlage parken und einen Realzinsverlust zu erleiden, womit die Verluste unter dem Strich noch größer würden.

Zumindest bei den Beratungskunden der Banken kann das Corona-Virus somit zum Test für die Qualität der geleisteten Beratung werden. Diejenigen Kunden, die wirklich verstanden haben, wie das Fondssparen funktioniert, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit ihre Sparpläne weiterhin durchhalten - in der Hoffnung auf bessere Zeiten, die sicher auch wieder kommen werden. Wo klassische Sparer hingegen gegen besseres Wissen ins Wertpapiersparen hineinberaten wurden, obwohl ihre Risikotoleranz nahe Null liegt, wird sich das mindestens in einem hohen Anteil an besorgten Kundennachfragen niederschlagen, auch wenn das Beratungsprotokoll die Banken vermutlich besser vor Fehlberatungsklagen schützt als früher.

Denn auch das ist klar: So sinnvoll das Wertpapiersparen für die Altersvorsorge auch ist und so dringend Banken und Sparkassen ihren Einlagenüberhang zu reduzieren suchen: Der Grundsatz, dass die Anlageempfehlung zum Kunden passen muss, gilt auch weiter. Auch weiterhin gibt es deshalb Kunden, denen Berater guten Gewissens keine Wertpapiere verkaufen können. Hier hilft dann vielleicht doch nur noch die Kooperation mit einer Zinsplattform.

Sollte sich jetzt erweisen, dass die Banken in Sachen Beratungsqualität nichts dazugelernt haben, dann dürfte die aktuelle Krise die Wertpapierkultur in Deutschland tatsächlich auf lange Zeit abwürgen. Das scheint aber doch eher unwahrscheinlich - nicht nur, aber auch dank der Regulierung. Red.

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