Spezialbanken

Automobile Finanzdienstleistungen im digitalen Zeitalter

Franz Reiner, Mitglied des Vorstands, Daimler Financial Services AG, Stuttgart, und Vorsitzender des Vorstands, Mercedes-Benz Bank AG, Stuttgart

Quelle: Daimler

Die klassischen Autobanken wandeln sich immer mehr von der Autobank zur Mobilitätsbank, so Franz Reiner. Zu dieser Weiterentwicklung der Captives gehört zum einen das Angebot von Bündelprodukten aus dem Bereich Mobilität, die durchaus auch konzernfremde Leistungen wie den ÖPNV einbeziehen können. Eine Rolle spielt auch die Telematik, mit der die Mobilitätskosten den individuellen Bedürfnissen angepasst werden können. Und nicht zuletzt müssen auch die Captives bei ihrer Weiterentwicklung von den Arbeitsweisen der Fintechs lernen. Red.

Über 70 Prozent der Interessenten informieren sich heute schon vor dem Autokauf über Finanzierungsmöglichkeiten. Genauso viele möchten ihren Finanzierungsprozess am liebsten online starten - und es werden mit Sicherheit immer mehr. Auch die Anzahl derjenigen Kunden, die ihr Fahrzeug gar nicht mehr dauerhaft besitzen möchten, sondern es für eine gewisse Zeit nutzen und auf Leasing oder Carsharing setzen, wächst.

Die Mobilitätsbedürfnisse wandeln sich rasant, vor allem in den Städten. Zwei Punkte spielen hier eine entscheidende Rolle: Flexibilität und Bequemlichkeit. Am besten soll ein Auto über einen Anbieter digital buchbar und zahlbar sein.

Von der Autobank zur Mobilitätsbank

Genau das ist die Anforderung an Autobanken, die sich mehr und mehr zu Mobilitätsbanken entwickeln. Zusammen mit den Fahrzeugherstellern, die sich mehr und mehr als Mobilitätsdienstleister begreifen, entwickeln die Captives neue Angebote.

Die Zeiten, in denen allein Finanzierung und Versicherung des Fahrzeugs im Fokus der Autobanken standen, sind vorüber. Der Kunde ist stärker in den Mittelpunkt gerückt. Um seine individuellen Bedürfnisse herum werden die automobilen Finanzdienstleistungen entwickelt und die Customer Journey spielt dabei eine entscheidende Rolle. Das Ziel: Die Kun-den ein Leben lang an eine Marke zu binden, und zwar über alle sich ändernden Mobilitätsbedürfnisse hinweg. Das beginnt beim Fahranfänger, der seinen ersten Gebrauchten über die Captive finanziert, und reicht bis hin zum Carsharing in den Ballungsräumen. Das funktioniert natürlich nur, wenn die Kunden in einem vollständigen Ökosystem betreut werden.

Für eine Captive gilt es deshalb, folgende Trends besonders zu berücksichtigen:

- Bündelung von Angeboten,

- telematikbasierte Mobilitätskosten und

- Balance zwischen klassischem Geschäft und Zukunftsfeldern.

Bündelprodukte immer stärker nachgefragt

Bündelprodukte aus Leasing, integrierter Kfz-Versicherung und Servicedienstleistungen werden immer stärker nachgefragt. Und sie werden weiterentwickelt, denn jeder zweite Verbraucher ist laut einer Befragung für die Integration von Taxinutzung und öffentlichem Personennahverkehr offen. Mehr und mehr Kunden wünschen sich das "One Stop Shopping" von Mobilität, und zwar am besten über das Smartphone mit nur einer ID.

Ein Beispiel in diese Richtung ist die Moovel-App aus dem Hause Daimler. Die App zeigt Nutzern den besten Weg zum Ziel, indem sie multimodal öffentlichen Personennahverkehr, den Carsharing-Anbieter car2go, Mytaxi, Mietfahrräder und die Deutsche Bahn kombiniert. Die App vergleicht Fahrtdauer und Kosten der unterschiedlichen Verkehrsmittel.

Markenübergreifende Angebotsbündel

Ein Beispiel für eine markenübergreifende Bündelung von Angeboten ist die smartphonebasierte Vergleichs-App "Autogravity" in den USA, an der Daimler Financial Services beteiligt ist. Sie ermittelt in kurzer Zeit bis zu vier auf den Kunden zugeschnittene, verbindliche Angebote verschiedener Finanzdienstleister und zeigt zugleich, bei welchem Autohändler das Wunschfahrzeug zu haben ist.

Die Integration verschiedener Banken und Autohersteller erfüllt im stark wachsenden Online-Automobilmarkt den Wunsch nach passgenauen Vergleichsangeboten und ist auch ein gutes Beispiel für die Möglichkeit, Dienstleistungen auszugliedern.

Telematikbasierte Mobilitätskosten

Als Finanzdienstleister macht sich die Mercedes-Benz Bank selbstverständlich die technischen Entwicklungen rund ums Auto zunutze. Durch die Einbindung von Telematik kann die Abrechnung anhand der tatsächlichen Nutzung individualisiert werden. Vor kurzem hat die Bank mit "In-Score" ihre erste telematikbasierte Versicherungslösung auf den Markt gebracht. Über das vernetzte Fahrzeug wird hierbei die Versicherungsprämie anhand von Fahrstil, Fahrzeit und Strecke berechnet. Die Daten stammen direkt aus dem Auto. Der Kunde kann seine Kosten selbst über sein Fahrverhalten beeinflussen. Der Einzug der Telematik in Fahrzeuge und Dienstleistungen ermöglicht auch beim Leasing eine individuelle Berechnung. Die Leasingrate wird in Zukunft anhand der tatsächlichen Nutzung berechnet: Bleibt der Wagen wegen einer Fernreise in der Garage, fällt sie geringer aus.

Wer eher selten und eher kurze Strecken mit dem Auto fährt, kann in vielen Städten Carsharing-Angebote wie car2go mit minutengenauer Abrechnung nutzen. Die Vernetzung der Fahrzeuge spielt natürlich auch in Flotten eine große Rolle, denn sie ermöglicht Kosteneinsparungen.

Balance zwischen klassischem Geschäft und Zukunftsfeldern

Sicher ist, Mobilitätsbedürfnisse und -angebote ändern sich schneller denn je. Deshalb ist es essenziell, das Geschäftsmodell ständig zu hinterfragen. Noch macht das klassische Geschäft mit Leasing- und Finanzierungsdienstleistungen den Löwenanteil des Gewinns der Mercedes-Benz Bank aus, aber darauf kann sich das Unternehmen nicht ausruhen. Auch als Captive gilt es, in neue, zukunftsweisende Dienstleistungen rund um die Mobilität zu investieren. Dazu gehört auch ein Investment in die Unternehmenskultur und die Methodenkompetenz der Mitarbeiter. Fintechs sollen zwar nicht kopiert werden, aber es gilt, von ihnen zu lernen und ihre Methoden anzuwenden, wie beispielsweise das Design Thinking in der Produktentwicklung oder das Arbeiten in agilen Swarms anstelle des Abarbeitens in hierarchiegetriebenen linearen Prozessen.

Die Entwicklung einer neuen Kultur mit entsprechenden Skills in der Belegschaft schafft erst die Basis für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Wenn ich an die Zukunft denke, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass die Mercedes-Benz Bank eines Tages auch Flotten mit Robotaxis betreibt.

Zum Autor Franz Reiner, Mitglied des Vorstands, Daimler Financial Services AG, Stuttgart, und Vorsitzender des Vorstands, Mercedes-Benz Bank AG, Stuttgart

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