REGULIERUNG

Folgen der Regulierung für Strukturen im Bankenmarkt

Markus Strietzel, Foto: Roland Berger GmbH

Die Regulatorik hat das Zeug dazu, die Strukturen im deutschen Retailbankingmarkt zu verändern. Nicht alle Regelungen sind nur mit Aufwand und Nachteilen für Banken verbunden, so die Autoren. Denn einerseits bietet vor allem PSD2 auch Vorteile für etablierte Banken, andererseits steigen auch die regulatorischen Anforderungen an Fintechs. So könnte die seit 2020 geltende Regulierung für Kryptowährungen deutsche Fintechs im europäischen Wettbewerb benachteiligen. Generell macht Markus Strietzel drei Veränderungstrends aus: mehr Heterogenität der Marktteilnehmer, eine Tendenz zu größeren Instituten und die Fokussierung auf ausgewählte Elemente der Wertschöpfungskette. Red.

Retailbanking in Deutschland befindet sich seit einigen Jahren in einem massiven Umbruch. Einer der wesentlichen Treiber sind zunehmende regulatorische Vorgaben, allen voran die Richtlinien der EU, die innerhalb einer gewissen Frist in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Den letzten großen Schub gab es 2008 als Antwort auf die Finanzkrise: Eine Flut neuer globaler Vorschriften wurde erlassen, zusammengefasst unter dem Namen "Basel III", die verfeinert und ergänzt in verschiedene nationale Regulierungen übernommen wurden. Oberstes Ziel war es, das Bankensystem zu stabilisieren und zukünftig weniger krisenanfällig zu machen.

Bezog sich die Regulierung in der Vergangenheit eher auf bankspezifische Anforderungen, so nehmen heutige Gesetzesinitiativen die Kunden stärker in den Fokus. In einer zunehmend digitalen Welt geht es vor allem um innovative Lösungen bei Finanzdienstleistungen, eine verbesserte Kundenzufriedenheit und mehr Verbraucherschutz.

Diese Entwicklungen sind grundsätzlich positiv zu bewerten, für die verschiedenen Marktteilnehmer wirken sich die regulatorischen Vorgaben allerdings sehr unterschiedlich aus und haben großen Einfluss auf die jeweilige Wettbewerbssituation. So sind Finanzvermittler und kleine Banken durch die Umsetzung stärker belastet als größere, etablierte Retailbanken wie Volksbanken und Sparkassen oder junge Fintech-Unternehmen. Grund sind die Besonderheiten der jeweiligen Geschäftsmodelle sowie institutsspezifische Voraussetzungen der verschiedenen Anbieter. Im Folgenden stellen wir ausgewählte (Gesetzes) Initiativen und deren Auswirkungen auf das Privatkundengeschäft im Detail vor.

MaRisk - Herausforderungen für Banken und Fintechs

Das erstmals im Dezember 2005 von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) veröffentlichte Rundschreiben zur Ausgestaltung des Risikomanagements in deutschen Kreditinstituten liegt derzeit als neuer Entwurf in Form der 6. MaRisk-Novelle zur Konsultation vor. Dabei geht es insbesondere um den Umgang mit notleidenden und gestundeten Risikopositionen, Sicherheitsrisiken, bezogen auf Informations- und Kommunikationstechnologien und Auslagerungsvereinbarungen.

Insbesondere an das Auslagerungsmanagement werden künftig deutlich mehr Anforderungen gestellt und der Handlungsdruck im Privatkundengeschäft nimmt damit weiter zu. So werden etwa die erweiterten Dokumentationspflichten zu getroffenen Auslagerungsvereinbarungen eine Überprüfung von Neu- beziehungsweise Bestandsverträgen notwendig machen. Darüber hinaus führen die Bestimmung eines/einer zentralen Auslagerungsbeauftragten und erhöhte methodische Anforderungen an die Risikoanalyse zu einem deutlich höheren organisatorischen Aufwand. Vor diesem Hintergrund könnten die strikteren Anforderungen an das Auslagerungsmanagement bei den etablierten Retailbanken mit einem traditionell hohen Outsourcing-Anteil zu einer veränderten Risikobewertung ihrer Outsourcing-Strukturen und einer grundsätzlichen Neubewertung von Auslagerungsentscheidungen führen.

Aber auch für Fintechs, die Kryptowährungen oder Blockchain basierte digitale Assets anbieten, ergeben sich Neuerungen, die Auswirkungen auf ihre künftige Wettbewerbssituation haben könnten. Durch die zum 1. Januar 2020 in Kraft getretene neue Regulierung für Kryptowährungen unterliegen Unternehmen, die Kryptowerte verwahren, sichern oder verwalten, nicht nur der BaFin-Aufsicht, sondern auch den Anforderungen der MaRisk sowie den "Bankaufsichtlichen Anforderungen an die IT" (BAIT). Außerdem neu: Zur Durchführung dieser Tätigkeiten bedarf es einer Erlaubnis der BaFin. Da die BaFin-Erlaubnis aber "nur" Unternehmen benötigen, die ihren Hauptsitz in Deutschland haben, stellt dies einen klaren Wettbewerbsnachteil für deutsche Institute gegenüber anderen internationalen Anbietern dar. Die Folge: Es könnte zu einer Abwanderung ins (europäische) Ausland kommen und damit zu einer zusätzlichen Wettbewerbsverzerrung.

Abbildung 1: Historische Entwicklung der Regulierung Quelle: Roland Berger

Für künftige Geschäftsmodelle vorteilhaft

Eine zusätzliche Initiative des Gesetzgebers zur weiteren Digitalisierung des Wertpapierbereichs ist der Gesetzentwurf über elektronische Wertpapiere (eWpG). Ziel ist die Modernisierung des deutschen Wertpapierrechts. Das eWpG ermöglicht es, digitale Inhaberschuldverschreibungen ohne Wertpapierurkunde zu emittieren. Da derzeit hauptsächlich Fintechs die hierfür notwendigen Technologien einsetzen, verfügen sie momentan über einen Innovationsvorsprung, der von den etablierten Anbietern nicht unmittelbar aufgeholt werden kann.

Insgesamt bedeutet die weitere Konkretisierung der MaRisk für Retailbanken, aber vor allem für junge Fintech-Unternehmen, eine massive Erhöhung des erforderlichen regulatorischen Aufwands und der Kosten. Positiv ist allerdings zu sehen, dass die regulatorische Konkretisierung und neue Gesetzesinitiativen wie das eWpG mehr Sicherheit und gleich zeitig mehr Vertrauen in solche innovativen Finanzdienstleistungen schaffen. Für künftige Geschäftsmodelle, etwa mit dem Handel von Kryptowährungen oder der digitalen Asset-Verwahrung, sollte der Wandel von bankspezifischen Anforderungen hin zu kundenorientierten Anforderungen in der Regulatorik sowohl für Retailbanken als auch für Fintechs vorteilhaft sein.

PSD2 - viel Potenzial, aber Zurückhaltung bei den Banken

Mit der Zahlungsdiensterichtlinie PSD2 will die EU den Wettbewerb im europäischen Bankensektor erhöhen, die Nutzung innovativer Methoden im Zahlungsverkehr fördern und den Verbraucherschutz stärken. Bankdienstleistungen sollen für Kunden schneller, sicherer und bequemer werden. Seit dem 14. September 2019 müssen Finanzinstitute Schnittstellen zur Verfügung stellen (APIs), um anderen Banken und Drittanbietern automatisiert den Zugriff auf Kontoinformationen zu gewähren oder Zahlungsaufträge entgegenzunehmen, wenn der Kunde zugestimmt hat. Diese Schnittstellenregelung sorgt also für eine massive Öffnung des Bankenmarkts und schafft damit Spielraum für neue, innovative Geschäftsmodelle und Dienstleistungen in Form von Open-Banking-Angeboten.

Auf den ersten Blick scheinen etablierte Kreditinstitute durch diese Neuregelung die Verlierer zu sein. Denn sie müssen eine Dienstleistung zur Verfügung stellen, die hohe Kosten verursacht und keine Erträge erzielt. Zudem verlieren sie das Monopol über ihre Kundendaten, während Dritte, allen voran die Fintechs, davon profitieren können. Denn gerade Fintechs, die (noch) keine eigene Kundenbasis haben, erhalten so einen vereinfachten Zugang zu den Bestandskunden der etablierten Retailbanken. Auf den zweiten Blick zeigt sich auch für Letztere ein erhebliches Potenzial. Denn auch sie können durch PSD2 ihre Angebotspalette erweitern und somit auf die sich verändernden Kundenbedürfnisse reagieren.

Allerdings agieren die meisten Banken hier noch sehr zögerlich. Zu groß ist die Sorge, dass sie durch eine, über die gesetzlichen Anforderungen hinaus, weitere Öffnung gegenüber Drittanbietern den direkten Kontakt zu ihren Kunden verlieren. Zudem fehlt es oft am Verständnis des strategischen Mehrwerts und den nötigen Investitionen in Open-Banking-Modelle. Traditionelle Banken agieren daher weiterhin sehr zurückhaltend. Erste Initiativen im Privatkundengeschäft, vornehmlich von Fintech-Unternehmen, die eine gesamtheitliche Perspektive einnehmen und über die PSD2-Anforderungen hinausgehen, sind dennoch erfolgversprechend und könnten der Anfang für eine neue Generation von Bankprodukten und -dienstleistungen sein.

Abbildung 2: Faktoren mit Einfluss auf den Retail-Banking-Markt Quelle: Roland Berger

Verbraucherschutzrichtlinien - mehr Komplexität und Kosten

Als Reaktion auf die globale Finanzkrise 2008/09 wurde eine Vielzahl von Gesetzen und Richtlinien umgesetzt, um die Stabilität einzelner Institute zu stärken sowie die Verbraucherrechte in Deutschland nachhaltig zu verbessern. Die Folge sind neben erhöhten Anforderungen an die Beratung vor allem zusätzliche Dokumentations- und Nachweispflichten aufseiten der Kreditinstitute oder bei Finanzvermittlern. Zudem werden Kunden bessergestellt, wenn es um Schadenersatz bei Falschberatung oder fehlerhafter Dokumentation geht. Ein Beispiel ist die Wohnimmobilienkreditrichtlinie (WIKR), die im März 2016 umgesetzt wurde. Durch strengere Standards und zusätzliche Aufklärungs- und Dokumentationspflichten bei der Kreditvergabe an Privatpersonen sollen sowohl Überschuldungen der Haushalte als auch Kreditausfälle bei Banken verhindert werden. Banken können außerdem haftbar gemacht werden, wenn ein Kreditnehmer nicht ordnungsgemäß aufgeklärt und beraten wurde.

Für Institute, die hauptsächlich im Privatkundengeschäft tätig sind, bedeuten diese Pflichten einen erhöhten Aufwand, mehr (Prozess-) Komplexität und somit steigende Kosten. Größere, etablierte Banken können diese Vorgaben häufig besser umsetzen und Skaleneffekte nutzen im Vergleich zu kleinen Anbietern wie unabhängige Finanzberater oder kleinere Institute. Denn für kleinere, unabhängige Spieler werden weitere Investitionen zunehmend schwieriger, Projekte zur Umsetzung neuer regulatorischer Anforderungen immer komplexer und damit schwerer umsetzbar. Die Folge: Sie ziehen sich aus dem Markt zurück oder versuchen über Partnerschaften oder Kooperationen mit größeren Anbietern die Aufgaben zu bewältigen. Dies kann in der einen oder anderen Konstellation auch zu Konsolidierungen führen.

Regulatorik treibt Strukturveränderungen voran

Grundsätzlich stellen die zunehmenden regulatorischen Anforderungen alle Marktteilnehmer vor große Herausforderungen. Nichtsdestotrotz schaffen diese einheitlichen Spielregeln klare Leitplanken für alle Marktteilnehmer und der individuelle Umgang beziehungsweise die Art und Weise der Umsetzung wird über künftige Gewinner und Verlierer entscheiden.

Nach unserer Einschätzung werden bisherige und künftige regulatorische Anforderungen voraussichtlich zu drei wesentlichen Effekten führen:

  1. Größere Heterogenität der Marktteilnehmer: Die durch die EU eingeleitete Öffnung des Retailbanking- Marktes durch PSD2 schafft für bereits etablierte Finanzinstitute als auch für potenzielle neue Wettbewerber (inklusive Nicht-Banken) neue Wachstumsmöglichkeiten. Die Folge: mehr Wettbewerb durch den Wegfall bisheriger Markteintrittsbarrieren aufgrund der Öffnung der Kundenschnittstelle. Fintechs und Nicht-Banken, wie Technologie- und Handelsunternehmen, werden zunehmend in den Retailbanking- Markt eintreten und neue, innovative Produkte und Lösungen anbieten. Das Privatkundengeschäft wird daher künftig auch abseits der klassischen Bankenlandschaft stattfinden und so die bereits vorhandene Heterogenität der Marktteilnehmer weiter verstärken.
  2. Tendenz zu größeren Retailinstituten: Etablierte Retailbanken können meist auf bestehende Strukturen und Prozesse aufsetzen und somit eine vollständige regulatorische Konformität sicherstellen. Allerdings bremsen vorhandene IT-Infrastrukturen gleichzeitig Innovationen aus. Denn die bestehende IT-Architektur vieler Banken kann mit den zusätzlichen Anforderungen und dem erhöhtem Veränderungstempo kaum Schritt halten. Die über Jahre gewachsene IT-Landschaft (IT-Legacy) besteht meist aus verschiedenen Eigenentwicklungen und zugekauften Anwendungen, die sich auf unzähligen Plattformen über die gesamte Organisation verteilen. Auf dieser Basis eine agile IT-Infrastruktur zu etablieren, die sich dynamisch an wechselnde Marktanforderungen anpassen lässt, ist daher vor allem für kleine Retailbanken so gut wie unmöglich. Größere Institute dagegen können die zusätzlichen Aufwendungen wie Ressourcen und Kosten zur Sicherstellung der regulatorischen Anforderungen mithilfe von Skaleneffekten auf Gruppen- beziehungsweise Verbundebene besser kompensieren. Folglich ist davon auszugehen, dass größere Institute diesen Wettbewerbsvorteil künftig stärker nutzen werden. Kleinere Anbieter dagegen haben diese Möglichkeit meist nicht, wenn ihnen die nötigen Investitionen fehlen, um ausreichend skalieren zu können. Sie werden daher Partnerschaften oder Kooperationen suchen müssen, sodass es zu einer weiteren Marktkonsolidierung kommen kann.
  3. Fokussierung auf ausgewählte Elemente der Wertschöpfungskette: Weiterhin ist davon auszugehen, dass die zunehmenden Regulierungsanforderungen im Retailbanking künftig verstärkt zu einer Fokussierung auf einzelne Elemente der Wertschöpfungskette führen werden. Erfolg reiche Fintech- Unternehmen zeigen mit ihren neuen Geschäftsmodellen, dass Regulierungsanforderungen nicht zwingend eine Markteintrittsbarriere darstellen müssen. Der Grund: Sie fokussieren sich mit ihren Produkten oder Dienstleistungen bewusst nur auf einen konkreten Teil der Wertschöpfungskette. Diese Spezialisierung ermöglicht einen effizienten und Compliance-konformen Prozess bei gleichzeitig optimierter Fokussierung auf die sich verändernden Kundenbedürfnisse.

Aber auch aufseiten der klassischen Finanzinstitute treiben die regulatorischen Anforderungen eine neue Entwicklung voran. Mithilfe zentraler Anbieter innerhalb der bestehenden Finanzverbünde (etwa der Sparkassen-Finanzgruppe oder der genossenschaftlichen Finanzgruppe) werden digitale Innovationen wie Blockchainbasierte Krypto-Assets oder PSD2- Schnittstellen zentral entwickelt und so Ressourcen gebündelt. Im Ergebnis erreichen die einzelnen Verbundinstitute damit eine höhere Effizienz und bessere Marktdurchdringung.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der deutsche Retailbankensektor in den nächsten Jahren weiter vor großen Herausforderungen steht. Neben dem anhaltenden Niedrigzinsumfeld und der branchenübergreifenden Digitalisierung werden vor allem zunehmende regulatorische Anforderungen den Veränderungsdruck nochmals erhöhen. Banken und Kreditinstitute müssen schnell reagieren, wenn sie künftig im Privatkundengeschäft mit den neuen Marktteilnehmern Schritt halten wollen.

Markus Strietzel, Senior Partner und Global Head Competence Center Financial Services, Roland Berger GmbH, Düsseldorf
Markus Strietzel , Senior Partner und Global Head Competence Center Financial Services, Roland Berger GmbH, Düsseldorf

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