Regulierung

MiFID II - Zielmarktkonzept mit Tücken

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Mit dem Zielmarktkonzept soll MiFIDII zum Anlegerschutz beitragen. Dabei gibt es jedoch eine Reihe von Unklarheiten, die die Umsetzung erschweren, meint Wesselin Kruschev - und das trotz des Bemühens der Branche, einen einheitlichen Standard zu schaffen. Für den Kunden könnte das im Ergebnis zu einer abnehmenden Produktvielfalt führen. Red.

Eines der wesentlichen neuen Instrumente, die die Finanzaufsicht zum Anlegerschutz im Rahmen von MiFID II ab 2018 einführt, ist das Zielmarktkonzept. Die Idee dahinter ist, dass die Produzenten von Finanzinstrumenten die für diese Finanzinstrumente infrage kommenden Kundengruppen bestimmen und dadurch diese Produkte tatsächlich nur geeigneten Kunden angeboten werden. Der Zielmarkt sagt aber nichts darüber aus, ob das betreffende Produkt tatsächlich für jeden einzelnen Kunden des Zielmarktes geeignet ist, eine individuelle Prüfung ist auch noch vorgeschrieben.

Dieses Konzept ist auch im Kontext der Finanzkrise 2008 zu sehen, wo durch den Ausfall von Zertifikate-Emittenten eine Vielzahl von Anleger Verluste erlitten hat. Das Zielmarktkonzept ist auch nicht das einzige Instrument zum Anlegerschutz in der MiFID II/MiFIR-Regulierung, allerdings eines, das bisher noch nicht vorhanden war. Die Emittenten sollen die definierten Zielmärkte weiter an die Distributoren reichen, dies soll auch über mehrstufige Vertriebsketten sichergestellt werden, sodass am Ende dann der Distributor dafür verantwortlich ist, dass die Produkte an die richtigen Kunden vertrieben werden (siehe Abbildung 1).

Für Produkte, bei denen es keinen Hersteller gibt, der einen Zielmarkt definiert, ist der Distributor für die Bestimmung des Zielmarktes verantwortlich. Der Regulator hat die für die Bestimmung des Zielmarktes recht detaillierte Vorgaben gemacht. Es sind sechs Kriterien vorgegeben, die bei der Bestimmung des Zielmarktes mindestens berücksichtigt werden müssen. Die Anzahl dieser Kriterien ist allerdings nicht limitiert, sodass grundsätzlich jedem Hersteller (aber auch jedem Distributor) freigestellt ist, über die sechs vorgegebenen Kriterien hinaus weitere Kriterien zur Bestimmung des Zielmarktes zu definieren.

Eine weitere Neuerung beim Zielmarkt ist es, dass nicht nur erforderlich ist zu definieren, für wen die Produkte geeignet sind, sondern auch für wen nicht. Ein sogenannter negativer Zielmarkt muss ebenfalls angegeben werden. Der negative Zielmarkt definiert die Zielgruppen, denen die Produkte nicht verkauft beziehungsweise nicht angeboten werden sollen.

Verfeinerung durch die Distributoren

Die Zielmarktangaben der Hersteller sind allerdings keine harten Vorgaben, vielmehr hat der Distributor die Möglichkeit, auch an Kunden außerhalb des vom Hersteller definierten Zielmarktes die Produkte zu verkaufen (anderenfalls wäre es nicht möglich, neuartige Produkte anzubieten). In diesem Fall muss der Distributor aber diese Ausnahmen begründen, dokumentieren und auch dem Hersteller mit teilen, damit dieser die Definition seines Zielmarktes überprüfen und gegebenenfalls anpassen kann.

Die Distributoren sollen die Zielmarktkriterien der Hersteller als Grundlage für eine weitere Verfeinerung nutzen, um die Produkte auf die jeweilige spezifische Zielgruppe besser anpassen zu können (siehe Abbildung 2). Der Regulator sieht immerhin ein, dass die Hersteller die Endkunden in der Regel nicht detailliert kennen, und erlaubt daher auch eine gröbere/ungenauere Definition des Zielmarktes.

Der Zielmarkt ist eigentlich eine Kundengruppe, an die ein bestimmtes Produkt angeboten werden darf (unter Berücksichtigung den bereits angesprochenen Ausnahmen). Theoretisch kann man die Kriterien soweit verfeinern, dass ein Zielmarkt aus einem einzigen Kunden besteht. Dies wird auch tatsächlich bei bestimmten individuell zugeschnittenen Produkten notwendig sein. Nimmt man als zusätzliches Kriterium zur Zielmarktbestimmung den Kundennamen hinzu, kann dadurch sogar auch ganz gezielt ein bestimmter Kunde als Zielmarkt für ein Produkt definiert werden. Eine solche Möglichkeit sollten Anbieter von Derivaten auf jeden Fall vorsehen.

Kriterien von Hersteller und Vertrieb nicht immer identisch

Der Regulierung kann man eindeutig die Logik des Zielmarktes für den Hersteller und für den Distributor ableiten. Die Aufsicht nimmt an, dass die Distributoren die Kriterien der Hersteller als Grundlage für die eigene Zielmarktdefinition nehmen und diese gröberen Kriterien lediglich verfeinern und ergänzen, um bessere und genauere Offerten machen zu können.

So nachvollziehbar diese Annahme ist, so wenig zutreffend ist sie für die tatsächlichen Marktbedingungen. Jeder Distributor klassifiziert seine eigenen Kunden nach unterschiedlichen Kriterien - in der Regel unter Nutzung der vorhandenen Kundendaten. Diese Kriterien müssen nicht unbedingt etwas mit den Vorgaben eines Herstellers zu tun haben. Theoretisch kann es sogar so sein, dass die Kriterien von Hersteller und von Distributor komplett disjunktiv sind. In einem solchen Falle wäre die Zielmarktdefinition des Herstellers nicht nutzbar. Die Distributoren sind auch nur bedingt in der Lage, für größere Kundenmengen neue Kundenmerkmale zu erheben, die notwendig wären, um die Kriterien der Hersteller anzuwenden.

Unterschiedliche Lösungsansätze

In dieser Situation gibt es unterschiedliche Lösungsansätze.

- Zunächst kann der Distributor den Zielmarkt anhand seiner eigenen Kriterien definieren und die angebotene Produktpalette danach einordnen. Der Zielmarkt der vertriebenen Produkte entspricht ausschließlich dem Zielmarkt des Distributors. Da dieser dann nicht dem Zielmarkt der einzelnen Hersteller entspricht, muss der Distributor die Information, dass die Produkte nicht an den vom Hersteller vorgegebenen Zielmarkt vertrieben werden, dem Hersteller weiterleiten. Logischerweise wird dann ein Hersteller mit dieser Art von Information nicht viel anfangen können, weil der Zielmarkt des Distributors für ihn insofern nicht relevant ist.

- Da nicht jeder Distributor bereit oder in der Lage sein wird, einen solchen Aufwand zur Klassifizierung der Produkte zu betreiben, wird das wahrscheinlich dazu führen, dass nur Produkte von Herstellern angeboten werden, deren Zielmarktdefinition mit möglichst wenig Aufwand an die Zielmarktdefinition des Distributors anpassbar ist (oder sogar identisch ist). Alle anderen Hersteller werden dann nicht mehr angeboten.

Besonders zu beachten ist die Zielmarktdefinition bei größeren Instituten, die unter einem Dach mehrere Hersteller vereinen, die auch ihre Produkte eigenständig (oder direkt) vertreiben. Hier muss vermieden werden, dass jeder hausinterne Hersteller eigene Zielmärkte definiert und dadurch gleiche Produkte über unterschiedliche Kanäle an unterschiedliche Kunden vertrieben werden. Beispiel: Der hauseigene Asset Manager hat einen direkten Absatzkanal, für diesen definiert er die Zielmärkte. Der Filialvertrieb bietet die gleichen Produkte an die (teilweise) gleiche Kundschaft an nach einer eigenen Zielmarktdefinition. Hier kann es vorkommen, dass das gleiche Produkt direkt an einen Kunden vertrieben wird, aber nicht über die Filiale und vice versa.

Ein einheitlicher gemeinsamer Standard?

Um solche Situationen zu vermeiden, haben die Verbände der Finanzindustrie (BVI, BVR, DDV, DSGV, VÖB) zumindest in Deutschland den Versuch unternommen, einen einheitlichen gemeinsamen Standard zur Zielmarktbestimmung für Wertpapiere zu entwickeln1) . Dieser Standard beinhaltet auch die erforderliche Vertriebsstrategie, die ebenfalls im Rahmen von MiFID II definiert werden muss.

Unter Vertriebsstrategie versteht man dann hauptsächlich den Vertriebsweg eines Produktes wie beratungsfreies Geschäft, Anlageberatung oder reine Orderausführung (Execution Only). Sind in unterschiedlichen Vertriebskanälen unterschiedliche Kundendaten verfügbar (selbst für die gleichen Kunden!), muss dann der Zielmarkt ein und desselben Produktes unterschiedlich je nach Vertriebsstrategie definiert sein (siehe Abbildung 3). Dies könnte entweder zur Einschränkung des Produktangebotes in einzelnen Vertriebskanälen führen oder aber zur ver stärk ten Auflegung von speziellen Produkten nur für bestimmte Vertriebskanäle. Dies ist in der Honorarberatung bereits der Fall.

Die technische Umsetzung in Deutschland soll über WM-Datenservice erfolgen. Die Hersteller sollen die Merkmale deren Zielmarktkriterien für jedes Produkt an WM melden, die Distributoren beziehen es dann von WM-Datenservice.2) Leider sind auch hier noch Lücken vorhanden, zum Beispiel wird der negative Zielmarkt nicht abgedeckt.

Noch viele offene Fragen

Ein gemeinsamer Standard für die Zielmarktbestimmung ist zweifelsohne sinnvoll und sogar notwendig, um allen Marktteilnehmern einen gleichberechtigten Marktzugang zu ermöglichen. Jedoch ist der aktuelle Stand des gemeinsamen Standards nicht ausreichend, denn es bleiben nach wie vor offene Fragen und Unklarheiten.

- Zunächst ist dieser Standard ein deutscher Standard. Eine Vielzahl von Herstellern kommt jedoch aus dem Ausland, für diese sind natürlich diese deutschen Standards erst einmal ohne Bedeutung.

- Das Konzept der Verbände lässt offen, wie die Koordinierung der einzelnen Produzenten untereinander und auch der Produzenten mit den Distributoren erfolgen soll.

- Zudem wird nur der positive Zielmarkt abgedeckt, der negative Zielmarkt jedoch nicht definiert. Hier ist zu beachten, dass der negative Zielmarkt nicht zwangsläufig ein positiver Zielmarkt "mit Minuszeichen" sein muss, es kann durchaus eine unterschiedliche Definition von positiven und negativen Zielmarkt notwendig sein.

- Weiterhin ist es nicht klar, wie die Kriterien, die die Verbände definiert haben, auf Kundenebene von den Distributoren angewendet werden sollen. Optionale/zusätzliche Kriterien sind in dem Konzept nicht vorgesehen. Dies würde bedeuten, dass jedes zusätzliche Kriterium zu Problemen entweder auf der Hersteller- oder auf der Distributorenseite führen wird.

- Ein wichtiges Element - das Feedback der Distributoren zu den Produzenten - ist nicht spezifiziert. Damit ist es nicht klar, nicht nur in welcher Form, sondern auch mit welchem Inhalt die Rückmeldung erfolgen soll. Diese Rückmeldungen müssen die Hersteller in Rahmen ihrer Produktüberwachung berücksichtigen, um regelmäßig die Zielmarktdefinition zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.

- Nicht zuletzt wird die sehr grob definierte Vertriebsstrategie nicht ausreichend sein, um einige spezifische Beratungssituationen abzudecken. Produkte, die im Rahmen der Honorarberatung angeboten werden oder spezifische Produkte nur für die Vermögensverwaltung sind nicht abgedeckt.

Produktvielfalt könnte abnehmen

Die Unklarheiten bei den Vorgaben, die breiten Interpretationsspielräume und die fehlende Standardisierung auf europäischer Ebene führen dazu, dass zunächst die Hersteller und die Distributoren einen erheblichen Aufwand betreiben müssen, um die Kriterien für die Zielmarktbestimmung bei der eigenen Kundschaft nutzbar zu machen und die Produkte und die Kunden mit einheitlichen Kriterien zueinander zu führen.

Auch wenn bei Verkauf außerhalb von Zielmärkten eine Begründung künftig erforderlich sein wird, stellt das MiFID-II-Zielmarktkonzept nicht sicher, dass keine Produkte nicht geeigneten Zielgruppen angeboten werden. Für die Kunden kann dies auch dazu führen, dass die Produktvielfalt abnimmt und nur wenige Produkte von wenigen Herstellern verfügbar sein werden. Dies ist auch im Kontext der Anforderung einer regelmäßigen Produktüberwachung zu erwarten. Jeder Distributor wird bestrebt sein, den Aufwand und die Komplexität hierfür möglichst gering zu halten und dementsprechend die Produktpalette verschlanken. Zusätzliche Produkte werden dann wohl entweder gar nicht oder nur zu höheren Kosten verfügbar sein. Wie die Regulatoren auf das absehbare Durcheinander reagieren werden, bleibt abzuwarten.

Als Fazit kann man zusammenfassen, dass das MiFID-II-Zielmarktkonzept in der aktuellen Ausprägung ...

- zu erhöhtem Aufwand in der initialen Umsetzung und auch bei den laufenden Kosten sowohl bei Herstellern wie bei Distributoren führen wird, ohne dafür einen realen Gegenwert oder gar Mehrwert für den Kunden zu schaffen,

- Hersteller benachteiligen wird, die sogar im Sinne des Verbraucherschutzes handelnd mehr und genauere Kriterien zur Zielgruppendefinition verwenden, die allerdings auf Distributorenseite nicht genutzt werden (können),

- ausländische Hersteller in Deutschland benachteiligt, die durch ihre nationalen Aufseher zusätzliche Anforderungen erfüllen müssen oder schlicht andere Systematik bei der Zielmarkbestimmung als in Deutschland üblich, nutzen,

- für die Kunden zur Abnahme der Produktvielfalt führen kann und dadurch einer möglichst genauen Abdeckung von Kundenbedürfnissen, die an anderer Stelle vom Regulator verlangt wird, entgegenwirkt.

Diese Effekte sollten sowohl Hersteller wie Distributoren bei langfristigen Planungsprozessen und beim Geschäftsmodell berücksichtigen.

Fußnoten:

1) MiFID II - Product Governance. Gemeinsamer Standard zur Zielmarktbestimmung für Wertpapiere, Entwurf vom 7. Februar 2017

2) WM Datenservice MiFID II - Target Market Special Information F12 - 11. Mai 2017.

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Zum Autor

Wesselin Kruschev, Managing Principal, Capco - The Capital Markets Company GmbH, Frankfurt am Main

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