Digitalisierung

PSD2 eröffnet Wettbewerb über die Apps

Nicolas Beraudo, Managing Director EMEA, App Annie, Berlin

Quelle: App Annie

Längst dominieren Kreditinstitute nicht mehr die gesamte Wertschöpfungskette im Privatkundengeschäft. Und Serviceaggregatoren stehen in den Startlöchern, um für Kunden zur ersten Anlaufstelle in Finanzfragen zu werden, so der Autor. Dennoch sind Banken nicht dazu verdammt, zu bloßen Infrastrukturanbietern degradiert zu werden. Ihre Ausgangsbasis im Wettbewerb ist gut. Nun gilt es, Apps mit wettbewerbsfähigen Serviceniveaus anzubieten. Red.

In weniger als sechs Monaten tritt in Europa die viel diskutierte PSD2-Gesetzgebung (zweite Payment Services Directive) in Kraft. Mit Beginn der Umsetzung im Januar 2018 wird die PSD2 die europäische Consumer-Finance-Branche nachhaltig umkrempeln. Die Richtlinie sieht vor, dass Privatkundenbanken und Anbieter von Zahlungsdiensten es Drittanbietern erlauben müssen, auf Konto- und Zahlungsdaten sicher und in Echtzeit zuzugreifen, sofern sie dafür die Erlaubnis des Eigentümers haben. Dies bedeutet beispielsweise, dass eine Privatkundenbank wie Barclays zukünftig autorisierte Benutzerkontodaten mit einer Dritt-App wie Revolut teilen muss.

Für Mobile-First-Finanztechnologie-Unternehmen, die sich bisher oft nur auf einen Bereich spezialisiert und damit das Dienstleistungsportfolio von Privatkundenbanken infrage gestellt haben, ist diese Entwicklung äußerst erfreulich. Der zusätzliche Zugang dank PSD2 ermöglicht es diesen Unternehmen, ihre Services zu verbessern und auszubauen sowie ihre Beziehung mit den Kunden herkömmlicher Banken weiter zu vertiefen.

Fintechs werden das Geschäft von Privatkundenbanken verändern

Die Folge ist ein massiver Umbruch der Wertschöpfungskette herkömmlicher Privatkundenbanken. Auch wenn momentan noch der größte Teil direkter Kundeninteraktionen auf das Konto von Banken geht, ermöglicht die PSD2 es Fintech-Unternehmen, ihren Wirkungskreis in diesem Bereich deutlich auszuweiten.

Die Voraussetzungen dafür sind hervorragend. Fintech-Unternehmen sind mobile Experten. In einer Welt, in der die mobile Kommunikation zunehmend der Kanal der Wahl ist, ist das ein klarer Vorteil. Dank ihrer Apps sind Fintech-Unternehmen schon jetzt in der Lage, ein komfortables, optimiertes Nutzererlebnis zu bieten und Services wie Kontoaggregation, Zahlungen und Vermögensverwaltung anzubieten - alles Bereiche in denen herkömmliche Banken Nachholbedarf haben. In vielerlei Hinsicht haben Fintech-Apps bereits heute unsere Erwartungen an die Verwaltung unserer Finanzen verändert.

Zwar haben sie klein angefangen, aber Fintech-Unternehmen konnten ihre Technologien, Prozesse und Produktangebote kontinuierlich (ohne die Beschränkungen durch Altsysteme) verbessern. Für die neue "Mobile-First-Welt" sind sie ideal gerüstet.

Banken dominieren nicht mehr die komplette Wertschöpfungskette

Das heißt: Mit der Zeit werden Fintech-Unternehmen ihre Rolle als Bindeglied zwischen Kunden und deren Bankkonten ausbauen. Da Verbraucher mittlerweile aus einer Reihe von "unbundled" Services auswählen können, dominieren Banken nicht mehr die komplette Wertschöpfungskette von Privatkundenbanken. Dies birgt für sie das Risiko, dass einige traditionelle Banken darauf beschränkt werden könnten, Back-End-Dienstleistungen (Kontenverwaltung) anzubieten, was die Sichtbarkeit gegenüber ihren Kunden sowie die Kundenloyalität einschränken wird.

Während die Vor-PSD2-Wertschöpfungskette größtenteils noch durch Privatkundenbanken kontrolliert wird, ermöglicht die PSD2 eine Entbündelung finanzieller Dienstleistungen (oft im Besitz von Fintech-Unternehmen) zwischen Kunden und deren Konten.

Serviceaggregatoren in den Startlöchern

In dieser Hinsicht stellen Serviceaggregatoren wie Centralway, Numbers und N26 (ebenfalls eine mobile Bank) eine besonders große Bedrohung für Privatkundenbanken dar. Mit dem Potenzial, die komplette Palette von Dienstleistungen der Direktkundenbanken anzubieten, und somit letztendlich als Marktplatz für andere Anbieter zu agieren, sind sie ideal positioniert, um sich zukünftigen Finanzkunden als erste Anlaufstelle anzubieten. Dies wird bald geschehen. N26 macht kein Geheimnis aus seinen Plänen, eine Finanzplattform aufzubauen, und hat bereits damit begonnen, Partner mit an Bord zu nehmen.

Es ist klar, dass PSD2 die bereits heute starke Position von Fintech-Unternehmen weiter steigern wird. Noch bevor das Gesetz überhaupt in Kraft getreten ist, wachsen Fintechs bereits rasant. Im vergangenen Jahr beschrieben wir bereits das anhaltende Wachstum von Fintech-Apps. Daran hat sich nichts geändert - im Gegenteil. Zugleich beschäftigen sich die Nutzer von Privatkundenbanken bereits heute mit Fintech-Apps: Und Fintech-Unternehmen haben eine direkte Beziehung zu vielen Bankkunden. Was ist also zu tun?

Trotz der guten Möglichkeiten, die die Zukunft bietet: Privatkundenbanken sind weiterhin gut aufgestellt. Sie haben eine große Kundenbasis, starke, vertrauenswürdige Marken und viele, seit Langem bestehende Kundenbeziehungen. Selbst im Mobile-Bereich sind ihnen Fintech-Unternehmen noch nicht ebenbürtig. Statt alle Produkte der eigenen Website in eine App zu packen, sollten Banken die Kernbereiche priorisieren und diese für mobile Endgeräte optimieren - beispielsweise Kontostand, Überweisungen und Kundenservices.

Ein nicht erkannter ungestillter Bedarf kann spezialisierten Fintech-Wettbewerbern Tür und Tor öffnen. Zusätzliche Serviceleis tungen wie mobiles Bezahlen, Treueprogramme und ein persönliches Haushaltsbuch sind nur einige der möglichen Funktionen, die in eine App integriert werden können, um die Kundenbeziehung zu vertiefen. Dabei sollte gut überlegt sein, welche Funktionen sich zusammenfassen lassen oder für welche eine eigene App die bessere Lösung ist. Ein optimales App-Erlebnis zu realisieren, muss dabei der Anspruch sein.

Verbraucher vergleichen Banking-Apps mit anderen Apps, die sie nutzen. Unter den am meisten gewünschten Funktionen bei Privatkundenbanken-Apps standen vor allem einfache Bedienung und eine übersichtliche Benutzeroberfläche sowie Gestaltung des Nutzererlebnisses ganz oben auf der Wunschliste. Das Verbraucherinteresse liegt dabei ganz auf der reibungslosen Abwicklung von Finanzdienstleistungen.

Die Bankenbranche schlägt zurück

Einfach abwarten ist keine Option. Fintech-Unternehmen haben bereits jetzt die Erwartungen von Kunden verändert. Sie verbessern ständig ihre Produkte und Prozesse und gewinnen rasend schnell neue Nutzer. Letztendlich werden die durch Fintech-Unternehmen angebotenen Produkte zur Norm werden und es wird für langsam agierende Privatkundenbanken unmöglich, dann noch aufzuholen.

Für die Banken jedoch, die rechtzeitig reagieren, gibt es Möglichkeiten, sich einen Platz an der Seite der Fintech-Anbieter an der Spitze der neuen Privatkunden-Banking-Wertschöpfungskette zu sichern. Zumindest werden sie ihre großen Nutzerbasen und ihr Markenerbe nutzen müssen, um mobile bewährte Vorgehensweisen anzuwenden und sicherzustellen, dass die eigenen Apps ein wettbewerbsfähiges Service-Niveau anbieten. Bewertungen und Rezensionen der eigenen App, ebenso wie die Apps potenzieller Fintech-Disruptoren, sollten sehr genau beobachtet werden. Dadurch können neue Funktionen und Möglichkeiten identifiziert werden, mit denen das Nutzererlebnis insgesamt verbessert werden kann.

Die jüngste Veröffentlichung des Privatkundenbanken-Zahlungsdienstes Zelle in den Vereinigten Staaten, der im Juni angekündigt hat, mit seinem P2P-Zahlungsdienst in den Mobile-Banking-Apps von 30 Banken in den USA präsent zu sein, ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Bankenbranche zurückschlägt. Viele App-Annie-Kunden aus dem Bereich der Privatkundenbanken haben die Nase vorn, wenn es darum geht, auf Veränderungen innerhalb der Branche durch PSD2 vorbereitet zu sein. App Annie stellt vertrauenswürdige App-Daten und Insights bereit, die Unternehmen dabei helfen, sich erfolgreich auf dem globalen App-Markt zu positionieren.

Ebenso können Banken aus ihrer starken Position heraus Daten nutzen, um zusätzliche Insights und Informationen zu bieten, die Verbraucher dabei unterstützen, ihre Finanzen besser im Blick zu behalten. Gelingt es ihnen, eine reibungslose Abwicklung von Finanzdienstleistungen zu gewährleisten, die Verbraucherbedürfnisse stets im Blick zu behalten und Innovationsbemühungen zu priorisieren, dann können sie mit den veränderten Marktbedingungen durch Fintechs Schritt halten. Die kommenden Jahre im Retail-Finanzmarkt werden auf jeden Fall spannend.

Zum Autor Nicolas Beraudo, Managing Director EMEA, App Annie, Berlin

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