RISIKOMANAGEMENT

Überschuldung in Deutschland - ruhige See statt hoher Welle

Dr. Ole Schröder, Foto: SCHUFA Holding AG

Bislang kommen die meisten Menschen in Deutschland gut durch die Corona-Pandemie, eine breitere Überschuldungswelle ist derzeit nicht in Sicht, sagt Schufa-Vorstand Ole Schröder. Echte Entwarnung geben kann er jedoch nicht. Insbesondere junge Menschen, Geringverdiener sowie Kleinstunternehmen und Soloselbstständige blicken sorgenvoll in die Zukunft. Abhängig von der weiteren Entwicklung der Pandemie und ihren wirtschaftlichen Folgen, will er nicht ausschließen, dass sich Corona doch noch zu einem Katalysator für Überschuldung entwickeln könnte. Red.

Seit mehr als einem Jahr beherrscht die Corona-Pandemie das Leben in Deutschland und damit auch den öffentlichen und medialen Diskurs. Neben den gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen ist dabei vor allem die wirtschaftliche Dimension immer wieder ein Thema. Eine häufige These: Die Pandemie, der Lockdown, der Wirtschaftseinbruch und die daraus resultierende Kurzarbeit führen zu einer höheren Verschuldung der Menschen und damit zu einer Welle neuer Privatinsolvenzen und Fällen von Überschuldung in Deutschland. Die gute Nachricht lautet: Dem ist jedenfalls bisher nicht so.

Die deutsche Wirtschaft zeigt sich bislang als äußerst widerstandsfähig. Die meisten Menschen kommen gut durch die Krise. Ihr Einkommen ist stabil, sie haben ausreichend Ersparnisse und müssen nicht befürchten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren.

Überschuldungsgefahr sinkt weiter

Diese stabile Finanzsituation der deutschen Haushalte belegen auch Auswertungen der Schufa. Der aktuelle Schufa Risiko- und Kredit-Kompass, in dem einmal pro Jahr das Konsum- und Kreditverhalten der deutschen Verbraucher analysiert und Trends in der Verschuldung abgebildet werden, zeigt absolute Konstanz: Wie bereits in den beiden Vorjahren, haben die Verbraucher auch im Jahr 2020 insgesamt 97,9 Prozent der Ratenkredite ordnungsgemäß bedient.

Zugleich sinkt die Gefahr der Überschuldung immer weiter. Diese berechnet die Schufa im Risiko- und Kredit-Kompass anhand des sogenannten Schufa-Privatverschuldungsindexes (PVI). In Form eines Index zeigt dieser Wert kritische Anzeichen der privaten Ver- und Überschuldung auf. Je niedriger der Index, desto geringer ist auch das Verschuldungsrisiko. Im Jahr 2020 lag der Privatverschuldungsindex bei 931 Punkten und damit 60 Punkte oder sechs Prozent unter dem Vorjahreswert von 991 Punkten. Für das laufende Jahr prognostiziert die Schufa einen Rückgang um weitere 8 Prozent auf 855 Punkte.

Dass diese Prognose durchaus realistisch ist, zeigen auch aktuellere Zahlen. Aus den Monatsanalysen des Schufa-Datenbestands geht derzeit hervor, dass die Menschen auch im zweiten großen Lockdown ihre Zahlungsmoral aufrechterhalten: Eine Zunahme an Zahlungsstörungen ist nicht erkennbar. Ende März lag die Zahl der Personen mit neuen Zahlungsstörungen sogar rund 7 Prozent unter dem Vergleichswert des Vor-Corona-Jahres 2019.

Für diese positiven Ergebnisse gibt es gleich mehrere Gründe. Dazu zählen ganz sicher die umfangreichen Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung, mit denen sie die finanziellen Folgen der Corona-Pandemie abfedern will. Aber auch das deutsche Kreditsystem - dieses ist, vor allem im Vergleich zu anderen Ländern, sehr stabil aufgestellt.

Weniger neu aufgenommene Ratenkredite

Darüber hinaus tragen die Verbraucher durch ihr Kredit- und Konsumverhalten in hohem Maße selbst dazu bei, einen guten Weg durch die Krise zu finden: Sie haben ihre finanziellen Möglichkeiten sehr gut im Blick, gehen verantwortungsvoll mit Geld und Krediten um und agieren insgesamt vorsichtiger und zurückhaltender als zuvor. Eine bevölkerungsrepräsentative Umfrage im Auftrag der Schufa zeigt: Derzeit stellen 39 Prozent der Befragten geplante größere Anschaffungen zurück. Das sind sechs Prozentpunkte mehr als bei der vorherigen Umfrage im vergangenen November.

Diesen Trend bestätigen auch die langfristigen Daten aus dem Risiko- und Kredit-Kompass: Demzufolge wurden im Jahr 2020 7,4 Prozent weniger Ratenkredite neu abgeschlossen als im Vorjahr, allerdings ist die Anzahl der neuen Ratenkreditverträge seit Jahren leicht rückläufig, daher kann man hier noch nicht von einem Corona-Effekt sprechen.

Abbildung 3: Anzahl der neuen Kreditverträge sinkt Quelle: Schufa Holding AG

Risikofaktor Jugend

Gut ein Viertel derjenigen Personen, die laufende Ratenkredite haben, gaben in einer Schufa-Umfrage an, in den kommenden sechs Monaten möglicherweise Anpassungen an ihren bestehenden Kreditverpflichtungen vornehmen zu müssen. Davon betroffen sind vor allem drei Gruppen: junge Menschen, Einkommensschwache sowie Soloselbstständige und Kleinstunternehmen.

Aus der Gruppe der 18- bis 25-Jährigen gibt in der Schufa-Umfrage derzeit mehr als jeder Zweite an, sorgenvoll oder sogar mit großer Angst in die Zukunft zu blicken. Vor einem halben Jahr waren es noch zwölf Prozentpunkte weniger. Das zeigt, dass in der aktuellen Situation aus finanzieller Sicht vor allem die Jüngeren besonders unter der Pandemie leiden. Denn die Corona-Krise macht es jungen Erwachsenen schwerer, in der Berufswelt Fuß zu fassen. Darüber hinaus sind sie vielfach in Branchen tätig, die besonders von der Pandemie und dem Lockdown betroffen sind, zum Beispiel Gastronomie, Veranstaltungen oder Tourismus. Hinzu kommt, dass viele von ihnen in ihrer Ausbildung oder im Studium noch nicht die Möglichkeit hatten, größere finanzielle Rücklagen zu bilden.

Zukunftsängste bei Geringverdienern

Auch Menschen mit geringem Einkommen müssen sich in der aktuellen Situation oft mit zwei Problemen parallel beschäftigen. Sie haben, genau wie die junge Generation, meist kaum Chancen, Geld beiseite zu legen, und verfügen daher oft nur über geringe Ersparnisse. Hinzu kommt, dass sie besonders hart von Kurzarbeit und anderen Sparmaßnahmen der Unternehmen betroffen sind. Denn Geringverdiener sind ebenfalls häufig in den Branchen tätig, die wirtschaftlich zurzeit auf der Corona-Intensivstation liegen: im stationären Einzelhandel, in der Gastronomie, im Reise- oder Veranstaltungsgewerbe. Diese Doppelbelastung spiegelt sich auch in der Schufa-Befragung wider: 64 Prozent der Haushalte mit einem Nettoeinkommen von 2 000 Euro oder weniger plagen Zukunftsängste, 46 Prozent befürchten, im kommenden halben Jahr finanzielle Verluste zu erleiden. Zum Vergleich: Bei den Haushalten mit einem Nettoeinkommen von 4 000 Euro oder mehr haben nur 35 Prozent Zukunftsängste und gerade einmal 31 Prozent fürchten finanzielle Verluste.

Keinstunternehmen und Soloselbstständige gefährdet

Die dritte Risikogruppe sind die Kleinstunternehmen und Soloselbstständigen. Diese muss man jedoch differenzierter betrachten. Ein Großteil der Betroffenen kommt bislang gut durch die Krise. Zwei Drittel der Soloselbstständigen und drei Viertel der Kleinstunternehmen schätzen die Zukunft ihres Unternehmens als sicher oder sehr sicher ein. Doch viele sind auch in Branchen tätig, die von der Corona-Pandemie besonders hart getroffen sind. Dazu zählen vor allem Einzelkämpfer aus dem künstlerischen und kreativen Bereich. In diesen und auch in anderen Branchen kommt hinzu, dass viele auftraggebende Unternehmen aufgrund von Sparmaßnahmen geringere Budgets für Freelancer zur Verfügung stellen.

In der Praxis zeigt sich das deutlich auf den Kontoauszügen der Betroffenen: 38 Prozent aller Befragten gaben in der Schufa-Umfrage an, aufgrund der Corona-Pandemie Einbußen beim Haushaltseinkommen zu haben. Bei den Kleinstunternehmen klagen 64 Prozent über dieses Problem, bei den Soloselbstständigen sogar 70 Prozent! Es ist daher nur wenig verwunderlich, dass aktuell 60 Prozent der Soloselbstständigen mit ihrer finanziellen Situation unzufrieden sind - trotz der staatlichen Hilfsmaßnahmen. Nach Angabe vieler Einzelunternehmer seien diese viel zu bürokratisch und würden ihre privaten Kosten nicht berücksichtigen. Entsprechend zurückhaltend fällt der Ausblick in die Zukunft aus: Die Hälfte der Soloselbstständigen geht davon aus, im Jahr 2021 weniger Umsatz zu erzielen als vor der Corona-Krise im Jahr 2019.

Abbildung 1: Einkommenseinbußen im Haushalt Quelle: Schufa Holding AG

Keine Corona-Hotspots beim Rückzahlungsverhalten

Neben dem Blick auf einzelne Risikogruppen lohnt auch eine Analyse der regionalen Unterschiede in der finanziellen Situation der Menschen. Schauen wir zunächst auf die Bundesländer: Die Schufa hat ausgewertet, für wie viel Prozent der dort lebenden Menschen sie jeweils mindestens ein Negativmerkmal gespeichert hat. Die geringsten Quoten weisen Bayern und Baden-Württemberg auf, die mit 6,6 beziehungsweise 7,1 Prozent deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von neun Prozent liegen. Den höchsten Anteil an Menschen mit Zahlungsschwierigkeiten haben Bremen und Berlin. Im Vergleich zum Vorjahr gab es in der Reihenfolge der Bundesländer sowie in den Prozentzahlen nur marginale Veränderungen, sodass diesbezüglich kein Bezug zur Corona-Pandemie erkennbar ist.

Abbildung 2: Rückzahlungsverhalten konstant auf hohem Niveau Quelle: Schufa Holding AG

Ähnliches gilt bei den Landkreisen: Hier sind insbesondere diejenigen von Interesse, die ein hohes Maß an touristischen Angeboten bereitstellen. Möglicherweise ist dort der private Schuldendruck gestiegen, da Hotels, Restaurants und Kureinrichtungen über weite Teile des vergangenen Jahres schließen mussten oder nur eingeschränkt öffnen durften. In den Daten sind aber auch hier keine Auffälligkeiten erkennbar. Etwa bei den touristisch geprägten Landkreisen Berchtesgadener Land in Bayern, Aurich in Niedersachsen mit den Inseln Juist, Norderney und Baltrum oder Vorpommern-Rügen in Mecklenburg-Vorpommern.

Alle drei Kreise konnten ihren PVI im Vergleich zum Vorjahr leicht verbessern und haben ihre Platzierung in der Rangfolge aller deutschen Landkreise jeweils annähernd halten können. Der ebenfalls touristisch geprägte Landkreis Dahme-Spreewald in Brandenburg konnte sich im Ranking sogar deutlich um 24 Plätze verbessern.

Der genaue Blick lohnt - auch langfristig

Doch was bedeutet das jetzt alles? Droht eine neue Welle an Überschuldungen und Privatinsolvenzen? Nein. Die Zahl der Privatinsolvenzen ist aktuell rückläufig. Im Jahr 2020 stieg sie nicht an, sondern ging sogar zurück - und das deutlich: Das statistische Bundesamt verzeichnet für das vergangene Jahr ein Drittel weniger Privatinsolvenzen als im Jahr 2019. In absoluten Zahlen ausgedrückt: Nur noch 41 753 Verbraucher mussten Insolvenz anmelden, statt 62 632 im Vorjahr.

Das dürfte sich in naher Zukunft wieder ändern - dafür sprechen gleich mehrere Indizien. Zum einen ist es möglich, dass Insolvenzanträge aufgeschoben werden, da die Schuldnerberatungen aktuell nur ein eingeschränktes Angebot zur Verfügung stellen. Zum anderen eröffnet eine Gesetzesreform des Bundes Schuldnern die Möglichkeit, bei einer Privatinsolvenz bereits nach drei statt wie bisher nach sechs Jahren von ihrer Restschuld befreit zu werden. Viele Verbraucher haben ihre Privatinsolvenz möglicherweise herausgezögert, um von dieser für Schuldner vorteilhafteren Regelung zu profitieren. Da das Gesetz rückwirkend ab Oktober 2020 gilt, wird es vermutlich zu einer steigenden Zahl an Privatinsolvenzen im aktuellen und im kommenden Jahr kommen.

Corona als Katalysator für Überschuldung?

Auch wenn die Situation derzeit stabil scheint: Die wirtschaftliche Lage der Branchen ist sehr unterschiedlich. Eine bisher kaum gekannte Dynamik kennzeichnet den Verlauf und die Bekämpfung der Pandemie. Lockdowns und Lockerungen wechseln sich in schneller Folge ab. Je länger dies andauert, desto größer ist die Gefahr der finanziellen Betroffenheit derjenigen, die es besonders schwer haben in der Krise: junge Menschen, Einkommensschwache sowie Soloselbstständige und Kleinunternehmen. Insofern ist es gut möglich, dass sich Corona zum Katalysator für Überschuldungen entwickelt und die Zahlen steigen. Eine genaue Beobachtung und regelmäßige Analyse des Kredit- und Rückzahlungsverhaltens von Verbrauchern und Unternehmen ist also unerlässlich.

Dr. Ole Schröder , Mitglied des Vorstands, SCHUFA Holding AG, Wiesbaden

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