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"Die Rolle des Finanzmarketings hat sich radikal verändert" Ewald Judt im Gespräch mit Josef Redl

Josef Redl, Mitglied des Vorstands, Finanz-Marketing Verband Österreich (FMVÖ) e.V., Wien

Der Finanz-Marketing Verband Österreich versteht sich als wichtige Plattform innerhalb der Finanzbranche, auch wenn sich die Rahmenbedingungen seit seiner Gründung verändert haben. Zu seinen Aktivitäten zählt der Recommender-Award, mit dem Finanzdienstleister für besondere Kundenorientierung ausgezeichnet werden. Seit dessen Einführung 2007 hat sich gezeigt: Kreditinstitute haben hier einen deutlichen Vorsprung vor den Versicherungen, allerdings ist bei ihnen auch die Bandbreite deutlich höher. Regionale Anbieter schneiden bei der Weiterempfehlung tendenziell besser ab als einheimische Großinstitute oder internationale Konzerne. Red.

Sie waren schon dabei als der FMVÖ vor 25 Jahren gegründet wurde. Was waren damals die Motive für die Gründung?

Der FMVÖ wurde 1990 vor allem deshalb gegründet, weil Marketing- und Vertriebsfragen der Finanzwirtschaft von anderen Plattformen nicht ausreichend behandelt wurden. Außerdem sollte - in die Gründung war auch das damalige Institut für Kreditwirtschaft an der Wirtschaftsuniversität involviert - auch der Kontakt zwischen Wissenschaft und Praxis vertieft werden. Ziel war es, den Marketing- und Vertriebsverantwortlichen der Finanzwirtschaft sowie deren Mitarbeitern eine Plattform für den Meinungs- und Erfahrungsaustausch bei sie interessierenden Themen zu bieten. 1990, im Gründungsjahr, waren übrigens Handys noch mehr oder weniger im Embryonal-Stadium, während Smartphones heute den Hauptzugang zum Internet darstellen und sich mittlerweile vielleicht zum Ego-Produkt schlechthin entwickelt haben.

Sind diese Motive auch heute noch aktuell? Was sind heute die Ziele des FMVÖ?

Ja, selbstverständlich! Das Motiv, als wichtige Plattform innerhalb der Finanzbranche zu fungieren, ist angesichts der Unsicherheit, die mit disruptiven Entwicklungen verbunden ist, aktueller denn je. Nur haben sich die Rahmenbedingungen wie auch die Rolle des Finanzmarketings selbst seit damals radikal verändert. Denken Sie zum Beispiel nur an die Folgewirkungen der Finanzkrise oder an aktuelle Herausforderungen wie die Digitalisierung praktisch aller Lebensbereiche. So hat die Finanzkrise schon sehr früh dazu beigetragen, über den Tellerrand des operativen Finanzmarketings und -vertriebs hinauszublicken und diese stärker strategisch zu sehen.

Künftig wird es vor allem darum gehen, wie sich die Geschäftsmodelle der Banken und Versicherungen - Stichwort "adapt oder die" - ändern müssen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, beziehungsweise welche Funktionen sie in einer digitalisierten und vielleicht auch robotorisierten Welt sowie in einem neuen, technologisch geprägten Konkurrenzumfeld überhaupt wahrnehmen wollen.

Welche Betätigungsgebiete gibt es da für den Verband?

Die Tätigkeit des FMVÖ manifestierte sich speziell in den letzten 10 Jahren hauptsächlich in großenteils sehr hochkarätigen Podiumsdiskussionen zu Grundsatzfragen der Bank- und Versicherungsbranche sowie zu strategisch wichtigen Marketingund Vertriebsthemen. Darüber hinaus sind auch Kooperationen mit Anbietern, die die Plattform FMVÖ für die Präsentation und Diskussion interessanter und innovativer Lösungen für die Finanzwirtschaft nützen wollen, immer wichtiger geworden.

Last, but not least sieht es der Verband aber auch als seine Aufgabe an, selbst Marktstudien durchzuführen oder seinen Mitgliedern auf dem Markt zugängliche Studien, zum Beispiel via Homepage, bereitzustellen. Auf diese Weise kann man über den Verband bereits auf einen beträchtlichen Pool an nützlichen Informationen, Studien und Marktforschungsergebnissen zurückgreifen.

Wie ist der FMVÖ organisiert und wie ist die Finanzdienstleistungsbranche eingebunden?

Der FMVÖ ist ein gemeinnütziger Verein, in dem die führenden Banken und Versicherungen Österreichs sowie viele mittlere Institute als Mitglieder vertreten sind. Aber auch Unternehmen aus der Marketing- und Kommunikationsbranche sowie des Consulting- und IT-Bereichs, die mit der Finanzwirtschaft in Verbindung stehen, kann er zu seinen Mitgliedern zählen. Die Finanzdienstleistungsbranche ist insofern eingebunden, als der Vereinsvorstand in hohem Maße aus Banken und Versicherungen rekrutiert wird.

Der Dialog der Finanzdienstleister lief schwergewichtig über Veranstaltungen. Wie viele waren das im Laufe der Zeit und welchen Themen waren sie gewidmet?

Im Laufe der 25 Jahre kam der FMVÖ auf gut und gerne 220 Veranstaltungen. Diese behandelten in der Anfangsphase eher Marketing- und Vertriebsfragen im engeren Sinn und schwerpunktmäßig eher Bankmarketingthemen. Im Laufe der Zeit wurde der Fokus aber auch stärker auf Versicherungen als Zielgruppe gelegt sowie auf Themen, die das Finanzmarketing in einen größeren Zusammenhang stellten. So war es schon unmittelbar nach dem Höhepunkt der Finanzkrise ganz wichtig, sich zum Beispiel auch mit der Frage zu beschäftigen, wie das durch die Krise verloren gegangene Vertrauen wieder hergestellt werden kann.

In letzter Zeit sind es vornehmlich die Themen Digitalisierung und Transformation der Geschäftsmodelle, die hohe Zugkraft aufweisen. Im Versicherungsbereich haben sich einige Schwerpunkte herauskristallisiert, zu denen zum Beispiel die frühe Auseinandersetzung mit Strukturfragen der Versicherungsbranche, der erfolgreichen Expansion österreichischer Versicherungen in den CEE-Raum, den Versicherungsvertrieb betreffende Themen, Fragen des Pensionssystems und der Pensionsvorsorge oder der gesellschaftlichen Herausforderung Pflegefinanzierung gehören. Zuletzt wurde versucht, auch gesamthaft zu hinterfragen, welche Baustellen Versicherungen heute haben, denen sie sich zu stellen haben. Auch hier ist die Digitalisierung an vorderster Front zu nennen ebenso wie alle Probleme, die sich durch das anhaltend niedrige Zinsniveau für Versicherungen ergeben.

Wenn es im Finanzmarketing Trends gibt, dann treffen diese in der Regel sowohl auf Banken als auch auf Versicherungen zu. Themen wie Kundensegmentierung, CRM, Finanzkommunikation, klassisch versus online, Neukundengewinnung versus Kundenbindung, Empfehlungsmarketing, Social Media, das Handy als neues Marketingtool wurden daher meist gemeinsam für beide Branchen behandelt. Ähnliches gilt für einige Debatten über nach der Finanzkrise notwendig gewordene Korrekturen in den Wertesystemen sowie die Notwendigkeit von mehr Corporate Social Responsibility und Nachhaltigkeit in der Geschäftspolitik von Banken und Versicherungen.

Einer breiteren Öffentlichkeit ist der FMVÖ insbesondere wegen des Recommender-Awards bekannt. Was war der Grund für die Etablierung dieser Auszeichnung?

Die Einführung des Recommenders durch den FM VÖ folgte dem simplen Wunsch, über einen echten Gradmesser für die Kundenorientierung in der österreichischen Finanzwirtschaft zu verfügen. Ein wenig verknüpft damit war auch die Vision, mit einem Preis für herausragende Leistungen zumindest auf mittlere Frist auch zur Qualitätsverbesserung und zu größerer Nachhaltigkeit im Marketing und Vertrieb der Finanzwirtschaft beitragen zu können. Und zwar sowohl im Interesse der Kunden als auch der Finanzwirtschaft selbst. Die Finanzkrise hat dann eindrucksvoll bestätigt, dass ein solches Projekt sinnvoll und notwendig war.

Im FMVÖ herrschte von Beginn an die Meinung vor, dass es keine bessere Jury für die Beurteilung der Kundenorientierung einer Bank oder Versicherung gibt als deren Kunden. Ausgehend von dieser Entscheidung war es dann nur mehr ein kleiner Schritt, sich für den Net Promoter Score (NPS) von Fred Reichheld zu entscheiden, der damals gerade in Österreich Fuß gefasst hat. Der Net Promoter Score ging beziehungsweise geht über die damals üblichen Kundenzufriedenheits-Messungen hinaus und misst anhand der sogenannten "ultimativen Frage" die Weiterempfehlungsbereitschaft der Kunden für ihre Bank oder Versicherung anhand einer 11-teiligen Skala.

Völlig neu dabei war, dass nur die besten Bewertungen in die Ergebnisermittlung einfließen, passiv zufriedene Kunden aus der Wertung herausfallen und schlechte Bewertungen (Kunden mit relativ niedriger oder gar keiner Weiterempfehlungsbereitschaft) von den positiven Bewertungen abgezogen werden. Dadurch diskriminiert der NPS in den Ergebnissen wesentlich stärker als bis dahin angewandte Messmethoden.

Wie hat sich der Recommender Award seit seiner Einführung 2007 bis heute entwickelt?

Nach mittlerweile neun Jahren hat er sich in gewisser Hinsicht selbst zu einer Marke entwickelt. Durch die sukzessive Ausweitung der Stichprobe für die dem Award zugrunde liegende Kundenbefragung von 1 800 Personen im Jahre 2007 auf 8 000 im Vorjahr deckt er nicht nur mehr als 60 Banken, Versicherungen sowie die vier österreichischen Bausparkassen ab, sondern erfreut sich auch einer großen Akzeptanz in der österreichischen Finanzwirtschaft. Und auch die Kunden selbst nehmen von den mit dem Gewinn des Preises verbundenen Gütesiegeln bereits erfreuliche Notiz.

Was sind die markantesten Ergebnisse der bisherigen Erhebungen?

Die markantesten Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

- Banken schneiden trotz eines deutlichen Einbruchs durch die Finanzkrise im Durchschnitt noch immer besser ab als Versicherungen, die zwar aufgeholt, das Niveau der Banken aber noch nicht erreicht haben.

- Generell ist das NPS-Niveau sogar höher als vor der Finanzkrise, was als Beweis dafür gewertet werden kann, dass zwar das generelle Misstrauen gegenüber dem Finanzsystem nach wie vor besteht, das Vertrauen in die Hausbank/Hauptversicherung jedoch wieder zurückgekehrt ist.

- Das beste Ergebnis bisher erzielte, übrigens mehrere Jahre hintereinander, eine Direktbank. Ist (auch) das vielleicht als Paradigmenwechsel in Richtung Digitalisierung und Abkehr vom tradierten Filialbanksystem zu verstehen?

Noch aufschlussreicher werden die Ergebnisse, wenn man von den Durchschnittswerten weggeht und sich die Bandbreite in den Kundenbewertungen ansieht. Diese ist bei den Banken mit 72 Prozentpunkten (beste Bank 2015 plus 57 Prozent, schlechteste minus 15 Prozent) deutlich höher als bei den Versicherungen mit 54 Prozentpunkten (beste Versicherung plus 38 Prozent, schlechteste minus 16 Prozent). Was nichts anderes bedeutet, als dass die Wettbewerbschancen bei den Banken deutlich krasser verteilt sind als bei den Versicherungen. Ein guter NPS ist zweifellos ein ganz eminenter Startvorteil im Rennen um die Kunden, ein schlechter bedeutet einen Rucksack, mit dem sich das nötige Tempo im Überlebenskampf vermutlich kaum erreichen lassen wird. Übrigens empfiehlt etwa die Hälfte der empfehlungsbereiten Kunden ihre Bank/ Versicherung auch tatsächlich weiter!

Was zeigen die Ergebnisse beim Vergleich der besten Bank und der besten Versicherung?

In neun untersuchten Jahren, also auch am Höhepunkt der Finanzkrise, konnte die beste Versicherung die beste Bank bisher nicht schlagen. Versicherungen haben also in der Kundenorientierung nicht nur im Branchenschnitt mehr "room for improvement als Banken, sondern auch die besten haben noch viel Spielraum nach oben.

Zeigen die Ergebnisse Unterschiede bei regional versus überregional verankerten Banken und Versicherungen?

Ja! Regional verankerte Institute, sowohl Banken als auch Versicherungen, genießen höheres Vertrauen bei ihren Kunden und schneiden bei der Weiterempfehlungsbereitschaft tendenziell besser ab als einheimische Großinstitute oder internationale Konzerne. Es kann mit ziemlicher Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Finanzkrise diesen Trend verstärkt und die Sehnsucht nach dem Bodenständigen um die Ecke erhöht hat.

Geben die Ergebnisse auch Aufschluss über die Bedeutung der persönlichen Beratung?

Ja, einen sehr großen sogar! Denn bei der Frage nach den Haupteinflussfaktoren auf eine positive oder negative Weiterempfehlungsbereitschaft der Kunden spielt eine entscheidende Rolle, ob es in einem Jahr zu einem substanziellen Beratungsgespräch mit dem Kunden kam oder nicht. In der Hälfte der Fälle war dies 2015 bei Versicherungskunden und knapp darüber bei Bankkunden der Fall. Allein die Tatsache, dass ein solches Gespräch stattfand, trieb den NPS von Banken - unabhängig davon, ob das Gespräch an sich als gut empfunden wurde oder nicht - 2015 um 37 Prozentpunkte in die Höhe. Bei den Versicherungen war dies mit 36 Prozentpunkten plus bei einem Beratungsgespräch kaum anders.

Banken, speziell Filialbanken, und Versicherungen haben also mit dieser Erkenntnis einen wirksamen Hebel in der Hand, die Weiterempfehlungsbereitschaft ihrer Kunden auf ein deutlich höheres Niveau zu heben. Und so dazu beizutragen, dass zufriedene Kunden über die Mundpropaganda mehr oder weniger automatisch zu neuen Kunden führen.

Wie sehen Sie die Zukunft des FMVÖ?

Der FMVÖ hat als gemeinnütziger Verein nicht nur die ersten 25 Jahre mit einer kontinuierlichen Präsenz gut überlebt, sondern speziell in den letzten 10 Jahren auch noch eine erfreuliche Aufwärtsentwicklung genommen. Sodass man durchaus behaupten kann, dass sich die Entwicklung der österreichischen Finanzwirtschaft in diesem Vierteljahrhundert auch in der Tätigkeit des FMVÖ widerspiegelt. Trotzdem besteht angesichts der massiven in Gang befindlichen Umwälzungen in der Finanzwirtschaft auch für den Verband selbst die Notwendigkeit, sein eigenes Geschäftsmodell zu hinterfragen. Dass in der Finanzwirtschaft kaum ein Stein auf dem anderen bleiben wird, ist heute bereits Allgemeingut. Die Zukunft bleibt also offen und der Weg wird beim Gehen entstehen. Der FMVÖ hat das Ziel, die Finanzwirtschaft, wie immer sie in Zukunft aussehen wird, auch künftig auf ihrem Weg zu begleiten.

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