Kartenmarketing

Das psychologische Betriebssystem der Kreditkarte

Der Karteninhaber ahnt wenig von dem aufwendigen Processing, das er mit dem kleinen Stück Plastik beim Bezahlen in Gang setzt. Er ahnt wenig von den komplexen Marktstrukturen im Kreditkartengeschäft, die hinter dem Einsatz seiner Kar te stehen, die wiederum und die nur im Zusammenspiel zwischen den Emittenten, Händlern, Kartenorganisationen und anderen funktionieren kann.

Aus psychologischer Sicht hat es durchaus Methode, die Kreditkarte aus dem Zentrum des Bewusstseins herauszurücken. Die Karte wird zu einem wenig beachteten Werkzeug, das dem Verbraucher idealer weise zu einem Flow verhilft, mit dem er sich die angenehmen Seiten des Lebens erschließen kann. Hierfür ist es wichtig, dass sich der Bezahlakt möglichst reibungslos gestaltet oder dass er gar ganz ausgeblendet wird. Gelingt dies, eröffnet sich dem Karteninhaber eine Welt von Luxus und Wellness, in der auf märchenhafte Weise Wünsche erfüllt werden. Die Angst, dass ihm hierbei die Kontrolle entgleiten könnte, gehört zu den Kehrseiten der Kreditkartenverwendung. Voraussetzung für einen als angenehm empfundenen Einsatz der Karte im Alltag ist eine "Meisterschaft", die sich nicht nur durch einen entsprechenden Verfügungsrahmen, sondern auch im geübten und souveränen Einsatz der Karte zeigt. Der Markenname Mastercard ist hierfür ein Programm.

"Pain of Payment" statt Flow und Revolving Credit

Die Realität des Bezahlens in Deutschland sieht anders aus. Trotz Zuwächsen im E- Commerce zählt Deutschland in Sachen Kreditkarten zu den "Entwicklungsländern". Vor allem die Händler tragen dazu bei, das Zahlen mit der Kreditkarte in Misskredit zu bringen, indem sie die Kar te beispielsweise erst ab bestimmten Mindestbeträgen akzeptieren. Der Karteninhaber "zahlt" mit einem Gefühl des schlechten Gewissens oder mit besonderen Aufschlägen auf die Bezahlart Kreditkarte. Überhaupt ist festzustellen, dass Geld und Geldausgeben in Deutschland nichts mit Stolz und schon rein gar nichts mit Spaß zu tun haben darf. Lieber redet man da vom "Pain of Payment".

Es kommt, wie es kommen muss: Allseits verbreitete Akzeptanzprobleme am Point of Sale stören die Voraussetzungen für ein souveränes Ausspielen der Kreditkarte und somit den Flow. Es scheint, als sollte das Produkt Kreditkarte in Deutschland nicht von der Leine gelassen werden. Funktionen wie der Revolving Credit, mit der man aus seiner Kreditkarte eine "echte" Kreditkarte machen kann, sind überwiegend angstbesetzt und werden daher nur in sehr begrenztem Maße in Anspruch genommen. Der Horizont der Kreditnahme beschränkt sich bei den meisten Deutschen auf den Dispositionskredit, der wie das Disziplinierungsinstrument einer übergeordneten Institution wahrgenommen wird. Man unterscheidet hier zwischen "guten" Schulden und "schlechten" Schulden (siehe Abbildung 1).

Eine Sichtweise, die dagegen das Selbstbestimmte der Kreditnahme betont und die einen Revolving Credit zu einem souverän gehandhabten Instrument innerhalb des Finanzmanagements werden lässt, ist nicht weit verbreitet; sie würde letztlich eine Erweiterung bisheriger Kompetenzen voraussetzen (siehe Abbildung 2). Die Potenziale der Kreditkarte sind demnach in Deutschland längst nicht ausgeschöpft. Hinzu kommt, dass viele Karteninhaber sich beim Karteneinsatz selbst beschränken - "nur zum Tanken" oder "nur auf Reisen".

"Bodendeckergewächs" Girocard

Indes erfreut sich die wenig exklusive Girocard (bisher ec-Karte) - vom Image her eine Art "Bodendeckergewächs" einer breiten Akzeptanz als bargeldloses Zahlungsmittel. Die Girocard "funktioniert", da sie eng an das Konto "angebunden" ist und eine zeitnahe Ausgabenkontrolle ermöglicht. Das Wichtigste bei der Girocard ist jedoch, dass der Karteninhaber in einer breiten Masse mitschwimmen kann.

So gesehen passt die Girocard, auch wenn man damit bargeldlos bezahlen kann, zu dem verbreiteten Bargeldfundamentalismus in Deutschland und einer eher "kleinkrämerischen", wenig "einnahmefröhlichen" Haltung bei vielen Händlern.

Soll eine Kreditkartenmarke am Markt bestehen, so ist es unerlässlich, dass sie in der Welt der Everyday Spendings, zum Beispiel im Supermarkt oder im Discounter, an Terrain gewinnt. Dies gilt vor allem im Hinblick auf das Premiumsegment (Gold- oder Platinkarten).

Exklusivitätsverlust im Alltag der "Everyday Spendings"

Zum einen braucht eine wertvolle Karte mit anspruchsvoller Ausstattung die Beweisführung, dass sie sich souverän im Sinne eines umfassenden und reibungslos funktionierenden Alltagswerkzeuges einsetzen lässt. Zum anderen wird vor allem an den zahlreichen kleinen Beträgen verdient: Parkhaus, Supermarkt, Discounter. Insbesondere jedoch beim Kreditkarteneinsatz zum Beispiel im Discounter kann es zu "Bildstörungen" kommen. Dies passiert dann, wenn eine kleinteilige Mentalität mit dem Bild der exklusiven Kreditkarte kollidiert. Die folgende Geschichte zeigt das Beispiel eines Karteninhabers, der versucht, mit seiner goldenen American Express ein Paar Hallenturnschuhe bei einem Schuhdiscounter zu bezahlen, was dort immerhin seit kurzem möglich ist.

Als der Kunde seine Goldkarte präsentiert, gerät die Verkäuferin ins Stammeln: "Nein, mit dieser Karte können Sie nicht bezahlen. Das ist zu ihrem eigenen Besten deshalb so, weil Sie sonst so viel mehr zahlen müssten als andere Kunden." An der Kasse bildet sich derweil eine Schlange. Der Karteninhaber insistiert mit Verweis auf das an der Kasse angebrachte Symbol seiner Kreditkartenmarke, woraufhin die Verkäuferin die Goldkarte durch das Lesegerät zieht. Und siehe da: der Bezahlakt funktioniert. Der Karteninhaber darf sich nun als Pionier fühlen. Gleichzeitig aber mutiert er unfreiwillig zum Vertriebsmitarbeiter einer Kartenorganisation. Auch der aggressive Vertrieb einer Kreditkartenmarke birgt Banalisierungsgefahren und kann zu "Bildstörungen" führen. So mag manch weltläufiger Karteninhaber einige Irritationen erlebt haben, wenn er in den letzten Jahren mit ansehen musste, wie seine Kreditkartenmarke von "Drückerkolonnen" an Bahnhöfen feilgeboten wurde. Aus marktpsychologischer Sicht kann hier von systematischem Raubbau an Markenwerten gesprochen werden.

Identitätsstiftende Funktion von Kreditkarten im Access-Zeitalter

Die beschriebenen Bildstörungen hängen auch damit zusammen, dass sich Kreditkarteninhaber einer bestimmten Gemeinschaft zugehörig fühlen. Die Kreditkarte figuriert als "Ausweis", der den Zugang (Access) zu einer bestimmten "Community" ermöglicht. So wird im genannten Beispiel die Goldkarte den Inhaber als jemanden kennzeichnen, der für gewöhnlich in Schuhgeschäften der gehobenen Preisklasse einkauft. Genau dies mag viele Karteninhaber davon abhalten, ihre Karte in den "Niederungen" der Everyday Spendings einzusetzen.

Die Accessfunktion der Kreditkarte kommt zum Beispiel im Markennamen "Visa" zum Ausdruck. Sinnbild für die Accessfunktion der Kreditkarte ist der Zugang zu exklusiven Lounges. Gesellschafts- und Wirtschaftstheoretiker sprechen davon, dass es in künftigen Wirtschaftsordnungen weniger um das Eigentum und viel mehr um den Zugang zu Informationen und Dienstleistungen gehen wird. Die Kreditkarte bekommt in diesem Prozess zunehmend die Funktion, den Access zu organisieren. Hierbei geht es schon lange nicht mehr nur um Statusdemonstrationen und den Aufenthalt in exklusiven Lounges. Es geht vielmehr um "virtuelle Lounges", über die sich die Identität der Karteninhaber konstituiert.

Visa betont Accessqualität im Markennamen

Ein Beispiel: Die Hörer eines Radiosenders mit bestimmtem Zielgruppenprofil werden mit Bezahlkarten ausgestattet, um sie einerseits als Angehörige eines bestimmten "Clubs" aufzuwerten und sie andererseits gezielter ansprechen zu können. Die Kreditkarten, oft auch in Verbindung mit Kundenkarten, werden so zum "Türöffner" für bestimmte Communities. Indem die Kreditkarte die Zugehörigkeit zu bestimmten Gemeinschaften organisiert, bietet sie Halt, Identität und Differenzierung, auch Exklusivität. Die Kreditkarte wird zu einem materialen Symbol für das Access-Zeitalter.

Die Kreditkarten Mastercard und Visa liegen hinsichtlich ihrer Marktanteile in Deutschland Kopf an Kopf. Mastercard hat die Nase leicht vorne, wobei Visa in den letzten Jahren stark aufgeholt hat und hinsichtlich der Zahl der Akzeptanzstellen vorne liegt. Die Marke Amex liegt weit abgeschlagen hinten.

Mastercard mit aggressiverem Markenkern

Durch die Betonung von Ausweisqualitäten im Markennamen hat die Marke Visa Vorteile, die sie vor allem im Co-Branding-Bereich und bei jüngeren Zielgruppen (Communities, virtuelle Lounges) ausspielen kann. Im Vergleich zu Mastercard und Amex erscheint das Logo Visa eher "flächig", wie eine Flagge, wodurch die Marke - weniger exklusiv - näher an einem Massenzahlungsmittel mit weitem Geltungsanspruch positioniert. Hierdurch erscheint Visa für eine breitere Palette an Bezahlprodukten geradezu prädestiniert: von Prepaid bis hin zu Revolving Credit. Im Vergleich zur Visa verbindet sich mit der Marke Amex ein starker Exklusivitätsanspruch. Die Mischung von Exklusivität und Performancedefiziten führte in den vergangenen Jahren dazu, dass die Mar ke sich "vom Pionier zum Souvenir" zu entwickeln drohte.

Erst in jüngster Zeit ist hier wieder ein Gegensteuern zu beobachten. Die Marke Mastercard wirkt von ihrem Markenkern her aggressiver als Visa, jedoch auch unnahbar. Sie hat in Deutschland Anfang des Jahrtausends im Zuge einer Brandmigration die Eurocard ersetzt, die als blasser Repräsentant der europäischen Bankenkultur nahe an der ec-Karte positionierte und auch von Händlern gerne mit dieser verwechselt wurde. So verbinden sich die Qualitäten eines Bankenpatronats mit den Eigenschaften eines "globalen Planungsproduktes". Gewagte Übungen mit dem Markenlogo (Weltkugeln als Schnuller, Kondome, Trillerpfeifen oder Fußbälle) sollten die Migration bebildern und zur Belebung der Marke beitragen. Es bleibt die Frage, ob durch manche dieser "Spielereien" die Marke Mastercard nicht doch eher beschädigt wurde.

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