Kontaktloses Zahlen

Wettbewerb der Systeme: profitiert der Handel?

Obwohl der bargeldlose Zahlungsverkehr seit vielen Jahren stetigen Veränderungen, Anpassungen und Diskussionen unter liegt, scheint aktuell ein Thema die Branche besonders zu beschäftigen: "Kontaktloses Bezahlen" ist auf Veranstaltungen ebenso präsent wie in vielen Artikeln und Berichterstattungen. Woher kommt das große Interesse daran? Befinden wir uns aktuell tatsächlich vor der flächendeckenden Einführung eines neuen Zahlangebotes oder platzt der Traum von einer neuen Technologie am PoS ähnlich wie die New-Economy-Blase Anfang des Jahrtausends?

Die Orlen Deutschland GmbH hat sich bereits 2008 mit diesem Thema intensiv auseinandergesetzt, die Gründe hierfür ergaben sich aus dem Tagesgeschäft heraus:

- Eine kontinuierlich steigende Anzahl von Kartentransaktionen hatte zu veränderten Anforderungen beziehungsweise Erwartungen der Kunden und Tankstellenpächter am Point of Sale (PoS) geführt.

- Parallel zu den steigenden Transaktionszahlen hatte sich aber die Verarbeitungsgeschwindigkeit einer Zahlung am PoS verlangsamt.

Erster Händler mit flächendeckender Paypass-Akzeptanz

Diese beiden Faktoren führten zwangsläufig zu Abwicklungsproblemen an den Tankstellen, was dem Ziel eines schnellen und unkomplizierten Services entgegen stand. Um hier sowohl die Wünsche des Kunden bestmöglich erfüllen zu können als auch der Kritik von Pächtern aktiv entgegen zu wirken, wurden im Jahr 2009 Gespräche mit Mastercard wie auch den Systemintegratoren (Kassenhersteller: Scheidt & Bachmann; Huth Elektronik Systeme beziehungsweise Netzbetrieb: Weat Electronic Datenservice) hinsichtlich Einführung der Paypass-Technologie geführt.

Diese gestalteten sich derart konstruktiv wie zielorientiert, dass bereits im Dezember 2009 die erste Star-Tankstelle in Elmshorn mit der neuen Technologie ausgestattet war. Der komplette Rollout an damals knapp 485 Star-Tankstellen wurde im Mai 2010 beendet. Die Orlen Deutschland GmbH war somit der erste flächendeckende Händler in Deutschland, der auf die neue Technologie gesetzt hat. Heute bieten bereits 540 Star-Tankstellen beziehungsweise knapp 700 PoS die Möglichkeit der Mastercard-Paypass-Akzeptanz.

Diese "Historie" ermöglicht es dem Unternehmen, basierend auf dem bereits vorhandenen Zahlenmaterial, erste Analysen hinsichtlich Kundenakzeptanz und technischer Stabilität des Systems vornehmen zu können.

Richtige Entscheidung

Um es vorweg zu nehmen: Die Einführung des kontaktlosen Zahlens war eine richtige und zukunftsorientierte Entscheidung, die sowohl bei den Kunden als auch den Pächtern für ein positives Feedback gesorgt hat. Anhand einiger Werte bedeutet dieses exemplarisch:

- Die Anzahl von Paypass-Transaktionen hat sich im Zeitraum von 2010 zu 2011 mehr als verdoppelt.

- Knapp 30 Prozent der Transaktionen von Karten eines Paypass-Portfolios wurden im Star-Tankstellennetz bereits kontaktlos durchgeführt.

- Die Transaktionsgeschwindigkeit hat sich bei einer Paypass Karte auf annähernd zwei Sekunden reduziert.

Ist damit aber bereits der Beweis erbracht, dass diese Technologie eine Zukunft haben wird? Bedarf es aktuell dafür nicht einer genaueren Betrachtung des Marktes und der entsprechenden Angebote, welche seit kurzer Zeit bereits verfügbar oder in Planung sind? Bietet die Vielzahl der potenziellen Angebote für alle am Prozess Beteiligten - Emittent, Händler und nicht zuletzt den Kunden - einen Mehrwert? Besteht eine Transparenz der Produkte, sodass alle Prozessbeteiligten das oder die beste(n) System(e) dauerhaft akzeptieren werden? Wird es künftig weitere Beteiligte geben, die wir vor Jahren nicht im Zahlungsverkehr erwartet hätten- zum Beispiel Mobilfunkbetreiber oder Unternehmen wie Google, Apple oder Facebook? Und nicht zu vergessen: Wird das kontaktlose Zahlen durch neue Prozesse wie auch Prozessbeteiligte sogar teurer?

Im Folgenden wird der Versuch unternommen, die jeweiligen Anbieter aus Sicht eines Händlers konkreter zu betrachten.

Girogo: Erfolg hängt am Abo-Laden

Neben dem bereits bekannten "Paypass"-Angebot aus dem Hause Mastercard stehen mit "Visa Paywave" wie auch der kontaktlosen Geldkarte "Girogo" der Deutschen Kreditwirtschaft (DK) aktuell zwei weitere Angebote - erst einmal auf Kartenbasis zum Markteintritt bereit beziehungsweise sind schon in der Pilotphase angekommen. Der DSGV unternimmt aktuell als Vorreiter der Deutschen Kreditwirtschaft große Anstrengungen, einem in der Historie schon einmal gescheiterten Produkt "Geldkarte" einen neuen Glanz zu verleihen. Der Mehrwert soll hier nun die Möglichkeit des kontaktlosen Zahlen für den Kunden sein. Bis Ende 2012 werden bereits 16 Millionen Karten diese Leistung bieten, innerhalb von drei Jahren plant man den Tausch von etwa 45 Millionen Karten.

Diese Zahlen zeigen eindrucksvoll, welche Erwartungen man mit der neuen Technologie verbindet. Zudem wird so die berühmte "Henne/Ei" Problematik proaktiv gelöst. Darüber hinaus bietet die Deutsche Kreditwirtschaft dem Handel mit einem neuen Gebührenmodell natürlich einen Anreiz, "Girogo" künftig neben der reinen Girocard in sein Akzeptanznetz einzubinden.

Skeptisch darf man aber sein, ob der notwendige Aufladeprozess bei Girogo-Karten im Sinne der Kunden wie auch der Händler sein wird. Ist dieses Prepaid-Angebot ausgereift, zumal es zum Laden einer PIN-Eingabe bedarf? Oder steht es nicht im Widerspruch zu einer schnellen und unkomplizierten Abwicklung am PoS? Der Handel will und darf keine Zeit verlieren, der Kunde möchte "einfach" zahlen. Viel hängt sicherlich davon ab, ob das seitens des DSGV angebotene Abo-Laden erfolgreich dem Kunden vermittelt werden kann.

Darüber hinaus ist es für einen Händler schwierig zu verstehen, warum man es seitens der DK nicht geschafft hat, sich auf ein analoges Kontaktloslimit in Höhe von 25 Euro anstelle des nun gültigen Limits von 20 Euro zu einigen. Hier besteht das Risiko von unnötigen Fragen oder Diskussionen am PoS, welche ebenfalls dem Ziel einer schnellen Zahlung entgegenstehen. Perspektivisch wird bereits heute über die kontaktlose Girocard gesprochen, dieses wäre dann sicherlich ein weiterer (oder gegebenenfalls der entscheidende) Meilenstein für alle Parteien. Von Bedeutung wird es dabei für den Handel sein, dass die zu realisierenden Spezifikationen möglichst analog zu Girogo sein werden, um hier nicht erneut Implementierungsaufwände und -kosten übernehmen zu müssen.

Paywave-Akzeptanz interessant

Visa bietet mit "Paywave" ein kontaktloses Angebot auf EMV-Basis, die Spezifikationen entsprechen hier internationalen Standards. Dieses macht es speziell für größere Händler einfacher, eine interne Realisierung vornehmen zu können und nicht nationale "stand alone" Konzepte parallel einbinden zu müssen.

Zudem hat Visa bereits zur Markteinführung in Deutschland eine beachtliche Zahl von deutschen Banken für entsprechende Paywave-Portfolien gewinnen können, sodass es hier sicherlich aufgrund der Kartenzahlen für den Handel interessant sein dürfte, dem Kunden die Paywave-Akzeptanz zu ermöglichen. Die Vorteile liegen auf der Hand. Hier sollten keine Unterschiede zum Paypass Angebot zu erwarten sein: Die Zahlungen werden schnell, unkompliziert und sicher bis zu einem Betrag von 25 Euro als "Tap & Go"-Transaktionen durchgeführt werden können, bei höheren Bons bedarf es der Legitimation des Karteninhabers durch PIN oder Unterschrift.

Spannend wird es aus Sicht des Handels sicherlich sein, inwieweit der nun hoffentlich entstehende Wettbewerb der beiden internationalen Schemes einen Einfluss auf die Art der Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Händler nehmen kann. Wird eine der beiden Parteien zugunsten des Handels versuchen, das eigene Angebot attraktiver als der Wettbewerber zu bewerben? Lassen wir uns überraschen, ob der bekannte Claim "Die Zukunft spricht Visa" wirklich Realität wird.

Hat die Plastikkarte eine Zukunft?

Neben der Tatsache, dass es aufgrund der NFC-Technologie aktuell zu einer Vielzahl von neuen Produktangeboten seitens der Emittenten auf Kartenbasis kommt, sollte ein Aspekt aber nicht in Vergessenheit geraten: Wird es für die Plastikkarte überhaupt eine Zukunft geben oder bietet sich mit der NFC-Technologie nicht auch die Möglichkeit des mobilen Zahlens mit dem Smartphone?

Daran schließt sich die Frage an, wer die Key-Player oder Treiber der nächsten Jahre sein werden? Bleiben dieses die Banken, die es schaffen, ihre Erfahrungen aus dem Kartengeschäft erfolgreich auf die neuen Medien zu transportieren? Oder übernehmen aktuell noch nicht in diesem Segment vorhandene Anbieter wie Google, Amazon oder Facebook das Sagen? Werden die Mobilfunkbetreiber als Anbieter von Hardware und Datenverbindungen die neuen Weggefährten des Handels? Oder schaffen es die Händler sogar eigenständig "das Ruder zu übernehmen", um künftig stärker Einfluss auf die Marktgestaltung nehmen zu können?

Wir stehen gerade am Anfang eines sich verändernden Bezahlprozesses, daher ist es sicherlich für eine detaillierte Bewertung und Festlegung zu früh. Dennoch soll eine erste Einschätzung bereits heute versucht werden.

Kreditwirtschaft weiter an erster Stelle?

Auf dem diesjährigen EHI-Kartenkongress wurde die Frage gestellt, welche Zahlungsverfahren im Handel zukünftig von welchen Marktteilnehmern dominiert werden. Das Ergebnis war, dass die Kreditwirtschaft weiterhin an erster Stelle liegt (45,3 Prozent) und sogar wieder deutlich an Bedeutung im Vergleich zum Vorjahr (28,5 Prozent) gewonnen hat. An zweiter Stelle liegen die Kartenorganisationen wie Mastercard/Visa in Zusammenarbeit mit Playern wie Google & Co., allerdings hat hier innerhalb von zwölf Monaten die erwartete Bedeutung von 47 auf 36,1 Prozent abgenommen. Immerhin 15 Prozent (Vorjahr: sieben Prozent) der Befragten können sich den Handel in der Hauptrolle vorstellen.

Großer Verlierer sind die Mobilfunkbetreiber mit nur noch 3,6 von vormals 12,8 Prozent. Die Zahlen sind nicht final für die Zukunft zu werten und werden Schwankungen unterliegen, aber sie stellen sicherlich einen repräsentativen Wert dar. Woher kommen nun aber diese Einschätzungen, welches waren die Treiber für die Veränderungen zum Vorjahr?

Einen großen Einfluss haben zweifellos die aktiven Bemühungen der Deutschen Kreditwirtschaft - speziell des DSGV, aber auch des BVR - beim Thema kontaktloser Geldkarte. Es wird der Beweis beigebracht, dass man sich nicht nur mit dem Schaffen und Anpassen von Spezifikationen beschäftigt, sondern sich auch zukunftsfähigen Themen wie dem Kontaktlosen Zahlen zuwendet. Dieses scheint dazu zu führen, dass man in bekannte Muster verfällt und die Zusammenarbeit Kreditwirtschaft/Handel als die einzig denkbare Konstellation sieht. Man darf sich dennoch fragen, ob dieses nicht nur aus alter Gewohn- und Vertrautheit erfolgt.

Google & Co. künftig mit interessanten Konzepten?

Interessanter erscheint tatsächlich die Betrachtung einer möglichen Konstellation Kreditkarten-Schemes in Zusammenarbeit mit Playern wie Google & Co. zu sein. Immerhin mehr als jeder Dritte hat bei der aktuellen EHI-Befragung vermutet, dass hier eine neue treibende Kraft entstehen wird.

Trotz einer Reduzierung der Prozentzahl im Vergleich zum Vorjahr (siehe oben) glauben die Befragten immer noch an dieses Modell; dieses ist auch deswegen erstaunlich, da man in der gleichen Runde auch für das altbekannte Modell Kreditwirtschaft/Handel abgestimmt hat, somit hier letztendlich zwei sehr unter schiedliche Ansätze favorisiert werden. Es mag zum einen das "Unbekannte" sein, was das Modell von neuen Konstellationen so attraktiv erscheinen lässt. Und tatsächlich können diese Möglichkeiten dem Händler, welcher gegebenenfalls sogar international aufgestellt ist, neue Modelle bieten, welche heute nicht abzubilden sind.

Dieses mag ein großer Anreiz sein, bereits in den Abstimmungsphasen den Gestaltungsprozess aus Händlersicht zu begleiten, zumal in der Regel der Kundenstamm von Unternehmen wie Google und Amazon eine solche Größe besitzt, dass jeder Händler gern einen Teil dieser Kunden auch zu eigenen Neu- oder Stammkunden machen möchte.

Allerdings sollte hierbei nicht vergessen werden, dass diese Unternehmen in der Vergangenheit bei Projekten sehr offensichtlich an einer (kurzfristigen) Gewinnsteigerung interessiert waren, hierbei vielleicht längerfristige Geschäftsbeziehungen nur bei schneller Profiterreichung die Benchmark sind. Darüber hinaus dürfte auch von Interesse sein, wie transparent und im Optimalfall einfach die entsprechenden Gebührenmodelle dem Vertragspartner dargelegt werden, denn wie so oft werden die Kosten beziehungsweise mögliche Optimierungspotenziale für den Händler von großer Bedeutung sein.

Mobilfunkbetreiber als Player: Handel bleibt zurückhaltend

Verbleibt als ein weiteres Modell noch die Einbeziehung der Mobilfunkgesellschaften in die bestehenden wie auch gegebenenfalls neuen Prozesse.

Hatte man vor wenigen Jahren noch ein Mobiltelefon primär zum ursprünglichen Zweck des verbalen Kommunizierens (und später dann noch erweitert um Kurznachrichten in Form von SMS mit den jeweils die Stimmung darstellenden Smileys), so scheint heute schon kein Leben mehr ohne ein Smartphone denkbar: E-Mails, Social Networking, Suchmaschinenabfragen et cetera haben längst Einzug in die heutige mobile Welt gehalten, 24 Stunden an sieben Tagen ist dieses jetzt schnell und unkompliziert möglich. Und da auch das Feature des Telefonierens weiterhin von solchen Geräten angeboten wird, ist ein Smartphone bereits heute das Symbol für eine sich anpassende und mobile Welt geworden.

Laut einer GfK-Studie aus dem Februar 2012 wurden alleine 2011 mehr als 14 Millionen Geräte an die Endkunden ausgegeben. Gerade die hohe Affinität einer Zielgruppe von 18 bis 39-Jährigen zu dem Thema des Mobile Commerce beziehungsweise Mobile Payment via Smartphone bietet hier eine Vielzahl von Möglichkeiten in der Zukunft, da das Endgerät immer dabei sein wird. Warum sollten also nicht die bisherigen Erfahrungen in das kontaktlose Zahlen übernommen werden können? Und aus welchem Grund hat die Erwartung der Händler an solch ein Modell innerhalb von zwölf Monaten so rapide abgenommen, wo doch anscheinend eine Vielzahl von positiven Möglichkeiten besteht?

Entscheidend dafür könnte sein, dass es einfach einmal ein entsprechendes Angebot der Mobilfunkbetreiber Richtung Endkunden wie aber auch der Händler geben sollte. Bis heute ist der Mehrheit nicht er sichtlich, wie zum Beispiel ein potenzieller Business Case für die jeweiligen Parteien aussehen kann. Aus Händlersicht besteht erst einmal eine gewisse Zurückhaltung, da hier ein zusätzlicher Prozessbeteiligter ins Spiel kommt, der eigene wirtschaftliche Interessen haben dürfte.

Mitwirkung des Handels

Was bedeutet nun aber diese Anzahl von unterschiedlichen Aspekten für die Zukunft? Kann kontaktloses Bezahlen wirklich die Zukunft des Zahlens werden oder stellt es nur einen aktuellen Hype mangels fehlender anderer Themen dar? Es spricht aufgrund der oben genannten Möglichkeiten einiges dafür, dass es innerhalb der kommenden zwei bis drei Jahre einen deutlichen Zuwachs in diesem Bereich geben wird:

- Zum einen stellt die grundsätzliche Möglichkeit von einfachen und transparenten Prozessabläufen am PoS in der Regel ein hohes Gut dar.

- Wenn es dann noch gelingt, diesen Ablauf wirtschaftlich sinnvoll dem Händler anzubieten, können Kartenzahlungen auch in klassischen "Bargeldbranchen" weiter an Bedeutung gewinnen - wahrscheinlich auch unabhängig von jeweiligen Bonhöhen.

Welches der oben genannten Modelle aber am besten geeignet ist, den eben genannten Aspekten Rechnung zu tragen, bleibt heute noch Spekulation. Allein die große Bandbreite der verschiedenen Meinungen auf dem diesjährigen EHI-Kongress deutet auf eine spannende Zukunft hin. Mehr denn je mag es auch der Handel sein, der hier eine entscheidende Rolle einnehmen kann, indem er aktiv mitgestaltet und seine Erwartungen an neue Technologien und Methoden aktiv formuliert.

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