MÄRKTE

Neue Prepaid-Lösungen erobern den ÖPNV

Michael Beer, Foto: BVG

Prepaid-Lösungen im ÖPNV sind mehr als eine Brückentechnologie, um das Bargeld zurückzudrängen, sind sich Michael Beer und Stephan Heintz sicher. Vielmehr ist Prepaid gekommen, um zu bleiben, unter anderem, weil es eine "barrierefreie" Lösung ist, die kein Bankkonto oder Smartphone voraussetzt. In Berlin wird die Guthabenkarte der Berliner Verkehrsbetriebe zum E-Geld, weil auch der Handel in die Ladeinfrastruktur und Incentitivierungsaktionen einbezogen wird. Aus einem solchen Ansatz, so die Autoren, ergeben sich nicht zuletzt neue Chancen für Banken und Zahlungsdienstleister. Red.

Im öffentlichen Personennahverkehr sind digitale Bezahllösungen auf dem Vormarsch:

  • So setzen beispielsweise die Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm bereits auf eine Mobilitäts-App, bei der Kunden Fahrscheine digital, kontaktlos und ohne Bargeld kaufen und dabei aus einem Angebot von verschiedensten Zahlmethoden wie Kreditkarte, Paypal und Prepaid-Guthaben auswählen können.
     
  • In Deutschlands Hauptstadt startete Ende 2021 ein weitreichender Pilot zum Prepaid-Bezahlen im ÖPNV.
     
  • Anfang dieses Jahres folgte der Hamburger Verkehrsverbund mit der Ankündigung einer neuen Prepaid-Lösung als Teil ihrer Digitalisierungsstrategie, die die vorhandenen Apps ergänzen soll.

Deutschland ist mit dieser Entwicklung nicht allein - internationale Metropolen machen es bereits seit einigen Jahren vor. In Lissabon wird mit den aufladbaren Karten "7 Colinas Card" und "Viva Viagem" die Nutzung sowie Bezahlung in Bussen, Straßenbahnen sowie in der Metro ermöglicht, während in Singapur die kontaktlose, elektronische Karte "EZ-Link Pass" als wiederaufladbares Bezahlmittel angeboten wird.

Integraler Bestandteil der Digitalisierung im ÖPNV

Förderer dieser Zuwendung hin zu digitalem Bezahlen mit Prepaid-Lösungen ist das Bundesverkehrsministerium. Im Rahmen der Förderrichtlinie "Digitalisierung kommunaler Verkehrssysteme" werden Projekte unterstützt, die zur Emissionsreduzierung beitragen und die von der Reiseplanung bis Ticketkauf multi- und intermodale Reiseketten mit Bus, Bahn, Fahrrad oder Car-Sharing- Angeboten für Nahverkehrskunden ermöglichen. Nur wenn die Menschen die ÖPNV-Nutzung als einfach und komfortabel empfinden, werden sie vermehrt mit den Öffentlichen fahren und somit zur Emissionsreduktion beitragen. Die durchschnittliche Nutzung könnte sogar um bis zu 27 Prozent ansteigen, wenn es einfacher wäre, für öffentliche Verkehrsmittel zu bezahlen.1)

Kein Wunder also, dass digitales Bezahlen ein wichtiger Bestandteil der Digitalisierungsvorhaben im ÖPNV ist. Bislang zählte dieser jedoch noch zu den deutschen Bargelddomänen. Wie in weiten Bereichen der Wirtschaft wirkten auch im ÖPNV die vergangenen Corona-Jahre als starker Beschleuniger für kontaktloses, digitales Bezahlen. So wünscht sich fast die Hälfte der Befragten des Mobile Payment Monitors 2020 eine kontaktlose Bezahlungsmöglichkeit auch im ÖPNV.2)

Trotz des Rückgangs des Barverkaufes - die enormen Kosten für das Bargeldhandling sowie negative Effekte auf eine effizientere und sichere Verkehrsplanung bleiben erhalten. Teil der Digitalisierungsstrategie im ÖPNV ist daher, das Bargeld weitestgehend zu eliminieren und stattdessen einen digitalen Payment-Mix aus verschiedensten Zahlarten wie App, Kreditkarte und eben der Prepaid-Karte anzubieten.

Prepaid ist barrierefrei

Der wiederaufladbaren Guthabenkarte kommt allerdings im ÖPNV-Zahlungsmix eine zentrale Rolle zu, denn Prepaid ist barrierefrei. Während Kunden für andere digitale Zahlarten Bankkonten oder Smartphones benötigen, kommt Prepaid ohne diese Mittel aus. Hinzu kommt, dass Prepaid gleich wie Bargeld zwei der wichtigsten Kriterien der Bürger bei der Wahl des Bezahlmittels haben: Anonymität und Kostenkontrolle.3) All diesen Menschen und Kunden des ÖPNV hilft die Prepaid-Karte, einfach und anonym und trotzdem digital zu bezahlen. Damit wird die Digitalisierung im ÖPNV einfacher, indem die Fahrgäste aus einem Angebot von digitalen Zahlarten wählen können. Sie macht den ÖPNV auch hygienischer, da Bargeld nicht durch viele Hände läuft. Damit werden letztendlich nicht nur Kosten eingespart, sondern auch eine Qualitätssteigerung erreicht: Da Bargeldhandling wegfällt, reduzieren sich Standzeiten an den Haltestellen und bessere planbare Fahrpläne mit höherer Anschlussgewährleistung ist möglich.

Von einfacher Prepaid-Lösung bis zum E-Geld-Produkt

Während die Vorteile von Prepaid für den gesamten ÖPNV gelten, gibt es durchaus unterschiedliche Ansätze von ÖPNV-Unternehmen, was die Lösung alles können muss: Soll sie zum Kauf, zur Aufladung und Nutzung ausschließlich im ÖPNV-Netz dienen? Oder soll der Einzelhandel als Erweiterung des Vertriebsnetzes genutzt werden und mittels technischer und kaufmännischer Anbindung als zusätzliche Verkaufs- und Aufladepunkte einbezogen werden?

In Berlin geht man noch einen Schritt weiter. Kernidee in der Hauptstadt ist es, mittels ÖPNV-Prepaid-Lösung zusätzlich den lokalen Handel entlang der Reiseroute der Fahrgäste als Kauf-, Auflade- und Einlösestelle zu gewinnen und dadurch öffentliche und private Mobilität mit der lokalen Wirtschaft zu vernetzen. Mit einem ersten Einzelhändler wurde diese Idee bereits zum Leben erweckt und es wurden mittlerweile über 500 Point-of-Sales an das Vertriebsnetz angebunden. In der Produktausgestaltung bedeutet dies, dass der Verbraucher eine monetäre Einlage tätigt, die elektronisch gespeichert wird und bei mehreren unabhängigen Parteien eingesetzt werden kann.

So konzipiert, avanciert die BVG-Guthabenkarte zum E-Geld-Produkt, welches komplexen, regulatorischen Anforderungen unterliegt. Gesonderte Maßnahmen zu Betrugssystemen, Risk- Management, Konsumentenhaftung und Verbraucherschutz und vieles mehr müssen hier in die Produktgestaltung einfließen. Um dies allumfänglich zu gewährleisten, bedient sich die Berliner Lösung der Stärken verschiedenster Marktteilnehmer aus dem Banken-, Zahlungsdienstleister- und Stadtmarketingbereich: Die BVG-Guthabenkarte ist ein Gemeinschaftsprojekt der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit dem Anbieter-Konsortium aus Landesbank Hessen-Thüringen Girozentrale (Helaba), AVS und Epay.

  • Die Helaba übernimmt dabei die Rolle der Herausgeberin der BVG-Guthabenkarte als elektronisches Zahlungsmittel.
     
  • AVS als Spezialist für Prepaid-Lösungen verantwortet die Gesamtkoordination des Projekts und die Anbindung der Vertriebs- und Akzeptanzstellen sowie weitere Support-Prozesse im Betrieb der BVG-Guthabenkarte.
     
  • Das BaFin-lizensierte Zahlungsinstitut Transact Elektronische Zahlungssysteme GmbH stellt unter dem Namen Epay die sichere technische und vertriebliche Infrastruktur für die Organisation sämtlicher Zahlungsprozesse zwischen Vertriebs- und Akzeptanzstellen inklusive Autorisierung, Abrechnung und Clearing der Kartentransaktionen.

Die Prepaid-Lösung wurde im Oktober 2021 in Berlin eingeführt. Sie kann beim Ticketkauf in allen BVG-Bussen - neben der Girocard oder Kreditkarte sowie dem Smartphone - auch in den Kundenzentren für alle käuflichen Produkte der BVG genutzt werden. Zum Start war die Karte in den BVG-Kundenzentren erhältlich und vor Ort oder online aufladbar.

Vision einer vernetzten Stadt

Seit Ende November 2021 ist die BVG- Guthabenkarte in rund 500 Lotto- Annahmestellen von Lotto Berlin zu haben. Damit wurde ein Meilenstein - die Einbindung des lokalen Handels - im Projekt erzielt. Seit Februar 2022 können Fahrgäste die Karte bei rund 300 BVG-Vertriebsstellen und an allen rund 700 Ticketautomaten in U-Bahnhöfen und an Haltestellen aufladen und als Zahlungsmittel nutzen. Perspektivisch soll überall, wo die BVG-Guthabenkarte erhältlich ist, auch die Aufladung mit einem Wunschbetrag bis 150 Euro möglich sein.

Mit der sukzessiven Erweiterung des Vertriebsnetzes der Prepaid-Karte geht auch die schrittweise Multichannel-Ausdehnung der Ladeinfrastruktur voran, die die Nutzung der Karte durch die Verbraucher positiv beeinflussen wird. Gleiches gilt für Incentivierungsideen mit der BVG-Guthabenkarte: Werden Kunden nicht nur für die Nutzung des ÖPNV incentiviert, sondern auch an teilnehmenden PoS entlang ihrer Reiseroute für Einlöseaktionen, wie beispielsweise für einen rabattierten Kauf eines Coffee-to-go motiviert, generiert die Prepaid-Lösung Zusatznutzen und Kundentreue beim Verbraucher und Zusatzumsatz beim teilnehmenden Händler.

So kann die Prepaid-Technologie genutzt werden, um Bargeld im ÖPNV zu reduzieren, digitale Zahlungsmethoden weiter zu forcieren und eine Vernetzung von ÖPNV und Handel entlang einer Nutzungskette mit einer Win-win-Situation für alle Beteiligten zu erzielen. Dafür ist eine sichere, digitale Zahlungs- und Transaktionsinfrastruktur notwendig, die alle teilnehmenden PoS und die Verbraucher verbindet und gleichzeitig so flexibel ist, weitere Vertriebs-, Auflade- und Einlösepunkte aus den Bereichen öffentlicher, privater Mobilität, lokaler Handel oder auch Kultur einzubinden.

Gekommen, um zu bleiben

Der gestiegene Prepaid-Einsatz im Zahlungsmix des ÖPNV unterstützt die Kunden dabei, ihre Zahlungsbedürfnisse zu erfüllen - bei gleichzeitiger sanfter Transformation ihrer Zahlungsgewohnheiten hin zu digitalen Formen. So kann Prepaid durchaus als Brückentechnologie für Digitalisierungsvorhaben im ÖPNV - hin zum Megatrend bargeldloses Bezahlen - verstanden werden. Doch Prepaid ist gekommen, um zu bleiben!

Seit den ersten Anfängen im Mobilfunkbereich haben sich Prepaid-Anwendungen fest im Habitus der Verbraucher etabliert und so viele neue Geschäftsfelder erobert. Obwohl Prepaid also vor mehr als 25 Jahren das Licht der Welt erblickte, ist sie keinesfalls Vergangenheit. Prepaid ist vielmehr eine bereits fest etablierte und chancenreiche Basistechnologie im Payment, die digitale Brücken in die Zukunft baut - und demnach aktueller denn je ist!

Neue Geschäftschancen für Banken und Payment-Dienstleister

Die neuen Chancen ergeben sich im Bereich Prepaid-Anwendungen im ÖPNV für viele neue Marktteilnehmer, insbesondere Banken, Zahlungsdienstleister, Issuer, aber auch Distributoren, Prozessoren, Akzeptanten und dem Handel. Denn die ÖPNV-Branche birgt ein riesengroßes Kundenpotenzial mit täglichem und mehrfachem Kundenkontakt!

So befördern die Mitgliedsunternehmen des VDV jeden Tag 30 Millionen Fahrgäste in Deutschland mit Bus und Bahn und erwirtschaften damit 13,3 Milliarden Euro Einnahmen aus Fahrgastbeförderung allein durch Fahrgelder, was rund 35 Prozent mehr ist als vor zehn Jahren. Insgesamt gehen sogar über 67,4 Milliarden Euro der Wertschöpfung in Deutschland auf den öffentlichen Verkehr zurück.4)

Das ist ein großes Kunden- und Umsatzpotenzial, das Banken durch Ausgabe neuer Zahlungsmittel erschließen können. Im Fall von Berlin befördert die BVG mit ihren Verkehrsmitteln jährlich über eine Milliarde Fahrgäste, zu denen der Bankenpartner der neuen Prepaid- Lösung, die Helaba, somit potenziellen Zugang erhält. Ein durchaus zukunftsorientiertes Vorgehen in Zeiten, in denen sich Verbraucher weg von den klassischen Zahlmitteln hin zu elektronischen Zahlungsmitteln und digitalen Wallets bewegen und das Zahlmittel selbst vom Geld abgekoppelt ist. Durch diese Entwicklung läuft die Bankenbranche Gefahr, die direkten Kundenbeziehungen und damit auch Kundendaten zu verlieren und nur noch Hüter des Geldes zu sein. Das Potenzial an neuen digitalen Zahlmitteln steigt enorm und damit auch die mögliche Teilhabe: von Prepaid-Lösungen im ÖPNV über händlereigene Payments bis hin zu QR- und barcodebasierten Wallets aus Asien oder auch Super-Apps.

Für Zahlungsdienstleister ergeben sich daraus direkt neue Chancen wie im Acquiring und Processing sowie in der Aggregation neuer digitaler Zahlmittel - aber auch neue Geschäftschancen als lizensierter, technologischer Outsourcing-Partner für Banken und Fintechs.

Bei so viel Innovationen und Bewegungen im Markt muss jedoch höchste Sicherheit im Zahlungsverkehr im Fokus stehen. Daher forciert Epay, das seit 25 Jahren in Deutschland als unabhängiger Netzbetreiber, aber weltweit als Prepaid-Processing-Unit des Zahlungsnetzwerkes Euronet Worldwide in über 62 Ländern ein jährliches Volumen von 3,12 Milliarden Transaktionen handelt, die konsequente Einhaltung sämtlicher Anforderungen. Das beinhaltet PCI-DSS, PCI-PIN, ISO 27001, VISA-PIN Security Audit, SOX Compliance bis hin zu KritisV sowie BaFin und inkludiert ebenso das in Deutschland betriebene active-active Hochsicherheitsrechenzentrum. Mit diesen Sicherheitsverständnis hat Epay mit den ersten aufladbaren Mobilfunkkarten die Prepaid-Stunde-Null in Deutschland mitgestaltet und seitdem die Prepaid- Technologie in weitere Geschäftsfelder wie Marken-Gutscheine und nun Guthabenkarten für den ÖPNV in Berlin und Hamburg eingebracht - eine Geschichte, die zeigt: Prepaid ist eine bewährte Basistechnologie, die für ein nachhaltiges, erfolgreiches Wachsen in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Quellennachweis:

1) Studie "The Future of Transportation: Mobility in the Age of the Megacity" von Visa in Zusammenarbeit mit Sapio Research. Juli 2018. https://vision.visaeurope.com/blogs/future-of-transportation)

2) Mobile Payment Monitor 2020/Statista

3) Deutsche Bundesbank: Zahlverhalten in Deutschland, 14. Januar 2021 https://www.bundesbank.de/resource/blob/855642/3861895e6dd5559a10ee2989ce47cae0/mL/zahlungsverhalten-in-deutschland-2020-data.pdf

4) VDV - Die Verkehrsunternehmen, Daten und Fakten zum Personen- und Schienengüterverkehr, 2019, https://www.vdv.de/daten-fakten.aspx

Michael Beer , Vertriebsleiter , Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) AöR, Berlin
Stephan Heintz , Senior Director Issuing epay, transact Elektronische Zahlungssysteme GmbH, Martinsried

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