Schwerpunkt Pfandbriefe und Covered Bonds

Asset Encumbrance: Eine Rehabilitation

Pfandbriefe sind besicherte Schuldverschreibungen, Vermögenswerte einer Bank werden also durch sie belegt und (erst einmal) für andere Gläubiger gesperrt - "Asset Encumbrance" ist dafür der Terminus technicus. Die Äußerungen hierzu sind in letzter Zeit oft kritisch: Von sinkenden Insolvenzquoten für Senior-Unsecured-Anleihen ist die Rede und von einer Belastung des Einlagensicherungssystems.

Es gibt bereits viele Statistiken zum Ausmaß der Asset Encumbrance. Zu den tatsächlichen Wirkmechanismen und quantitativen Auswirkungen hingegen herrscht seltsamerweise Stille. Die Darstellung des Gesamtkomplexes (auch Repo-Geschäfte, EZB-Tender und Derivate-Collaterals fallen unter diesen Begriff) dürfte auch schwierig sein - denn zu unterschiedlich sind diese Varianten. Für den konkreten Fall des deutschen Pfandbriefs zumindest ist eine Detailanalyse einfach möglich - und aufschlussreich.

Ein konkretes Beispiel

Der Prozess der "Encumbrance" sei an einem Beispiel veranschaulicht (siehe Abbildung): Die Beispiel-Bank hält (Immobilien-, Staats-, Schiffs-)Kredite über 100 Euro, welche mit zehn Euro Eigenkapital unterlegt und damit refinanziert werden, die restlichen 90 Euro sind Senior Unsecured Funding.

Für die Senior-Unsecured-Gläubiger würde es dann kritisch, wenn die Bank abgewickelt werden muss und der Erlös aus dem Kreditportfolio weniger als 90 Euro beträgt, die Erlösquote also weniger als 90 Prozent beträgt. Liegt diese darüber, ist der Vorfall zwar ärgerlich und potenziell langwierig, es besteht jedoch keine Substanzgefährdung - und um diese geht es den Gegnern einer Asset Encumbrance gerade.

Liquidität durch Pfandbrief-Emission

Lässt man nun die Asset Encumbrance geschehen, ist es aufschlussreich, die Substitution von Senior Unsecured durch Pfandbriefe in den Schritt der Pfandbrief-Emission und den Folgeschritt der Senior Unsecured-Rückzahlung zu zerlegen.

Im ersten Schritt werden neue Pfandbriefe über 50 Euro emittiert. Hierdurch verlängert sich die Bilanz: Neuen Verbindlichkeiten über 50 Euro stehen im Gegenzug erhaltene Zahlungsmittel über 50 Euro gegenüber. Als Überdeckungsanforderung nehmen wir eine typische Quote von 20 Prozent an, was bedeutet, dass Kredite in Höhe von 60 Euro als Deckungswerte in das Deckungsregister eingetragen werden.

Müsste die Bank an dieser Stelle abgewickelt werden, ergäbe sich für Senior Unsecured ein Bild wie in der Ausgangssituation: Um 90 Euro zu bedienen stehen direkt 50 Euro Cash sowie 40 Euro Kredite außerhalb der Deckung zur Verfügung. Letztere bringen wie im Basisszenario 36 Euro, das heißt die Senior-Unsecured-Gläubiger haben unmittelbar Zugriff auf 86 Euro.

§ 30 Abs. 4 PfandBG stabilisiert

Zusätzlich greift § 30 Abs. 4 PfandBG: Die nach Befriedigung der Pfandbriefgläubiger verbleibenden Deckungswerte sind der Insolvenzmasse zuzuführen. Aus 60 Euro Deckungsmasse wurden 54 Euro erlöst bei 50 Euro Pfandbriefumlauf; somit erlösen die Senior-Unsecured-Gläubiger insgesamt 90 Euro und sind so gestellt wie vor der Pfandbrief-Emission.

Auch eine Rückzahlung eines Teils der Senior-Unsecured-Anleihen aus dem Emissionserlös verändert die Situation nicht: Eine Bankabwicklung nach dieser Bilanzverkürzung um 50 Euro führt zu einem Erlös von unverändert 36 Euro aus dem Außerdeckungsteil der Kredite zuzüglich vier Euro nach der Verwertung der Deckung. Somit hat weder die (bilanzverlängernde) Emission von Pfandbriefen noch die Verwendung des Emissionserlöses zur teilweisen Senior-Unsecured-Rückzahlung Relevanz für die Insolvenzquote der Senior-Unsecured-Gläubiger.

Senior Unsecured mit nur kleinen Vorteilen

Und was ist bei einer geringeren Erlösquote als 90 Prozent, etwa bei 85 Prozent? Dann läge die Insolvenzquote der Senior-Unsecured-Gläubiger

- im Ausgangsfall bei 85 Euro/90 Euro = 94,4 Prozent,

- nach Pfandbrief-Emission bei (34 Euro + 50 Euro + 1 Euro)/90 Euro = 94,4 Prozent,

- nach Teilrückzahlung bei (34 Euro + 1 Euro)/40 Euro = 87,5 Prozent für die noch nicht zurückgezahlten Anleihen und 50 Euro/50 Euro = 100 Prozent für die zurückgezahlten Anleihen.

Auch im letzten Fall liegt die gesamte Insolvenzquote also ebenfalls bei 94,4 Prozent. So ärgerlich der Verlust wäre: Einen Unterschied hat die Pfandbriefemission nicht gemacht. Und bevor man sich an der optisch höheren Verlustquote reibt: Dann wäre jedwede Rückzahlung von Senior Unsecured problematisch, und der konsequente Imperativ wäre, vor Abwicklung noch möglichst viele Zahlungsmittel über Senior-Unsecured-Emissionen hinein zu holen. Dies ist offensichtlich unsinnig.

Nun könnte man das Beispiel auch mit 80 Prozent Erlösquote durchrechnen, und siehe da, § 30 PfandBG wirkt dann tatsächlich umgekehrt: Weil aus den Deckungswerten nur noch 48 Euro bei 50 Euro Pfandbriefen erlöst werden, reihen sich die Pfandbriefgläubiger umgekehrt beim Insolvenzverwalter der Restbank ein. 32 Euro Krediterlösen und 50 Euro Zahlungsmittel stehen dann 92 Euro Forderungen gegenüber, was zu einer Insolvenzquote von 89,1 Prozent geführt. Im Ausgangsfall sind es 80 Euro für 90 Euro Forderungen - also 88,9 Prozent, die Insolvenzquote steigt also entgegen der Erwartung mit Pfandbriefemission leicht.

Sicherung greift vorher mehrfach

Letzteres geschehe zulasten der Pfandbriefgläubiger. Nur ist ein solches Ereignis extrem unrealistisch. Denn in der Realität vorher greifen zwei Sicherheitsmechanismen: Die regulatorische Eigenkapitalunterlegung sorgt dafür, dass selbst im Stress ausreichend Kapitalpuffer vorhanden ist; und solange das Kapital nicht komplett verzehrt wird, reichen die Asset-Erlöse für die Fremdkapitalgeber, unabhängig davon, wie diese untereinander stehen.

Die Überdeckungsanforderungen der Ratingagenturen sind so konservativ gestellt, dass der Fall einer Einreihung der Pfandbrief-Gläubiger beim Insolvenzverwalter vernachlässigbar ist1) - was umgekehrt heißt, dass Senior Unsecured mehr Assets zustehen als oberflächlich betrachtet. Die differenzierte Analyse der Ratingagenturen widerlegt zudem einen anderen oft problematisierten Aspekt: Wenn die Asset-Qualität der Deckungswerte besser sein sollte als der Restbestand, dann wäre die geforderte Überdeckung geringer als die 20 Prozent des Beispiels. Es steigt somit die relative Position von Senior Unsecured am Kreditbestand, ganz zu schweigen von den dank Emission zugeflossenen risikolosen Zahlungsmitteln.

Kurz gesagt: Wenn es wirklich relevant würde, in welcher Rangfolge Fremdkapitalgeber bedient werden, dann ist vorher sowohl bei der Kapitalunterlegung als auch bei der Analyse der Ratingagenturen einiges schief gegangen. Fakt ist daher, dass es überhaupt noch nicht notwendig war, die Rangfrage in der Praxis auszutesten.

Die Sachargumente in den Vordergrund stellen

Es mag öffentlichen Beifall auslösen, Asset Encumbrance zu verteufeln und unbegründete Verlustängste zu provozieren; sachlich gerechtfertigt ist die Kritik zumindest bezüglich des Pfandbriefes mit seinem § 30 PfandBG im Allgemeinen nicht. Sinnvoller wäre es, an den entscheidenden Themen Kapital und Bankausfall an sich zu arbeiten.

Wenn es nun für Senior Unsecured letztlich egal ist, ob eine Bank zusätzliche Pfandbriefe emittiert, dann heißt dies noch lange nicht, dass es für die Bank egal ist. Immerhin liegt die Erlösquote im Beispiel durch gehend mindestens auf dem Niveau von Senior Unsecured. Dies spricht nicht nur in normalen Zeiten andere Investoren an. Gerade in Stresssituationen - Illiquidität droht, ohne dass Insolvenz vorliegt - stellt die Mittelaufnahme per Pfandbrief eine Stabilisierungsmöglichkeit dar, die gerade auch den bestehenden Fremdkapitalgebern zugute kommt. Warum diese also durch regulatorische Begrenzungen behindern?

Interessanterweise scheint dies außerhalb des Bankensektors keine Sorgen zu bereiten. Vernünftigerweise will niemand einem produzierenden Unternehmen verbieten, einen erstrangig besicherten Realkredit auf seine Unternehmensimmobilie aufzunehmen und mit dem Erlös Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten zu tilgen. Noch unverständlicher wäre eine solche regulatorische Begrenzung erst recht bei Spezialbanken, die sich kontinuierlich und transparent mit Pfandbriefen refinanzieren. Hier kann noch nicht einmal angeführt werden, die Senior-Unsecured-Gläubiger wären (wie gesehen: positiv) überrascht worden.

Pauschale Obergrenze nicht sachgerecht

Bei neuen Covered-Bond-Gesetzen mag eine restriktive Obergrenze zum Erfahrungsammeln für Banken und Investoren vernünftig sein; vielleicht auch mangels der "Wunderwaffe" § 30 PfandBG. Die guten Erfahrungen der Vergangenheit sollten nicht in Vergessenheit geraten: Gerade Deutschland hat mit der Pfandbriefgesetzgebung gute Erfahrung gemacht. Darauf sollte man positiv aufbauen und Asset Encumbrance differenziert betrachten.

Fußnote

1) Arnd Stricker, Leo Cremer: "Sicherheit versus Triple-A", Immobilien & Finanzierung 14 (2012), Seite 477 bis 479.

Prof. Dr. Leo Cremer , Professur für Mathematische Methoden in der Bau- und Immobilienwirtschaft, Hochschule RheinMain, Wiesbaden
Noch keine Bewertungen vorhanden


X