Aufsätze

Asset Encumbrance: weiterer Handlungsbedarf

Wer sich ausschließlich auf dem Parkett Berliner Bankenverbände bewegt, weiß wie die Finanzkrise entstanden ist: In den USA wurde mit forderungsbesicherten Wertpapieren (Asset Backed Securities, ABS) eine Vermögensklasse der organisierten Verantwortungslosigkeit geschaffen. Wer Risiken nicht auf der Bilanz halte, kümmere sich eben nicht um die korrekte Messung. Der folgende unvermeidbare Crash habe dann die Krise eingeleitet. Wer diese Lesart der Krise verstanden hat, weiß auch welche Instrumente zu ihrer Lösung ausreichen: Eine prohibitive Erhöhung von Eigenkapitalanforderungen auf Verbriefungen sowie ein hoher Selbstbehalt bei ABS. Doch trifft diese Analyse tatsächlich den Kern der Krise?

Marktversagen und Fehleinschätzung von Risiken

Ein Ökonomenteam hat Ende 2008 die Ausfallraten von Subprime-Immobilienkrediten in den USA innerhalb von Verbriefungsstrukturen mit den Ausfallraten von Krediten verglichen, welche auf der Bilanz der Banken verblieben sind.1) Dabei stellten sie fest, dass eine Verdopplung des Verbriefungsvolumens bei gleich gerateten Krediten zu einer Erhöhung der Ausfallrate von zehn bis 25 Prozent führt. In einer bestimmten Ratingklasse mit einer empirischen Ausfallrate von fünf Prozent innerhalb von zwei Jahren steigt diese durch eine Verdopplung des Verbriefungsvolumens also um 0,5 bis ein Prozent an.

Das ist ein starkes Indiz dafür, dass bei Verbriefungen die Kreditanalyse weniger ausgeprägt sein könnte, was zu höheren Ausfallraten innerhalb der gleichen Ratingkategorie führt. Wenn jedoch das Portfolio mit 0,5 Prozent Ausfallrate per annum und daher ein Prozent auf zwei Jahre kalkuliert war, kann der Unterschied zwischen fünf Prozent und sechs Prozent bei den tatsächlichen Ausfallraten nicht ursächlich für die komplette Krise sein. Vielmehr zeigen sich eine generelle Abnahme des Risikobewusstseins und eine völlig falsche Einschätzung der Ausfallraten. Die Krise ist also nicht auf regulatorische Arbitrage durch ABS zu reduzieren. Stattdessen handelte es sich um kollektives Marktversagen und eine marktübergreifende Fehleinschätzung von Risiken.

Eine solches kollektives Marktversagen könnte ebenfalls bei unbesicherten Bankanleihen drohen. Wenn ein derart wichtiges und preisbildendes Thema wie Asset Encumbrance erst seit 2011 diskutiert wird, entstehen zumindest Zweifel, ob die Bepreisung von Risiken am Markt gut funktionieren kann. Als Asset Encumbrance bezeichnet man die Aussonderung von Vermögenswerten in der Insolvenz an bevorrechtigte Gläubiger, zum Beispiel an die Halter von Covered Bonds oder Geschäftspartner aus derivativen Geschäften oder Repos. Das geht jedoch auf Kosten der restlichen Gläubiger. Denn klar ist: Je höher der Grad an Asset Encumbrance, desto höher ist die Verlustquote bei Ausfall für die unbesicherten Gläubiger.

Risikoverlagerung auf die Einlagensicherung

In einer perfekten Modigliani/Miller-Welt sind die Folgen für die Refinanzierungskosten einfach: In dem Maße, wie Risiken von besicherten Gläubigern ferngehalten werden, sinken deren Refinanzierungskosten, während die unbesicherten Gläubiger, denen diese Risiken aufgebürdet werden, das auf sie übertragene Risiko genau in diesem Maße werden vergütet haben wollen. In der realen Welt gibt es jedoch gute Gründe, warum Gläubiger diese Prämie nicht einfordern. So besteht beispielsweise für einen wichtigen Teil der unbesicherten Gläubiger, nämlich für die Halter von Einlagen aufgrund der gesetzlichen Einlagensicherung eine Garantie ihrer Vermögenswerte, zumindest bis zu einer bestimmten Höhe.

Eine Erhöhung der Asset Encumbrance führt daher zu günstigeren Refinanzierungsbedingungen bei den besicherten Gläubigern, während die Einleger aufgrund der Garantie keine zusätzliche Prämie verlangen werden. Das zusätzliche Risiko wird in diesem Fall von der Einlagensicherung übernommen. Da diese in der Regel dafür keine erhöhten Beiträge fordert, ist der Anreiz groß, auf diese Weise Risiken kostenlos an Dritte weiterzugeben. Auch die Wahrscheinlichkeit eines Bail-outs sowie die Erwartung von Liquiditätshilfen der Zentralbank führen dazu, dass Risiken durch eine höhere Asset Encumbrance externalisiert werden können. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist eine höhere Asset Encumbrance daher absolut sinnvoll. Dass diese Möglichkeiten bis zur Krise kaum ausgenutzt wurden, kann daher nur durch die Verfügbarkeit von extrem günstiger unbesicherter Finanzierung erklärt werden. Anders gesagt: Wenn der komplette Bail-out erwartet wird, ist es egal, ob mein Schuldschein besichert ist oder nicht.

Doch die Politik hat nach der Lehman-Pleite in 2008 reagiert. Auf der G20-Ebene einigte man sich darauf, dass ungeordnete Insolvenzen systemrelevanter Banken aufgrund der entstandenen Kollateralschäden zukünftig vermieden werden müssen. Wer vor dem Hintergrund dieser Regel verhindern will, dass Banken mit dem Geld der Steuerzahler gerettet werden müssen, muss ein Rahmenwerk schaffen, in welchem eine Beteiligung der Gläubiger bereits vor der Insolvenz und ohne unvertretbare Risiken für die Finanzstabilität möglich ist. In der EU wird diese Prämisse nun mit der Banking Restructuring and Resolution Directive (BRRD) umgesetzt. Darin wird festgelegt, dass zukünftig Gläubiger unbesicherter Bankanleihen zu beteiligen sind, bevor Steuerzahlergeld aufgewendet werden darf.

Des Weiteren hat der Europäische Rat am 27. Juni 2013 beschlossen, dass Einlagen bis zu 100 000 Euro pro Einleger von einem Bail-in ausgenommen werden sollen.2) Glaubt man an eine Umsetzung dieser Versprechen, muss man zukünftig mit einer höheren Verlustquote bei unbesicherten Bankanleihen rechnen. Barclays ging deshalb bereits im Februar 2012 von einer Verlustquote bei Ausfall von 100 Prozent aus und erwartete einen deutlichen Anstieg der Spreads zwischen besicherter und unbesicherter Refinanzierung in der EU.3) Dennoch lässt sich diese logische Schlussfolgerung bislang nicht an den CDS Spreads der Banken ablesen. So stellte die EZB etwa in ihrem Financial Stability Report 2012 fest, dass Asset Encumbrance nicht signifikant mit der Höhe der CDS Spreads korreliert.4)

Gefährliche Vernachlässigung der Asset Encumbrance

Ein Grund dafür könnte sein, dass Asset Encumbrance trotz seiner großen Bedeutung keine Rolle in der Bewertung von Ratingagenturen spielt, denn diese bewerten lediglich die Ausfallwahrscheinlichkeit und nicht die Verlustquote bei Ausfall. Geht man davon aus, dass externe Ratings immer noch eine der wichtigsten preisbildenden Faktoren im Markt sind, ist eine ratingbedingte Verzerrung aktueller Marktpreise eine mögliche Erklärung für die bislang zurückhaltende Marktreaktionen. Auch interne Ratingmodelle, deren Ergebnisse sich aus historischen Ausfallraten ableiten, können solche strukturellen Marktveränderungen nicht feststellen und könnten daher falsche Ergebnisse liefern.

Aus Perspektive der Finanzstabilität ist die Vernachlässigung der Asset Encumbrance gefährlich: Wenn die zukünftig höheren Verluste sich nicht in Marktpreisen widerspiegeln und sowohl externe Ratings als auch interne Modelle die Strukturveränderungen nicht erfassen, könnte dies dazu führen, dass zu wenig Eigenkapital für drohende Verluste vorgehalten wird. Das könnte also auf eine ähnliche Phase der Risikoignoranz hindeuten wie vor der Subprime-Krise.

Verhaltene Aktivität der Regulatoren

Regulierung, so ein gängiger Vorwurf, schützt häufig vor der letzten, nicht jedoch vor der nächsten Krise. In Bezug auf Asset Encumbrance ist genau in diesem Sinne zu beobachten, dass aktuelle Regulierungsvorhaben hier nicht wirklich hilfreich sind. So werden besicherte Schuldverschreibungen sowohl in Solvency II als auch in der CRR durch geringe Risikogewichte bevorzugt. Die Liquidity Coverage Ratio erkennt sie als liquide Papiere an. Die EZB privilegiert sie durch niedrige Haircuts bei Offenmarktgeschäften und hat zusätzlich den Markt durch Aufkäufe in Höhe von 69,5 Milliarden Euro gestärkt. Daneben wirkt stärkere Asset Encumbrance unter der Annahme perfekter Märkte selbstverstärkend: Je höher die Asset Encumbrance einer bestimmten Bank, desto höher der Spread zu unbesicherter Finanzierung in dieser Bank und desto höher der Anreiz für Eigenkapitalgeber, neue Fremdfinanzierung in besicherter Form aufzunehmen.5)

Gerade auch in Deutschland ist die Aktivität der Regulatoren noch recht verhalten. Jedenfalls sah man kein Problem, als Pfandbriefbanken nach der Krise verstärkt ins Einlagengeschäft einstiegen, zuletzt die Deutsche Pfandbriefbank pbb. Selbst die in der Krise gekippte IKB hatte dank Einlagensicherung kein Problem damit, online Einlagenkunden anzuwerben und gleichzeitig die besicherte Refinanzierung auszubauen. In ihrem Halbjahresfinanzbericht 2012/2013 schreibt sie das auf Seite acht in erstaunlicher Offenheit: "Die Refinanzierungsstruktur der IKB, die bis zum Ausbruch der Finanzkrise durch die Begebung unbesicherter Anleihen dominiert war, wird seither sukzessive durch einen Refinanzierungsmix mit besicherten Finanzierungen sowie einem verbreiterten Einlagengeschäft mit Firmen und Privatkunden abgelöst." Das bedeutet im Kern nichts anderes, als dass hier Ausfallrisiken in der Einlagensicherung sozialisiert werden. Zwar wurde das Thema im hauseigenen BaFin-Journal bereits angesprochen, jedoch ohne auf die Relevanz für einzelne Institute einzugehen oder Lösungsvorschläge zu präsentieren.6)

Laut aktuellem Plan soll der Single Supervisory Mechanism im Herbst bei der EZB starten. Sollte ein Institut deutlich nach Beginn der einheitlichen Aufsicht in Probleme geraten, wird sich die Frage nach der Verantwortung und natürlich auch nach der Übernahme eventueller Kosten stellen. Zwar besteht mit der BRRD bis dahin hoffentlich ein gemeinsamer Rahmen für den Umgang mit Bankabwicklungen inklusive der Verpflichtung zur Gläubigerbeteiligung mittels Bail-in. Jedoch hat die Vergangenheit gezeigt, dass der politische Druck zugunsten von Bail-outs durch die Steuerzahler am Wochenende vor einer Abwicklung erheblich ist. Eine Studie im Auftrag der Grünen Bundestagsfraktion und der Grünen Fraktion im Europaparlament kam entsprechend zum Schluss, dass die mangelhafte Gläubigerbeteiligung in der Eurozone nicht am institutionellen Rahmen scheiterte, also zum Beispiel an einem fehlenden Bail-in Tool, sondern vor allem am Willen der Politik, den Gläubigern Verlusten zuzumuten.7)

Die Tatsache, dass am Markt die gestiegenen Risiken für unbesicherte Anleihen trotz Bevorzugung gesicherter Einlagen und Bail-in Tool nicht merklich gestiegen sind, liefert weitere Gründe für gesunde Skepsis, ob das Bail-in Tool überhaupt angewendet werden kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass politische Entscheider sich im Zweifel für eine gerechte Marktlösung durch einen Bail-in anstatt für einen Bailout entscheiden, korreliert in hohem Maße damit, ob Investoren ex ante die Risiken ihrer Investitionen in Bankanleihen korrekt bepreist haben.

Wenn Risiken deutlich unterschätzt wurden, müssen Investoren, darunter auch Banken, Aktiva abbauen, um trotz Verlusten die aufsichtsrechtliche Eigenkapitalquote halten zu können. Passiert dies bei mehreren Banken gleichzeitig, kann der Angebotsdruck zu Preisabschlägen führen, die sich wiederum auf den Wert sonstiger Aktiva und damit auf die Eigenkapitalquote der Institute auswirken. Um die Wohlfahrtseinbußen einer solchen Bankenkrise zu verhindern, könnten Parlamente sich im Zweifel doch wieder für Bail-outs entscheiden. Um einen Bail-in marktschonend einzusetzen, ist es daher essenziell, dass einzelne Gläubigergruppen ex ante die Risiken und Ausfallquoten korrekt kalkulieren und entsprechende Risikoprämien verlangen.

Marktdisziplin erhöhen

Politik und Regulierer sollten daher Initiativen ergreifen, um die Marktdisziplin zu erhöhen. So hat die Grüne Bundestagsfraktion in einem Positionspapier8) vorgeschlagen, Asset Encumbrance als Anteil besicherter Finanzierung im Verhältnis zur Bilanzsumme bei Einlagenkreditinstituten zu begrenzen. Damit orientiert man sich am dänischen Spezialbankenprinzip, welches Hypothekenbanken die Annahme von Einlagen verbietet.9) In einem Änderungsantrag im Finanzausschuss hat die Fraktion zudem gefordert, Asset Encumbrance bei der Kalkulation der Prämien der Einlagensicherung zu berücksichtigen.10)

Da beide Initiativen sich in erster Linie um die Benachteiligung der Einlagensicherung kümmern, wurde ihre Dringlichkeit durch den Entschluss des Europäischen Rats, gesicherte Einlagen von einem Bailin auszunehmen, deutlich abgemildert, da so enorme Risiken von den nationalen Einlagensicherungssystemen hin zu den Haltern unbesicherter Bankanleihen verschoben werden. Da aber eine Marktreaktion bei unbesicherten Bankanleihen wie dargelegt ausblieb, sollten zukünftige Initiativen zuvorderst die Transparenz der Asset Encumbrance erhöhen.

So sollte die Vereinheitlichung der Transparenzanforderungen bei Covered Bonds (in Bezug auf Deckungsstöcke) und Repos eine der ersten Schritte der gemeinsamen Aufsicht sein und am besten noch während des Balance Sheet Reviews der EZB vorgenommen werden. Die aktuell vorhandene Intransparenz bei einem derart wichtigen Einflussfaktor auf den erwarteten Verlust lässt sich nur dadurch erklären, dass Investoren weiterhin von einem Bail-out ausgehen. In jedem anderen Szenario müsste es sich für einige Banken lohnen, ihr niedriges Maß an Asset Encumbrance zu veröffentlichen um dadurch Finanzierungsvorteile gegenüber den intransparenten Kontrahenten zu erhalten, bei welchen Investoren die Unsicherheit einpreisen müssten.

Auch ein erhöhtes Maß an Transparenz wird jedoch nur bedingt die Fehlanreize beseitigen, die aus ratingbasierten Eigenkapitalanforderungen entstehen, die sich entweder nicht um die Verlustquote bei Ausfall kümmern (Standardansatz), oder diese aufgrund historischer Daten herleiten, welche nicht mehr den aktuellen Rahmen inklusive Bail-in reflektieren (IRBA). Hier ist die Aufsicht gefragt, im Rahmen der Säule zwei zusätzliches Kapital zu verlangen, wenn die Asset Encumbrance bei einzelnen Geschäftspartnern stärker als im Marktdurchschnitt steigt.

Fußnoten

1) Keys, Benjamin J., Mukherjee, Tanmoy K., Seru, Amit, Vig, Vikrant (2008), "Did Securitization Lead to Lax Screening? Evidence from Subprime Loans", http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi= 10.1.1.188.9029&rep=rep1&type=pdf, S. 3.

2) Vgl. http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_ data/docs/pressdata/en/ecofin/137627.pdf.

3) Vgl. Barclays Capital | Global Banks: The implications of 0 per cent recovery, 2 Februar 2012, S. 8.

4) Vgl. Europäische Zentralbank (2012), "Financial Stability Review 2012", eigener Verlag, S. 76.

5) Vgl. Admati, Anat R., DeMarzo, Peter M., Hellwig, Martin F. Pfleiderer, Paul (2013), "The Leverage Ratchet Effect", Rock Center for Corporate Governance at Stanford University Working Paper Series, S. 37.

6) Vgl. Meusel, Stefan (2012), "Asset-Encumbrance: Was wird aus unbesicherten Bankanleihen?", BaFin-Journal 07/2012, S. 14 bis 16.

7) Vgl. Dübel, Achim (2013), "Creditor Participation in Banking Crisis in the Eurozone - A Corner Turned?", Studie im Auftrag der Grünen Bundestagsfraktion und der Grünen Fraktion im Europaparlament, http://www.gruene-europa.de/fileadmin/dam/Deutsche_Delegation/Dokumente_Studien/Bank-Creditor-Participation-Eurozone-Finpol-6_13.pdf, S. 4 ff.

8) Vgl. http://www.gruenebundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/finanzen/ Positionspapier_des_AK1_zu_Basel_III.pdf, S. 2

9) Vgl. ECBC Fact Book 2011, European Covered Bond Council, http://www.pfandbrief.de/cms/_internet.ns f/0/8FF777B34A5A88CBC1257AF40057C721/$FILE/ ECBC%20Fact%20Book%202011%5B1%5D. pdf?OpenElement, S. 208:

10) Vgl. http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/133/ 1713318.pdf, S. 6.

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