Basel IV aus Gläubigersicht

Gernot M. Becker, Gruppenleiter Grundsatzfragen, Bereich Finanzinstitutionen und ausländische Gebietskörperschaften, Landesbank Hessen-Thüringen, sowie Lehrbeauftragter, Frankfurt School of Finance and Management, und Alexander Voigt, Referent, mit Zuständigkeit für aufsichtsrechtliche Fragestellungen, ebenfalls Helaba, Frankfurt am Main - Der Tendenz nach sehen die Autoren durch die aufsichtsrechtliche Vereinheitlichung innerhalb der Europäischen Union sowie die Schaffung der Bankenunion in Europa Transparenz und die Vergleichbarkeit von Banken über Landesgrenzen hinweg erhöht. Und auch die laufenden Aktivitäten hin zu einer zunehmenden Bedeutung der Standardansätze und das Zurückdrängen der für Außenstehende nicht sehr durchschaubaren internen Modelle wird von ihnen ausdrücklich begrüßt. Doch im Zusammen wirken der vielen neuen Regeln mit den SREP-, TLAC- und MREL-Vorschriften halten sie die Bonitätsanalyse von Kreditinstituten in der Zukunft keineswegs für einfacher. (Red.)

Aus Gläubigersicht gewinnen spätestens seit der EZB-Bilanzprüfung und dem Stresstest 2014 aufsichtsrechtliche gegenüber bilanziellen Eigenkapitalquoten zunehmend an Bedeutung, da sie auf durch die Aufsicht angepassten Bilanzzahlen beruhen und wertvolatile Aktiva wie immaterielle Vermögenswerte und latente Steuerforderungen vom Eigenkapital abgesetzt werden. Zudem messen sie die Bankrisiken genauer und sind aufgrund der mit der Unterschreitung der Mindestanforderungen verbundenen Konsequenzen der entscheidende Engpassfaktor für Ausschüttungen und geschäftspolitische Maßnahmen. Insofern ist eine laufende Auseinandersetzung mit den regulatorischen Entwicklungen auch zur Beurteilung des Kontrahentenrisikos unentbehrlich. Daher sollen im Folgenden die sich derzeit abzeichnenden Neuerungen aus Kreditgebersicht analysiert werden.

Zielsetzungen und Begriff

Seit Beginn der Finanzkrise 2008 wurden die aufsichtsrechtlichen Eigenkapitalanforderungen immer weiter geschärft (Basel 2.5, Basel III), weil sich gezeigt hatte, dass die bis dahin gültigen Anforderungen nicht ausreichend waren. Mittlerweile musste man feststellen, dass auch diese Regelwerke noch einige Schwachstellen aufweisen. Daher hat der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht seit 2014 eine Reihe von Konsultationspapieren und Standards zur Finalisierung von Basel III veröffentlicht. Die inoffiziell auch unter dem Schlagwort Basel IV bekannten neuen Regeln beziehungsweise Vorschläge sehen weitreichende Änderungen in der Ermittlung der risikogewichteten Aktiva ab 2019/2020 vor. Damit kommen je nach Risikoart (Kreditrisiko, Marktrisiko, operationelles Risiko) und genutzter Verfahren (Standardansatz, interne Modelle) in den nächsten Jahren eine Vielzahl neuer und umfangreicher Anforderungen auf die Banken zu.

Wesentliche Zielsetzungen der Aufsicht dabei sind:

- die weitere internationale Harmonisierung der Regeln einhergehend mit der Einschränkung nationaler Wahlrechte,

- die Erhöhung der Vergleichbarkeit durch mehr Risikosensitivität der Standardansätze und Einschränkung der internen Modelle sowie

- die Stärkung der Marktdisziplin durch erweiterte Offenlegungspflichten.

Die Schwerpunkte der Finalisierung von Basel III beinhalten insbesondere Neuregelungen zu den Eigenmittelanforderungen in Bezug auf Kredit-, Marktpreis- und operationelle Risiken.

Wesentliche Regelwerke und Vorschläge im Einzelnen

Mit dem im Dezember 2014 und 2015 veröffentlichten Konsultationspapier "Revisions to the Standardised Approach for credit risk" hat der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht Vorschläge für die Überarbeitung des Kreditrisikostandardansatzes (KSA) veröffentlicht, mit denen Banken ihre Risiken und damit ihre regulatorischen Mindesteigenkapitalanforderungen bestimmen. Ziel ist dabei die Entwicklung eines einfachen von der Aufsicht vorgegebenen Modells, das nach dem zweiten Konsultationspapier wieder auf externen Ratings beruht.

Zur Verbesserung der Granularität und Risikosensitivität wurden zudem die Forderungsklassen überarbeitet und die Risikogewichte neu kalibriert. Damit erhöht sich die Bandbreite der Risikogewichte innerhalb einer Forderungsklasse gegenüber den derzeit gültigen Regelungen zum KSA. Darüber hinaus soll die Untergrenze der Umrechnungsfaktoren für außerbilanzielle Positionen angehoben werden. Ein weiteres Kernelement der Vorschläge ist die Überarbeitung der Kreditrisikominderungstechniken, die eine Reduzierung der für KSA-Banken zur Verfügung stehenden Methoden vorsehen. Dies betrifft vor allem die Nutzung bankeigener Schätzungen (zum Beispiel Haircuts, Value at Risk).

Neben kleineren und mittelgroßen Banken, die gewöhnlich den Standardansatz für die Ermittlung der Eigenmittelanforderungen nutzen, sind auch größere Banken, die interne Ratingansätze verwenden, in dem Maße betroffen, wie sie für einzelne Kreditportfolios die Risikogewichte des Standardansatzes ansetzen. Das im Dezember 2014 veröffentlichte Konsultationspapier des Baseler Ausschuss "Capital floors: the design of a framework based on standardised approaches" enthält zusätzlich Vorschläge für die Neugestaltung von Kapitaluntergrenzen (sogenannte Capital Floors), um den derzeit noch geltenden Basel I-Floor gemäß CRR zu ersetzen. Damit werden zukünftig die Untergrenzen für das vorzuhaltende Mindesteigenkapital bei internen Ratingansätzen an den Standardansatz gekoppelt. Die Berücksichtigung des Floors erfolgt durch Multiplikation der von den Banken ermittelten Risikoaktiva mit einem vom Baseler Ausschuss kalibrierten Floor-Faktor. Die Entscheidungen zur genauen Ausgestaltung und zur Höhe des Floor-Faktors stehen noch aus. Während der ursprüngliche Floor nur für eine Übergangszeit vorgesehen war, soll er nunmehr die Variationsbreite der mit internen Ratings ermittelten Eigenkapitalunterlegung dauerhaft in systematischerer Form reduzieren und damit die Vergleichbarkeit zwischen Banken erhöhen.

Abschaffung des internen Ratingansatzes

Aus dem gleichen Grund soll der interne Ratingansatz für Banken, Unternehmen mit einer Bilanzsumme von mehr als 50 Milliarden Euro, Spezialfinanzierungen und für Beteiligungen abgeschafft werden. Aufgrund der typischerweise geringen Ausfallraten in diesen Portfolios wird hier zudem die Verlässlichkeit interner Ratingmodelle infrage gestellt.

Wesentliche Kernelemente der neuen Regeln zur Eigenkapitalunterlegung von Marktpreisrisiken vom Januar 2016 sind:

- die Abgrenzung zwischen Handels- und Bankbuch mit einer objektiveren Zuordnung von Finanzinstrumenten,

- die Erschwerung von Transfers zwischen Handels- und Bankbuch,

- die Überarbeitung des Marktpreisrisiko-Standardansatzes zur Eigenkapitalunterlegung,

- Anpassungen in Struktur und Kalibrierung des Standardansatzes,

- die Anpassung interner Modelle durch Ablösung des derzeitigen Value-at-Risk-Verfahrens durch die Expected-Shortfall-Methodik und gegebenenfalls die Beschränkung der Zulassung interner Modelle auf einzelne Handelstische sowie

- die Einführung eines Floors für interne Modelle auf Basis des neuen Marktpreisrisiko-Standardansatzes.

Mit den im April 2016 veröffentlichen Standards zum Zinsrisiko im Bankbuch hat der Baseler Ausschuss die Regelungen zu Messung, Überwachung und Management von Zinsrisiken im Anlagebuch überarbeitet. Hiermit soll eine ausreichende Kapitalausstattung gewährleistet werden, um hieraus erwachsende potenzielle Verluste abzufedern. Von den im ersten Konsultationspapier vom Juni 2015 vorgeschlagenen zwei Optionen für die Ermittlung der Zinsrisiken im Anlagebuch wurde der erste Ansatz, der auf einer einheitlich anzuwendenden Berechnungsmethode im Rahmen der Säule 1 beruhte, wieder verworfen. Stattdessen fand nur der zweite Ansatz Berücksichtigung, bei dem von der Aufsicht genehmigte bankinterne Messverfahren im Rahmen der Säulen 2 und 3 zur Anwendung kommen. Das Zinsänderungsrisiko wird dabei mittels mehrerer definierter Zinsschockszenarien ermittelt, wobei sich zwei Szenarien auf die Änderung des Zinsergebnisses (Net Interest Income, NII) und sechs auf barwertige Marktwertänderungen des Zinsbuches (Economic Value of Equity, EVE) beziehen.

Im März 2016 veröffentlichte der Baseler Ausschuss ein zweites Konsultationspapier zur Neuregelung der Eigenkapitalbedarfsermittlung für operationelle Risiken (Standardised Measurement Approach for operational risk, SMA). Damit soll der bisherige Standardansatz und der fortgeschrittene Messansatz (Advanced Measurement Approach, AMA), der wegen seiner Komplexität und der Schwankungsbreite der Risikoaktiva aus dem Regelwerk gestrichen werden soll, ersetzt werden. Die Ermittlung der erforderlichen Eigenkapitalunterlegung für operationelle Risiken beruht dann ausschließlich auf einem nicht modellbasierten Ansatz unter Bezugnahme auf die beiden Faktoren Geschäftsindikator und Verlustkomponente. Beim Geschäftsindikator wird das operationelle Risiko auf Basis ausgewählter Gewinn- und Verlustdaten berechnet. Für die Ermittlung der Verlustkomponente werden bankinterne historische operationelle Verlustdaten herangezogen.

Weitere Vorschläge zur Überarbeitung

Neben den oben beschriebenen Standards und Konsultationspapieren hat der Baseler Ausschuss noch weitere Vorschläge zur Überarbeitung des Basel-III-Rahmenwerkes auf den Weg gebracht, wie zum Beispiel

- neue Berechnungsmethoden zur Ermittlung des im Risiko stehenden Betrages bei Derivaten,

- überarbeitete Regelungen zur Behandlung des Veränderungsrisikos bei Kontrahentenrisiken (Credit Valuation Adjustment),

- überarbeitete Verbriefungsregelungen sowie

- Regelungen zu erweiterten Offenlegungspflichten.

Darüber hinaus wird die Eigenkapitalunterlegung von Kreditrisiken von Staaten und öffentlichen Stellen seit Ausbruch der Eurostaatenkrise mit dem Ziel einer Abkehr von der derzeitigen pauschalen Null-Prozent-Gewichtung im Standardansatz diskutiert. Ein Konsultationspapier gibt es dazu bislang noch nicht. Es muss zumindest bei der Umsetzung innerhalb der Europäischen Union mit politischen Widerständen gerechnet werden.

Zusammenwirken mit SREP, TLAC und MREL

Die zuvor beschriebene Finalisierung von Basel III ist jedoch nicht allein zu sehen. Für Gläubiger ist insbesondere das Zusammenwirken der regulatorischen Eigenkapitalanforderungen nach Säule 1 mit der Festsetzung der Eigenkapitalanforderungen im Rahmen des aufsichtlichen Überprüfungsprozesses (Supervisory Review and Evaluation Process (SREP), Säule 2) und den Mindestkapitalbestimmungen im Rahmen der Sanierungs- und Abwicklungsregeln relevant.

Im Rahmen des SREP legen die zuständigen Aufsichtsbehörden im Hinblick auf die individuelle Risikostruktur einer Bank einen Eigenkapitalzuschlag fest. Die EZB hat für die von ihr direkt beaufsichtigten Banken die Methodik gegenüber dem entsprechenden Regulatory Technical Standard der EBA verfeinert.1) Auch wird zukünftig ein Teil der Vorgabe als Anforderung (Pillar 2 Requirement) und ein anderer Teil als Empfehlung (Pillar 2 Guidance) ausgesprochen werden. Die Unterscheidung ändert nicht die Gesamthöhe der Anforderung, wohl aber die Folgen der Nichteinhaltung. Bei Einhaltung des Pillar 2 Requirement, nicht aber der Pillar 2 Guidance ist keine automatische Dividenden- oder Kuponsperre vorgesehen, der Reputationsverlust bei Nichterfüllung also ungleich geringer.2) Die Handhabung der EZB kann auch in Euroland - innerhalb der EBA-Vorgaben - von der Vorgehensweise nationaler Aufsichtsbehörden abweichen. So ist zum Beispiel der zusätzliche Datenbedarf für die von der BaFin beaufsichtigten kleineren Banken viel geringer und die Methodik transparenter.3)

Im Nachgang zur Finanzkrise und im Rahmen der Bankenunion wurde ein neues Regelwerk konzipiert, das den staatlichen Bedarf an Bankstützungen möglichst vermeiden soll. So soll der staatliche Bail-out so weit wie möglich durch einen Bail-in der Aktionäre und Gläubiger ersetzt werden. Der Bail-in soll die Abdeckung entstandener Verluste und die Rekapitalisierung der im Fall einer Abwicklung noch fortzuführenden Teileinheiten ermöglichen. Die Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD) legt hier eine Haftungsreihenfolge fest und nimmt verschiedene Verbindlichkeiten vom Bail-in aus. Dazu gehören insbesondere versicherte Einlagen, besicherte Verbindlichkeiten und Verbindlichkeiten mit einer Laufzeit von bis zu sieben Tagen. Allerdings liegt sowohl auf Ebene der BRRD als auch der Single-Resolution-Mechanism-Regulation eine Regelungslücke vor in Bezug auf den besonders bedeutsamen Fall des Bail-in von nichtnachrangigen Verbindlichkeiten, die nicht Einlagen sind.

Unterschiedliche Umsetzungen

Folglich haben sich hier sogar innerhalb von Euroland unterschiedliche Umsetzungen ergeben, die sich grob in drei Gruppen unterteilen lassen:4)

- Statutarische Nachrangigkeit (zum Beispiel Deutschland und Italien): Senior-Anleihen werden gegenüber Einlagen und strukturierten Anleihen explizit oder implizit nachrangig gestellt und damit vor diesen zum Bail-in herangezogen.

- Vertragliche Nachrangigkeit (zum Beispiel Frankreich und Spanien): Es wird zwischen traditionellen Nachrang- und Senior-Anleihen eine neue Anleiheklasse eingefügt, um auch die Senior-Anleihen besser zu schützen.

- Strukturelle Nachrangigkeit (zum Beispiel Großbritannien, Niederlande, Schweiz in Bezug auf die beiden Großbanken und USA): Durch die dort vorherrschende Holdingstruktur sind die von den operativen Banken ausgegebenen Senior-Anleihen den Senior-Anleihen der Bankholdings strukturell vorrangig und werden demnach erst nach diesen zur Verlustdeckung und Rekapitalisierung herangezogen.

Um einen Bail-in im Bedarfsfall zu ermöglichen, sollen die Banken verpflichtet werden, Mindestvolumina an bail-in-fähigen Eigen- und Fremdkapitalinstrumenten vorzuhalten. Dazu wurde seitens des Financial Stability Board und des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht die Größe Total Loss Absorbing Capacity (TLAC) und auf Ebene der EU die sogenannten Minimum Requirements for Own Funds and Eligible Liabilities (MREL) konzipiert. Für TLAC liegt ein ausgearbeitetes Konzept vor, für die MREL erst teilweise. In der BRRD sind aber Eckpunkte dafür bereits abgesteckt.

Heterogenität eher noch verschärft

Die TLAC-Regeln sollen ab 2019 für die derzeit 30 global systemrelevanten Banken Anwendung finden. Diese müssen ab 1. Januar 2019 in Höhe von 16 Prozent der risikogewichten Aktiva beziehungsweise 6 Prozent der Bemessungsgrundlage für die Leverage Ratio und ab 1. Januar 2022 in Höhe von 18 Prozent beziehungsweise 6,75 Prozent TLAC-fähige Verbindlichkeiten vorhalten.5) Die USA und die Schweiz haben in Bezug auf die in ihren Ländern domizilierten global systemrelevanten Banken bereits strengere nationale Regeln erlassen.

Um Rechtssicherheiten weitestgehend auszuschließen, sind TLAC-fähige Verbindlichkeiten jedoch enger definiert. Alle Kapitalinstrumente, die TLAC-fähig sind, sind gleichzeitig auch bail-in-fähig. Dies gilt jedoch nicht umgekehrt. So ist zum Beispiel eine Voraussetzung für die TLAC-Fähigkeit eine Restlaufzeit von mindestens einem Jahr. Aufgrund der Bezugnahme des TLAC-Konzepts auf die Rechtswirksamkeit des Bail-in in den jeweiligen Rechtsordnungen und die oben erwähnte Heterogenität der nationalen Regelungen ergeben sich auch in Bezug auf das TLAC national unterschiedliche Umsetzungsformen.

Die endgültigen MREL-Anforderungen werden bis Ende 2016 erwartet, an die sich eine bis zu vierjährige Übergangsphase anschließen wird. Sie sollen - anders als die TLAC-Regeln - für alle Banken in der EU gelten.

Es zeigt sich, dass die bereits bei den Eigenkapitalregeln nach Säule 1 bestehende Heterogenität sich in Bezug auf die TLAC- und MREL-Regeln noch verstärkt. Das MREL-Konzept wird auch strukturell vom TLAC abweichen. So werden die verschiedenen nach der CRD vorzuhaltenden Eigenkapitalpuffer nicht auf die TLAC-Anforderung, wohl aber auf die MREL angerechnet. Die TLAC-Anforderung richtet sich nach den Risikoaktiva und dem Leverage Exposure. Bei den MREL werden zusätzlich noch bankindividuelle Zu- und Abschläge in Abhängigkeit von Geschäftsmodell, Finanzierungsmodell, Risikoprofil, Stresstestergebnissen oder makroprudentiellen Risiken sowie von der für den Notfall vorgesehenen Abwicklungsstrategie vorgenommen.6) Die Diversität wird weder durch die EU-Harmonisierung noch die Bankenunion innerhalb Euroland vollständig beseitigt. Im Gegenteil: es können neue Inkonsistenzen hinzukommen, wenn die EZB als Aufseher und der Single Resolution Board als zuständige Abwicklungsbehörde zueinander unpassende SREP- beziehungsweise MREL-Anforderungen stellen.7)

Erhebliche Änderungen in der Kalibrierung erforderlich

Seitens der Aufsicht wurde immer wieder erklärt, dass sich durch die Finalisierung von Basel III der Eigenkapitalbedarf nicht wesentlich erhöhen soll. Dies steht bislang jedoch noch im Widerspruch zu den im Markt zirkulierten Erwartungen beziehungsweise Schätzungen.8) So werden in nahezu allen Teilbereichen, insbesondere aber durch die Floor-Untergrenzen, die Abschaffung des internen Ratingansatzes für Portfolios mit niedrigen Ausfallraten sowie im Marktrisikobereich signifikante Erhöhungen erwartet. Basel IV wird sogar als "das inhaltlich weitreichendste Regulierungsprojekt seit der Finanzkrise und ... die bislang größte Herausforderung für viele Geschäftsmodelle" angesehen.9) Auch die EU-Kommission lehnt die vorgeschlagene Behandlung für Immobilien-, Unternehmens- und Infrastrukturkredite sowie die Einführung von Rating-Floors ab. Um die Zielsetzungen und die derzeit erwarteten Auswirkungen in Einklang zu bringen, sind sicherlich noch erhebliche Änderungen vor allem in der Kalibrierung erforderlich. Aus kreditanalytischer Sicht kommt es dabei weniger auf die absolute Höhe im Verhältnis zu den unmittelbar gemessenen Risiken, sondern auch auf Geschäftsmodell, Haftungskaskade im Einzelfall, nachhaltige Ertragskraft und Risikosensitivität an.10)

Abgesehen von den Auswirkungen auf die jeweiligen Geschäftsmodelle ist aus Analystensicht auch die Vergleichbarkeit von Banken über Landesgrenzen hinweg wichtig. Insoweit sind die zunehmende Bedeutung der Standardansätze und das Zurückdrängen der für Außenstehende nicht sehr transparenten internen Modelle zu begrüßen.

Enormes Komplexitätsniveau

Auch hat sicherlich die aufsichtsrechtliche Vereinheitlichung innerhalb der Europäischen Union und die Bankenunion in Euroland hier die Transparenz erhöht. So wurden im letzten Jahr die im Ermessen der Aufsichtsbehörden liegenden nationalen Optionen und Wahlrechte durch eine Einigung zwischen EZB und nationalen Behörden auf eine einheitliche Vorgehensweise beseitigt.11) Jedoch bleiben gerade aus Gläubigersicht in einigen Punkten wesentliche Unterschiede, so bei den neben Säule-1- und 2-Anforderungen vorzuhaltenden Eigenkapitalpuffern und den oben bereits erwähnten Bail-in-Regeln.

Besonders problematisch für die Bonitätsanalyse ist das zwischenzeitlich erreichte Komplexitätsniveau aus dem Zusammenwirken von risikogewichteten Eigenkapitalanforderungen, Leverage Ratio und SREP-Anforderungen einerseits sowie TLAC/MREL andererseits. Während die erstgenannten Größen auf den Fortführungsfall abzielen, wird der Fokus insbesondere bei den MREL auf Restrukturierungs- und Abwicklungsszenarien liegen, die nur den Aufsichts- beziehungsweise Abwicklungsbehörden aufgrund der eingereichten Sanierungspläne bekannt sind. Die bestehenden Unterschiede bei der Abgrenzung der einzelnen Kapitalinstrumente, bei der festgelegten Mindesthöhe und über Ländergrenzen hinweg sind nur teilweise methodisch berechtigt und in den meisten Fällen außenstehenden Gläubigern nicht oder nur schwer erschließbar. Dies gilt umso mehr, als hier auch nationale politische Interessen einwirken.

Durch die Begrenzung der internen Modellansätze durch Floor-Regeln, strengere Anforderungen oder gar durch Abschaffung, wie zum Beispiel bei internen Ratings und beim operationellen Risiko, wird die Variationsbreite der Eigenkapitalanforderungen reduziert. Dies erhöht die Vergleichbarkeit zwischen Banken deutlich. Nichtsdestoweniger macht das Zusammenwirken der neuen Regeln mit den SREP-, TLAC- und MREL-Größen die Bonitätsanalyse von Kreditinstituten in der Zukunft nicht einfacher. Diese sind zudem nur teilweise transparent und werfen neue Inkonsistenzen auf, was auch bankseitig die Investor-Relations-Kommunikation erschweren wird.

Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Meinung der Autoren wieder.

Literatur

Becker, G./Voigt, A., Wie wichtig ist eine hohe Eigenkapitalquote für Bankengläubiger?, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 22/2014, S. 1123 bis 1126.

Becker, G./Voigt, A., Die Bankenunion aus Gläubigersicht, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 21/2015, S. 1060 bis 1063.

BBVA Research, EU loss-absorbing capacity requirement: final MREL guidelines, 07.07.2015, verfügbar unter: https://www.bbvaresearch.com/en/publicaciones/eu-loss-absorbing-capacity-requirementfinal-mrel-guidelines/.

Danne, M., Perspektivische Kapitalanforderungen an Banken und dadurch notwendige Kapitalstärkungen - ein (un)lösbarer Konflikt?, Präsentation auf der 4. Jahreskonferenz Gesamtbanksteuerung 2016 am 24. Februar 2016 in Frankfurt am Main, Frankfurt School of Finance & Management; Zusammenfassung in der Executive Summary zur Konferenz, verfügbar unter: http://www.frankfurt-school-verlag. de/verlag/konferenz/downloads/gs2016/Executive-Summary_Gesamtbanksteuerung2016.pdf, S. 3 bis 4. Deutsche Bundesbank (2016), Abwicklung und Restrukturierung von Banken - Die neuen Mindestanforderungen TLAC und MREL, in: Monatsbericht Juli 2016, S. 65 bis 83.

European Central Bank (EZB), SSM SREP Methodology Booklet, 2016, verfügbar unter: https://www.bankingsupervision.europa.eu/ecb/pub/pdf/ssm_srep_methodology_booklet.en.pdf.

Lautenschläger, S. (2016), "Europäische Bankenaufsicht - viel erreicht, noch viel zu tun?" Rede auf dem Bundesbanksymposium Bankenaufsicht im Dialog, 1. Juni 2016, abrufbar unter: http://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2016/html/sp160601.de.html. Single Resolution Board (SRB 2016), The Single Resolution Mechanism - Introduction to Resolution Planning, September 2016 version, verfügbar unter: https://srb.europa.eu/sites/srbsite/files/intro_resplanning.pdf.pdf.

Tolckmitt, J., Basel IV - Die unterschätzte Gefahr, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28. Juli 2016, S. 25.

o.V. (2016a), BaFin sieht sich als Vorbild für andere Aufsichtsbehörden, in: Börsen-Zeitung vom 11. Mai 2016, S. 5.

o. V. (2016b), EU-Abwicklungsbehörde bestätigt MREL-Fahrplan, in: Börsen-Zeitung vom 30. April 2016, S. 3.

o. V. (2016c), Freshfields: Unsicherheit über Bail-in erhöht Disziplin, in: Börsen-Zeitung vom 19. April 2016, S. 2.

Fußnoten

1) Vgl. EZB (2016).

2) Vgl. Lautenschläger (2016).

3) Vgl. o.V. (2016a) S. 5.

4) Vgl. Deutsche Bundesbank (2016) S. 72 bis 73.

5) Für chinesische Banken sind diese Regeln erst später anzuwenden. Dies gilt auch für Institute in anderen Emerging Markets, sollten diese in späteren Jahren zu global systemrelevanten Banken erklärt werden.

6) Vgl. Deutsche Bundesbank (2016) S. 76 bis 81 und SRB (2016) S. 38 bis 40.

7) Vgl. BBVA Research (2015) S. 3 und o.V. (2016c), S. 2.

8) Eine Studie des Bundesverbands Öffentlicher Banken geht von einem Anstieg der Risikoaktiva um 30 Prozent durch Basel IV auf Basis der IST-Daten von 17 der 20 deutschen EZB-beaufsichtigten Banken (ohne Förderbanken) aus. Im Zusammenwirken von Basel IV bei Aufbau einer harten Kernkapitalquote von 13 Prozent und einer Leverage Ratio von 4,5 Prozent sowie einer MREL-Quote von 13 Prozent und anderen regulatorischen Belastungen wird für die gleiche Datengesamtheit ein Rückgang des Return on Equity von 4,2 Prozent per 2014 auf 2,0 Prozent erwartet. Vgl. Danne (2016). Die Analyse enthält auch Vergleichszahlen anderer Studien.

9) S. Tolckmitt (2016).

10) Vgl. Becker/Voigt (2014) S. 1123 bis 1126.

11) Vgl. Becker/Voigt (2015), S. 1062 und Lautenschläger (2016).

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