Schwerpunkt Stadtentwicklung

Auswege aus dem Demografie-Dilemma

Im Jahre 2050 wird die Einwohnerzahl der Bundesrepublik Deutschland voraussichtlich von derzeit 82 Millionen auf weniger als 60 Millionen gesunken sein. Um das Jahr 2030 herum dürfte bereits jeder Dritte 60 Jahre und älter sein. Deutschland wandelt sich allerdings höchst unterschiedlich. Manche Regionen verzeichnen sogar ein Wachstum. Zahlreiche Städte und Gemeinden hingegen werden mit einem Rückgang der Bevölkerungszahlen und der Alterung der Bevölkerung konfrontiert sein. Konkret bedeutet das, dass sie sich auf diesen Prozess einstellen und mit ihm politisch umgehen müssen. Der demografische Wandel hat Auswirkungen auf nahezu alle Politikbereiche einer Stadt.

Neue Herausforderungen statt weniger Kosten

Wer glaubt, dass mit weniger Kindern beziehungsweise Schülern in Zukunft entsprechend finanzielle Mittel in den kommunalen Haushalten frei werden müssten, der irrt.

Leerstehende Schulgebäude werden sich nur in den seltensten Fällen einer sinnvollen Nachfolgenutzung zuführen lassen. Ebenso steigen trotz sinkender Kinderzahl die sogenannten "Hilfen zur Erziehung" jährlich um fünf bis acht Prozent. Ein Ende dieses Trends scheint nicht in Sicht. Weil immer mehr Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert zu sein scheinen, benötigen sie Unterstützung. Daneben nehmen Heimunterbringungen zum Wohle des Kindes weiter zu.

Die Wasserver- und die Abwasserentsorgung wird nicht günstiger, sondern teurer, weil sie von weniger Menschen in Anspruch genommen wird. Damit Leitungen, die einst für mehr Nutzer ausgelegt waren, nicht verkeimen, müssen diese gespült werden, wenn ein kostspieliger Rückbau nicht möglich ist. Auch der öffentliche Nahverkehr fährt unabhängig davon, ob 15 oder drei Fahrgäste im Bus sitzen. Dass dieses keinen Einspareffekt beinhaltet, liegt auf der Hand. Die gesamte kommunale Infrastruktur bleibt zunächst bestehen und muss weiterhin unterhalten werden.

Dialog zur Strategie des Bundes

Zur Demografie-Strategie des Bundes wurde am 4. Oktober 2012 ein ebenenübergreifender Dialogprozess gestartet. Darin geht es um Handlungsfelder wie "Familie qualifiziert stärken", "motivierte, qualifizierte und gesunde Arbeit", "Lebensqualität in ländlichen Räumen" sowie um die "Handlungsfähigkeit des Staates". Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert im Zuge der Ausarbeitung der "Demografie-Strategie" der Bundesregierung von allen Beteiligten einen gezielten Blick auf die wirklich vom demografischen Schrumpfungsprozess betroffenen Städte und Gemeinden und die Bereitschaft, diesen in praktikabler und nachhaltiger Weise zu helfen. Das ist nicht ohne finanzielle Förderung von Bund und Ländern möglich.

Finanzzuweisungen der Länder beispielsweise orientieren sich weitgehend an der Einwohnerzahl. Das bedeutet, dass dort, wo der Schrumpfungsprozess am größten ist und eigentlich gegengesteuert werden müsste, auch das Geld immer weniger wird. Damit schwinden die Chancen, dem Wandel wirksam zu begegnen. Das Finanzsystem sollte dementsprechend an den demografischen Wandel angepasst werden.

Eine wichtige Aufgabe kommt auch der Städtebauförderung zu. Die gemeinsam von Bund, Ländern und Gemeinden finanzierte Städtebauförderung ist insbesondere für die vom demografischen Wandel besonders betroffenen Städte und Gemeinden ein unverzichtbares Instrument zur Anpassung der kommunalen Infrastrukturen sowie zur Substanzverbesserung.

Beispielhaft sei auf das Programm "Kleinere Städte und Gemeinden" verwiesen, welches seit dem Jahr 2010 gerade in ländlichen Räumen Konzepte und Maßnahmen im überörtlichen Zusammenhang zur Bewältigung des demografischen Wandels unterstützt. Daher ist es erforderlich, die Städtebauförderung als ein wirksames Instrument für eine nachhaltige Entwicklung von Städten und Gemeinden weiter zu stärken. Nach Auffassung des DStGB muss die Städtebauförderung des Bundes in Zukunft mindestens wieder auf das Niveau von 2010 in Höhe von 535 Millionen Euro gebracht werden.

Mit Blick auf besonders in ländlichen Regionen auftretende Strukturprobleme ist zudem ein Bundesprogramm zu deren Behebung erforderlich. Für die Finanzierung könnten die Mittel des beizubehaltenden Solidarzuschlags ganz oder teilweise einer Zweckbindung unterworfen werden. Spätestens 2019 laufen der Solidarpakt und die Investitionszulage aus. Dann könnte ein "Solidarpakt III" als "Bundesprogramm Strukturprobleme" aufgelegt werden.

Zielgruppen Familien und Senioren

Die Zukunftsfähigkeit von Städten und Gemeinden hängt wesentlich davon ab, ob sie Familien ein gutes und lebenswertes Umfeld bieten können. Attraktive Bedingungen für Familien sind damit auch ein wichtiger Standortfaktor für die regionale Wirtschaft. Familienfreundliche Unternehmen können leichter junge Fachkräfte anziehen und dauerhaft binden. Flexible Kinderbetreuungsangebote sind für Eltern besonders wichtig, um Familie und Beruf gut vereinbaren zu können. Diskutiert werden auch Wege zu einer flexiblen Zeitgestaltung von Familien durch eine familienbewusstere Arbeitswelt sowie familienunterstützende, haushaltsnahe Dienstleistungen.

Um den Menschen bei steigender Lebenserwartung ein selbstbestimmtes Leben im Alter zu ermöglichen, sollte die Aktivität im Alter gefördert und das Leitbild der "Sorgenden Gemeinschaften" im Dialog mit den verantwortlichen Akteuren etabliert werden. Thematisiert werden kommunale Strukturen und Angebote für ein selbstbestimmtes Leben im Alter einschließlich der Betreuung und Begleitung hilfe- und pflegebedürftiger Menschen. Menschen mit Demenz brauchen besondere Zuwendung, pflegende Angehörige Unterstützung und ehrenamtliche Stärkung ihres Engagements. Zur Unterstützung regionaler Wissens- und Hilfenetzwerke soll eine Allianz für Menschen mit Demenz auf Bundesebene ins Leben gerufen werden.

Sicherung der Fachkräftebasis

Angestrebt wird die Verbreitung von Modellen für das Engagement alter Menschen und für generationenübergreifende Begegnungsstätten. In bevölkerungsschwachen Gebieten mit immer mehr älteren Menschen muss die ärztliche Versorgung gewährleistet werden. Zu überlegen ist beispielsweise, ob Pflegedienste künftig delegierte ärztliche Leistungen ausführen können. Auch wird Telemedizin in Zukunft eine größere Rolle spielen. Unabdingbare Voraussetzung hierzu ist allerdings eine ausreichende Versorgung auch der ländlichen Räume mit schnellen Internetverbindungen.

Die Sicherung der Fachkräftebasis ist eine wesentliche Grundlage für Wachstum und Wohlstand. Die noch zu wenig ausgeschöpften Potenziale sollten aktiviert werden, unter anderem durch Ausbau der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren und von Ganztagsschulen, Aktivierung von Arbeitslosen, Verbesserung von Bildungschancen vor allem für Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund, ganzheitliche Betreuung junger Menschen beim Übergang von der Schule in den Beruf, Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen und qualifizierte Zuwanderung. Dem dienen Informationsportale, Job-Börsen- und Behördenlotsen sowie die derzeit erprobte Vereinfachung der Verwaltungsverfahren.

Um die Leistungsfähigkeit der Verwaltung bei veränderten Personalstrukturen zu erhalten, soll die Attraktivität des Öffentlichen Dienstes erhöht und die Nachwuchsgewinnung im Blick behalten werden, unter anderem durch Fachkräftegewinnung auf der Grundlage demografiefester Personalbedarfsanalysen, Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, insbesondere durch Entwicklung einer lebensphasenorientierten Personalpolitik.

Kooperationen als Lösungsansatz

Der Wettbewerb der Kommunen um qualifiziertes Personal, aber auch um die Ansiedelung von Arbeitsplätzen und Einwohnern wird künftig deutlich zunehmen. Grundsätzlich ist gegen Wettbewerb nichts einzuwenden, kann er doch die Stärken einzelner Gemeinden fördern. Stärken lassen sich aber auch durch eine bessere Zusammenarbeit und Vernetzung ausbauen. Nicht jede Kommune muss ihr eigenes Personalamt oder ihre eigene EDV-Zentrale betreiben. Vielerorts wird sich die Infrastruktur der Daseinsvorsorge nur durch verstärkte Kooperation sicherstellen lassen.

Gemeinden der Zukunft werden viel mehr auf kooperative Kommunalpolitik mit interkommunaler Zusammenarbeit setzen. Mit fortschreitender Technik bietet hier gerade die Digitalisierung vieler Prozesse eine große Chance. Das Potenzial an interkommunaler Zusammenarbeit ist noch lange nicht ausgeschöpft. Sie sollte durch Bund, Länder und EU in ihren jeweiligen Programmen gefördert und nicht behindert werden. So braucht es Klarstellungen, dass - die interkommunale Zusammenarbeit umsatzsteuerfrei ist, - interkommunale Aufgabenübertragungen nicht dem Vergaberecht unterliegen und - für Arbeitnehmerüberlassung im Rahmen der interkommunalen Zusammenarbeit kein formelles Erlaubnisverfahren durchzuführen ist.

Stärkung des ehrenamtlichen Engagements

Eine weitere Chance besteht in einer Zunahme des ehrenamtlichen Engagements. Wenn sich die Einwohnerinnen und Einwohner zusammenschließen und einen genossenschaftlichen Dorfladen gründen, um Einkaufsmöglichkeiten vor Ort zu schaffen oder sich engagieren, damit das Schwimmbad erhalten bleiben kann, dann schafft dieses nicht nur Gemeinschaft, sondern auch bei den Betroffenen ein befriedigendes Gefühl, etwas Gutes zu tun.

Ehrenamtliches Engagement bedeutet Rückbesinnung auf gemeinschaftliche Werte, zum Beispiel bei Bürgerbus-Vereinen, bei denen ehrenamtliche Fahrer mit einem Kleinbus Strecken bedienen, die für ein Verkehrsunternehmen unwirtschaftlich sind, bis hin zum Erhalt von Kultur-, Sport- und Freizeiteinrichtungen auf ehrenamtlicher Basis. Die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Förderung und Stärkung dieses Engagements sind weiter zu verbessern, zum Beispiel durch eine höhere finanzielle Förderung des Bundesfreiwilligendienstes.

Der demografische Wandel wird zwangsläufig einen nachhaltigen Wandel in unserem Land zur Folge haben. Die Kommunen haben schon heute begonnen, unterschiedlichste kreative Lösungen zu entwickeln. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Dennoch wird dieses allein nicht ausreichen. Deutschland braucht eine grundlegende Reform des Sozialstaates, weil in einer alternden Gesellschaft nicht immer weniger Junge für immer mehr Ältere auch noch bessere Sozialleistungen erwirtschaften können. Es gibt heute über 152 familienpolitische Leistungen in unterschiedlicher Höhe und Zielrichtung mit einem Gesamtvolumen von 123 Milliarden Euro pro Jahr. Diese Leistungen müssen neu geordnet, konsequent auf ihre Zielsetzungen konzentriert, entbürokratisiert und transparent gestaltet werden.

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